Alles ISA - oder was?

von Prof. Dr. Claus Koss, veröffentlicht am 30.09.2016
Wolkenbild

Manchmal steckt die Dynamik des Gesetzestextes für die Praxis in drei Worten, denen in einem mehrzeiligen Halbsatz die Fundstelle folgt.
§ 317 Abs. 5 HGB bestimmt: "Bei der Durchführung einer Prüfung hat der Abschlussprüfer die internationalen Prüfungsstandards anzuwenden, die von der Europäischen Kommission ... angenommen worden sind."
Das hört sich zunächst nach einer einfachen und klaren Regel an. Da gibt es aus der Gruppe der Internationalen Prüfungsstandards (englisch: International Standards on Auditing - ISA) Normen, die vom Abschlussprüfer angewendet werden müssen.
Soweit - so klar. In der Diskussion ist: was ist mit den bereits bestehenden deutschen Standards? Sind diese 'ergänzend' oder 'ersetzend' angewendet werden?
Das hört sich wieder nach einer typischen Frage eines Professors aus Regensburg an. Im Zweifel geht es aber um viel Geld.

Ein fiktiver Fall: Ein Kreditinstitut gewährt einem mittelständischen Unternehmen erst nach Vorlage eines geprüften Jahresabschlusses Kredit. Wie in solchen Fällen möglich: das Unternehmen geht in die Insolvenz, das Kreditinstitut verklagt den Wirtschaftsprüfer (der ein uneingeschränktes Testat erteilt hat). Bei pflichtgemäßer Prüfung hätte er erkennen müssen, dass ein großer Teil der Umsatzerlöse nicht periodengerecht gebucht und ein anderer Teil nur 'Luftbuchungen' waren. Der Abschlussprüfer kann keine Dokumentation über die Prüfung des IKs vorlegen, sondern hat nur eine sehr kleine Stichprobe aus den Ausgangsrechnungen aufgrund bewusster Auswahl gezogen.

"Zu Recht?", fragt da der Jurist - Die Antwort (natürlich): es kommt darauf an!

Es kommt darauf an, wie intensiv der Abschlussprüfer "pflichtgemäß" prüfen muss. Die Vollständigkeit (im Prüferenglisch: 'Completeness') und Existenz ('Existence') lässt sich im Regelfall nur über eine Prüfung des Rechnungslegungswesen-bezogenen Internen Kontrollsystems (kurz: IKS) überprüfen. Auch hängen Art und Umfang der Prüfungsdurchführung von der "Größe, Komplexität des Prüfungsmandats" ab (sog. 'Skalierte Prüfungsdurchführung', § 24b der Berufssatzung für Wirtschaftsprüfer/vereidigte Buchprüfer [BS WP/vBP]).

Fall (A): Gelten   n u r   die ISA, dann muss der Abschlussprüfer zum einen die Wirksamkeit des IKS nicht bescheinigen. Zum anderen sind die ISA an einem skalierten Prüfungsansatz orientiert.
Das bedeutet: in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalls könnte eine sehr kleine Stichprobe mit bewusster Auswahl genügen. Der Abschlussprüfer haftet nicht.

Fall (B): Es gelten die ISA, § 24b BS WP/vBP ist zu berücksichtigen. Diese Normen würde der Verfasser als maßgeblich für eine Abschlussprüfung nach deutschem Recht erachten. Das klagende Kreditinstitut kann seine Erwartungen an Art und Umfang der Abschlussprüfung nur an §§ 316 ff. HGB, namentlich § 317 Abs. 5 HGB orientieren. Wenn der Abschlussprüfer ein Wirtschaftsprüfer (vereidigter Buchprüfer) oder eine Wirtschaftprüfungsgesellschaft (Buchprüfungsgesellschaft) ist, muss er/sie sich an die Berufssatzung halten.
Ergebnis: Bezüglich Art und Umfang der Prüfungshandlungen ('Skalierte Prüfungsdurchführung') wäre das Ergebnis das gleiche wie (A). Unsicher wäre der Verfasser hinsichtlich des IKS. Wenn - wie hier - bestimmte Prüfungsaussagen nur nach einer IKS-Prüfung getroffen werden können, dann reduziert sich das Ermessen auf Null und es kann nur bei einem wirksamen IKS ein uneingeschränktes Testat erteilt werden.

Fall (C): Es gelten ISA plus deutsche Prüfungsstandards, insbesondere die Verlautbarungen des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) zur Prüfung (kurz: "IDW Prüfungsstandards" [IDW PS]). Hier ist die Lösung: ohne wirksames IKS (und damit ohne entsprechende Prüfungshandlungen) kein uneingeschränktes Testat, bewusste Auswahl kritisch, Zulässigkeit der Skalierung nach IDW PS fraglich.
Ergebnis: Im dargestellten Fall liegt wohl ein Verstoß gegen Berufspflichten vor, die Prüfungsdurchführung war nicht ordnungsgemäß. Das bedeutet: der Schadensersatzanspruch ist dem Grunde nach entstanden.

Wie soll sich der Richter im Prozess entscheiden: (A), (B) oder (C)?

Höchstrichterliche Entscheidungen zur Frage 'Welche Normen anwenden?' sind nicht bekannt. Die Antwort des Pragmatikers ist: 'Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an.'

Die grundsätzliche Frage bleibt aber offen: Was ist der Prüfungsmaßstab?

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