SENSATION! BVerfG: Geschwindigkeitsmessungen, Abstandsmessungen etc. mit Video und Film (und auch Foto?) sind verfassungswidrig
Gespeichert von Carsten Krumm am
Das ist echt der Hammer und rechtfertigt mal wieder das Prädikat "Sensation!" Das BVerfG hat mit Beschluss vom 11.8.2009 - 2 BvR 941/08 - eine Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsmessung mittels VKS als verfassungswidrig angesehen. Es fehle an einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage für das Filmen. Die Entscheidung hier auszugsweise:
Die angegriffenen Gerichtsentscheidungen verstoßen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in seiner Bedeutung als Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG).
Eine solche Rechtsauffassung ist verfehlt und unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar. Es handelt sich bei dem Erlass - ausweislich der einleitenden Bemerkung - um eine Verwaltungsvorschrift und damit um eine verwaltungsinterne Anweisung. Derartige Regelungen, durch die eine vorgesetzte Behörde etwa auf ein einheitliches Verfahren oder eine einheitliche Gesetzesanwendung hinwirkt, stellen kein Gesetz im Sinn des Art. 20 Abs. 3 sowie des Art. 97 Abs. 1 GG dar und sind grundsätzlich Gegenstand, nicht Maßstab der richterlichen Kontrolle (vgl.
BVerfGE 78, 214 <227>
). Eine Verwaltungsvorschrift kann für sich auch keinen Eingriff in das Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung rechtfertigen, da es einer formell-gesetzlichen Grundlage bedarf. Der parlamentarische Gesetzgeber hat über einen derartigen Eingriff zu bestimmen und Voraussetzungen sowie Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar festzulegen (vgl.
BVerfGE 65, 1 <44>
). Das Amtsgericht, das im Erlass des Wirtschaftsministeriums Mecklenburg - Vorpommern eine hinreichende Grundlage für die konkret durchgeführte Verkehrsüberwachung und damit auch für die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Grundrechtseingriffe gesehen hat, setzt sich mit dieser verfassungsrechtlichen Problematik nicht ansatzweise auseinander.
1. Das dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) folgende Willkürverbot zieht der Rechtsprechung bei der Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts nur gewisse äußerste Grenzen (vgl.
BVerfGE 42, 64 <73>
). Nicht jede fehlerhafte Anwendung des einfachen Rechts stellt daher auch einen Gleichheitsverstoß dar. Von Willkür kann nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinandersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl.
BVerfGE 87, 273 <278 f.>;
96, 189 <203>
). Ein Richterspruch ist jedoch willkürlich und verstößt damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn er unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl.
BVerfGE 62, 189 <192>;
70, 93 <97>;
96, 189 <203>
). In einem derartigen Fall kommt ein verfassungsgerichtliches Eingreifen in Betracht (vgl.
BVerfGE 62, 189 <192>
). Dabei ist Willkür nicht im Sinne eines subjektiven Vorwurfs sondern objektiv zu verstehen, als eine Maßnahme, die im Verhältnis zu der Situation, der sie Herr werden will, tatsächlich und eindeutig unangemessen ist (vgl.
BVerfGE 62, 189 <192>;
70, 93 <97>
; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Oktober 1998 - 2 BvR 1328/96 -, NVwZ-Beilage 1999, S. 10 f.).
b) Das Amtsgericht hat im angefochtenen Urteil die mittels einer Videoaufzeichnung vorgenommene Geschwindigkeitsmessung auf den Erlass zur Überwachung des Sicherheitsabstandes nach § 4 StVO des Wirtschaftsministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 1. Juli 1999 (Az.: V 652.621.5-2-4) gestützt und damit diesen als Rechtsgrundlage für Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung herangezogen.
2. Die angegriffenen Entscheidungen halten einer an diesen Maßstäben ausgerichteten verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Rechtsauffassung, die mittels einer Videoaufzeichnung vorgenommene Geschwindigkeitsmessung könnte auf einen Erlass eines Ministeriums gestützt werden, ist unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar und daher willkürlich.
Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist der Einschränkung im überwiegenden Allgemeininteresse zugänglich. Diese bedarf jedoch einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht und verhältnismäßig ist (vgl.
BVerfGE 65, 1 <43 f.>;
120, 378 <401 ff.>
; BVerfGK 10, 330 <337>). Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden (vgl.
BVerfGE 65, 1 <44 ff.>;
100, 313 <359 f.>
; BVerfGK 10, 330 <337 f.>).
a) In der vom Beschwerdeführer angefertigten Videoaufzeichnung liegt ein Eingriff in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen (vgl.
BVerfGE 65, 1 <42 f.>
). Durch die Aufzeichnung des gewonnenen Bildmaterials wurden die beobachteten Lebensvorgänge technisch fixiert. Sie konnten später zu Beweiszwecken abgerufen, aufbereitet und ausgewertet werden. Eine Identifizierung des Fahrzeuges sowie des Fahrers war beabsichtigt und technisch auch möglich. Auf den gefertigten Bildern sind das Kennzeichen des Fahrzeuges sowie der Fahrzeugführer deutlich zu erkennen. Das Amtsgericht hat im angegriffenen Urteil ebenfalls festgestellt, dass ausreichende Konturen auf den Bildern vorhanden sind, und den Beschwerdeführer als die abgebildete Person identifiziert. Dass die Erhebung derartiger Daten einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt, entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 1 BvR 2492/08 -, Umdruck, S. 26;
BVerfGE 120, 378 <397 ff.>
; BVerfGK 10, 330 <336 f.>).
Der Eingriff in das Grundrecht entfällt nicht dadurch, dass lediglich Verhaltensweisen im öffentlichen Raum erhoben wurden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet nicht allein den Schutz der Privat- und Intimsphäre, sondern trägt in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch den informationellen Schutzinteressen des Einzelnen, der sich in die Öffentlichkeit begibt, Rechnung (vgl.
BVerfGE 65, 1 <45>;
120, 378 <398 f.>
; BVerfGK 10, 330 <336>). Es liegt auch kein Fall vor, in dem Daten ungezielt und allein technikbedingt zunächst miterfasst, dann aber ohne weiteren Erkenntnisgewinn, anonym und spurenlos wieder gelöscht werden, so dass aus diesem Grund die Eingriffsqualität verneint werden könnte (vgl. dazu
BVerfGE 115, 320 <343>;
120, 378 <399>
). Die vom Beschwerdeführer angefertigten Videoaufnahmen wurden gerade in einem Bußgeldverfahren als Beweismittel genutzt. Inwiefern zwischen Übersichtsaufnahmen des auflaufenden Verkehrs und Aufnahmen der Fahrzeugführer sowie der Kennzeichen zu differenzieren ist, kann offen gelassen werden.
Was nun? Müssen nun bis zu einer gesetzlichen Regelung alle OWi-Verfahren eingestellt werden, die nur deshalb verfolgt werden können, weil ein Messfoto oder ein Messvideo existiert?
Hinweis (21.8.09): Ich habe die Überschrift bearbeitet! Grund: s.u. Nr. 18.
Nicht zu vergessen: Supervielendank an den Blogleser Tilman für den Hinweis!!!