Maßnahmen der Staatsanwaltschaft Dresden gegen den Aufruf "Dresden nazifrei" (mit update 26.01.)
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Nachdem in der vergangenen Woche schon Plakate und Flugblätter beschlagnahmt wurden (Bericht LVZ-Online), hat die Staatsanwaltschaft Dresden mit Datum vom 21. Januar 2010 das LKA Sachsen angewiesen, den Service-und Host-Provider der Internetseite "dresden-nazifrei.de" unter Hinweis auf die Strafbarkeit nach §§ 111, 27 StGB (Beihilfe zur Öffentlichen Aufforderung zu Straftaten) aufzufordern, die Seite vom Netz zu nehmen.
Die Inhalte der Seite wurden daraufhin entfernt, die ursprüngliche Seite ist aber schon auf diversen anderen ausländischen Servern gespiegelt worden. Die Seiten netzpolitik.org und internet-law dokumentieren den Fall und berichten.
Für die staatsanwaltliche Anweisung, die Seite vom Netz zu nehmen, sehe auch ich keine Rechtsgrundlage. Die Staatsanwaltschaft ist befugt, Straftaten aufzuklären, hier liegt aber allenfalls eine Maßnahme der Gefahrenabwehr vor. Das LKA weist aber deutlich auf eine "Verfügung" der Staatsamwaltschaft hin.
Ob überhaupt eine Aufforderung zu Straftaten gegeben ist, erscheint zudem fraglich. Aufgefordert werden sollte nach Ansicht der Staatsanwaltschaft wohl zu einer Straftat nach § 21 VersG:
"Wer in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."
Soweit mir bekannt ist, wurde auf der Web-Seite zwar dazu aufgerufen, den Aufmarsch Rechtsextremer am 13. Februar in Dresden (hier sollen einige tausend Rechtsextreme und Neonazis aus Europa zusammenkommen) zu blockieren, aber keine Gewalt gegen diese Demonstration angedroht . Angesichts der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 GG und der Entscheidung des BVerfG zu Sitzblockaden ist fraglich, ob eine strafbare Verursachung einer groben Störung überhaupt darin liegt, dass derartige Demonstrationen mit Sitzblockaden behindert werden. (update: siehe aber noch in den Kommentaren den Hinweis von Frau Dr. Ertan in #3 und meine Antwort in #7: Der Aufruf sprach von verhindern).
Inhaltlich wird man wohl auch beachten müssen, vor welchem geschichtlichen Hintergrund das Grundgesetz entstanden ist.
Wäre die Staatsanwaltschaft tatsächlich überzeugt, es handele sich um eine Aufforderung zu Straftaten, müsste sie wohl gegen alle Unterzeichner ermitteln. Eventuell daraus folgende Gerichtsverfahren dürften eine noch größere Resonanz im In- und Ausland finden als die Prozesse um die Sitzblockaden von Mutlangen im Zuge der Friedensbewegung der 80er Jahre. Auf der Unterzeichnerliste finden sich - neben Bundestags- und Landtagsabgeordneten v.a. der Linken und der Grünen auch SPD-Politker, Gewerkschafter und einige prominente Namen. Ich kann mir allerdings kaum vorstellen, dass ein Gericht solche Hauptverfahren (massenhaft) eröffnen wird.
Es gehört aber wenig Phantasie dazu zu prognostizieren, dass die derzeitigen Maßnahmen von Polizei und Dresdner Staatsanwaltschaft keineswegs den von diesen Behörden intendierten Effekt (Eskalationen zu verhindern) haben werden, sondern eher dazu führen werden, dass das Anliegen der Gegendemonstration mehr Aufmerksamkeit bekommt und dass sich sehr viel mehr Menschen mit den Zielen der Gegendemonstration identifizieren.
Update (26.01.2010):
In diesem Videobericht des "Dresden Fernsehen" erklärt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Dresden, dass es sich bei dem Vorgehen gegen die Internetseite um "eine Bitte" der Staatsanwaltschaft gehandelt habe. Es gehe "um die Vermeidung künftiger Straftaten", gegen die Betreiber sei "derzeit kein Ermittlungsverfahren" anhängig. Was das LKA gemacht habe, sei "keine Angelegenheit der Strafverfolgung, sondern Gefahrenabwehr in eigener Zuständigkeit des LKA". Damit wird der Ball an das LKA gespielt. Dieses wird sich aber voraussichtlich darauf berufen, es existiere eine schriftliche "Anordnung" der StA an das LKA, den Provider darauf hinzuweisen, dass die Seite strafbare Inhalte aufweise verbunden mit der Aufforderung, sie zu sperren oder die Inhalte zu entfernen. Auf diese Anordnung bezieht sich auch das entspr. Schreiben des LKA an den Provider, das auf eine "Verfügung" der Staatsanwaltschaft hinweist.