Fall Al-Bakr: Suizid in Untersuchungshaft - war es zu verhindern?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 13.10.2016
Rechtsgebiete: StrafrechtKriminologie36|13217 Aufrufe

1,5 Jahre nachdem hier im Beck-Blog Suizidprophylaxe in der Haft Thema war (Fall Middelhoff), wird praktisch mit umgekehrten Vorzeichen dasselbe Thema wieder bedeutsam. Gestern Abend gegen 19.30 Uhr hat sich der syrische Untersuchungshäftling, gegen den der dringende Tatverdacht der Vorbereitung eines terroristischen Sprengstoffanschlags  bestand, in seiner Zelle erhängt. Laut Auskunft seines Anwalts galt er als suizidgefährdet und soll auch entsprechend unter Beobachtung gestanden haben.

Anlässlich des Falls Middelhoff, der sich nachträglich wegen der schlafstörenden Dauerüberwachung ("Folter") beschwert hatte, wurde über die gängige Praxis der Überwachung von suizidgefährdeten Gefangenen schon einmal diskutiert.

Das nordrhein-westfälische Justizministerium hat in seinem Bericht im vergangenen Jahr u.a. Folgendes ausgeführt:

Die Verhütung von Suiziden der ihm anvertrauten Gefangenen gehört zu den wichtigsten Aufgaben, die der Justizvollzug zu leisten hat. Die körperliche Unversehrtheit ist nicht nur zu wahren und zu respektieren, sondern auch aktiv zu schützen.

Zu dem Schutz der Gefangenen gehört es nicht nur, sie vor Übergriffen Mitgefangener zu schützen, sondern auch, sie davor zu bewahren, sich selbst und ihren Angehörigen Leid zuzufügen.

Unmittelbar nach der Aufnahme einer zu inhaftierenden Person in eine Justizvollzugsanstalt erfolgt ein strukturiertes Zugangsgespräch. Ziel ist es, eine suizidale Gefährdung zu erkennen. Das Erstgespräch wird von erfahrenen Bediensteten durchgeführt, die mit der besonderen Problematik vertraut sind.

Es gibt verschiedene Maßnahmen, die zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit ergriffen werden können.

Hierzu zählt zunächst die gemeinschaftliche Unterbringung mit hafterfahrenen Gefangenen, die zu einer Stabilisierung des Zustandes eines frisch eingelieferten, haftunerfahrenen Gefangenen beitragen können.

Ist ein Gefangener für eine Gemeinschaftsunterbringung nicht geeignet oder wünscht er diese nicht, bleibt nur die Beobachtung in unregelmäßigen Zeitabständen. Diese wird möglichst diskret durchgeführt, und zwar zumeist auf sogenannten Beobachtungshafträumen, aber auch auf normalen Hafträumen.

Auf Beobachtungshafträumen sind in den Justizvollzugsanstalten regelmäßig Nachtbeleuchtungen vorgesehen, die eine deutlich geringere Beleuchtungsstärke aufweisen als die zum Lesen oder Fernsehen erforderlich~ Normalbeleuchtung.

Bedienstete machen sich ein Bild von dem Zustand des Gefangenen, indem sie Einblick in den Haftraum nehmen. Dies geschieht bei neueren Anstalten durch eine Sichtklappe, in älteren Anstalten durch eine Glasscheibe in der Tür, die im Alltagsbetrieb von außen abgedeckt ist.

In einzelnen Anstalten erfolgt die Überwachung auch durch sogenannte "Sichtspione", d.h. Haftraumeinsichtsöffnungen.

Wird die Beobachtung auf einem normalen Haftraum durchgeführt, erfolgt sie ebenfalls durch einen solchen "Sichtspion".

(...)

Die im Vollzugsjargon "viertelstündliche Beobachtung" genannte geschilderte Sicherungsmaßnahme wird seit Jahrzehnten in Justizvollzugsanstalten der Bundesrepublik Deutschland praktiziert.

Nun ist es einerseits sehr schwierig, einen zum Suizid entschlossenen Menschen von seiner Tat abzuhalten, andererseits muss man zu Recht die Frage stellen, wie es dem Untersuchungsgefangenen gelingen konnte, sich auf diese Weise zu erhängen.  Lt. Angaben in der Pressekonferenz ist die Beobachtungsfrequenz am Dienstagabend von zunächst 15 auf 30 Minuten erweitert worden. Anders als der Ermittlungsrichter hielt man ihn in der JVA nicht für akut suizidgefährdet, obwohl man mit ihm sprachlich nicht gut kommunizieren konnte. Die Zuziehung eines Dolmetschers in der Anstalt  hielt man lt. StA nicht für erforderlich und dies sei bei 10 bis 20 Neuzugängen am Tag auch zu aufwändig.

War die Zelle geeignet zur Einzelunterbringung eines Suizidgefährdeten, wenn man sich dort mit Kleidung am "Vorgitter" erhängen kann? Aus der Pressekonferenz: Suizide habe es in den Vorjahren schon gegeben, Gefangene nutzen dazu die Fenstergitter. Wenn man wolle, könne man sich "in jedem Haftraum selbst töten" (zitiert nach Oliver Burwig, RP-Online.de) Diese Angabe ist nicht wirklich entlastend: Wenn man genau diese Suizidmöglichkeit in den Hafträumen schon kennt, ist die Suizidprophylaxe in der konkreten JVA offenbar nicht optimal. Suizidgefährdete, die nicht in Gemeinschaftszellen untergebracht werden können, müssen in einen Haftraum gesperrt werden, der nicht solche naheliegenden Möglichkeiten zum Suizid bietet. Alternativ müssen Kontrollen so häufig durchgeführt werden, dass keine Zeit zur Vorbereitung und Durchführung eines Suizids besteht.

"Wir müssen aus jedem Suizidversuch lernen", betont Jacob. (Anstaltsleiter). Anstaltsleiter Jacob sagt, dass es in Sachsen keine Videoüberwachung in Untersuchungshaft gebe. "Wir wollen lieber die unmittelbare Sitzwache." [zitiert nach RP-Online, s.o.]. Eine solche Sitzwache wurde aber bei Al Bakr offenbar nicht angeordnet bzw. durchgeführt.

Es verwundert schon etwas, dass bei dem (europaweit) derzeit wohl bekanntesten Untersuchungsgefangenen, dem die Vorbereitung schwerster Taten vorgeworfen wurde,  keine besonderen Überwachungsmaßnahmen angeordnet wurden, zumindest so lange, bis man ihn trotz Sprachproblemen besser "kennt". Offenbar hat man ihn falsch eingeschätzt und auch nicht auf die Hinweise seines Verteidigers angemessen reagiert.

Lesenswertes Interview der SZ mit Bernd Maelicke, einem Wissenschaftlerkollegen, der sich seit Jahrzehnten mit Strafvollzug befasst.

Update September 2017:

Nun gibt es eine Recherche zu dem Suizid, deren Ergebnsise meine Kritik als noch harmlos erscheinen lassen. Offenbar wurden hier in der Anstalt noch gravierendere Fehler gemacht als zunächst bekannt wurde und auch die behördliche Aufklärung ließ zu wünschen übrig. Monitor-Sendung vom 24. August 2017:

http://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/jaber-albakr--100.html

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36 Kommentare

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Wäre in solchen Gefährdungssituationen vielleicht eine unauffällige Kameraüberwachung eine minimalinvasive und gleichzeitig umfassende Alternative zu den belastenden persönlichen Kontrollen?

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Sehr geehrter Fragensteller,

das wäre in besonderen Gefährdungssituationen eine zumindest denkbare Möglichkeit, wenn eine ständige "Sitzwache" ausscheidet. Voraussetzung dafür ist aber (immer) die zutreffende Gefährdungseinschätzung. Hieran haperte es in Leipzig offenbar. Und es fehlte auch ein Haftraum, in dem zumindest auffällige Suizidmöglichkeiten (Gitter, Klinken, Haken etc.), die schon früher von Häftlingen genutzt wurden, entfernt wurden.

Die allg. Suizidgefährdung ist statistisch in den ersten Tagen der U-Haft am höchsten.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

 

Meiner Kenntnis nach ja. Es gibt spezielle Kleidung für suizidgefährdete Menschen, papierähnlich meine ich, aus der man (so gut wie) unmöglich einen Strick o.ä. herstellen kann.

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F216  Reissfestes T-Shirt und Bermuda (kurzer Arm, kurze Hose)
F219  Reissfeste Bermuda*
F326  Reissfeste lange Hose*

Für Personen mit einem extremen Drang, eigene Kleidung zu zerstören, sich zu entkleiden oder sich extrem zu kratzen.

Einsatz z.B. in psychiatrischen Kliniken, Strafvollzugsanstalten, Polizeistationen.

Der Kragen und der Bund sowie Armenden sind verstärkt.

Grundmodelle mit Gummizug im Bund. Es sind auch Lösungen mit nahtverdecktem Hosenreißverschluss vorn oder auch am Rücken mit eingenähtem Bindeband im Bund lieferbar. 

http://www.sinpress.de/Reissfest/Kleidung

 

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"Demnach schloss eine Psychologin, die im Vorfeld mit al-Bakr gesprochen hatte, die Gefahr einer Selbsttötung weitgehend aus. Sie habe den Terrorverdächtigen als "ruhig und zurückhaltend" eingeschätzt. Zudem habe er sich durchaus "interessiert am Anstaltsalltag" gezeigt."

Ruhige und zurückhaltende Menschen sind sicher nicht weniger suizidgefährdet.

Die Debatte um den Suizid überdeckt nach meiner Einschätzung andere, dringende Fragen:

Wie lange stand Albakr unter Beobachtung des Verfassungsschutzes?

War es überhaupt TATP was in Chemnitz gefunden wurde?

Gab es tatsächlich IS-Kontakte?

Hatte er tatsächlich konkrete Ziele im Visier?

Die Aussagen des LKA Sachsen, des BfV und der GBA sind nicht deckungsgleich.

https://machtelite.wordpress.com/2016/10/08/chemnitz-kochte-jaber-albakr-tatp-unter-den-augen-des-verfassungsschutzes/

 

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Europaweit  wohl bekanntester Untersuchungsgefangener, na ja. Da gibt es in Frankreich wohl auch noch ein paar Kandidaten, die um diesen fragwürdigen Ruhmestitel streiten. 

Und eine Suizidgefahr ist außer der recht pauschal gehaltenen Äußerung des Verteidigers (wie hat der sich denn mit dem Mandanten verständigt, wenn die JVA es mangels Dolmetscher nicht konnte ?), dass, wer Lampen kaputt macht und nichts isst, selbstverständlich suizidgefährdet sei, auch nicht gerade belegt durch die bisher bekannt gewordenen Fakten. Welche konkreten Hinweise er wem gegeben haben will.

Ein Zitat von ihm: "..und als suizidgefährdet gelten konnte, gibt es allein auf Grund der Gesamtumstände besonders gesicherte Haftumstände. Da gibt es besonders gesicherte Hafträume in den JVAs, die auch mit Kameras bewacht sind. " legt nahe, dass die Suizidgefahr eher spekulativ war (zudem: welchen Sinn hat ein Hungerstreik, wenn man sich eigentlich umbringen will?) und dass er nicht so ganz im Bilde war über das Fehlen von Kameraüberwachung in der JVA.

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Der JVA Chef sagte in der PK: "Es gibt keine reißfeste Bekleidung.(...) Für Unterbringung in einer besonders gesicherten Zelle hätte es spezielle Kleidung gegeben, die einen Suizid erschwert hätte."

Warum trug der Tatverdächtige diese Kleidung nicht? Ist diese Kleidung so beschaffen, dass innerhalb von so kurzer Zeit (15 Minuten) kein strangulieren damit möglich ist?

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Sehr geehrter weiterefragensteller,

bei Verkündung des Haftbefehls war selbstverständlich ein Dolmetscher zugegen, auch beim Gespräch mit dem Verteidiger wird das der Fall gewesen sein. Nur in der Anstalt gibt es lt. Angabe des Astaltsleiters (bisher) eben keinen. 

An Suizidgefahr ist allg. immer zu denken, da die Gefährdung in den ersten Tagen der U-Haft generell deutlich erhöht ist. Der Vandalismus in der Zelle und der Hungerstreik können jedenfalls auch als Anzeichen für eine bes. psychische Belastungssituation angesehen werden. Ihre Alternative: wenn Hungerstreik, dann kein Suizid, ist hingegen wenig realitätsbezogen.

Der Anstaltsleiter selbst hat angeführt, dass man als Alternative zur Videoüberwachung bei Suizidgefährdeten eine Sitzwache bevorzuge. Dass man aber den Betr. eben nicht als suizidgefährdet eingestuft habe.

Ehrlich gesagt bin ich erschrocken über die Aussage, es hätten sich schon mehrfach Gefangene an den Gittern erhängt, ohne dass Abhilfe geschaffen wurde. Ich kenne die entspr. Abhilfe  aus anderen Anstalten, in denen man Plexiglas vor die Gitter geschraubt hat, soweit diese erreichbar sind. Kostet nicht viel.

Beste Grüße

Henning Ernst Müller

 

 

Sehr geehrter Herr  Prof. Dr. Henning Ernst Müller,

vielen Dank für Ihre Antwort. Ein aktueller Artikel auf n-tv geht ebenfalls genau in die Richtung Ihrer Ausführungen:

http://www.n-tv.de/politik/Psychologin-verkannte-Selbstmordgefahr-articl...

Auszug:

"Per Video sei die Zelle Al-Bakrs nicht überwacht worden. Dies sei für Untersuchungshafträume in Sachsen gesetzlich ausgeschlossen, sagte Jacob. Er räumte aber ein, im Falle von Suizidgefahr hielte er auch eine Sitzwache vor der Zellentür für besser. Dies sei bei al-Bakr als nicht notwendig erachtet worden."

Ich habe keine Kenntnisse über die speziellen psychologischen und rechtlichen Probleme, die sich in solchen potentiellen Suizidsituationen stellen, kann mir also keine belastbare Meinung zu dem Vorfall bilden, zumal die Ermittlungen noch laufen. Ich fände es allerdings seltsam, wenn nicht einmal bei einer akuten Gefährungslage eine aus meiner Sicht wenig belastende, effektive Beobachtungsmöglichkeit per Video erlaubt wäre.

Ihren Ausführungen und  dem Artikel entnehme ich, dass eine Sitzwache (vor der Tür) als weniger belastetend als eine (direkte) Videoüberwachung eingeordnet wird. Ich sehe hier natürlich direkt den Abwägungsgesichtspunkt/Problemkreis Persönlichkeitsrecht/Privatssphäre. Aus dem Bauch heraus würde ich jedoch eine verdeckte Videoüberwachung in den ersten Tagen einer U-Haft beführworten, zumindest in bestimmten Einzelfällen wie erkennbarer Suizidgefahr, bei Kommunikationsproblemen (da hier eine Einschätzung der Gefährdung nicht sicher möglich ist) oder Verhaltensauffälligkeiten.

Beste Grüße!

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"Ehrlich gesagt bin ich erschrocken über die Aussage, es hätten sich schon mehrfach Gefangene an den Gittern erhängt, ohne dass Abhilfe geschaffen wurde. Ich kenne die entspr. Abhilfe  aus anderen Anstalten, in denen man Plexiglas vor die Gitter geschraubt hat, soweit diese erreichbar sind. Kostet nicht viel."

Dem kann ich auch nur zustimmen. Das ist, gelinde gesagt, irritierend.

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aus dem "live-ticker" von merkur-online. Wie zuverlässig diese im Minutentakt geposteten Schnipsel aus der Pressekonferenz sind, vermag ich nicht zu beurteilen:

"Der Haftrichter hat von einem hohen Risiko der Selbsttötung gesprochen. JVA-Chef Rolf Jacob sagt, dass Jaber A. der deutschen Sprache nicht mächtig war. Das war ein Problem, um über seinen psychischen Zustand zu urteilen."

"Die Nacht verlief ruhig, am nächsten Tag war ein Dolmetscher da. Er sprach mit seinem Pflichtverteidiger und einer Psychologin. Jaber A. trat in einen Hungerstreik. Im Raum war ein Wasseranschluss vorhanden. Nach dem ausführlichen Gespräch hat die Psychologin keine akute Suizid-Gefahr festgestellt. Um 14.00 Uhr wurde dann beschlossen, dass er nur noch alle 30 Minuten kontrolliert wird. "
 

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Sehr geehrte Herr Prof. Müller

Disclaimer: alle Äußerungen zum o.g. Fall meinerseits (auch Ihrerseits ?) basieren auf Informationen die ich aus öffentlich zugänglichen Medien bezogen habe, daher ist nur eine sehr oberflächliche und insgesamt subjektive wenig faktenbasierte allgemeingültige Meinungsäußerung möglich.

Zu den wenigen Fakten die ich voraussetze: ein Terrorverdächtiger wird in JVA Leipzig gebracht, und begeht in U-Haft Suizid.

Allgemeines Empfinden in den Medien / Bevölkerung: dies hätte nicht passieren dürfen / hätte verhindert werden können

--> übersetzt: es ist nicht genug getan worden / das falsche getan worden um den Suizid zu verhindern

meine Meinung:

es ergeben sich 2 Bewertungsebenen in diesem Fall:

1. die juristische: ich bin Mediziner und kein Jurist daher von mir nur sehr sehr amatuermäßig zu beurteilen, wenn jedoch die Darstellungen in der Pressekonferenz so stimmen scheint auf REIN juristischer Ebene kein Verstoß der JVA vorgelegen zu haben, Interpretationsspielraum bleibt immer.

2. die emotionale Ebene: Alle Äußerungen die Maximalforderungen stellen oder an jeder Stelle in den Entscheidungsprozessen ein "man hätte noch mehr machen können" fordern sind emotionaler Natur. Warum? Weil sie unausgewogen sind und nie einbeziehen (können) wie der tatsächliche Entscheidungsprozess unter den gegeben Umständen stattgefunden hat. Alle Äußerungen sind retrospektiv, die Fakten sind geschaffen ("hinterher ist man immer schlauer"). Ein mehr fordern nachher ist als Unbeteiligter immer einfach, siehe Politikerforderungen nach immer höheren Budgets ohne Finanzierungsbeispiele darzulegen.

Ein Beispiel aus der Realität:

Auch in Krankenhäusern gibt es Suizide, so auch in meinem Krankenhaus hat es diese gegeben. Im Nachtdienst zum Beispiel ist eine Krankenschwester für ca. 30 Patienten zuständig. Hört sich viel an und ist es auch. In diesem Falle würden Sie in einer Diskussion mehr Pflegepersonal fordern oder eine Nachtschwester mitleidig angucken wenn sie Ihre eigenen Angehörigen im KH besuchen, mehr aber wahrscheinlich nicht.

Wenn es zu einem Suizid kommt in einem Nachtdienst und dieser öffentlich wird, werden Sie / die Öffentlichkeit / die Medien schnell äußern, dass auch die geringe Personalausstattung der Pflege mitverantwortlich dafür dass man Patienten die potentiell suizidgefährdet sind (onkologische Diagnosen) ausreichend zu überwachen. Sie werden so wie im Fall Al Bakr fordern dass die Klinikleitung / Gesundheitsminister zur Verantwortung gezogen werden da diese für zu wenig Personal verantwortlich sind

Wenn wir nun einen Schritt zurück gehen zu dem Punkt, dass Ihnen vorher jemand sagt, dass eine Schwester für 30 Patienten zuständig ist und Suizid möglich sind, was tun Sie?

Mehr & mehr Personal fordern? OK, 1,2,3,4,5 Schwestern im Nachtdienst ? Auf allen Stationen, auf welchen nicht? Sollen wir auch noch mehr Psychologen in KH einstellen die alle onkologischen Patienten begutachten? Wer soll die bezahlen? Das Krankenhaus? Mit oder ohne Gegenfinanzierung durch die Krankenkassen? Ohne? Dann werden diverse KH schließen und sie werden sich beschweren, dass das nächste KH im Notfall zu weit weg war weil ja das KH geschlossen wurde… Mit Gegenfinanzierung durch die KK? Dann werden ihre und meine Beiträge in der GKV / PKV noch weiter steigen und Sie werden eine Deckelung der Beiträge fordern….

Sie sehen, ein riesiger Rattenschwanz der typischen emotionsgetriebenen Forderung nach MEHR. Meine Meinung: wer mehr fordert soll dies vorher tun nicht nachher und sich aller Konsequenzen bewusst sein.

 

Der Aspekt der Entscheidungen die kein Geld kosten: Wir alle die wir uns äußern: sitzen im Nachhinein zu Hause, kennen den Ablauf (grob), haben keinen Stress bei unserer Meinungsäußerung (wann hatten Sie das letzte mal Stress bei einem juristischen Gutachten während des Aktenstudiums? ) und müssen erneut keine Konsequenzen für Forderungen / Meinungen / Entscheidungen tragen und können uns auch mal eben gedanklich umentscheiden

Alle Entscheidungen die getroffen wurden müssen auch unter diesen Aspekten gesehen werden.

Es ist naiv, heuchlerisch und eine abgedroschene Floskel in allen Situationen von allen Menschen immer das „menschenmögliche“ zu fordern, obwohl man es selbst nicht leistet.

Ich tue es nicht und Sie ebenso nicht.

Selbst wenn Sie mir nun widersprechen und selbst der Meinung sind, dass Sie es immer tun, wird unter z.B. Ihren Mitarbeiter, Ihren Studenten, Kollegen, Freunden Ehepartnern immer jemand sein, der attestieren wird, dass Sie auch mal „fünfe haben gerade sein lassen“

Mein Appell: weniger heuchlerische Emotionalität und mehr Tacheles im Leben: Shit Happens!

 

P.S.: Ich hasse political correctness !

 

Uncover007

(Twitter: @uncover007)

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Sehr geehrter Herr uncover007,

danke für Ihre ausführliche Stellungnahme, mit der Sie etwas mehr Realismus und weniger Emotionalität in der Reaktion einfordern (= immer gut). Sie ahnen aber schon, dass ich in einigen Punkten anderer Meinung bin:

Sie schreiben:

alle Äußerungen zum o.g. Fall meinerseits (auch Ihrerseits ?) basieren auf Informationen die ich aus öffentlich zugänglichen Medien bezogen habe, daher ist nur eine sehr oberflächliche und insgesamt subjektive wenig faktenbasierte allgemeingültige Meinungsäußerung möglich.

Insofern wir uns auf die Äußerungen derjenigen beziehen, die unmittelbar zu dem Ereignis Stellung nehmen (in der Pressekonferenz), ist dies eben nicht nur oberflächlich, sondern (gebotene) kritische Nachfrage. Was ich hier schreibe, ist zwar auch z.T. meinungsfreudig, und ich bestreite nicht eine gewisse Subjektivität, jedoch basiert dies schon auf langjähriger Befassung mit Suizidprophylaxe in Haftanstalten und in unterschiedlichen Konstellationen (siehe zB meine vorherigen Blog-Beiträge, etwa hier).

2. die emotionale Ebene: Alle Äußerungen die Maximalforderungen stellen oder an jeder Stelle in den Entscheidungsprozessen ein "man hätte noch mehr machen können" fordern sind emotionaler Natur. Warum? Weil sie unausgewogen sind und nie einbeziehen (können) wie der tatsächliche Entscheidungsprozess unter den gegeben Umständen stattgefunden hat. Alle Äußerungen sind retrospektiv, die Fakten sind geschaffen ("hinterher ist man immer schlauer"). Ein mehr fordern nachher ist als Unbeteiligter immer einfach, siehe Politikerforderungen nach immer höheren Budgets ohne Finanzierungsbeispiele darzulegen.

Es ist allgemeine Auffassung (in Rechtsstaaten weltweit), dass der Staat für seine Gefangenen verantwortlich ist und die Suizidprophylaxe bei den relativ hohen Suizidraten insbes. in der Untersuchungshaft eine hohe Priorität hat. Das ist aus verschiedenen Gründen nicht mit der Suizidprophylaxe in (somatischen) Krankenhäusern vergleichbar.

Es ist bekannt, dass man Suizide in der U-Haft nicht zu 100% verhindern kann. Aber es gibt (objektive!) Handlungsmöglichkeiten, die die Suizide in der U-Haft tatsächlich empirisch belegbar gesenkt haben. Diese Erkenntnisse konnte man nur gewinnen, indem man (auch und gerade Unbeteiligte!) die Ereignisse retrospektiv untersucht hat, evtl. Fehler analysiert und abgestellt hat. Das ist rational, nicht emotional. Dass jetzt irgendwelche Politiker den Rücktritt anderer Politiker fordern, halte ich ebenso wie Sie für unangebracht.

Aber auch diejenigen, die in der praktischen Verantwortung stehen, streben retrospektiv verständlicherweise danach, ihr Verhalten nachträglich zu legitimieren und ihre Fehler zu minimieren. Sie sind emotional also genauso beteiligt wie andere, die nach unrealistischen Konsequenzen rufen.

In Ihrer Stellungnahme stellen Sie unrealistische Maximalforderungen auf eine Stufe mit Äußerungen, die auf (abstellbare) Fehler hinweisen, das halte ich für nicht zielführend. Wenn Sie schreiben:

Es ist naiv, heuchlerisch und eine abgedroschene Floskel in allen Situationen von allen Menschen immer das „menschenmögliche“ zu fordern, obwohl man es selbst nicht leistet.

Ich tue es nicht und Sie ebenso nicht.

Selbst wenn Sie mir nun widersprechen und selbst der Meinung sind, dass Sie es immer tun, wird unter z.B. Ihren Mitarbeiter, Ihren Studenten, Kollegen, Freunden Ehepartnern immer jemand sein, der attestieren wird, dass Sie auch mal „fünfe haben gerade sein lassen“

Mein Appell: weniger heuchlerische Emotionalität und mehr Tacheles im Leben: Shit Happens!

untersagen Sie praktisch Kritik (bzw. Sie geißeln sie als emotional), wenn man selbst schon mal kritikwürdig agiert hat. Natürlich macht jeder Mensch Fehler, und manchmal mit ungewollten schlimmen Konsequenzen (z.B. fahrlässige Tötung im Straßenverkehr). Aber der größte Fehler wäre es, sein Verhalten (retrospektiv) unkritisch mit "Shit happens" beiseite zu schieben und keine Fehlerkorrektur anzustreben. Ich bin weit davon entfernt, konkreten Personen moralische Vorhaltungen zu machen, aber  ich wäre ziemlich enttäuscht, wenn die Beteiligten nicht mal selbstkritisch ihr Verhalten untersuchen und entsprechend reagieren würden.

Im vorliegenden Fall sind m.E. drei Dinge identfizierbar schief gelaufen, die den Suizid (mit) ermöglicht haben:

1. Ausschluss der Suizidgefährdung auf unzureichender Tatsachenbasis, da Verständigung unzureichend

2. Zuweisung des Einzel-Haftraums mit Suizidmöglichkeit, die zuvor schon mehreren Gefangenen genutzt wurde - und offenbar nicht abgestellt wurde.

3. Zu ausgedehnte Kontrollzeiten. Nach dem Bericht hier, sei aber die Kontrolle um 19.45 Uhr bereits 15 Minuten nach der vorherigen erfolgt.

Die identifizierbaren Fehler aufzuzeigen bedeutet gerade "Tacheles" und ist auch nicht "heuchlerisch emotional". Mit political correctness hat das Ganze nicht viel zu tun.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller 

 

 

 

@Prof. Müller

zu Ihrer Nr. 1

Woher wissen Sie denn, dass das Gespräch zwischen Psychologin und Bakr mittels Dolmetscher eine unzureichende Tatsachenbasis bot? Gibt es zu den Inhalten Details? Gibt es irgendeinen Beleg (außer dem "Hinterheristmanimmerschlauer" dafür, dass die Einschätzung falsch war?

Auf SPON tummeln sich gerade die journalistischen Experten mit bestechender Kompetenz und Logik: Ein Selbstmordattentäter ist natürlich selbstmordgefährdet, sagt doch schon die Berufsbezeichnung.  Dass der islamistische Selbstmordattentäter weniger aus depressiver Verstimmung heraus seine Weste bastelt als mit dem Ziel, möglichst viele "Ungläubige" mitzunehmen und möglichst hohen Fremdschaden zu verursachen handelt, wird da etwas ausgeblendet

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@weiterefragensteller

Meine Nr.1 bezog sich nicht auf das konkrete Gespräch mit der Psychologin, sondern darauf, dass eine Kommunikation (etwa nachdem die Zerstörung der Lampe und die Manipulation an der Steckdose aufgefallen war) offenbar nicht zufriedenstellnd möglich war und man auf Spekulation angewiesen war. Sprachschwierigkeiten wurden vom Anstaltsleiter in der Pressekonferenz als Grund angeführt, unabhängig davon, dass auch ein dolmetscherbegleitetes Gespräch mit der Psychologin möglich war.

Selbstmordattentate und Suizid sind kriminologisch ganz unterschiedliche Phänomene. Aber wer bereit ist, sich selbst in die Luft zu sprengen, um andere zu töten - dieser Verdacht bestand zumindest - bei dem liegt auch ein Suizid nicht völlig fern. Hungerstreik und die als vandalismus interpretierten Verhaltensweisen hätten als weitere Anzeichen für eine "nicht normale" Reaktion angesehen werden können.

a) Wer wirklich zum Suizid entschlossen ist, findet einen Weg dazu. Und wenn man auf seine Chance warten oder hinarbeiten muss. Eine weile gut führen, gute Mine zum bösen Spiel machen, und irgendwann hat man auch in der U-Haft Hafterleichterungen und findet seine Möglichkeit.

 

b) Die Kommunikation in Haftanstalten erfolgt weit überwiegend ohne Dolmetscher. Das geht ja auch in 99% der Fälle gut und für das 1% fehlt schlicht das Geld. Ein Tablet mit Übersetzungstool und andere Mitgefangene sind da eben billiger und man wurschtelt sich so durch. (Das ist kein Vorwurf an die JVA'en die machen aus ihten Mitteln das Beste) Wenn es politisch wirklich gewollt werden soll, dass die Möglichkeiten im Strafvollzug verbessert und mMn auf verfassungsrechtlich notwendiges Niveau gehoben werden soll, dann müssen die Wähler das als notwendiges und verantwortungsvolles Verwaltungshandeln verstehen und wollen. Aber mit Geld für Straftäter gewinnt man einfach keine Wähler. Und so lange keine Mittel für den Strafvollzug zur Verfügung stehen müssen wir damit leben, dass gute Konzepte (die gleichwohl entwickelt werden müssen) nicht umgesetzt werden und ertragen für ein paar Tage eine aufgeregte Öffentlichkeit.

In spätestens 2 Wochen zerbrechen sich dann wieder nur dieselben den Kopf über die unzulänglichen Haftbedingungen für Fremdsprachler und scheitern daran, dass wir es ja doch nicht finanziert bekommen.

c) Mein Lösungsvorschlag um derartige Probleme besser in den Griff zu bekommen: Beiordnung von Dolmetschern für Strafgefangene die rund um die Uhr zur Verfügung stehen durch den den Haftbefehl verkündenden Richter.

@Michael Gladow,

Ihr Argument zu a) würde mich überzeugen, wenn es mit den Fakten in diesem Fall übereinstimmte. Hätte man in der JVA Leipzig so gehandelt, wie es m.M. nach in diesem besonderen Fall  erforderlich war und hätte Al Bakr dann trotzdem - zB nach geraumer Zeit - einen "Trick" gefunden sich umzubringen, dann würde ich  Ihnen zustimmen. So ist es aber nicht gewesen. Empirisch belegt ist, dass einerseits Suizide in U-Haft v.a. in den ersten Tagen / Wochen vorkommen. Empirisch belegt ist zudem, dass die Anstalten mit geeigneten Maßnahmen der Suizidprophylaxe das Risiko erheblich senken können.

Es verbleibt immer ein Restrisiko. Aber aus der Tatsache, dass immer ein Restrisiko bleibt, wird ja auch in anderen Sachverhalten nicht geschlossen, dass man dann eben gar nichts zur Verbesserung der Sicherheit tun sollte. Warum man in diesem besonderen Fall (dringend tatverdächtiger islamistischer Terrorist) nicht besonders vorsichtig war (Motto: Im Zweifel für die Sicherheit), halte ich für eine berechtigte Frage. Man habe "alles getan" um den Suizid zu vermeiden, scheint mir jedenfalls wenig realitätsbezogen.

Der Umstand, dass die überwiegende Anzahl an Suiziden zu Beginn der Haft stattfindet hängt doch meines Erachtens eher damit zusammen, dass die Täter psychisch nicht mit dem Umstand in Haft zu sein fertig werden, angetrieben von schwerer Sinn- und Seinkrise. Herr Al Bakr wollte sich um jeden Preis suizidieren, dass lässt sich anhand der Art und Geschwindigkeit, mit der er sich letztlich umgebracht hat gut belegen.

Darüber hinausgehend darf man nicht vergessen, dass er zu dem Zeitpunkt noch als unschuldig galt. Warum sollte er anders behandelt werden, als andere U-Haftgefangene? Nur weil der Tatvorwurf ein anderer ist? Ich denke dass sich allein daraus kein zwingender Grund ableiten lässt anders zu verfahren.

Der Entscheidende Punkt, und da gebe ich Ihnen uneingeschränkt recht, ist der Zeitpunkt der Begutachtung. Ohne Dolmetscher war es für die Psychologin (ob erfahren oder nicht) schlechterdings nicht möglich ihr Handwerk ordentlich auszuüben. Da sind wir dann aber wieder bei der Preisfrage.

Eine andere Idee die mir noch in den Sinn kam um einen Mittelweg aus Duaerüberwachung und Persönlichkeitsrechtsverletzung zu finden ist die, automatisierte Herzfrequenzmesser in Arm- oder Fußbänder zu installieren. Ist Ihnen eine derartige Technik bekannt die via Funk Alarm schlägt sobald sich die Vitalwerte des Probanten schlagartig ändern oder gibt es das nur in Krankenhäusern als stationäre Anlagen?

Zunächst finde ich die Idee einer Überwachung durch Vitalmessgeräte angesichts der Alternativen und Gefährdungslage sehr naheliegend. Ich habe mich mit dem Problem Suizidgefahr und deren Prävention in U-Haft bisher nur rudimentär vertraut gemacht. Bisher las ich nur etwas zu den Alternativen "Gummizelle", Videoüberwachung, Sitzwache und Kontrollbesuche. Diese Maßnahmen sind sehr aufwändig oder greifen massiv in die Persönlichkeitsrechte des Häftlings ein. Fitneßbänder und Vitalmessgeräte gibt es dagegen schon für wenig Geld als Gadgets für Privat, aber auch für Telemedizin und Pflegedienste zertifiziert. Die Kosten und die Belastung des Häftlings erscheint mir im Verhaltnis zu den üblicherweise diskutierten Maßnahmen als gering. Meine schnelle Suche im Web ergab aber keine Treffer zu Vitalmessung im Zusammenhang mit Suizid-Prävention unter Haftbedingungen. Der Statisitik nach, sind erfolgreiche Suizide in der U-Haft zwar Einzelfälle, die Anzahl der Versuche statistisch und nach den Erfahrungen vor Ort aber alltäglich. Spät verhinderte Suizide müssten wegen der Gesundheitsschäden und Behandlungskosten aber ebenso vermieden werden.

Die Risiken für den frischen U-Häftling sind unstrittig und gerade die staatliche Verpflichtung präventiv und wirksam zu handeln. Grundsätzlich gilt auch jeder U-Häftling bis zur Verurteilung zwar als straftatverdächtig aber auch als unschuldig. Die Vermutung, dass sich der Verdächtige um jeden Preis selbst töten wollte, ist im Zusammenhang mit der übernommenen Fürsorgepflicht unerheblich, widerspricht aber auch der konkreten Prognose. Dass nicht überwachte Hafträume keine schnellen Tötungsmöglichkeiten bieten dürfen, sollte wohl eigentlich selbstverständlich sein. Dazu muss wohl nicht zwingend ein Ausbau zur perfekten Gummizelle erfolgen, auch Sollbruchstellen und manipulationssichere Installationen in den sowieso karg eingerichteten Zellen sollten dafür ausreichen.     

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Die Großinquisitorin Slomka hat im heute-journal den sächsischen Justizminister angeklagt, verurteilt und hingerichtet. Ein echtes Highlight der per Haushaltsabgabe finanzierten 4. Gewalt. Ein paar Schmankerl:

- Warum treten Sie bei einem solchen eklatanten Versagen nicht zurück?  Ähm: wer hat denn jetzt schon eklatantes Versagen festgestellt? Funk und Fernsehen?

. die Ermittlungsrichterin hat ja auch Suizidgefahr gesehen. Na ja, normalerweise sind Juristen diejenigen, die am Wenigsten geeignet sind, Suizidgefahr zu diagnostizieren. Aber was zählt schon das Urteil einer Anstaltspsychologin und eines Sozialarbeiters, wenn doch jedes Milchmädchen vom ZDF 1 und 1 zusammenzählen kann und plutimizieren auch noch dazu.

- und endgültig heuchlerisch:jetzt kann man von ihm gar nichts mehr erfahren, das ist ein schwerer Rückschlag im Kampf gegen den Terrorismus und gefährdet unser aller Sicherheit. Ob Bakr überhaupt jemals  irgendetwas gesagt hätte, ist dabei piepegal und passt irgendwie ja nicht zu der Argumentation, dass er ein überzeugter Selbstmordattentäter war, der sich unbedingt umbringen wollte.

Seltsamerweise fanden derartige Shitstürme und Enthauptungen durch Medien aller Couleur nicht statt, als nach der EGMR-Entscheidung reihenweise Sicherungsverwahrte entlassen wurden und der eine oder andere von ihnen dann doch die Gefährlichkeitsprognose als richtig bestätigte.

Wegen eines einzigen Islamisten, der jetzt sein Wunschziel erreicht hat, steht heute die halbe Republik Kopf.

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Ich mag ja Frau Slomka auch nicht, aber wo sie recht hat, hat sie recht.

Jedenfalls grenzt es schon an Scharlatanerie, wenn eine Anstaltspsychologin sich zu der Prognose versteigt, es bestehe keine Suizidgefahr. Wohlgemerkt, ohne dass sie ein Wort mit dem Probanden sprechen konnte (es war ja kein Dolmetscher anwesend, anders als bei der Ermittlungsrichterin). Und es ist schon sehr mutig, einem Menschen, der vermutlich Selbstmordattentäter sein wollte, zu bescheinigen, es bestünde keine Suizidgefahr. Ja wer denn sonst ist suizidgefährdet wenn nicht diese potentiellen Selbstmordattentäter?

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@Gast:

Doch, gerade bei dem Gespräch mit der Psychologin  soll ein Dolmetscher dabei gewesen sein!

http://www.deutschlandfunk.de/tod-des-terrorverdaechtigen-al-bakr-psycho...

  "Es habe Schwierigkeiten beim Aufnahmegespräch gegeben, weil al-Bakr nicht der deutschen Sprache mächtig gewesen sei. Sein Verhalten habe aber keinen Anlass gegeben, sofort den Dolmetscher zu holen - das sei für den nächsten Tag geplant gewesen. Bei 15 bis 20 neuen Häftlingen pro Tag könne nicht für jeden immer ein Dolmetscher herangezogen werden.

Später habe es aber ein ausführliches Gespräch mit der zuständigen Psychologin mit Dolmetscher gegeben. Die Psychologin habe eingeschätzt, dass keine akute Suizidgefahr bestehe. Anschließend seien die Kontrollintervalle von 15 auf 30 Minuten erhöht worden. Für einen "besonders gesicherten Haftraum" seien die "akuten Bedingungen", also eine erkennbare Suizidgefahr, nicht erfüllt gewesen."

 

Und der Verteidiger, der überall mit den Wortschnipseln "fassungslos" zitiert wird, hat dem DLF im Interview doch deutlich differenzierter auch Folgendes gesagt:

http://www.deutschlandfunk.de/terrorverdaechtiger-begeht-selbstmord-in-j...

"Hübner: Am Dienstag war er dann schon etwas stabilisierter. So kam er mir jedenfalls vor. Natürlich fühlt man sich in so einer Situation nicht wohl, das ist ja ganz klar.

Armbrüster: Was heißt stabilisierter?

Hübner: Na ja, er wirkte auf mich jetzt gefasster. Ich hatte jetzt nicht den Eindruck, dass das unmittelbar bevorsteht. Aber ich bin auch kein Psychologe."

 

Ein islamistischer Selbstmordattentäter (wenn er denn einer war, bislang gibt es nur ein paar Hinweise auf Bastelmaterial für eine Sprengstoffweste; es gibt ja genügend Attentäter, die offenbar nicht den Auftrag zum Märtyrertod hatten, siehe zB. Kofferbomber von Köln, Attentäter von Ansbach, Abdessalam im Bataclan) darf Suizid begehen,wenn er dadurch den Märtyrertod stirbt und am Besten ein paar Ungläubige mitnimmt. Suizid ohne Märtyrereffekt ist auch bei diesen abgedrehten Islam-Interpreten an sich verpönt.

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Was mich erstaunt:

Wieso war der Verdächtige überhaupt allein in einer Zelle statt in einem Verhörzimmer? Wenn man einen Terrorverdächtigen festnimmt, wäre jdf. mein erster Gedanke, ihn so lange zu befragen, bis er am Tisch einschläft, um herauszufinden, ob es Komplizen gibt - zwecks Gefahrenabwehr.

Und danach würde ich mit Kribbeln in den Fingern neben seinem Bett ausharren und warten, bis er wieder aufwacht.

Bitte nicht falsch verstehen: Ich möchte keine unzulässigen Verhörmethoden propagieren. Aber neben der JVA als Verwahranstalt müsste hier doch die Polizei als Ermittlungs*- und Gefahrenabwehrhörde eigentlich aktiv gewesen sein.

*Jajaja, als Hilfsbehörde zur StA.

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@Leser:

Der Verdächtige hatte einen Verteidiger und hat schon ab der Vorführung bei der Ermittlungsrichterin keine Angaben mehr gemacht. Da mag es zwar bei vielen Ermittlern gekribbelt haben. Und seit dem Fall Daschner/Gäfgen ist das mit der Aktivität so eine Sache... Aber andererseits:  Wenn Ihrer Meinung nach bis zum Einschlafen verhört werden müsste, dann haben die Sachsen doch endlich mal etwas richtig und rechtsstaatlich gemacht, wenn sie das bei einem schweigenden Beschuldigten nicht tun.

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Na gut, wenn er nicht reden wollte, klärt das meine Frage im Prinzip. Und doch... ich hätte als zuständiger Ermittler auf 'nem Stuhl vor der Zelle gesessen, soweit irgend möglich.

"Selbstmordattentate und Suizid sind kriminologisch ganz unterschiedliche Phänomene. Aber wer bereit ist, sich selbst in die Luft zu sprengen, um andere zu töten - dieser Verdacht bestand zumindest - bei dem liegt auch ein Suizid nicht völlig fern. "

Man muss doch auch mal sagen: Selbstmordattentäter wird doch tendenziell nicht, wem das Glück in Regenbogenform aus den Ohren schießt. Es ist ein verzweifelter Akt, und wer einen solchen plant, ist auch selbst verzweifelt. Eine Tendenz zu anderen Verzweiflungsakten drängt sich doch auf, ob nun gegen sich selbst oder andere gerichtet. Soweit man es den Medienberichten entnehmen konnte, waren doch die anderen in Europa tätigen bzw. rekrutierten Attentäter und IS-Kämpfer ziemlich arme Tropfe, die den IS offenbar als Ausweg aus einem verkorksten Leben sahen. Da eine Suizidgefahr abzulehnen... naaaaaja.

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Die Taz veröffentlicht heute ein Interview mit meinem Kollegen Thomas Feltes, sicherlich der erfahrenere Experte in Sachen Strafvollzug und polizeiliche Maßnahmen. Hier ein paar Auszüge der Fragen und Antworten, die ich insoweit teile:

Also Sondervorschriften für islamistische Terroristen? Sollten solche Fälle automatisch als suizidgefährdet eingestuft werden?

Es muss immer der Einzelfall betrachtet werden. Wenn Al-Bakr sich nach seiner Verhaftung und in der U-Haft neutral verhalten hätte, wäre die Lage anders. Aber schon die Ermittlungsrichterin hatte eine Suizidgefährdung festgestellt. Er hätte auf jeden Fall so untergebracht werden müssen, dass er weder sich noch anderen Schaden zufügen konnte.

Müsste man Leute wie ihn also immer in besonders gesicherten Hafträumen unterbringen? Geflieste Räume mit einem Loch im Boden als Toilette und einer Matratze, sonst nichts?

In den ersten Stunden wahrscheinlich schon. Dann ist die Situation für den Häftling besonders dramatisch, häufig verfestigen sich dann Suizidgedanken. Danach müssen Fachleute einbezogen werden wie Psychologen, Personen, die die Sprache sprechen, sich mit der psychischen Verfasstheit von Terroristen beschäftigt haben und die den kulturellen Hintergrund bewerten können.

(...)

Der sächsische Justizminister argumentiert jetzt mit der Menschenwürde und dass deshalb eine stärkere Überwachung angesichts des Gutachtens der Psychologin nicht rechtens sei.

Das sehe ich als reine Schutzbehauptung. Der Minister versucht zu vertuschen, anstatt aufzuklären. Menschenwürde ist ein sehr vager Begriff, und eine Unterbringung in einer Schutzzelle verstößt nicht gegen die Menschenwürde, wenn sie notwendig ist und angemessen durchgeführt wird. Das gilt auch für eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung. Wenn der JVA-Leiter der Ansicht ist, dies sei notwendig, muss er eigenverantwortlich diese Maßnahmen anordnen. JVA-Leiter setzen sich immer wieder über psychologische Gutachten hinweg, das hätte er auch in diesem Fall tun können, wenn er genügend Zivilcourage gehabt hätte. Das Leben des Gefangenen ist ein wichtiges Gut.

In Sachsen ist die Videoüberwachung von Haftzellen nicht erlaubt, in anderen Bundesländern schon. Brauchen wir einheitliche Standards?

Diese einheitlichen Standards wurden bei der zweiten Föderalismusreform 2009 geopfert, allerdings hat dies auch in anderen Bereichen des Strafvollzugs gravierendere Konsequenzen. Aus meiner Sicht wird die Videoüberwachung überschätzt. Ich finde eine Sitzwache sinnvoller, wo man auch Geräusche und Bewegungen wahrnehmen kann. Da es in Al-Bakrs Zelle dieses Gitter gab, hätte man die Tür aufmachen und einsehen können.

Mit dieser Sache beschäftigt sich auch unter der Überschrift "Unter Stümpern" sehr ausführlich das Dossier der Zeit von dieser Woche.

Die Argumentation von Herrn Feltes krankt daran, dass

- Ermittlungsrichter keine Psychiater sind. Richtern wird ja gerne unter die Nase gerieben, dass sie noch nicht mal elementare aussagepsychologische Kenntnisse haben, und jetzt wird diese Laiendiagnose einer Richterin zur Suizidalität über die von der Anstaltspsychologin abgegebene Einschätzung gestellt. Und die wohl nur im  DLF- Interview genannte Erklärung des Verteidigers über seinen ebenfalls laienhaften Eindruck, der Mandant sei sogar stabiler gewesen als zu Beginn, geht dabei ohnehin völlig unter.

- seine Idee, "in den ersten Stunden in einen besonders gesicherten Haftraum" an den zeitlichen Abläufen und der Kausalität im Fall Bakr vorbei geht. Bakr hat sich ja gerade nicht in den ersten Stunden getötet, sondern nach der von Feltes geforderten Einbeziehung von Psychologen..Welche konkreten Anhaltspunkte ein Islamwissenschaftler und Experte für Islamistenpsychen oder die Seele des Syrers als Solchen (gibt es solche?) denn hätte nennen oder besser erkennen können, lässt Herr Feltes mit seinen allgemein gehaltenen Äußerungen zur erforderlichen Qualifikation der Psychologen auch offen.

Dass Terroristen in Haft  suizidal wären kann  man bislang mit Ausnahme der RAF wohl kaum behaupten. Alle Angeklagten des NSU leben noch, die Sauerland-Gruppe, die Hamburger Zelle, die Messerstecherin von Hannover, in Frankreich Abdessalam

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In der aktuellen NJW findet sich unter dem Titel "Suizidprävention im Justizvollzug" eine kurze Stellungnahme von Herrn Kollegen Tobias Pretsch. Die genaue Fundstelle lautet NJW-aktuell, Heft 48/2016, Seite 15.

Nun gibt es eine Recherche zu dem Suizid, deren Ergebnsise meine Kritik als noch harmlos erscheinen lassen. Offenbar wurden hier in der Anstalt noch gravierendere Fehler gemacht als zunächst bekannt wurde und auch die behördliche Aufklärung ließ zu wünschen übrig. Monitor-Sendung vom 24. August 2017:

http://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/jaber-albakr--100.html

Kurioserweise sagt der Verteidiger in dem Beitrag

"Für mich war offenkundig, dass der Mandant unter Stress steht. Dass ihm vorgeworfen wird, er hätte ein Selbstmordattentat geplant. Dass er die Nahrungsaufnahme verweigert, das sind alles für mich absolut deutliche Hinweise darauf, dass die Möglichkeit besteht, dass der Mandant sich das Leben nehmen könnte"

doch etwas leicht anderes als gegenüber dem

DLF

"Hübner: Am Dienstag war er dann schon etwas stabilisierter. So kam er mir jedenfalls vor. Natürlich fühlt man sich in so einer Situation nicht wohl, das ist ja ganz klar.

Armbrüster: Was heißt stabilisierter?

Hübner: Na ja, er wirkte auf mich jetzt gefasster. Ich hatte jetzt nicht den Eindruck, dass das unmittelbar bevorsteht. Aber ich bin auch kein Psychologe."

Also gegenüber dem Monitor findet er "deutliche Hinweise" und kann eine Suizidgefahr diagnostizieren, gegenüber dem DLF zieht er sich nach seinem eine akute Suizidgefahr verneinenden "Eindruck" dann wieder darauf zurück, kein Psychologe zu sein.  Besonders konsistent klingt das nicht.

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