Nds FG hat Zweifel an Verfassungsmäßigkeit der Höhe der steuerlichen Kinderfreibeträge

von Prof. Dr. Claus Koss, veröffentlicht am 02.12.2016
Rechtsgebiete: Öffentliches RechtWeitere ThemenSteuerrecht4|4013 Aufrufe
Kein Kinderfreibetrag für Paddington (Foto: C. Koss, York 2014)

Eine Steuerberaterin aus Westerstede hatte für 2014 gegen die Kinderfreibeträge geklagt. Sie machte geltend, dass die Freibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG - verfassungswidrig - das Existenzminimum für ihre beiden Kinder (16 und 21 Jahre) nicht von der steuerlichen Bemessungsgrundlage freistelle. Die Folge: die alleinerziehende Mutter musste das Existenzminimum aus zuvor versteuertem Einkommen entrichten. Hätten die Kinder eigenes Einkommen, bliebe der Grundfreibetrag in Höhe von jeweils aktuell EUR 8.652 (§ 32 Abs. 1 Satz 1 EStG) unbesteuert. Demgegenüber beträgt der Kinderfreibetrag aktuell EUR 2.304 für das sächliche Existenzminimum und der Freibetrag für Betreuungs-, Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf aktuell EUR 1.320 (§ 32 Abs. 6 Satz 1 EStG).

Unter Hinweis auf den Existenzminimumbericht der Bundesregierung selber sah das Niedersächsische Finanzgericht den Kinderfreibetrag in verfassungswidriger Weise als zu niedrig bemessen an. Die Richter in Hannover legten die gesetzliche Regelung daher dem Bundesverfassungsgericht vor.

Die Höhe des Kinderfreibetrags ist seit Jahren ein Dauerbrenner im Steuerrecht. Es ist fiskalisch verständlich, dass der Steuergesetzgeber diesen Betrag möglichst niedrig halten möchte. Denn selbst kleine Erhöhungen wirken sich angesichts der Masse von Fällen massiv auf die Steuereinnahmen aus. Andererseits subventioniert der Fiskus durch den Ehegattensplitting Ehepaare selbst ohne Kinder (Steuerersparnis bis zu über TEUR 15). Wer dagegen den aktuellen Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum von EUR 2.304 durch 365 Tage teilt, hat einen Tagessatz von EUR 6,31 - zum Vergleich: der steuerliche Sachbezugswert für die freie Verpflegung mit Frühstück, Mittagessen und Abendessen beträgt EUR 7,87, der Sachbezugswert für freie Verpflegung und Unterkunft EUR 15,30 täglich.

Die Richtervorlage des Niedersächsischen Finanzgerichts ist daher zu begrüßen, damit die Höhe höchstrichterlich geklärt werden kann.

Steuerpflichtige mit Kindern sollten die Entscheidung zum Anlass einer Überprüfung ihres Einkommensteuerbescheides nehmen. Die Finanzverwaltung stellt die Höhe des Kinderfreibetrags standardmäßig unter einen Vorläufigkeitsvermerk. Wenn ein solcher fehlt, sollten Bescheide offen gehalten werden.

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4 Kommentare

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Nds FG hat Zweifel an Verfassungsmäßigkeit der Höhe der steuerlichen Kinderfreibeträge

So anfängerfehlerhaft, wie es hier im Titel steht, hat das FG seine Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG hoffentlich nicht begründet, dann wäre sie nämlich unzulässig. Irgendwelche "Zweifel", auch "starke" oder "ernsthafte" etc. "Zweifel" oder "Bedenken", reichen nämlich für die Richtervorlage nicht aus. Das Gericht muß von der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes vielmehr "überzeugt" sein und das ausführlich begründen:
"Die Einholung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 I GG ist nur zulässig, wenn das vorlegende Gericht das Gesetz für verfassungswidrig hält. Bloße Bedenken reichen nicht aus." (BVerfGE 1, 184 [189])

Danke für den Hinweis auf die Unschärfe in der Formulierung der Überschrift. Angesichts der Aktualität und Brisanz des Themas habe ich mich auf die Vorab-Informationen des Gerichts abgestützt und daher die 'Töne unscharf angeschlagen' (wenn mir diese Anspielung gestattet sei). Ich gehe aber davon aus, dass die Veröffentlichung des Urteils Anlass zu einer schärferen Formulierung geben wird.

Wie ich bereits im Blog geschrieben habe, gibt es immer noch Steuerbescheide, wo der Vorläufigkeitsvermerk noch nicht enthalten ist. Die Vorlage an das BVerfG sollte dem guten Berater den Anlass geben, eilig darauf zu drängen.

In den "Vorab-Informationen des Gerichts", also in der Pressemitteilung, heisst es auch richtig, "Es kommt in Betracht, dass das Gericht einen Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht erlässt. Das wäre der Fall, wenn das Gericht von der Verfassungswidrigkeit der derzeitigen gesetzlichen Regelung überzeugt ist." Die "Unschärfe in der Formulierung der Überschrift" stammt also wohl nicht von Informationen des Gerichts und führt deshalb auch nicht zur Unzulässigkeit des Vorlagebeschlusses.

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"Es ist fiskalisch verständlich, dass der Steuergesetzgeber diesen Betrag möglichst niedrig halten möchte. Denn selbst kleine Erhöhungen wirken sich angesichts der Masse von Fällen massiv auf die Steuereinnahmen aus."

Nein, das ist gar nicht verständlich, sondern einfach nur rechtswidriges Denken und Handeln. Man sollte sich langsam davon befreien, dass die wohl verbreitete Unart staatlichen Denkens und Handelns, nämlich sich unangemessen an der großen Menge der Finanziers des Staates zu bedienen, um bevorzugtes Klientel und die eigene Ineffizienz zu bedienen, irgendeine nachhaltige Zukunftsprognose haben kann. Es ist einfach erschreckend, dass einem großen akademisch gebildeten Bereich einfachste Logik über viele Jahre und Entscheidungen hinweg einfach "entgeht", wie von der Klägerin ja nachgewiesen. Da werden offensichtlich viel zu viele Steuereinnahmen sachfremd und gesellschaftlich nutzlos versenkt.      

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