Mord auf dem Kudamm? Tatwaffe Automobil?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 08.09.2016

Schon mehrfach haben wir im Beck-Blog über die Strafbarkeit illegaler Autorennen diskutiert. Die bloße Teilnahme daran ist bislang nicht strafbar (Blog-Diskussion von 2015), sondern wird nur als OWi verfolgt, auch wenn mittlerweile eine Gesetzesinitiative vorliegt (dazu zuletzt: Carsten Krumm).

Am LG Berlin findet jetzt der Strafprozess zu einem (mutmaßlichen) Autorennen statt, das tödliche Folgen hatte. Spiegel Online schreibt:

Mit Tempo 160 soll einer der beiden Sportwagenfahrer einen Jeep gerammt haben. Der Wagen wurde bei dem Unfall in der Nacht zum 1. Februar in der Nähe des Kurfürstendamms 70 Meter weit geschleudert. Demnach raste der von links kommende 27-Jährige trotz roter Ampel mit hoher Geschwindigkeit in die Fahrerseite des Geländewagens. Der Fahrer starb noch am Unfallort.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass sich die Angeklagten - beide bereits mehrfach wegen Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr aufgefallen - zu einem illegalen Rennen verabredet hatten. Sie wirft beiden Fahrern vor, rücksichtslos Gas gegeben zu haben, um das illegale Rennen zu gewinnen. Die tödlichen Folgen hätten sie billigend in Kauf genommen. Nach Zeugenaussagen ignorierten die Fahrer mehrere rote Ampeln.

Immerhin hat die Kammer die Mord-Anklage zugelassen. Ob sich der Vorwurf auch in der Hauptverhandlung belegen lässt? Terminiert ist bis Mitte November.

Man wird den Fall im Auge behalten müssen, denn am Horizont steht möglicherweise ein Totschlagsversuchsvorwurf auch bei künftigen Rennen, die glimpflich ausgehen.  

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25 Kommentare

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Sehr geehrter OG,

ich hatte damals (als die Anklage noch auf Totschlag lautete) zum Totschlagsversuch kommentiert, weshalb ich den Link auf den früheren Beitrag nicht "Mordversuch" nennen wollte, weil dort ja von mordversuch nicht die Rede ist. Ansonsten haben Sie Recht: Sofern  objektive Mordmerkmale vorgeworfen werden (gemeingefährliches Mittel), die bei  Autorennen regelmäßig in ähnlicher Weise vorliegen, könnten Staatsanwaltschaften auch regelmäßig an Mordversuch denken.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Das ist doch nie und nimmer ein Mord! Es zeigt sich wieder, welche grenzenlose Willkür bei den "niedrigen Beweggründen" möglich ist und wie dringend die Vorschrift einer Reform bedarf. Mit Verfassungsrecht und dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot hat das alles nichts mehr zu tun! Und die ehemals sachlichen Staatsanwälte rutschen immer mehr ins Showfach und in den Hindukusch ab...

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@Gast: nach den Presseartikeln im Netz wirft die StA den Angeklagten aber (auch) die Verwendung gemeingefährlicher Mittel vor

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Endlich hat mal eine StA soviel Courage, solch einen Vorwurf eben nicht als fahrlässige Tötung anzuklagen. Jedes Mal aufs neue hat es mich entsetzt, dass diese Pfosten, die mit exorbitanten Geschwindigkeiten irgendwelche Menschen zu Brei gefahren haben, am Ende Bewährungsstrafen bekommen haben. Ich halte nichts von Law and Order, aber Bewährungsstrafen in einem solchen Fall sind einfach nur ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat.

So bin ich froh, dass es endlich mal einen Mordvorwurf gibt, auch auch wenn die Mordmerkmale nicht beweisen lassen, so steht immernoch der Todschlagsvorwurf im Raum, den man in diesem Fall wohl kaum ausräumen können wird. Obwohl ich die beiden nicht kenne, wünsche ich beiden schonmal vorweg einen angenehmen Aufenthalt in der örtlichen JVA - habt ihr euch wahrlich verdient !

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Wie man den Vorsatz belegen will, erschließt sich mir nicht so ganz. Er mag ja vorgelegen haben. Aber wenn ein Täter nun argumentiert, er habe die Gefahr natürlich nicht verkannt, aber doch gehofft, dass alles gut geht - wie will man ihm das widerlegen außer mit Erkenntnis mittels richterlicher Hellsicht? Der vernünftige (wenn auch ruchlose) Täter würde das schon nicht wollen wegen der Gefahr einer Strafverfolgung. Nun ist nicht unbedingt vernünftig, wer an Straßenrennen teilnimmt bzw. dieses selbst veranstaltet. Aber wie die Unvernunft nachweisen? Wenn man nicht - was bestimmt noch einmal vorkommen wird - einen Facebook-Post im Sinne von "Ich rase über Leichen!" findet, wird das m. E. fordernd.

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Die Antwort lautet; "dolus eventualis"! Wer an einem solchen Straßenrennen teilnimmt, muss damit rechnen, dass etwas passiert (= "er habe die Gefahr natürlich nicht verkannt."). Die Hoffnung, dass alles gut geht - "Es wird schon nichts passieren" -, ist die billigende Inkaufnahme schlimmer Folgen. Mehr bedarf es nicht.

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Sehr geehrter Leser,

Sie schreiben:

Der vernünftige (wenn auch ruchlose) Täter würde das schon nicht wollen wegen der Gefahr einer Strafverfolgung.

Dieses Argument würde bei jedem Straftatvorwurf passen und wird (deshalb) zu recht auch kaum gehört. Denn typischerweise meinen (ruchlose) Menschen ja, dass sie ohnehin nicht erwischt werden. Ein anderes Argument wird jedoch bei Delikten im Straßenverkehr regelmäßig gehört, etwa wenn es darum geht, ob eine Straßenverkehrsgefährdung nach § 315 c Abs.1 StGB vorliegt oder die Gefahr nach Abs. 3 Nr.1 nur fahrlässig verursacht wurde: Der Täter sitzt ja selbst im betr. Auto und gefährdet sich selbst, weshalb ein Fremd- bei gleichzeitigem Eigengefährdungsvorsatz selten bejaht wird.

Also hier: Die billigende Inkaufnahme auch der eigenen Verletzung bzw. des eigenen Todes ist bei einem vernünftigen Täter tatsächlich schwer nachzuweisen. Hier ist der Einwand, er habe darauf vertraut, dass es - wie im Action-Film - noch einmal knapp gut geht, sicherlich nicht so einfach zurückzuweisen.

Sehr geehrter Herr Stoecker,

Sie schreiben:

Die Hoffnung, dass alles gut geht - "Es wird schon nichts passieren" -, ist die billigende Inkaufnahme schlimmer Folgen. Mehr bedarf es nicht.

so einfach wie Sie es schildern, ist es nun wiederum auch nicht. Es gibt schon (immer noch) einen kleinen, aber wichtigen Unterschied zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

Sie werden mir zugeben müssen, dass jeder verständige Autofahrer um die Gefahr des Betriebes eines Kfz weiß und zwar nicht nur für sich selbst, sondern auch für unbeteiligte Dritte. Diese ist bei einem Straßenrennen in einer belebten City wie Berlin bzw. anderen Großstädten umso mehr gesteigert. Dies weiß auch jeder Autofahrer. Wer davor die Augen verschließt, handelt dabei mehr als fahrlässig. Und dass eine mögliche Selbstgefährdung gegeben ist, schließt m.E. den Fremdgefährdungsvorsatz nicht aus. Jede andere Wertung würde zu einer Priviliegierung des Täters führen. Zudem die anderen gefährdeten Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger oder Radfahrer nicht noch einen Schutzschild in Form eines Pkw, ausgestattet mit diversen Schutzvorrichtungen, wie Airbag pp., verfügen. Auch dies muss der Fahrer in seine Überlegungen einbeziehen.

RA Ströcker

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"Wer davor die Augen verschließt, handelt dabei mehr als fahrlässig.", "Jede andere Wertung würde ..."

Sie argumentieren normativ, mit dem Ergebnis einer Wertungsfrage. Das ist ebenso verfehlt wie eine Argumentation mit "muß wissen". Bei der Feststellung des subjektiven Tatbestands geht es hingegen um eine Ist-Frage im konkreten Sachverhalt.

Man kann sicherlich im Einzelfall Vorsatz (möglicherweise differenziert zwischen Körperverletzung und Tötung) bejahen, aber es widerspricht dem Strafrecht, wie wir es kennen, ihn so pauschal zu bejahen, wie Sie es vorschlagen.

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Sehr geehrter Herr Stoecker,

ich will gar nicht ausschließen, dass man hier einen Tötungsvorsatz begründen kann, aber die Selbstverständlichkeit, mit der Sie diesen bejahen, steht in seltsamem Gegensatz zur jahrzehntelangen juristischen Praxis - sowohl bei § 315c StGb als auch (bisher) bei §§ 212, 211 StGB. Trotz äußerst riskanter Fahrweisen, z.B. hochgefährlicher Geschwindigkeitsüberschreitungen oder riskanter Überholmanöver auf Landstraßen ist eine Anklage wegen vorsätzlicher Tötung bislang die absolute Ausnahme. Ich kenne auch keine derartige Verurteilung, obwohl Delikte im Straßenverkehr mit tödlichem Ausgang geradezu alltäglich sind. Warum gab es also bisher kaum Anklagen, keine Urteile, obwohl der Tötungsvorsatz  (nach Ihrer Auffassung) so eindeutig  zu bejahen wäre? Wurden die Täter jahrzehntelang privilegiert? 

Im Übrigen: Die Argumentation mit "jeder Autofahrer muss wissen", "jeder verständige Autofahrer" oder "muss der Fahrer in seine Überlegungen einbeziehen" begründen alle keinen Vorsatz, sondern Fahrlässigkeit. Wenn Sie Vorsatz begründen wollen, müssen Sie (zumindest) behaupten, dass der konkrete Angeklagte dieses Wissen hatte und dies auch zur Tatzeit. Es genügt dazu nicht die Bezugnahme auf eine Maßfigur wie "jeder verständige Autofahrer".

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

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@ Prof. Dr. Müller,

Danke für die Erläuterung - sie haben natürlich Recht.

@ RA Stroecker

Die mögliche Selbstgefährdung finde ich als Argument hier auch schwierig. Denn nur wegen der Selbstgefährdung wird die Tat doch begangen: illegale Autorennen verstehe jedenfalls ich als Mutproben. Wenn auch ungefährliche Wettbewerbe spannend wären, würden sich die Beteiligten vielleicht zum Wett-Socken-Waschen o. ä. treffen. Obwohl, nein, gerade weil man die Selbstgefährdung in Kauf nimmt, ist es "cool".

Wenn ich so darüber nachdenke, widerlegt das vielleicht auch meine anfänglichen Bedenken. Auch die Gefahr einer Strafverfolgung gehört zur Attraktivität solcher Rennen. Es wird so gehandelt, gerade weil diese Gefahr besteht. Natürlich will niemand erwischt werden. Natürlich will niemand sich selbst oder Dritte schädigen. Aber es wird dann vielleicht doch billigend in Kauf genommen.

Nun gut, ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil. Go, go, go, Staatsanwaltschaft!

 

 

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P. S.: Der Vergleich ist vielleicht etwas übertrieben, aber wenn schon Action-Filme angesprochen wurde...

Wenn zwei Menschen (anders als im Film: freiwillig) russisches Roulette spielen, will auch keiner der beiden verlieren. Trotzdem würden wir beim Verlierer wohl von einer vorsätzlichen Selbsttötung sprechen.

Es erscheint nicht unschlüssig, dann auch vom Vorsatz umfasst zu sehen, wenn durch den Schuss ein Zuschauer verletzt oder getötet wird (und beide Spieler dieses Risiko erkannt haben).

Krasser als der Fall eines Autorennens, im Kern aber vielleicht doch gar nicht so anders, als man denken würde. Man darf gespannt sein, wie der reale Fall entschieden wird.

Die Idee einer spezialgesetzlichen Regelung betont der Fall aber m. E. noch einmal. Die Täter haben hier mit einer Spanne zwischen OWi und lebenslänglich zu rechnen - da kann man eine gewisse Rechtsunsicherheit nicht abstreiten. Aber falls sich eine Rechtsprechung etabliert, die eine klare Kante (in welche Richtung auch immer) etabliert, wäre das auch schon erfreulich, vielleicht sogar besser.

 

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Eines hat die Staatsanwaltschaft doch in jedem Fall erreicht: Dank der juristischen Wertung als Mord sitzen die beiden Angeklagten schon seit März und damit ca. ein halbes Jahr in Untersuchungshaft (vgl. § 112 Abs. 3 StPO - inwieweit die verfassungsrechtlichen Einschränkungen beachtet wurden, kann ich nicht beurteilen). Egal wie das Verfahren ausgehen sollte, haben sie die (einschneidende) Erfahrung einer Inhaftierung gemacht. Damit will ich der Staatanwaltschaft natürlich nicht unterstellen, sachfremde Zwecke zu verfolgen - die juristische Bewertung ist m.E. vertretbar -, aber dieser auch aus anderen Bereichen bekannte Effekt der U-Haft dürfte ihr wohl zumindest nicht unrecht sein. 

 

U-Haft schafft Rechtskraft und erleichtert die Arbeit der Staatsanwalte ganz ungemein. So kann man die Unschuldsvermutung natürlich auch verstehen...

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Moralisch und aus Emphatie für Opfer und Hinterbliebene wünscht man sich insbesondere bei gefährlicher Raserei in Innenstädten harte abschreckende Strafen. Insofern ist im Einzelfall der Griff nach der Mordanklage über die Offensichtlichkeit einer Gefährdung Dritter mit gemeingefährlichen Mitteln und billigende Inkaufnahme einer Tötung verständlich.

Trotzdem muss man über den einzelnen Fall hinaus, auch die Folgen einer verschärften Behandlung solcher Fälle für die Rechtsprechung berücksichtigen. Jede Tötung ist eine ethische Herausforderung, ob im Streit, bei Unfällen, bei beruflichem Versagen, bei Tötungsabsicht, im Krieg oder bei Anschlägen. Ermittler und Richter müssen sich jedoch weitgehend von Emphatie für Opfer oder dem allgemeinen Entsetzen frei machen, um nicht stellvertretend Rache zu üben oder ein Exempel zu statuieren. Es geht um Strafe entsprechend dem Gesetz und den damit verbundenen Zielen. Rache und "ein Exempel statuieren" gehört gerade nicht dazu. 

Sind also die Kriterien für Mord im Einzelfall tatsächlich erfüllt oder wird eine unerträgliche "Modeerscheinung" von Rücksichtslosigkeit und Gefährdung aus anderen Gründen besonders rigoros bewertet? Wie konkret muss die Tötungsabsicht und die Wahrscheinlichkeit für einen tatsächlichen Erfolg sein? Sind Autobahndrängelei, Fahrten unter Drogen, rücksichtsloses Unterlassen von Sorgfaltspflichten auch in anderen Bereichen usw. mit dem Fall vergleichbar? Warum oder warum nicht? Wie grenzt man den Mordvorwurf hier von Fällen der Gefährdung des Straßenverkehrs, fahrlässiger Tötung oder dem Totschlag ab? Wie z.B. im Vergleich mit dem Fall "Berufstestraser Rolf"?  https://de.wikipedia.org/wiki/Verkehrsunfall_auf_der_Bundesautobahn_5_im...

Aktionismus und moralische Entrüstung zu einem Einzelfall sind für Änderungen oder Anpassungen von Gesetzen und Rechtsprechung keine guten Ratgeber. Sie verführen zur eindimensionalen Sicht- und Denkweise. In jedem (ausgewogenen) Regelsystem müssen die Konsequenzen von Änderungen auch systematisch aus allen Blickwinkeln betrachtet werden. Sonst entwickelt man ein undurchschaubares Gewirr von Ausnahmen, Bypässen, Hilfskonstrukten und verstrickt sich dabei in jede Menge Widersprüche. Wären die Auswirkungen auf andere Fallkonstellationen und die Systematik des StGB nicht ein wichtiges Thema?      

     

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Gast schrieb:

Sind also die Kriterien für Mord im Einzelfall tatsächlich erfüllt oder wird eine unerträgliche "Modeerscheinung" von Rücksichtslosigkeit und Gefährdung aus anderen Gründen besonders rigoros bewertet? Wie konkret muss die Tötungsabsicht und die Wahrscheinlichkeit für einen tatsächlichen Erfolg sein? Sind Autobahndrängelei, Fahrten unter Drogen, rücksichtsloses Unterlassen von Sorgfaltspflichten auch in anderen Bereichen usw. mit dem Fall vergleichbar? Warum oder warum nicht? Wie grenzt man den Mordvorwurf hier von Fällen der Gefährdung des Straßenverkehrs, fahrlässiger Tötung oder dem Totschlag ab?

Natürlich ist jegliches Rasen verwerflich, insbesondere dann, wenn es tödlich endet.

Der kleine, aber wichtige Unterschied ist das Motiv: Wenn ein Familienvater mit Frau und Kindern im Auto zum Flughafen rast, um den Urlaubsflieger noch zu bekommen, so weiß er natürlich auch, dass er mit seiner Raserei andere und/oder seine eigenen Kinder gefährdet. Aber er hat ein Motiv, welches jeder verstehen kann (wenn er den Urlaubsflieger verpasst, ist das eine Katastrophe). Und er ist innerlich fest davon überzeugt, dass schon nichts passieren wird.

Wenn zwei junge Idioten mit ihren getunten Autos im Rahmen eines Rennens durch die Stadt rasen, so tun sie das nur wegen des Nervenkitzels. Das ist ein Motiv, welches niemand nachvollziehen kann (außer eben solchen Idioten).

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Erscheint mir katastrophal unlogisch. Eine strafbare Handlung wird doch nicht erst dann verwerflich, wenn sie tatsächlich tödlich endet. Verwerflich ist schon die rücksichtslose Inkaufnahme der Gefährdung des Lebens und die Gesundheit Anderer. Auch unterscheidet sich diese Verwerflichkeit des wissenden und sonst gutbürgerlichen Familienvaters doch nicht von der des rücksichtslosen und dummdreisten Raser-Vollhonks. Die Motivfrage ist doch im Prinzip vergleichbar, es sei denn man erklärt das illegale, rasende Erreichen eines Urlaubsfliegers zu einem höheren Rechtsgut als das Leben Anderer und den Sieg in einem illegalen Autorennen. Unterscheiden kann es sich nur in der Frage der subjektiven Handlungsplanung und vielleicht noch in der Prognose von möglichen Wiederholungen. Hat der Familienvater die Raserei von vornherein eingeplant oder sich erst nach unvorhergesehenen Verzögerungen zur rücksichtslosen Raserei verleiten lassen? Hat der andere Raser den Verlauf des Straßenrennens und die mögliche Tötung von vornherein einkalkuliert oder wurde er spontan herausgefordert und dann zum rücksichtslosen Siegwillen angestachelt?

Erstaunlicherweise hatte die STA im Fall des geplanten Brandanschlags in Altena trotz der bewussten Sabotage der Brandmelder kein Mordmotiv der Täter erkannt. Etwa weil es zum Glück nicht tödlich endete oder weil es bei der geplanten Tat angeblich "nur um Angst vor Flüchtlingen" ging? http://community.beck.de/node/63890

Da gibt es also möglicherweise Übereinstimmungen in der katastrophalen Logik des Denkens.       

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Nur der guten Ordnung halber: Das dürfte nicht nur für "junge Idioten" gelten, sondern auch für alte Idioten. War vermutlich auch so gemeint, typischerweise werden die Täter auch "jung" sein oder sich so fühlen (wollen), aber nun ja, das können objektiv auch Täter sein, die der Jugend im strengsten Sinne schon entwachsen sind.

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Im vorigen Thread wurde ja schon auf das Nachbarland verwiesen. Hier die höchstrichterliche Rechtsprechung aus der Schweiz zu einem vergleichbaren Fall: http://www.servat.unibe.ch/Dfr/bge/c4130058.html

Die Ausführungen zur Abgrenzung Eventualvorsatz-Fahrlässigkeit sind besonders interessant und m.E. übertragbar.

Anders als bei riskanten Freizeitaktivitäten kann sich der Autofahrer nicht darauf herausreden, er habe um das Risiko nicht gewusst: denn der Pflichtunterricht, der vor dem Erwerb des Führerscheins steht, hat gerade den Sinn, die Risiken des Autoverkehrs und die Wichtigkeit der Einhaltung der Verkehrsregeln zu vermitteln. Vor diesem Hintergrund kann kein Führerscheininhaber sich darauf berufen, er habe bei 160 km/h innerorts auf einer belebten Straße darauf vertraut, es werde schon nichts passieren.

Dass der Mordparagraph der Nazis endlich auf den Stand von vor 1940 zurückgesetzt gehört (mit lebenslang statt Todesstrafe natürlich), wird allerdings auch an diesem Fall deutlich.

Sehr geehrter "Name",

vielen Dank für Ihren Link zu dem schweizerischen Kassationsgerichts-Urteil aus dem Jahr 2004. Weil der AT im schweizerischen Strafrecht dem deutschen in den hier relevanten Punkten gleicht und zudem das Schweizer Gericht für die relevanten Punkte deutsche Strafrechtsquellen zitiert, lohnt es sich durchaus, einen genaueren Blick auf die Argumentation zu werfen.

Hier erstmal der Auszug aus der Urteilsbegründung:

Als erfüllt erweist sich beim Beschwerdeführer 1 auch das Willenselement des Vorsatzes. Wie die Vorinstanz zu Recht annimmt, haben es ihm die konkreten Umstände nicht mehr erlaubt, ernsthaft darauf zu vertrauen, er werde den als möglich erkannten Erfolg durch seine Fahrgeschicklichkeit vermeiden können. Wer im Rahmen eines fahrerischen Kräftemessens kurz vor einem Dorfeingang mit einem Tempo von 120-140 km/h zu einem Überholmanöver ansetzt und sich nicht davon abbringen lässt, obwohl er voraussieht, dass es sich bis in den Innerortsbereich hinziehen wird, wo er die höchstzulässige Geschwindigkeit mithin um bis zu 90 km/h überschreitet, kann gar nicht anders, als den Deliktserfolg ernstlich in Rechnung zu stellen. Er lässt es offensichtlich "drauf ankommen" (vgl. ROXIN, a.a.O., § 12 N. 27 a.E.). Der Beschwerdeführer 1 hat sich daher mit seiner Fahrweise für die mögliche Rechtsgüterverletzung entschieden. Denn die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts musste sich ihm als so gross aufdrängen, dass der Umstand, dass er - anstatt seine Fahrt vor der Ortschaft Gelfingen abzubremsen und das Rennen aufzugeben - trotz der massiv übersetzten Geschwindigkeit seines Gegners noch zu einem Überholmanöver angesetzt hat, nicht anders denn als Inkaufnahme des als möglich erkannten Erfolgs ausgelegt werden kann. Seine Fahrweise hat dem Beschwerdeführer 1 mit anderen Worten nurmehr die Hoffnung erlaubt, die Sache werde glimpflich ausgehen. Er musste es letztlich Glück oder Zufall überlassen, ob sich die Gefahr verwirklichen werde oder nicht. Die blosse Hoffnung auf das Ausbleiben des tatbestandsmässigen Erfolgs schliesst eine Inkaufnahme im Sinne eventualvorsätzlicher Tatbegehung anders als das - auch bloss leichtsinnige - Vertrauen jedoch nicht aus. Es bedeutet lediglich, dass der Erfolgseintritt als solcher unerwünscht ist (BGE 125 IV 242 E. 3f S. 254; vgl. auch ROXIN, a.a.O., § 12 N. 27).   39 Zwar trifft zu, dass ein Fahrzeuglenker durch sein gewagtes Fahrverhalten selbst zum Opfer zu werden droht. Man wird daher einem Autofahrer bei einer riskanten Fahrweise, z.B. bei einem waghalsigen Überholmanöver, auch wenn ihm die möglichen Folgen bewusst sind und er auf sie gar ausdrücklich hingewiesen worden ist, in der Regel zugestehen, dass er - wenn auch oftmals rational nicht begründbar - leichtfertig darauf vertrauen wird, es werde schon nicht zu einem Unfall kommen. Die Annahme, der Fahrzeuglenker habe sich gegen das Rechtsgut entschieden und nicht mehr im Sinne der bewussten Fahrlässigkeit auf einen guten Ausgang vertraut, darf daher nicht leichthin getroffen werden (ROXIN, a.a.O., § 12 N. 23; SCHÖNKE/SCHRÖDER/CRAMER/STERNBERG-LIEBEN, a.a.O., § 15 N. 75). Aus diesem Grund hat der von den kantonalen Instanzen angeführte nicht publizierte Entscheid des Bundesgerichts, in welchem es die Verurteilung eines Fahrzeuglenkers wegen eventualvorsätzlicher Tötung schützte, der mit seinem Lamborghini nachts auf der Autobahn mit einer Geschwindigkeit von mindestens 240 km/h auf ein auf der Fahrbahn liegen gebliebenes Unfallauto aufgefahren war und dabei zwei Personen tödlich verletzt hatte, Anlass zu Kritik gegeben (Urteil des Kassationshofs Str. 61/86 vom 6. Oktober 1986, auszugsweise zit. bei HANS SCHULTZ, Rechtsprechung und Praxis zum Strassenverkehrsrecht in den Jahren 1983-1987, Bern 1990, S. 92 ff.; vgl. die Kritik bei SCHULTZ, a.a.O., S. 94 f.; JEAN-PIERRE GUIGNARD, Note sur l'arrêt X., JdT 1988 IV S. 131 ff.). Der jenem Entscheid zu Grunde liegende Sachverhalt unterscheidet sich von demjenigen im vorliegenden Fall jedoch wesentlich, so dass sich weitere Erörterungen hiezu erübrigen. 40 Im zu beurteilenden Fall kann das Verhalten des Beschwerdeführers 1 jedenfalls nicht mehr als bloss verantwortungslose riskante Fahrweise bzw. als unverantwortlicher Leichtsinn gewürdigt werden. Aus dem ganzen Ablauf des Geschehens, der gegenseitigen Anstachelung der beiden Fahrzeuglenker beim ersten Aufeinandertreffen bis zum letzten, sich bis in den Innerortsbereich von Gelfingen erstreckenden Überholmanöver ergibt sich, dass primäres Ziel des Beschwerdeführers 1 war, dem Rivalen die eigene fahrerische Überlegenheit zu beweisen und um keinen Preis das Gesicht zu verlieren. Dieses Ziel hat er höher bewertet als die drohenden Folgen, mithin als den Tod der beiden Opfer. Diesem hat er selbst die eigene Sicherheit und diejenige seiner Mitfahrer untergeordnet. Dadurch, dass er sich durch nichts davon abbringen liess, das Überholmanöver bis zuletzt durchzuziehen, hat er zum Ausdruck gebracht, dass ihm der als möglich erkannte Erfolg völlig gleichgültig war.

Das klingt zwar erst einmal überzeugend, aber die ganze Argumentation beruht bei näherem Hinsehen darauf, dass der billigend in Kauf genommene Deliktserfolg nicht präzise definiert wird. Tut man dies (im vorl. Fall war es der Tod zweier jugendlicher Passanten, die vom Wagen des Angeklagten bei der Schleuderfahrt erfasst wurden), wird es schwierig. Denn billigend in Kauf genommen wird nach den Urteilsgründen nicht ein tödlicher Unfall, sondern die Fahrt mit (bis zu) 140 km/h in ener geschlossenen Ortschaft. Da der Angeklagte die Passanten wahrscheinlich noch gar nicht wahrgenommen hat, als er das Überholmanöver einleitete (obwohl er mit ihnen rechnen musste), ist es auch nicht ganz überzeugend zu sagen, er habe sein Ziel (schneller zu sein als der andere bzw. sein Gesicht nicht zu verlieren) höher eingeschätzt als das Leben der Opfer. Die Argumentation gleicht derjenigen, die man anstellt, wenn man aus einem anderen objektiv sehr gefährlichen Tun auf den Vorsatz schließt (etwa Schusswaffe aus Nähe auf Kopf des Opfers abgefeuert), ohne dass die Lage wirklich entsprechend ist. 

Ich bin daher nicht ganz überzeugt.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Müller,

vielen Dank für das Zitieren des Urteils. Meines Erachtens ist das Urteil nicht überzeugend, aber aus anderen Gründen als von Ihnen argumentiert.

Zwar kann der Täter - wie sie richtigerweise feststellen - sein Ziel, schneller zu sein, nicht höher einschätzen als den Tod zweier Opfer, von deren Anwesenheit er nicht einmal Kenntnis hat. Jedoch kann er den Tod möglicherweise Anwesender diesem Ziel unterordnen, wenn er von deren möglicher Anwenseheit ausgeht. Dies ist nach meiner Ansicht auch nicht der Knackpunkt des Urteils.

Vielmehr erscheint es äußert zweifelhaft wie hier aus der tatsächlichen Situation extrem großen Risikos auf das billigend Inkaufnehmen geschlossen werden kann. Dies hakt schon daran, dass das Ziel des Täter - nämlich zu gewinnen und sein Gesicht nicht zu verlieren - im Falle eines Unfalls in das Gegenteil umschlägt. Er wird beschämt und verliert.
Insofern trägt auch die Argumentation, der Täter habe alle anderen Rechtsgüter seinem Ziel untergeordnet, nicht das Ergebnis. Denn das Erreichen seines Zieles setzt gerade voraus, dass es zu keinem Unfall kommt! Der Täter hofft folglich - selbst wenn er das Leben möglicher Passanten dem Sieg unterordnen - gerade auf keinen Zusammenstoß.

Im Ergebnis spreche ich mich weiterhin dafür aus, den Strafrahmen der fahrlässigen Tötung weiter auszuschöpfen, anstatt sich auf dogmatisch äußerst fragwürdiges Gebiet zu begeben.

Liebe Grüße,

ein Autofahrer

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Eine Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins (DAV):

Strafbarkeit von illegalen Autorennen – Aktuelles Thema beim jour fixe

Monatlich lädt der DAV die Hauptstadtpresse zu einem aktuellen Thema ein. Im Hinblick auf die Bundesratssitzung am 23. September 2016 ging es an diesem Mittwoch um die Initiative insbesondere Nordrhein-Westfalens, einen Straftatbestand für illegale Autorennen zu schaffen. Es konnte herausgearbeitet werden, dass es eine Strafbarkeit der Teilnahme an illegalen Autorennen schon jetzt gibt, wenn jemand konkret gefährdet wird (§ 315c StGB) oder mit der Inkaufnahme von Verletzungen (§ 315b StGB) gehandelt wird. Wenn man eine Regelungslücke erkennen will, dann allein bei dem Punkt als abstraktes Gefährdungsdelikt. Für den DAV war es wichtig zu betonen, dass insbesondere aber auch die Beschlagnahme des Fahrzeuges immer möglich sein muss sowie der Entzug der Fahrerlaubnis. (DAV-Depesche Nr. 37/16 = https://goo.gl/fGHLyS)

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Die Entscheidungsgründe des ähnlich gelagerten Kölner Falls https://dejure.org/2016,6921 sind inzwischen veröffentlicht. Dort heißt es zur Frage des Vorsatzes:

e)

Anhaltspunkte für ein bedingt vorsätzliches Handeln beider Angeklagter lagen nicht vor. In Abgrenzung zur bewussten Fahrlässigkeit, bei der der Täter die Möglichkeit des Eintritts des tatbestandlichen Erfolgs zwar erkennt, jedoch damit nicht einverstanden ist und ernsthaft darauf vertraut, es werde schon gutgehen, setzt bedingt vorsätzliches Handeln voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet. Da diese beiden Schuldformen im Grenzbereich eng beieinander liegen, müssen bei der Annahme bedingten Vorsatzes beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement, in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH, NStZ-RR 2006, 9).

Für dieses zwingend erforderliche voluntative Element gibt es vorliegend keinen Anhaltspunkt. Schon im Interesse der eigenen körperlichen Unversehrtheit, die bei einem schweren Verkehrsunfall ebenfalls in Gefahr ist, ist die Annahme, K und J hätten einen massiven Unfall, bei dem Andere zu Tode kommen könnten, billigend in Kauf genommen, fernliegend. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch die außerordentlich hohe Hemmschwelle bei einer (auch nur bedingt vorsätzlicher) Tötung eines Menschen. Bezüglich des Angeklagten K spricht zudem seine Bestürzung nach dem Unfall deutlich dafür, dass er - in völliger Überschätzung seiner Fähigkeiten als wenig erfahrener Fahrzeugführer - darauf vertraut hat, er könne sein Fahrzeug auch bei Erreichen derart hoher Geschwindigkeiten noch beherrschen.

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