Neue Gesetze gegen Terror?

von Prof. Dr. Henning Ernst Müller, veröffentlicht am 23.12.2016

Terroranschläge können nicht absolut verhindert werden. Weder durch eine andere Flüchtlingspolitik noch durch andere Ausländer-oder Strafgesetzgebung lässt sich ausschließen, dass ideologisch oder religiös verblendete Menschen an einer der Stellen zuschlagen, die in einer freien Gesellschaft einfach nicht vollständig geschützt werden können. Ein fast vollständiger Schutz könnte allenfalls dann gelingen, wenn wir im Gegenzug unsere Lebensweise erheblich einschränkten. Wir wollen aber OpenAir-Konzerte, wir  wollen Weihnachtsmärkte, wir wollen freien Zugang zu Bahnhöfen und zu Fußgängerzonen, wir wollen draußen Silvester feiern. Das alles gehört zu unserem Lebensstil, den wir uns von Terroristen nicht verderben lassen wollen und werden.

Aber es  ist selbstverständlich richtig und legitim, alle Möglichkeiten des Rechtsstaats auszuschöpfen, um Sicherheit so weit wie irgend vertretbar herzustellen. Deshalb muss auch im Fall des Anschlags von Berlin analysiert werden, welche Maßnahmen diese konkrete Tat erschwert oder verhindert hätten, um solche zumindest künftig anwenden zu können. Nun hat sich herausgestellt, dass man den Attentäter – mit sehr großer Wahrscheinlichkeit der inzwischen in Mailand getötete Tunesier Amri –  seitens der Sicherheitsbehörden (Polizei, Verfassungsschutz) schon länger  „auf dem Schirm“ hatte, dass sein Asylantrag abgelehnt wurde, dass er ausreisepflichtig war, dass er teilweise auch überwacht wurde, dies aber nicht konsequent geschah. Das ist nicht nur ein tragischer Zufall, sondern zeigt, dass es möglich gewesen wäre, diesen mörderischen islamistischen Terrorakt zu erschweren oder ihn sogar zu verhindern.

Nun wird überlegt, mit welchen neuen gesetzlichen Maßnahmen man auf den Terrorakt reagieren kann. Aber indem man seitens der Bundesregierung und der für die Sicherheit primär zuständigen Landesinnenministerien argumentiert, gegen eine wirksamere Überwachung des als „Gefährder“ eingestuften Amri sei man rechtsstaatlich gehindert  gewesen, wird das schon vorhandene gesetzliche Arsenal verschwiegen und dem Publikum der sprichwörtliche Bär aufgebunden. Die Schuld schiebt man lieber den konkurrierenden politischen Parteien zu, die angeblich strengere Gesetze blockiert hätten oder –  noch bequemer – dem Ausland, hier also Tunesien, das nicht bereit gewesen sei, den tunesischen Staatsbürger Amri  zurück zu nehmen.

Ex-Staatsanwalt Heribert Prantl hat demgegenüber in der Süddeutschen Zeitung  zutreffend darauf hingewiesen, dass das Arsenal an Maßnahmen und rechtlichen Möglichkeiten gegen Amri offensichtlich nicht ausgeschöpft worden sei; insbesondere die Möglichkeit des Aufenthaltsgesetzes, als „gefährlich“ eingestufte und zur Ausreise verpflichtete Personen per Auflagen zu beaufsichtigen und bei Verstößen ggf. zu inhaftieren. So erlauben die §§ 56 („Überwachung ausgewiesener Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit“), 58a („Abschiebungsanordnung“) und 61 („Räumliche Beschränkung, Wohnsitzauflage, Ausreiseeinrichtungen“) des Aufenthaltsgesetzes schon nach derzeitigem Stand einschneidende und umfangreiche Maßnahmen, die bei Amri – obwohl er mit seinen Vorbelastungen auf den ersten Blick sämtliche tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllte und es sogar konkrete Warnungen vor einem Terroranschlag gab  – offensichtlich nicht ergriffen bzw. nicht durchgesetzt wurden. Nach § 95 AufenthG sind Verstöße gegen entspr. Meldeauflagen strafbar.

Die nun demnächst auf neue Überwachungsgesetze pochenden Innenminister der Länder und des Bundes sollten beizeiten von der Medienöffentlichkeit daran erinnert werden, dass neue Gesetze keinen Sinn machen, wenn man die schon bestehenden nicht konsequent nutzt bzw. anwendet. Zudem: Wie soll z.B. eine Videoüberwachung aller Bürger ein Delikt verhindern, bei dem die Täter ohnehin nicht darauf setzen, unerkannt zu bleiben? Eine Überwachung macht allenfalls Sinn für die Aufklärung und Beweissicherung von Verbrechen, deren Täter typischerweise unerkannt bleiben wollen, nicht aber bei Terroristen, die ohnehin lieber sterben als sich einem Strafprozess auszusetzen und die passenderweise sogar ihre Personalpapiere und ihr Handy am Tatort zurücklassen.

Sollte  sich allerdings, wie Prantl andeutet, herausstellen, dass, wie schon im Fall des NSU, die Sicherheitsbehörden lieber eine neue „Quelle“ abschöpfen wollten als eine gefährliche Person festzusetzen, dann sollte auch hier die politische Führung konsequent reagieren. Geheimdienste, die nicht Sicherheit, sondern Unsicherheit produzieren, können und dürfen wir uns nicht leisten.

Update 27.12.2016: Politiker machen nun einige Vorschläge. Aber was ist davon zu halten?

Nach dem Terroranschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière ein allgemeines Versagen der Sicherheitsbehörden im Fall des mutmaßlichen Attentäters Anis Amri bestritten.

Niemand behauptet ein "allgemeines Versagen". Meiner Meinung nach geht es um das spezielle Versagen, die gesetzlichen Möglichkeiten gegen Herrn Amri tatsächlich zu nutzen. Verantwortlich sind dafür die Personen in den Sicherheitsbehörden, die über die Anwendung des AufenthG (zB in NRW) konkret entscheiden. Die politische Verantwortung trägt der dortige Innenminister. Hier wird der einzelne Polzeibeamte in Schutz genommen - was richtig ist, und immer gut ankommt -, um die politische Verantwortung dahinter zu verstecken.

"Es gibt bisher juristisch keine ausreichende Möglichkeit, jeden dieser Gefährder rund um die Uhr überwachen zu lassen", sagte der CDU-Politiker der "Bild am Sonntag".

Das kann so sein, aber warum hat nicht stattdessen wenigstens die Möglichkeiten genutzt, die das AufenthG jetzt schon bietet (siehe oben)? Hier wird ein Strohmann-Argument aufgebaut, um die Verantwortung wegzuschieben.

Zu diesem Zeitpunkt schon ein abschließendes Fazit zu ziehen, wäre nicht seriös, betonte de Maizière. "Selbstverständlich werden wir den Fall aber bis ins Detail aufarbeiten und einen entsprechenden Bericht vorlegen."

Ja, darauf warten wir. Ich bin ziemlich sicher, dass man mit der internen Analyse so lange brauchen wird, bis kein Journalist mehr konkrete, unangenehme Fragen stellen kann, oder bis die Öffentlichkeit nicht mehr hinreichend interessiert ist.

Der nordrhein-westfälische CDU-Parteichef und Bundesvize Armin Laschet forderte rechtliche Konsequenzen nach dem Anschlag. Man müsse jetzt genau untersuchen, "was schief gelaufen ist", welche gesetzlichen Regelungen verbessert und welche Lücken in der Inneren Sicherheit geschlossen werden müssten, sagte Laschet am Samstag im "Morgenecho" auf WDR 5.

Bevor die Untersuchung beginnt, schon einmal rechtliche Konsequenzen zu fordern, nimmt das Ergebnis der Untersuchung (rechtliche Mängel) vorweg.

Tagesspiegel:

De Maizière (CDU) forderte den Berliner Senat auf, seine Haltung zur Videoüberwachung „dringend“ zu überdenken. De Maizière verwies in der „Bild am Sonntag“ auf die Linie der Bundesregierung: „Das Bundeskabinett hat am Mittwoch ein Gesetz beschlossen, das die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen erleichtert und damit einen wichtigen Beitrag zur Kriminalitätsbekämpfung leisten wird.“

Auch das ist eine Ablenkung. Videoüberwachung mag ja an bestimmten Stellen sinnvoll sein, um bestimmte Arten von Straftaten zu verhindern oder deren Aufklärung zu erleichtern. Jeder rational denkende Mensch weiß aber, dass Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen keine terroristischen Akte verhindern kann. Der Anschlag und seine Opfer werden hier benutzt, um alte Forderungen durchzusetzen.

Update (28.12.2016): Leyendecker in der Süddeutschen wundert sich:

Der Mann war nur einer von 549 Gefährdern, und dennoch wussten sie fast alles über ihn: mit welchen wirklich üblen IS-Sympathisanten er sprach, wen er anrief, wessen Telefone er benutzte. Alles bekannt - auch weil die Behörden in die Szene einen V-Mann eingeschleust hatten. Sie kannten die vielen Alias-Namen des Tunesiers, sie wussten, wo er welche und wie viele Moscheen (15) besucht hatte. Der Generalbundesanwalt war eingeschaltet, der Berliner Generalstaatsanwalt auch. Als sich Amri im Februar dieses Jahres in einem Chat jemandem vom IS als Selbstmordattentäter anbot, wurde seine Offerte von Sicherheitsbehörden mitgelesen.

(...)

Und dann ist doch passiert, was nie hätte passieren dürfen. Die Staatsschützer hatten keinerlei Fortune. Sie haben ihn am Ende doch falsch eingeschätzt. Vermutlich haben sie ihn doch irgendwie für einen Schwätzer gehalten, der zwar über Attentate redete, aber letztlich nur schwadronierte.

Am Ende stellt Leyendecker die richtigen Fragen:

Was bleibt, sind andere Fragen, und die meisten zielen auf die Regierenden in Nordrhein-Westfalen. Wie konnte es sein, dass es in dem Bundesland für Amri keine strengen Meldeauflagen gab? Wie konnte es sein, dass ein Gefährder wie er nach der Ablehnung seines Asylantrags ungehindert umherreisen konnte? Nordrhein-Westfalen verzichtete im Fall Amri auf alles, was gegriffen hätte. Polizei, Staatsschutz machten ihre Arbeit, aber die notwendigen Konsequenzen, die sich beispielsweise aus dem Aufenthaltsgesetz ergeben, wurden nicht gezogen: Wenn einer in Nordrhein-Westfalen gemeldet ist und sich vorwiegend in Berlin aufhält, muss ihn Nordrhein-Westfalen einsacken. Das geht. Da braucht man keine neuen Gesetze.

Update (30.12.2016): NRW-Innenminister Jäger reagiert ggü. der FAZ:

Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger hat die Arbeit der Sicherheitsbehörden im Fall des mutmaßlichen Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri verteidigt. Der Tunesier sei längere Zeit beobachtet worden. Dabei hätten sich keine Hinweise darauf ergeben, dass er konkret einen Anschlag plante, sagte der SPD-Politiker am Freitag im „Morgenmagazin“ der ARD. Es sei nicht zulässig, jemanden präventiv in Haft zu nehmen, weil er möglicherweise gefährlich sei. Gehe es um sogenannte Gefährder, also Menschen, denen zugetraut wird, einen Anschlag zu begehen, müssten die Behörden zwischen Prahlerei und tatsächlichen Hinweisen unterscheiden. Bei der Observierung Amris vor allem in Berlin sei der Eindruck entstanden, dass er sich eher vom Salafismus weg- und zur allgemeinen Kriminalität hinbewege und ins Drogenmilieu abrutsche. „Wir diskutieren heute mit dem Wissen von heute. Mit dem Wissen von damals sieht das ein bisschen anders aus“, sagte Jäger.

Ja, es stimmt, dass man Gefährder nicht unmittelbar inhaftieren kann. Aber die Duldung des Amri galt nur für NRW. Eine Reisetätigkeit nach Berlin (und auch ein Abrutschen in allg. Kriminalität außerhalb von NRW) konnte durch konsequente Anwendung des AufenthG verhindert werden (s.o.). Nur wurde das Gesetz eben nicht angewendet. Verantwortlich: Dem Innenminister unterstellte Ausländerbehörden. Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, dass man seitens der Journalisten den Innenministern, die jetzt nach neuen Gesetzen rufen, nicht immer wieder diese konkreten Fragen nach der Anwendung des AufenthaltsG stellt, solange, bis eine plausible Antwort gegeben wird.

Update (4.1.2017): Mein geschätzter Kollege Prof. Kubiciel hat auf LTO eine präventive Inhaftierung von Gefährdern in die Diskussion gebracht. Ich habe mich dort an der Diskussion beteiligt und hauptsächlich zwei Kritikpunkte angeführt:

1. Bevor nicht das Vollzugsdefizit bei §§ 56, 95 AufenthaltsG untersucht wird, halte ich die Diskussion um solche weitreichenden Eingriffsgesetze für wenig sinnvoll.

2. Selbst wenn eine solche Präventivhaft existierte, zweifle ich daran, dass sie zutreffend angewendet werden würde. Diese Zweifel beruhen gerade auf der mir fehlerhaft/ungenau erscheinenden Anwendung der bisherigen gesetzlichen Möglichkeiten.

Update (5.1.2017):

Spiegel Online berichtet einige Details zu den Ermittlungen/Überwachungen des Amri im Jahr 2016. Nachdem er schon mehrfach aufgefallen sei (u.a. wegen doppeltem Kassieren von Soziallleistungen und wegen der Suche nach Anleitungen zum Bombenbau) ist nach diesem Bericht  im "Sommer 2016" die Ausländerbehörde Kleve tätig geworden:

Sommer 2016: Die Ausländerbehörde in Kleve stellt Amri eine Duldungsbescheinigung auf den Namen Ahmed Almasri aus. Die Behörden wollen ihn so in dem Glauben lassen, dass sie seine wahre Identität nicht kennen. Im Juli 2016 soll er nach Informationen eines Undercover-Agenten damit geprahlt haben, ein Blutbad anrichten zu wollen.

Einem Ausländer eine falsche Identität zu verschaffen ist eigentlich keine Aufgabe der Ausländerbehörde. Man kann - wenn die Darstellung von SPON stimmt -  hier nur vermuten, dass damit eine verdeckte Überwachung von Geheimdienstseite aufrechterhalten  werden sollte. 

Das würde die auch schon von Heribert Prantl angestellte Vermutung stützen, Amri sei behördlicherseits ganz bewusst nicht mit Meldeauflagen am Verlassen von NRW gehindert worden. Vielleicht, weil man annahm, so auf die Spur noch gefährlicherer Personen zu kommen (?). Dass man bei der sinnvollen und wichtigen geheimdienstlichen Terrorbekämpfung auch einmal unabsichtlich falsch liegen kann, ist mir bewusst. Daraus allein würde ich auch noch keinen Vorwurf formulieren. Aber ich zweifle daran, dass dieselben Behörden, die nach der Spiegel-Meldung Amri mit einer falschen Identität ausgestattet haben statt Meldeauflagen durchzusetzen,  Amris präventive Inhaftierung veranlasst hätten, selbst wenn sie die (jetzt von einigen geforderte) gesetzliche Möglichkeit dazu gehabt hätten.

Update (11.01.2017):

Der Bundesinnen- und der Justizminister haben einige Gesetzesvorschläge gemacht, die wohl schon recht bald umgesetzt werden sollen. Es geht v.a. um eine erleichterte Abschiebehaft und um die Ermöglichung (präventiver) Fußfesselüberwachung für "Gefährder".

„Dies zeigt, dass wir in sehr kurzer Zeit imstande sind, vernünftige Ergebnisse zu erzielen, die die Sicherheit der Bürger erhöhen, ohne Freiheiten einzuschränken“, kommentierte de Maizière.

Eine Folge schneller Gesetzesänderung ist, dass damit die harten Nachfragen der Journalisten gezielt abgelenkt werden können. Die Verantwortung der Exekutive für die Behandlung Amris wird dann leicht vergessen. Es ist nach wie vor nicht geklärt, warum Amri nicht mit den bisher schon geltenden gesetzlichen Maßnahmen bedacht wurde.  Dies weckt meinen Zweifel am Sinn von schnellen Neuregelungen. Insbesondere wirft dies die Frage auf: Werden denn diese neuen Regeln in vergleichbaren Fällen auch angewendet? Die Einstufung als "Gefährder" hängt bislang von polizeilichen/geheimdienstlichen Erwägungen ab. Sobald daran harte Rechtsfolgen geknüpft werden, muss die Gefährdereigenschaft aber gerichtsfest belegt werden können. Wird man, um "Quellen nicht zu verbrennen", doch wieder Gefährder lieber an der langen Leine "führen" wollen?

Zudem: Die Abschiebehaft gilt nur für einen Teil der Gefährder. Ca. die Hälfte der so eingeschätzten Islamisten haben die deutsche Staatsangehörigkeit. Eine Abschiebehaft kommt für sie gar nicht in Betracht.

Und bei allem sollte man auch rechtsterroristische Gefährder nicht aus den Augen verlieren.

Update 20.01.2017

Ich habe heute ein im Auftrag der FDP-Landtagsfraktion NRW erstelltes Gutachten zu den ausländerrechtlichen und strafprozessualen Möglichkeiten im Fall Anis Amri in Düsseldorf vorgestellt.
Hier ein Pressebericht dazu: Welt.
Noch einer: Westdeutsche Zeitung
Hier ein kurzes Video-Interview dazu: YouTube.

Mein Gutachten ist jetzt von der FDP-Fraktion Online gestellt worden: Link

Update 28.01.2017:

In einem Interview mit dem Spiegel bestätigt nun Bundesinnenminister de Maiziere meine im Gutachten vertretene Auffassung:

"Im Oktober 2016 hat Tunesien einem Verbindungsbeamten des BKA mitgeteilt, dass Amri sein Staatsbürger ist. Spätestens da hätte auf Basis des geltenden Rechts ein Antrag auf Abschiebehaft gute Erfolgsaussichten gehabt."

(Kostenfreie) Quelle: T-Online

Update 26.03.2017: Heute berichten die Medien (zB BamS  RP-Online) verstärkt darüber, das Innenministerium sei schon Anfang 2016 gewarnt worden, Anis Amri plane einen Anschlag. Das ginge aus einem damals überwachten Chat hervor. Allerdings waren ähnliche Informationen schon im Dezmeber 2016/Januar 2017 verfügbar. Es war schon Grundlage meines Gutachtens, dass Anfang 2016 vor Anis Amri gewarnt wurde, weil er sich offenbar damit gebrüstet hatte, er wolle einen Anschlag mit Schnellfeuerwaffen begehen. Was heute (erneut und zutreffend) Innenminister Jäger vorgeworfen wird, ist also m.E. weniger neu als es manchem Journalisten erscheint (anders  Miriam Hollstein auf Twitter). Es bestätigt aber das Ergebnis  meines Gutachtens: Jäger ist keineswegs bis an die "Grenzen des Rechtsstaats" gegangen. Er hat nicht mal versucht, bei den Gerichten anzuklopfen.

Update 28.03.2017: Mein Kollege Bernhard Kretschmer hat gestern sein Gutachten (105 Seiten) vorgelegt, mit dem er im Ergebnis Fehler der nordrheinwestfälischen Exekutive im Fall Amri verneint. Zu seinem Gutachten haben ihm die Akten der Strafverfahren und der ausländerrechtlichen Verfahren vorgelegen, so dass seine Datenbasis umfangreicher ist als diejenige, die ich im Januar für mein Gutachten (25 Seiten) zur Verfügung hatte. Seine rechtlichen Bewertungen sind aber auch unabhängig davon in einigen Punkten abweichend. Teilweise mag das mit dem Wortlaut des Gutachtenauftrags zusammenhängen. Ich wurde beauftragt, die rechtlichen Möglichkeiten im Fall Amri zu begutachten, ob Behörden "Fehler" gemacht haben, sollten andere erst auf Grundlage des Gutachtens beurteilen. Derzeit wird darüber gestritten, ob Herr Kretschmer tatsächlich so unabhängig ist, wie die Landesregierung behauptet, da er derzeit über eine Position an der Uni Bielefeld verhandelt.

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173 Kommentare

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Ohne die bisherigen Informationen zu dem Anschlag ignorieren zu wollen, steht eine wesentliche Analyse bisher vollkommen aus. Sie wird sogar bewusst mit pauschalen Sprechblasen zu Freiheit vs. Schutzmöglichkeiten als unmöglich dargestellt.

Die Katastrophe auf dem Breitscheidplatz hätte wohl ebenso durch einen Unfall, Fahrlässigkeit, einen erweiterter Suizid oder Amoklauf verursacht werden können. Der Weihnachtsmarkt war in ungewöhnlich krasser Weise ungeschützt. Kein Auffahrschutz, keine Verkehrsbeschränkungen, obwohl eine sonst übliche Gefahrenanalyse mit ziemlicher Sicherheit auch ohne Terrorgefahr diverse Maßnahmen als notwendig aufgezeigt hätten. Solche Maßnahmen hätten mit hoher Wahrscheinlichkeit den Anschlag verhindert oder dessen Ausführung stark erschwert. Was hinter Beidem, dem Versäumnis von Schutz und dem "Verzicht" auf einer Analyse der Versäumnisse, steckt, ist bisher ungeklärt. Andere bekannte Katastrophen wie z.B. Bahnunglücke hätten auch absichtlich verursacht werden können. Hätte man dann die Prüfung der begünstigenden Sicherheitsmängel unterlassen, weil man sich ja nicht gegen Anschläge schützen kann? Das widerspräche jeder Logik, ist aber das irrationale Narrativ, das derzeit wohl herrschende Meinung in Medien und Politik ist. Das Fehlen von Vernunft und Substanz in Politik und Medien ist möglicherweise die größte Baustelle derzeit. Die Justiz könnte hier mit staubtrockener aber scharfsinniger Bodenständigkeit für Transparenz sorgen. Tut sie es?

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Sehr geehrter Herr Lippke,

danke für Ihre Überlegungen.

Ja, auch andere kriminelle Szenarien als der Terrorakt des Amri hätten an der Gedächtniskirche ähnliche Folgen haben können, ebenso wie ein durch Zufall/Fahrlässigkeit ausgelöster Brand, eine gefährliche Massenturbulenz etc. Nun wissen wir aber (ziemlich sicher), dass es dieser Amri war, der den Terrorakt geplant und ausgeführt hat. Und anders als zufällige Unfälle, Naturkatastrophen oder Fahrlässigkeiten, hat dieser Mann sich ganz gezielt eine Schwachstelle gesucht, bei der er zuschlagen konnte. Wäre es nicht der Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gewesen, hätte er auch einfach in eine belebte Fußgängerzone oder auf den Bürgersteig am Kudamm fahren können. Man kann das nicht alles mit Betonpollern absichern. Deshalb glaube ich schon, dass hier der personale Ansatz präventiv zielführender gewesen wäre. Und den hat man nicht konsequent auf Grundlage schon existierender Gesetze durchgeführt.

Besten Gruß

Henning Ernst Müller

Terrorismusexperte 007 Version 0.xxxx: "wir haben kein Konzept". "Das Handwerk legen"? Womit? Mit solchen Experten? Wie wird man Terrorismusexperte, Sicherheitsexperte, Hinterzimmerexperte, Rechtsexperte? Als einsamer Wolf, als Dummschwätzer für die Medien? Handwerk, Konzepte haben doch etwas mit Klarheit, Strukur, Analyse zu tun, nicht mit Worthülsen und immer wieder die gleichen untauglichen Sprüche und dysfunktionalen Methoden.

Die Agenda der Terrorexperten ist so offensichtlich, wie hanebüchen: Der Terrorismus kommt genuin aus religiöser Verblendung durch das Böse, das Böse wechselt mit jedem Drohnenmord und jeder Waffenlieferung und Rebellenunterstützung seinen Namen und seine Methoden, die Bürger in Europa sind mit ihrem demokratischen Staatsverständnis gegen das Böse chancenlos, deshalb müssen selbsternannte Experten mit strengen Brillen ohne Konzept, Führungsqualität und Handwerkszeug die Deutungshoheit übernehmen, z.B. die Tötung eines Verdächtigen als Fahndungserfolg deklarieren und neue Gesetze für die Ausweitung der konzeptlosen Expertenmacht. Rücktritte und Rauswürfe werden als Lackmustest anzeigen, ob die falschen Hasen "konzeptlose Experten" ein Problem bekommen. Ich hoffe, dass Betroffene den Staat wegen der Unterlassungen beim Schutz der Bürger anzeigen und verklagen, so dass das Versagen vor Ort und allgemein in den Sicherheitsbehörden darüber öffentlich wird.

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Es gibt Länder, in denen man sowohl präventiv wie auch repressiv mehr gegen Terror und Terrorgefahren unternimmt.

Hierzulande haben aber vielleicht (jedenfall scheint es mir manchmal so) wohl nicht wenige Meinungsführer aufgrund unserer besonderen Geschichte (nationalsozialistische Terror- und Gewaltherrschaft 1933 bis 1945) ein chronisch schlechtes Gewissen, wenn es darum geht, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, da man fürchtet, man könnte dann mißverstanden und in eine Faschisten- oder Rassisten- oder Nazi-Ecke gedrängt werden.

Solche Ängste haben die politisch Verantwortlichen in den USA, in Großbritannien, in den Niederlanden, in Dänemark, in der Schweiz, in Australien, in Neuseeland, in Singapoore, in Japan, in China, in Russland, in Israel, in Österreich, und in Bayern, wohl nicht (oder jedenfalls zumindest nicht in dem Ausmaß wie in Berlin).

Wenn Deutschland zu wenig gegen den Terrorismus tut, dann steht zu befürchten, daß wir damit auch andere EU-Länder gefährden, und daß von Deutschland aus Terrorismus in der ganzen Welt unterstützt wird.

Viele Ländern werden dafür kein Verständnis haben und Deutschland Vorwürfe machen (Donald Trump hat dies verklausuliert und indirekt wohl bereits getan).

Gerade aufgrund der besonders schlimmen deutschen Vergangenheit sollten wir Recht und Freiheit und Demokratie energisch verteidigen, und zwar nicht nur gegen Rechtsextremismus und Linksextremismus, sondern auch gegen Islamismus (sowie alle anderen gewaltaffinen und demokratiefeindlichen und freiheitsfeindlichen Ideologien).

Wehr heute ehrliche und rechtschaffene Ziele verfolgt, braucht sich dabei nicht hemmen zu lassen durch ein schlechtes Gewissen bezüglich von Ereignissen die über siebzig Jahre zurückliegen.

Mit ist klar, daß man meine Stellungnahme mißverstehen kann (insbesondere wenn man rechtsextremistisch oder linksextremistisch oder islamistisch denkt), aber Dinge nicht auszusprechen, bloß weil Extremisten sie falsch verstehen könnten, wäre meiner Meinung nach nicht hilfreich.

Auf der Suche nach Problemlösungen muß man offen und ehrlich debattieren und diskutieren dürfen, und nicht nur dürfen, sondern man sollte sich auch selbst darum bemühen, selbst wenn man dann Gefahr läuft von gutwilligen aber mit schlechtem gewissen belasteten Neurotikern und von böswilligen Extremisten angefeindet zu werden.

Daß eine 100-tige Sicherheit nicht ereicht werden kann ist klar, aber als politisch Verantwortlicher sollte man sich bemühen zu tuen was man kann.

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<span class="username">SteinhuderMeerSegler</span> schrieb:

Es gibt Länder, in denen man sowohl präventiv wie auch repressiv mehr gegen Terror und Terrorgefahren unternimmt.

DIE WELT kommentierte das am 24.12.2016 auf einer ähnlichen Linie:

"Die legalistische Prinzipienreiterei muss aufhören"

Link: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article160568559/Die-legalistisch...

Bin mal gespannt, wie das hier nun weiter kommentiert wird.

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Was jetzt in diesen Beiträgen noch nicht zur Sprache gekommen ist, ist das Tohuwabohu bei den länderspezifischen Computersystemen und Dateien der Polizeien.

Wenn dort eine schnelle bundesweite Erfassung und ein bundesweiter Datenaustausch deswegen nicht funktioniert, dann sollte m.E. nicht gleich Aktionismus-verdächtig nach dem Gesetzgeber gerufen werden, wenn dort die Hausaufgaben noch nicht gemacht wurden.

Eine Vereinheitlichung steht schon lange auf der Agenda der Innenministerkonferenzen, Erfolge aber blieben Mangelware.

Zitat dazu:

"Saar-Innenminister für einheitliche Datenbank bei Straftaten"

(nachrichten.de (dpa) | 27.11.2016 |)

Quelle und Genaueres: http://www.nachrichten.de/event/131508/684891

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Wenn das einzige Werkzeug, das man hat, ein Hammer ist, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus. Wenn man Betten verkauft, ist jedes Problem des Kunden auf schlechten Schlaf zurückzuführen, der sich durch ein besseres (= teureres) Bett beheben lässt. Und so reagiert auch unser Gesetzgeber auf jede Böe mit neuen Gesetzen.

Die bittere Wahrheit dürfte leider - wie so häufig - sein, dass die bestehenden Gesetze durch Behörden und Justiz (<- die man nicht ausblenden sollte!) nicht konsequent umgesetzt werden. Die Ermittlungs- und Gefahrenabwehrbehörden haben sich offenbar nicht gut vernetzt. Die Anwendung von Jugendstrafrecht ist in § 105 JGG als Ausnahme beschrieben, in der Praxis aber offenbar Regelfall, etwa nach dem Motto: "Wer Straftaten begeht, ist offensichtlich noch nicht ganz erwachsen."

Auf solche Umsetzungsdefizite wird dann pauschal versucht, mit neuen Regelungen zu reagieren.

Das kann richtig sein: Wenn von 100 Käufern eines Mixers 90 bei der Bedienung einen Finger verlieren, weil sie das Gerät falsch verwenden und die Bedienungsanleitung nicht lesen, kann man von Anwendungsfehlern sprechen, aber richtiger ist es wohl, das als Designfehler zu bewerten. Richter bekommt man aufgrund der richterlichen Unabhängigkeit (und des dortigen Selbstverständnisses) auch allenfalls per Gesetz dazu, den gesellschaftlichen Willen umzusetzen.

Aber oh so häufig müsste sich unsere Politik wohl auf etwas einlassen, das weniger glorios, unangenehm bodenständig und fehlerträchtig ist: Die Verwaltung tatsächlich zu führen. Leitungspositionen nicht nach Parteibuch, sondern nach Qualifikation besetzen. Nach Missständen zu suchen, um sie abzustellen, statt sie totzuschweigen, um die eigene Wiederwahl bzw. -ernennung nicht zu gefährden.

Leider haben unsere Politiker die (wohl auch zutreffende) Auffassung entwickelt, dass so etwas für das eigene Vorankommen nicht förderlich ist. Denn wer Entscheidungen trifft, übernimmt Verantwortung. Was wir daher brauchen, ist ein Typ (oder eine Type), der den Augiasstall ausmistet, auf die Politikerkarriere, auf Spenden nicht angwiesen ist, weil bspw. selbst vermögend, der auch unangenehmes offen auszusprechen wagt - m. a. W.: einen deutschen Donald Trump.

Nein, Moment, das auch nicht.

Es ist zum Haareraufen.

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Nach Bundesjustizminister Maas von der SPD (Zitat aus LTO):

"Bei den Gesprächen "sehr zügig im Januar" mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) "wird es insbesondere um die Fragen gehen, wie Ausreisepflichtige so schnell wie möglich abgeschoben werden und wie Gefährder noch besser überwacht werden können", sagte der SPD-Politiker am Freitag in Berlin."

legt SPD-Vize Stegner nach:

Nach Anschlag in Berlin : Stegner fordert Abschiebehaft für „Gefährder“ vom   Quelle: http://www.shz.de/deutschland-welt/politik/stegner-fordert-abschiebehaft...   Der kommende Wahlkampf wirft seine Schatten unübersehbar voraus.
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Auch ich wünsche mir natürlich, mit meiner Familie sicher einen Weihnachtsmarkt besuchen zu können, aber ich hoffe gleichwohl, dass sich hinreichend viele Menschen die Frage stellen, was wir bereit sind, für mehr Sicherheit(sgefühl?) aufzugeben.

Auch ohne die gesamte Positivismus-Debatte in diesem Thread erneut starten zu wollen, erscheint es jedenfalls schon alarmierend, wenn - wie vom obigen Leser jedenfalls implizit - gefordert wird, dass die Justiz den "gesellschaftlichen Willen" umsetzt, ohne durch Gesetze dadurch "gezwungen" zu werden.

Aus meiner Sicht ist die einzige (sinnvolle und legitime) Art der politischen Willensbildung diejenige der Bildung von Mehrheiten im frei gewählten Parlament. Dieser Wille findet seinen (sinnvollen und legitimen) Ausdruck durch die Ausgestaltung von Gesetzen.

Dieses System wird aktuell (und gottseidank) durch die Gesetzesbindung der Justiz im Sinne der Gewaltenteilung abgesichert. Bevor man fordert, dass der Richter von diesem Leitbild abweichend zum Vollstrecker eines (wie festgestellten?) Gesellschaftswillens wird, sollte man sich klar werden, welche Risiken hier drohen. Ein Blick in die Geschichte kann helfen...

Unabhängig davon dürfte es die Rolle jedes Richters bleiben, neben dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit die Interessen des Einzelnen, insbesondere auch das Freiheitsrecht von Terrorverdächtigen, im Auge zu haben. Gerade im Schutz des Einzelnen vor den Ansprüchen der Gesellschaft liegt die Freiheit in unserer Gesellschaft begründet. Insoweit gibt es bislang abgewogene Regeln: Polizeirechtlich kann aufgrund einer "konkreten Gefahr" auch mit Freiheitsentziehung vorgegangen werden, die Haft dagegen dient (jedenfalls im Grundsatz) nur zur Durchsetzung bestimmter (Verwaltungs- (Abschiebungs-) und Straf-) Verfahren.

An eine unter der konkreten Gefahr liegende polizeirechtliche/nachrichtendienstliche "Gefährder"-Einschätzung (wer solls definieren und im Einzelfall feststellen?) freiheitsentziehende Maßnahmen irgendeiner Art anzuknüpfen, erscheint jedenfalls verfassungsrechtlich problematisch und im Hinblick auf den Abschiebehaftbefehl auch systemwidrig (man mag insoweit die Diskussion zu §§ 112a sowie insbesondere 112 III StPO betrachten).

Torsten Obermann schrieb:
Auch ohne die gesamte Positivismus-Debatte in diesem Thread erneut starten zu wollen, erscheint es jedenfalls schon alarmierend, wenn - wie vom obigen Leser jedenfalls implizit - gefordert wird, dass die Justiz den "gesellschaftlichen Willen" umsetzt, ohne durch Gesetze dadurch "gezwungen" zu werden.

Diese Forderung habe ich so - meine ich - nicht formuliert. Vielmehr habe ich explizit kritisiert, dass Gerichte das Gesetz leider nicht immer beachten.

Nochmal in Wiederholung:

- "Steuerung"* der Gerichte -> Parlament mittels Gesetz

- Steuerung der Verwaltung -> Regierung mittels Aufsicht und Anweisung

Leider wird das häufig durcheinandergebracht und versucht, durch Gesetze Verwaltungshandeln zu steuern. Gesetzesänderungen können dazu teilweise erforderlich oder hilfreich sein, aber meist hat man es eher mit Umsetzungsdefiziten zu tun.

*Abstrakt, nicht im Einzelfall, bevor nun wieder verfassungsrechtliche Dünkel auftreten.

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Leider wird das häufig durcheinandergebracht und versucht, durch Gesetze Verwaltungshandeln zu steuern.

Unfug! Wo leben Sie denn? In welchem hinterwäldlerischen Bundesland sind Sie zur Schule/Universität gegangen? Natürlich wird durch Gesetze auch das Verwaltunghandeln gesteuert, vgl.:
"Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden." (Art. 10 Abs. 3 GG).

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Gast schrieb:

Leider wird das häufig durcheinandergebracht und versucht, durch Gesetze Verwaltungshandeln zu steuern.

Unfug! Wo leben Sie denn? In welchem hinterwäldlerischen Bundesland sind Sie zur Schule/Universität gegangen? Natürlich wird durch Gesetze auch das Verwaltunghandeln gesteuert, vgl.:
"Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden." (Art. 10 Abs. 3 GG).

Herrje. Schreibe ich so unverständlich? Natürlich hat sich die Verwaltung an Gesetze zu halten. Aber das hat doch mit dem Problem gar nichts zu tun. Wie der Ausgangsartikel doch auch darlegt: Die Gesetze existieren schon, es geht um deren Umsetzung. Wenn diese Umsetzung nicht funktioniert - und nur dazu wollte ich mich äußern - muss man nicht immer gleich mit dem Gesetzgeber anrollen, sondern teilweise einfach "nur" auf Verwaltungsebene für Ordnung sorgen.

Mal ganz praktisches Beispiel:

Polizeikomissar Schnauz grüßt jeden Bürger mit "Guten Morgen, Arschloch. Hier kann sich der Gesetzgeber auf den Kopf stellen und mit den Füßen wackeln - das wird er qua Gesetz nicht abgestellt bekommen. Beleidigungen sind schon verboten, sogar strafbar. Dieses Mittel hat hier offensichtlich keine Wirkung gezeigt. Richtiger Ansatz sind daher die (schon bestehenden) Mittel des Dienstrechts.

Unsere Politik aber versucht es häufig nicht auf diesem "handwerklichen" Wege, sondern durch die Einführung von immer mehr Regelungen, um in Beispiel zu bleiben: die Einführung einer Mindeststrafe von zehn Jahren für Beleidigungen durch Amtsträger. Eine solche Regelung führt dann zu Diskussionen über ihre Verfassungsmäßigkeit, Neudefinitionen des Beleidigungsbegriffs, Ausgrenzung privat motivierter Beleidigungen von der Amtstätigkeit und allerlei anderen kuriosen Folgen, stellt aber keineswegs sicher, dass sich PK Schnauze zukünftig zurückhält.

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"Ex-Staatsanwalt Heribert Prantl hat demgegenüber in der Süddeutschen Zeitung  zutreffend darauf hingewiesen, dass das Arsenal an Maßnahmen und rechtlichen Möglichkeiten gegen Amri offensichtlich nicht ausgeschöpft worden sei; insbesondere die Möglichkeit des Aufenthaltsgesetzes, als „gefährlich“ eingestufte und zur Ausreise verpflichtete Personen per Auflagen zu beaufsichtigen und bei Verstößen ggf. zu inhaftieren. So erlauben die §§ 56 („Überwachung ausgewiesener Ausländer aus Gründen der inneren Sicherheit“), 58a („Abschiebungsanordnung“) und 61 („Räumliche Beschränkung, Wohnsitzauflage, Ausreiseeinrichtungen“) des Aufenthaltsgesetzes schon nach derzeitigem Stand einschneidende und umfangreiche Maßnahmen, die bei Amri – obwohl er mit seinen Vorbelastungen auf den ersten Blick sämtliche tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllte und es sogar konkrete Warnungen vor einem Terroranschlag gab  – offensichtlich nicht ergriffen bzw. nicht durchgesetzt wurden. Nach § 95 AufenthaltsG sind Verstöße gegen entspr. Meldeauflagen strafbar."

Stimmt!

Leser schrieb "Wenn das einzige Werkzeug, das man hat, ein Hammer ist, sieht jedes Problem wie ein Nagel aus.".

Dem kann ich nur zustimmen. Die Entkopplung der formalen Kompetenzen von der Realität sind einerseits ein stückweit Zeitgeist, andererseits immer noch klar feststellbares organisatorisches und menschliches Versagen oder sogar kalkulierte Misswirtschaft. Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt berührt mehrere Themenfelder im Bereich der Sicherheit. Nicht alle werden tatsächlich beachtet und ausreichend beleuchtet. Kurz nach dem Anschlag waren es vor allem das Funktionieren der Rettungskräfte, die Tatortsicherung, erste Ermittlungen zum Tathergang und die Berichterstattung. Eine mediale Fokussierung auf Theatralisches und Populistisches fand bereits kurz nach den ersten Bildern statt. Wenig später wurden, weitgehend kommentarlos, aber auch Szenen gezeigt, in denen schnell mobile Betonpoller vor Weihnachtsmärkten positioniert wurden. Über erdrückende Kosten dieser Maßnahmen wurde nichts bekannt. Manche halten das für Einmauerung und sinnlosen Aktionismus, man könne unsere Freiheit nicht zubetonieren. Attentäter würden einfach auf andere Ziele ausweichen. Die allgemein präferierte Debatte um Mängel der Sicherheit hat viel "Bedeutenderes" im Blick. Verschärfte Überwachung allerorten, Ausnahmezustandsgesetzgebung, strenge Regeln zum Aufenthalt und schnelle Abschiebungen von Flüchtlingen bis hin zur allgemeinen Flüchtlingsbekämpfung sind die Themen, mit denen man das Problem erst populistisch auf den Tisch und dann repressiv vom Tisch bringen will. Ein solches Vorgehen wirkt nach Meinung der Experten gleichermaßen gegen Terrorismus, freiheitsentziehende Betonpoller, flexible Terroristen oder sorgt wegen der scheinbar entschlossenen Tatkräftigkeit für die Beruhigung der Bevölkerung. Natürlich schließt das die allgemeine Überwachung der gesamten Bevölkerung mit ein, was Betonpoller nun mal nicht leisten können. Lückenlose Überwachung aller ist schon deshalb notwendig, weil zwar Terrorverdächtige pflichtgemäß ihre Identitätspapiere bei sich tragen und nach überraschendem Anschlag auch ordnungsgemäß am Tatort hinterlassen, aber nach regelmäßig tödlich endenden Fahndungserfolgen nicht mehr zu Helfern und Hintergründen der Tat befragt werden können. Der Kreis der Verdächtigen bleibt so unbestimmt. Manches werden Ermittlungen, Spekulationen, offizielle und inoffizielle Verschwörungstheorien zwar noch ans Licht bringen, aber soviel ist klar, man kann ohne allgemeine Überwachung und restriktive Flüchtlingsverarbeitung nicht alles vorhersehen, geschweige denn verhindern. So die herrschende Meinung. Es gibt zwar das Prinzip der Gefährdungsanalyse und der Sicherheitskonzepte zu anschlagsgefährdeten Orten und Personen, die nicht selten zu temporären oder dauerhaften Absperrung ganzer Ortsteile führen, aber die galten trotz aller Hinweise bisher wohl nicht für den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Das ist nicht für Jeden sofort zu verstehen. Ein Veranstaltungsort für tausende Besucher auf engstem Raum mit viel Verkehrsgefahren drumherum, sollte eigentlich sinnvoll geschützt werden. In einer zentralen Gegend Berlins, die sich bereits mit tödlich ausgehenden Autorennen einen Namen machte und nun ohne besondere Sicherheitsvorkehrungen zum Weihnachtbummel und Glühweinpunsch lud, gab es da scheinbar keinen Bedarf. Wer es zum besinnlichen Trubel eilig hatte, konnte wie der Attentäter von der Hardenbergstraße mit viel Schwung gezielt Anlauf nehmen und unmittelbar vor der präferierten Bude landen oder eben als Attentäter so viel wie möglich von Mensch und Markt platt machen. Keine Einengungen, keine Verkehrsbeschränkungen, keine störenden Ampeln, keine Hindernisse standen einem solchen Vorhaben im Weg. Nicht mal eine Überwachungskamera. Die Videosequenz einer zufällig filmenden Dashcam zeigt aber, wie leicht es dem Attentäter dank fehlender Videoüberwachung gemacht wurde. Wenn man sich dazu den Straßenverlauf der Hardenbergstraße zum Breitscheidplatz z.B. bei Streetview anschaut, wird klar, dass der Täter nicht einmal abbiegen musste, sondern mit volle Fahrt einfach frontal auf den Platz rasen konnte. Eine solch triviale Möglichkeit des maximalen Zerstörungseffekts findet sich nicht so schnell wieder. Die Zuständigkeit für diesen freizügigen Zugang liegt beim Veranstalter und den Behörden. Es gibt dazu ganz sicher Richtlinien, Formalien und Genehmigungsverfahren. In Berlin ist wohl die VLB des Senats (Verkehrslenkung Berlin) für die Prüfung und Genehmigung zuständig. Die Behörde ist seit Jahren Adressat massiver Kritik und von seinen Aufgaben wohl überfordert. Inwieweit es bei der Sicherung von Veranstaltungsorten ein Zusammenwirken mit den Sicherheitsbehörden des Bereichs Innere Sicherheit/Terrorabwehr gibt, ist öffentlich bisher nicht erörtert worden. Es funktioniert vermutlich deshalb nicht so gut, weil die Einen von sicherer Verkehrsplanung und die Anderen von verkehrter Sicherheitsplanung überfordert sind. So bleiben angesichts des amtlich-fatalistischen Unvermögens gegen die wie höhere Gewalt zuschlagenden fremden, bösen Mächte nur pathetisch-warme Worte des deutsch-freiheitlichen Bundespfarrers. Worte, denen er zum nächst günstigsten Zeitpunkt mit einer Unterschrift als Bundespräsident Vollmachten zur weiteren allgemeinen Eindämmung von Freiheit, Demokratie und Solidarität Nachdruck verleihen wird.                

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Herrn Professor Müller ganz vielen Dank für seine richtigen und wichtigen und mehr Klarheit schaffenden Erörterungen.

Politiker (insbesondere Minister) und deren Apparate (insbesondere Pressesprecher, Staatssekretäre und regierungsnahe Ministerialbeamte) neigen leider manchmal dazu, gegenüber der Öffentlichkeit mehr zu vernebeln als aufzuklären, und daher ist es sehr wichtig, wenn unabhängge sachkundige Fachleute engagiert an Erörterungen und Debatten teilnehmen oder diese anstoßen.

Auch die Veröffentlichungen von Heribert Prantl sind sehr lesenswert.

Auch wenn ich kein Fachmann wie Professor Müller oder Heribert Prantl bin, so möchte ich mir dennoch erlauben darauf hinzuweisen, daß die uns gegenwärtig besonders auffallenden Sicherheits-Probleme nicht nur mit dem Handeln von Polizei- und Justizbehörsen und nicht nur mit den Sicherheitsgesetzen zusammenhängen, sondern auch damit zusammenhängen, mit wievielen Leuten mit rechts- und linksextremistisch und islamistischer Gesinnung wir es hierzulande zu tun haben.

Wenn plötzlich insgesamt sehr viele muslimische Menschen einwandern, steigt die Wahrscheinlichkeit, daß darunter auch viele Islamisten und auch gewaltbereite Islamisten sind, und eine zu große Zahl solcher Leute überfordert anscheinend unseren Staat und unsere Behörden.

Außerdem werden manchmal wohl Linksextremisten als vermeintliche "Antifaschisten" finanziert und gefördert, und produzieren neue Sicherheitsrisiken.

Was Rechtsextremisten angeht, habe ich auch manchmal den Eindruck, als ob diese von Verfassungsschutzbehörden oder anderen Geheimdiensten finanziert und gefördert werden.

Wenn wir die Sicherheitslage verbessern wollen, sollten wir nicht nur danach bestrebt sein, die Sicherheitsbehörden besser auszustatten und sie besser arbeiten zu lassen und mehr Sicherheitsgesetze zu produzieren, sondern wir sollten mindestens ebenso ehrlich und aufrichtig und gewissenhaft darum bemüht sein, das Wachsen der Anzahl der Rechtsextremisten und Linksextremisten und Islamisten nicht noch staatlicherseits zu begünstigen (weder öffentlich noch heimlich, und weder vorsätzlich noch fahrlässig noch schuldlos).

Im Übrigen bin ich der Meinung, das Gewalt insgesamt noch mehr als bisher schon geächtet werden müßte, also auch normale Körperverletzung oder das Schlagen von Frauen und Kindern, oder auch scheinbar "gutgemeinte" (zB "Antifaschistische") Gewalt. Falls es glingen würde daß generelle Ächtung von Gewalt die Gesellschaft tiefer durchdringt, würde es dann vielleicht auch weniger politisch motivierte Gewalt geben.

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Göttinger Assessor schrieb:

 

Im Übrigen bin ich der Meinung, das Gewalt insgesamt noch mehr als bisher schon geächtet werden müßte, also auch normale Körperverletzung oder das Schlagen von Frauen und Kindern, oder auch scheinbar "gutgemeinte" (zB "Antifaschistische") Gewalt. Falls es glingen würde daß generelle Ächtung von Gewalt die Gesellschaft tiefer durchdringt, würde es dann vielleicht auch weniger politisch motivierte Gewalt geben.

Damit wären wir ja wieder beim Gewaltmonopol angekommen, die Anerkennung eines Gewaltmonopols beim Staat und seinen Organen ist aber eine Kulturleistung, die hier in den westlichen Demokratien seit der Aufklärung geleistet wurde, aber auch nur auf dem Schutz des Bürgers durch den Staat und seinen Organen im Gegenzug funktionieren kann, wobei die Gewaltenteilung die Bürger vor Mißbrauch des Gewaltmonopols durch den Staat selber schützen soll.

Dieses System der gegenseitigen Checks and Balances muß halt immer wieder neu justiert und auch den neuen Herausforderungen immer wieder neu angepaßt werden, ohne Hektik, sondern mit Augenmaß und einer Erfolgskontrolle.

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Die LTO weist auf folgende aktuelle Publikationen hin:

Sicherheitspolitik: Die FAZ (Johannes Leithäuser), die SZ (Christoph Hickmann/Lisa Schnell), zeit.de (Lenz Jacobsen u.a.) und das Hbl (Frank Specht) fassen die Reaktionen auf das Positionspapier der CSU zu sicherheitspolitischen Maßnahmen zusammen. Gefordert wurden unter anderem die Ausweitung der Überwachung öffentlicher Plätze, verschärfte Abschiebungsregelungen, die Einführung von Gesichtserkennungssystemen und die generelle Anwendung von Erwachsenenstrafrecht auf Heranwachsende. Ein Entwurf zur Einführung eines neuen Abschiebehaftgrundes für "Gefährder" befindet sich derzeit in der Ressortabstimmung. Wie die taz (Uwe Rada/Simone Schmollack) berichtet, hat das Kabinett außerdem einen Gesetzentwurf zur Erleichterung von Überwachung an öffentlichen Orten beschlossen. Der Deutsche Richterbund hat sich gegen die Ausweitung der Überwachung ausgesprochen, meldet die SZ, da sich Straftaten so kaum verhindern ließen.

Christian Bommarius (BerlZ) hält die Vorschläge für überzogen und in der Sache falsch: "Nicht die Gesetze haben versagt, sondern ganz offenkundig die Behörden." Die Behörden hätten die erforderlichen Aufenthaltsbeschränkungen und Meldepflichten gegen Amri nicht angeordnet, die gesetzlich möglich gewesen wären. SPD-Fraktionsvize Eva Högl verweist im Interview mit dem Hbl (Frank Specht) ebenfalls auf die Einhaltung bestehender Gesetze. Daneben fordert sie eine strengere Überwachung von Gefährdern.

Christian Rath (taz) erläutert, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung die Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Orte durch Private wie die Berliner Verkehrsbetriebe betrifft. Die Aufstellung privater Videokameras soll in Zukunft erleichtert werden.

Die Bundestagsabgeordneten haben ihre Mandate von den Wählern erhalten.

Der Gesetzgeber hat die Interessen der Bevölkerung mindestens ebenso nachhaltig zu wahren wie ein GmbH-Geschäftsführer die Interessen der GmbH (und der Gesellschafter) oder wie ein Rechtsanwalt die Interessen seiner Mandanten.

In letzter Zeit hat die Regierung ihre Schutzpflichten vernachlässigt oder jedenfalls nicht optimal wahrgenommen.

Wenn jetzt endlich nachgebessert wird, ist es dafür höchste Zeit.

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Diese Funktionäre von irgendwelchen Polizistengewerkschaften (vgl. auch die Kassandra Rainer Wendt), die sich immer pressegeil in den Vordergrund drängen, haben doch nie etwas anderes zu sagen, als "wir brauchen mehr Personal, wir brauchen mehr Eingriffsbefugnisse, wie brauchen endlich den Polizeistaat". "Schengen" war für diese Funktionäre doch schon immer ein Ekelbegriff.

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Umgekehrt wird ein Schuh draus.

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Gast schrieb:
Diese Funktionäre von irgendwelchen Polizistengewerkschaften (vgl. auch die Kassandra Rainer Wendt), die sich immer pressegeil in den Vordergrund drängen, haben doch nie etwas anderes zu sagen, als "wir brauchen mehr Personal, wir brauchen mehr Eingriffsbefugnisse, wie brauchen endlich den Polizeistaat". "Schengen" war für diese Funktionäre doch schon immer ein Ekelbegriff.

Der gute Funktionär sagt genau das Gegenteil:

"Die gesetzlichen Befugnisse sind heute schon recht weitgehend. Man muss diese nur konsequent umsetzen. Dafür fehlte aber bisher der politische Wille. "

Er will eben nicht mehr Befugnisse (außer bei der Vorratsdatenspeicherung), warnt sogar bei mehreren Punkten Zurückhaltung an.

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"Die gesetzlichen Befugnisse sind heute schon recht weitgehend. Man muss diese nur konsequent umsetzen. Dafür fehlte aber bisher der politische Wille."

Das verstehe ich nicht! Wenn die "gesetzlichen Befugnisse heute schon recht weitgehend" sind, dann fehlt doch nicht der "politische Wille". Denn dann hat die "Politik" doch das ihrige getan und die nötigen Gesetze geschaffen. Es fehlt also nicht der "politische Wille", dann fehlt es an der polizeilichen Umsetzung des in Gesetzesform gegossenen politischen Willens! Die Polizei soll also nicht ständig (in Gestalt ihrer vielen sich berufen fühlender Funktionäre) jammern, sondern verantwortlich als Exekutive umsetzen.

Zum Vorsitzenden des BDK Andre Schulz vgl. a.: <a href=http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-08/polizei-bdk-ueberwachung-... Trolle von der Polizei</a>

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Gast schrieb:

"Die gesetzlichen Befugnisse sind heute schon recht weitgehend. Man muss diese nur konsequent umsetzen. Dafür fehlte aber bisher der politische Wille."

Das verstehe ich nicht! Wenn die "gesetzlichen Befugnisse heute schon recht weitgehend" sind, dann fehlt doch nicht der "politische Wille". Denn dann hat die "Politik" doch das ihrige getan und die nötigen Gesetze geschaffen. Es fehlt also nicht der "politische Wille", dann fehlt es an der polizeilichen Umsetzung des in Gesetzesform gegossenen politischen Willens! Die Polizei soll also nicht ständig (in Gestalt ihrer vielen sich berufen fühlender Funktionäre) jammern, sondern verantwortlich als Exekutive umsetzen.

Zum Vorsitzenden des BDK Andre Schulz vgl. a.: <a href=http://www.zeit.de/politik/deutschland/2014-08/polizei-bdk-ueberwachung-... Trolle von der Polizei</a>

Innenminister sind selber Politiker, auch noch an Weisungen ihrer politischen Chefs gebunden, auch bei Bundes- und Landespolizeien gibt es außerdem politische Beamte, die ohne Begründungen in den Ruhestand versetzt werden können, Staatsanwälte sind ebenfalls an Weisungen ihrer Ministerien gebunden.

Polizeipräsidenten sind in NRW z.B. politische Beamte.

Und wenn andere zu aufmüpfig werden sollten, dann sind ja die dienstlichen Karrieren auch oft recht schnell in einer Sackgasse angekommen.

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Gast schrieb:
Das verstehe ich nicht! Wenn die "gesetzlichen Befugnisse heute schon recht weitgehend" sind, dann fehlt doch nicht der "politische Wille". Denn dann hat die "Politik" doch das ihrige getan und die nötigen Gesetze geschaffen. Es fehlt also nicht der "politische Wille", dann fehlt es an der polizeilichen Umsetzung des in Gesetzesform gegossenen politischen Willens! Die Polizei soll also nicht ständig (in Gestalt ihrer vielen sich berufen fühlender Funktionäre) jammern, sondern verantwortlich als Exekutive umsetzen.

Da stimme ich Ihnen im Prinzip zu. Aber: "Die Politik" besteht nicht nur aus dem Gesetzgeber, sondern auch aus der Regierung. Letztere ist Spitze der Exekutive, konkret der Innenminister "Chef" der Polizei und der Justizminister "Chef" der Staatsanwaltschaften und theoretisch der Grichte (aber ohne Weisungsbefugnis im Einzelfall = relativ zahnlos).

Wenn Sie fordern, dass "die Polizei" tätig werden soll, ist das daher eine Forderung an den Innenminister, mithin auch an "die Politik".

Wenn ein Polizist (oder sonstiger Verwaltungsmokel) Ihnen sagt, dass das Gesetz etwas erlaubt, aber der politische Wille zur Umsetzung fehlt, heißt das übersetzt: "Wir - die Polizei - könnten, dürften udn wollten auch, aber unser Minister will nicht, weil er schlechte Presse fürchtet, das Gesetz eigentlich doch doof findet o. ä."

Ganz plakativ: Als Frau von Storch mit ihrem unglücklichen Schießbefehl-Kommentar auftrat, haben sich alle empört. Auf gewisse Weise auch zu Recht. Auf gewisse Weise aber auch zu Unrecht, denn formal hat sie durchaus Recht: Unsere Grenzer tragen ihre Waffen nicht zur Dekoration. Natürlich könnten sie im Prinzip auch von der Schusswaffe Gebrauch machen - das Gesetz erlaubt das unter gewissen Voraussetzungen. Und ja, auch gegen Frauen. Und ja, in Extremfällen (!) auch gegen Kinder. Aber sagen darf man das nicht, denn dann müssten wir uns eingestehen, dass ja, auch in Deutschland, der Staat jemanden töten darf. Sogar einen Angehörigen einer Minderheit. Potzblitz. Und das bei unserer Vergangenheit. Skandal.

Sie können sich vorstellen, wie groß die Begeisterung des Ministers ist, wenn er in seinem Morgenbriefing liest, dass seine Polizisten eine Mutter von sechs Kindern erschossen haben, weil sie trotz wiederholter Warnung, Warnschuss und verschiedenen Anläufen erstens weiter ihre Kinder über den Grenzfluss getragen und zweitens mit Steinen in Verletzungsabsicht nach den Grenzern geworfen hat. Das mag dann rechtlich erlaubt sein (bitte keine Detaildiskussion darüber - das ist nur als Beispiel gedacht), ist aber ein politischer Dolchstoß. Der Polizist, der da abgedrückt hat, hat nicht nur das Leben der Frau, sondern auch den Posten seines Ministers auf dem Gewissen.

Das ist doch das Bittere: Wir machen zwar harte Gesetze, die wir dann teilweise aber nicht umsetzen, weil die Exekutive (d. h. die Regierung) die politischen Konsequenzen fürchtet. Und wenn dann das Gekrähe losgeht, dass nichts getan wurde, machen wir noch härtere Gesetze, die dann noch weniger umgesetzt werden, weil das in der Presse noch viel schlechter aussehen würde.

Stellen Sie sich vor, auf Geschwindigkeitsüberschreitungen im Straßenverkehr würden 30 Jahre Gefängnis als Mindesstrafe gesetzlich verhängt. Glauben Sie, dass danach

a.) die Geschwindigkeitskontrollen mehr oder weniger werden?

b.) die Gerichte beim Tatnachweis mit derselben Großzügigkeit wie jetzt annehmen werden, dass so'n Gerät schon irgendwie funktionieren wird, weil's ja schick aussieht und auch irgendwie geprüft ist?

c.) die Verkehrssicherheit insgesamt besser würde?

Plötzlich würde jeder Bürgermeister, jeder Polizist, jeder Amtsrichter zu einem Bedenkenträger sondergleichen, ob so eine Verkehrskontrolle wirklich erforderlich ist und sorgfältig durchgeführt würde. Denn es könnten Wähler, Verwandte, eines Tages sogar man selbst betroffen sein.

Wenn wir eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung aller Islamisten erlauben, ist das schön und gut - klingt super, klingt sicher, da lacht der Wähler. Und dann kommt das dicke Ende: Wer macht denn die Rund-um-die-Uhr-Bewachung? Das braucht 3 bis 7 Vollzeitkräfte pro Islamist. Tausende, zehntausende von Polizisten müssen anderswo abgezogen oder neu eingestellt werden. Wie entscheidet sich Herr Minister: Zukünftig keine Fußballspiele mehr, weil die Sicherheit nicht mehr zu gewährleisten ist? Oder Steuererhöhungen für mehr Beamte, die sich doch alle nur den Arsch breithocken? Beides ein Stimmenkiller. Das Gesetz ist schnell gemacht - das kostet nichts. Aber umsetzen? Nicht in diesem Leben. Wenn dann später etwas passiert - kein Problem, dann machen wir ein Gesetz, dass sogar über 24 Stunden pro Tag überwacht werden darf. Und 'n Rentengeschenk, das kommt bei einer überalterten Bevölkerung immer gut an und kostet nur die nächste Generation.

Gesetze werden - jahreszeitlich passend - teilweise als Neujahrsvorsätze verstanden, als Ankündigungspolitik als Ersatz für Handlungspolitik. Und je größer die Ankündigung, je unrealistischer der Vorsatz, desto geringer der tatsächliche Erfolg.

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Spätestens nach Nizza - tatsächlich auch schon vorher - mussten Anschläge mit Fahrzeugen in einem Sicherheitskonzept berücksichtigt werden. Auch ein Schutz gegen die seit Jahren üblichen Autorennen im Straßenverkehr war zu berücksichtigen. Hierzu bedarf es keiner neuen Gesetze, sondern der praktischen Umsetzung seit Jahren gültigen Rechts mit der üblichen Sorgfalt. Der technische Aufwand ist nicht besonders hoch. Traversenkonstruktionen wie z.B. ein adventlich geschmücktes Portal müssen ohnehin mit Gewichten (meist Wassertanks) gegen Umstürzen bei Windböen gesichert werden. Schon eine etwas andere Auslegung führt bei fast gleichen Kosten zu dem Schutz, der nach erfolgter Risikobewertung ohnehin vorzunehmen ist.

Der Presse kann man entnehmen, dass es über Monate viele Hinweise und Warnungen gegen speziell diesen Täter gab. Frage an die Juristen im Forum: Greift da nicht schon § 89a StGB Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ? Wären Vorbereitungshandlungen und Planungen nicht schon ebenso nach § 22 StGB strafbar ? Ich persönlich halte es für ausgeschlossen, dass bei den laut Presse umfangreichen Planungen und Vorbereitungen des/ der Täter keine rechtliche Handhabe bestand und deswegen erst noch Gesetze verabschiedet werden müssen.

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Gast schrieb:
Frage an die Juristen im Forum: Greift da nicht schon § 89a StGB Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat ? Wären Vorbereitungshandlungen und Planungen nicht schon ebenso nach § 22 StGB strafbar ? Ich persönlich halte es für ausgeschlossen, dass bei den laut Presse umfangreichen Planungen und Vorbereitungen des/ der Täter keine rechtliche Handhabe bestand und deswegen erst noch Gesetze verabschiedet werden müssen.

Absatz 4 des Ausgangspost gibt die Antwort auf Ihre Frage: Ja, es bestanden Handlungsmöglichkeiten. Ob § 89 a StGB schon erfüllt war oder nicht ist dabei wohl sogar ohne Belang, der bloße (Gefahr)Verdacht hätte wohl ausgereicht. Natürlich hätte man etwas tun können. Wir leben in einem Rechtsstaat mit teilweise ziemlich toughen Regeln. Die Umsetzung dieser Regeln ist das Problem.

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Und das sagt laut LTO der Blätterwald zur Sicherheitsdebatte:

"Nach dem Anschlag am Breitscheidplatz und dem Angriff auf einen Obdachlosen hält die Debatte um Änderungen in der Innenpolitik an. Während die CSU mehr Überwachung und eine härtere Gangart bei Abschiebungen fordert, warnt die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl davor, Flüchtlinge in Mithaftung zu nehmen, wie die taz (Patricia Hecht) berichtet.

Laut Daniel Deckers (FAZ) offenbart der Fall Amri Mängel in der europäischen Sicherheitsarchitektur, die eine unabhängige Untersuchungskommission nötig machten. Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin zeigt sich im Interview mit deutschlandfunk.de (Christine Heuer) skeptisch, ob Videoüberwachung geeignet ist, Straftaten zu verhindern.

spiegel.de (Max Holscher) beantwortet die wichtigsten Fragen zur Videoüberwachung, auch zu den rechtlichen Grundlagen."

Im Prinzip stimme ich Ihnen zu, aber die Mutter mit vier Kindern von den problematischen Ankömmlingen zu trennen, setzt leider häufig beamtische Pedanterie voraus, wenn man nicht alle jungen Männer vorverurteilen und alle älteren Frauen mit Vorschusslorbeeren empfangen will.

Es ist aber sicherlich so, dass man Ressourcen sparen kann, wo sie nichts bewirken, und andere Bereiche unterbelichtet bleiben - so wie überall, nicht nur in Behörden. Ich komme zurück auf meine These: Es braucht besseres Management, nicht mehr/härtere/komplexere Vorschriften.

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Leser schrieb:

Im Prinzip stimme ich Ihnen zu, aber die Mutter mit vier Kindern von den problematischen Ankömmlingen zu trennen, setzt leider häufig beamtische Pedanterie voraus, wenn man nicht alle jungen Männer vorverurteilen und alle älteren Frauen mit Vorschusslorbeeren empfangen will.

Es ist aber sicherlich so, dass man Ressourcen sparen kann, wo sie nichts bewirken, und andere Bereiche unterbelichtet bleiben - so wie überall, nicht nur in Behörden. Ich komme zurück auf meine These: Es braucht besseres Management, nicht mehr/härtere/komplexere Vorschriften.

Bei Herrn Anis Amri scheinen aber auch Vorschriften nicht ausreichend beachtet worden zu sein.

Dazu beziehe ich mich auf: "Fingerabdrücke im Asylverfahren"

(https://www.rechtslupe.de/verwaltungsrecht/fingerabdruecke-im-asylverfah...)

und auf den WP-Artikel über Anis Amri (https://de.wikipedia.org/wiki/Anis_Amri).

Also ich kann da nur staunen, aber die fehlenden Identitätsfeststellungen bzw. Abgleiche haben auch andere Asylbewerber ja für Straftaten ausgenützt, wie für Sozialbetrug. Die Identitätsfeststellung bei der Einreise in das Bundesgebiet und dann auch noch bei der Stellung des Asylantrags war m.E. höchst mangelhaft gewesen.

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Die LTO weist auf die aktuellen Publikationen zur CSU – Integrations- und Flüchtlingspolitik hin wie folgt:

"Die Forderungen der CSU zur Flüchtlingspolitik und Integration, die Anfang Januar auf ihrer Klausurtagung verabschiedet werden sollen, fasst zeit.de zusammen.  Es gehe um Burka- und Nikab-Verbote, den Doppelpass und schärfere Asylregelungen. Mit den Forderungskatalogen der CSU befasst sich ausführlich auch die FAZ (Julian Staib), die hinsichtlich der Forderungen nach einer Verschärfung von Abschiebehaft sowie zum Ausreisegewahrsam und zur Schaffung eines neuen Haftgrundes für Gefährder darauf hinweist, dass sich diese Punkte bereits in einem Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums fänden. Der Entwurf befinde sich bereits in der Ressortabstimmung.

Die Welt (Thomas Vitzthum) spricht mit CSU-Vizechefin Angelika Niebler über Sicherheit und Polizeipräsenz, den Umgang mit sog. Gefährdern, die Verlängerung des Ausreisegewahrsams, Datenaustausch im europäischen Raum, Daten-Entschlüsselung, Entwicklungszusammenarbeit mit afrikanischen Staaten und über den Umgang mit Ängsten in Rechtsstaat und Demokratie."

Die Wahlen rücken näher. Durch neue Gesetze sollen Wählerstimmen eingefangen werden. Bei diesen neuen Gesetzen werden wieder zuwenig Mittel im Haushalt zugewiesen, so dass die Verwaltung diese Gesetze wieder nur begrenzt einhalten bzw. ausschöpfen kann. Das wird dann kurz vor der nächsten Wahl festgestellt, dann weiss es die Politik und auch die Wählerschaft möchte wieder alles neu und der Kreislauf beginnt von vorn.
 

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Gewissenhafte Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden machen sich offenbar große Sorgen und denken fieberhaft nach was wir besser machen könnten, aber bei vielen Politikern scheint wohl das Interesse und der politische Wille zu fehlen (vielleicht verfolgen diese andere Ziele oder setzen für sich und ihre Arbeit andere Prioritäten).

Wenn die Politiker nicht wollen, können wir soviel nachdenken und schreiben und diskutieren wie wir wollen, es wird dann nichts nützen.

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Zitat

"Der Staat steht der freien Bürgergesellschaft nicht konträr gegenüber, er ist ihr Instrument. Der demokratische Staat schützt die Freiheit, er bedroht sie nicht."

Eine sehr schlichte Behauptung. Viele Bürger erleben das Gegenteil, sowohl die Absichten als auch die Fähigkeiten des Staates betreffend. Bilden diese Bürger eine "unfreie Bürgergesellschaft"?

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Wenn Sie schreiben "Eine Videoüberwachung am Breitscheidplatz hätte den Anschlag weder verhindert noch die Fahndung erleichtert.", soll daß dann als Tatsachenbehauptung oder als Meinung verstanden werden?

Jedenfalls ist Ihre Aussage wohl hypothetisch und weder gerichtlich noch wissenschaftlich bewiesen.

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Eine sehr schlichte Behauptung. Viele Bürger erleben das Gegenteil, sowohl die Absichten als auch die Fähigkeiten des Staates betreffend. Bilden diese Bürger eine "unfreie Bürgergesellschaft"?

Sie bilden keine "unfreie Bürgergesellschaft", sondern eine dumme Bürgergesellschaft, die leider immer mehr um sich greift und nichts (mehr) versteht. Man kann nicht alles haben. Wer mehr Freiheit will, kann nicht gleichzeitig mehr Sicherheit wollen, wer einen lauschigen Weihnachtsmarkt haben will, kann keine Betonpoller wollen, wer mehr internationale Güter kaufen will, kann nicht gleichzeitig eine nationale Wirtschaft wollen, wer mehr Internationalität will, kann nicht die föderale Kleinstaaterei wollen. Es geht nie um alles oder nichts. Es geht immer um Abwägung und Balance, also ob wir den Balanceregeler angesichts bestimmter Notwendigkeiten mehr in die eine oder andere Richtung drehen. Und in welche Richtung der Regler gedreht werden muß, entscheiden die legitimierten Institutionen. Auf jeden Fall besteht überhaupt kein Grund in bekannter schwarzweißer Pegida-Manier unsere Institutionen ständig zu verteufeln. Das ist dumm und eines gelernten und informierten "Bürgers" einfach unwürdig.

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Entschuldigung Sie widersprechen sich selbst. Einerseits stellen Sie unbegründet gegenseitige Ausschlüsse der Art lauschiger Weihnachtsmarkt XOR Betonpoller, international XOR national, Globalisierung XOR Regionalisierung gegenüber [Anm: XOR bedeutet "exclusiv oder"]. Dann aber erklären Sie "Es geht nie um alles oder nichts", sondern um Abwägung und Balance. Ob "wir" den Balanceregler mehr in die eine XOR andere Richtung drehen , entscheiden aber "legitimierte Institutionen" angesichts "bestimmter Notwendigkeiten". Die Legitimation kann/darf nicht in Frage gestellt oder sogar entzogen werden, das wäre dummes Verteufeln der Institutionen in XOR-Pegida-Manier. So würdig denkt der gelernte und informierte Bürger.

Ich will das gar nicht weiter vertiefen, Sie haben vermutlich ganz emotional Einiges zusammengeworfen, was kaum zusammengehört. "Sagen werde ich nichts, aber melden muss ich es." fällt mir dazu doppeldeutig ein.         

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