Muslimische Religiosität und Gewalt - Ergebnisse einer KFN-Studie
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Heute berichten Medien (Bericht der Süddeutschen) über Ergebnisse der schon 2009 teilweise veröffentlichten KFN-Schülerbefragung zu Jugendgewalt (hier mein Kommentar zur ersten Veröffentlichung). Dieser Studienteil ist bisher nicht veröffentlicht, weder auf der Website des KFN noch auf der Seite des Bundesinnenministeriums (Stand 5.6.2010, 23.00 Uhr), so dass ich mich nur auf Grundlage der Medienberichte äußern kann. Nebenbei gesagt halte ich es für schlechten Stil mit Daten an die Presse zu gehen, ohne sie zumindest gleichzeitig der wissenschaftlichen Debatte zu öffnen. Sicherlich wird auch dieser Teil der Studie bald zur Verfügung gestellt werden, dann aber ist die Mediendiskussion voraussichtlich bereits beendet. Sobald Einzelheiten der Studie veröffentlicht sind, werde ich das Thema jedoch noch einmal aufgreifen.
Auf Spiegel-Online heißt es unter der plakativen Überschrift: "Jung, muslimisch, brutal":
"Eine neue Studie hat eine besorgniserregende Entwicklung unter jungen Muslimen festgestellt: Demnach wächst ihre Gewalttätigkeit mit zunehmender Bindung an den Islam. Zudem nehme mit der Religiosität auch die Akzeptanz von Machokulturen und die Nutzung gewalthaltiger Medien zu.(...) Verantwortlich für die beschriebenen Phänomene sei nicht der Islam selbst, meinte Pfeiffer: "Das ist kein Problem des Islam, sondern der Vermittlung des Islam." Die muslimische Religiosität fördere eine "Akzeptanz der Machokultur".(...) Das KFN befragte 2007/2008 bundesweit in 61 Städten und Landkreisen rund 45.000 Schülerinnen und Schüler der neunten Klasse. Ein Schwerpunkt war die Frage, wie sich die Zugehörigkeit zu einer Religion und die persönliche Religiosität auf die Einstellungen und Verhaltensweisen von 14- bis 16-Jährigen und insbesondere auf die Integration junger Migranten auswirken. Das Ergebnis: Während junge Christen mit steigender Religiosität weniger Gewalttaten begehen, ist bei jungen, männlichen Muslimen das Gegenteil der Fall. Die Gruppe junger Migranten ohne Konfession sei am besten in die deutsche Gesellschaft integriert."
(Quelle: Spiegel Online). Leider ergibt sich aus den Presseberichten nicht, wie das Merkmal Religiosität in der Studie operationalisiert wurde, wahrscheinlich beruht es - wie die anderen gemessenen Merkmale - auf Selbsteinstufungen der Schüler, so dass ein umgekehrter Zusammenhang nicht ganz ausgeschlossen ist (= Angabe besonderer Frömmigkeit als Quasi-Legitimation für Gewalttätigkeit).
Die gemessene Korrelation zwischen Religiösität (aber nur, wenn sie nicht nur eine "angegebene" ist) und Gewalttätigkeit ist im Übrigen von hohem Interesse, zumal, wenn andere gemessene Faktoren (türkischer Migrationshintergrund, Familiengewalt, Schulbildung) kontrolliert (also herausgerechnet) wurden. Die Ausführungen des im Artikel zitierten Religionswissenschaftlers Raulf Ceylan (hier ein Interview mit ihm) könnte einen Zusammenhang zwischen den in Deutschland konkret vermittelten muslimischen Lehren, die einer Integration entgegenstehen, und einer Gewalttendenz männlicher Muslime erklären, ohne dass der Islam selbst als gewaltursächlich zu bezeichnen wäre.