BVerwG: Kastenstandhaltung von Schweinen - zwischen gebotenem Tierschutz und Existenzgefährdung

von Prof. Dr. Jose Martinez, veröffentlicht am 02.12.2016

§ 24 Abs. 4 Nr. 2 TierSchNutztV  legt fest, dass Kastenstände so beschaffen sein müssen, dass jedes Schwein ungehindert aufstehen, sich hinlegen sowie den Kopf und in Seitenlage die Gliedmaßen ausstrecken kann.

In unserem Tierschutzrecht, das sich durch eine Vielzahl unbestimmter Begriffe und vager Bestimmungen auszeichnet, ragt eine derart präzise Regelung hervor. Umso verwunderlicher ist, dass gerade diese Regelung einen Rechtsstreit bis zum BVerwG (Az. 3 B 11.16 - Beschluss vom 08. November 2016 )  auslöst und dass das - wiederum eindeutige – Ergebnis des Rechtsstreits nach Angaben von top-agrar zu einer Verunsicherung bei den Behörden in verschiedenen Bundesländern führt. So wissen „viele Amtsleiter nach wie vor nicht, wie sie das Urteil interpretieren sollen. Unklarheit herrscht insbesondere darüber, ob der Richterspruch bundesweite Gültigkeit hat oder ob es sich um ein Einzelfall-Urteil handelt“.  (http://www.topagrar.com/news/Schwein-News-Schwein-Kastenstandurteil-Allgemeine-Verunsicherung-5871130.html) .

Betrachten wir die Sach- und Rechtslage:

Ein Schweinezuchtunternehmen hält Schweine in sog. Kastenständen, in denen die Tiere zu Zuchtzwecken einzeln untergebracht sind, ohne sich frei bewegen zu können. Dabei sind die Kastenstände enger als die Risthöhe der Tiere. Die Schweine können sich hinlegen, jedoch ihre Gliedmaßen nur dann ausstrecken, wenn sie sie in einen benachbarten Kastenstand hineinstrecken, wo ebenfalls ein Schwein gehalten wird. Der Landkreis beanstandet dies und gibt dem Unternehmen nach § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TierschG auf, die Kastenstände entsprechend den o.g. Vorgaben von § 24 Abs. 4 Nr. 2 TierSchNutztV so zu gestalten, dass sich jedes Schwein ungehindert hinlegen und in Seitenlage die Gliedmaßen ausstrecken kann. Die Gestaltung kann auch dadurch erfolgen, dass die Belegung reduziert wird.

Das VG Magdeburg (Urteil v. 3. 3. 2014, Az: 1 A 230/14) und das OVG Sachsen-Anhalt ( Urteil v. 24. 11. 2015 – 3 L 386/14) wiesen die Klage mit der Begründung ab, nach § 24 Abs. 4 Nr. 2 TierSchNutztV müsse es den in einem Kastenstand gehaltenen Schweinen möglich sein, jederzeit eine Liegeposition in beiden Seitenlagen einzunehmen, bei der ihre Gliedmaßen auch an dem vom Körper entferntesten Punkt nicht an Hindernisse stoßen. Das BVerwG hat die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete Beschwerde zurückgewiesen.

Insbesondere wird das Argument zurückgewiesen, dass eine Gefährdung des Schweins anzunehmen sei, weil dieses sich eventuell dreht. In diesem Fall sei durch eine Belegungsregelung zu gewährleisten, dass das Tier die Gliedmaßen ohne Behinderung in die jeweils unbelegten benachbarten Kastenstände oder Lücken  durchsteckt.

Wie wirkt sich diese Entscheidung auf vorhandene  Anlagen aus? Die Entscheidung betrifft wie immer zunächst nur den Einzelfall. Sie hat aber Auswirkung auf die bisherige Auslegung des § 24 Abs. 4 Nr. 2 TierSchNutztV durch die Behörden. Das BVerwG unterstreicht, dass die Vorschrift Mindestbedingungen formuliert, die der Verordnungsgeber zum Schutz der Tiere für unerlässlich gehalten hat. Sie gilt – und das ist hervorzuheben - individuell (!) für jedes in einem Kastenstand gehaltene Schwein.

Die Behörden sind gehalten, durch tierschutzrechtlichen Anordnungen nach § 16a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 TierschG die Tierschutzgemäßheit der Anlage zu sichern. Dabei müssen sie die höchstrichterliche Auslegung beachten. Ihnen steht gleichwohl ein Ermessen zu. Ob bei der Ausübung des Ermessens ökonomische Erwägungen einfließen können, ist umstritten. Meiner Auffassung ist jedoch im Lichte des Verfassungswertes „Erhaltung einer leistungsfähigen Landwirtschaft“ die Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange im Rahmen einer sachgemäßen Abwägung geboten (siehe hierzu Martínez, José, Paradigmenwechsel in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung - von betrieblicher Leistungsfähigkeit zu einer tierwohlorientierten Haltung, in: RW 03/2016, S 441 – 467, insbesondere S. 464ff.). So mag im Lichte dieses Belanges eine existenzgefährdende bauliche Änderungsanordnung sich als unverhältnis erweisen, soweit das Tierschutzziel durch Reduzierung der Belegungszahl oder durch vergleichbare Maßnahmen ebenso erreicht werden kann. 

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