Freispruch für Kachelmann - Lehren aus dem Prozess?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Der - nach dem Verlauf der Beweisaufnahme zu erwartende (siehe hier) - Freispruch für Herrn Kachelmann (Pressemitteilung) stellt weder aus materiell-strafrechtlicher noch aus prozessrechtlicher Sicht eine Besonderheit dar. Sind denn überhaupt Lehren aus diesem doch bemerkenswerten Verfahren zu ziehen? Dies hängt natürlich davon ab, wie man das prozessuale Verhalten von Staatsanwaltschaft, Gericht, Verteidigung und Öffentlichkeit bewertet. Vom Ergebnis her betrachtet gleicht der Freispruch viele vorherige kritikwürdige Merkwürdigkeiten dadurch aus, dass am Ende das bei einem non liquet rechtsstaatlich gebotene Urteil gefällt wurde. Das Gericht hat sich als unabhängig (auch von der eigenen vorherigen Haftentscheidung unabhängig) erwiesen und ist damit seiner Aufgabe am Ende gerecht geworden. Insofern kann auch die außerordentliche Gründlichkeit, mit der dem Vorbringen der Anzeigeerstatterin nachgegangen wurde (43 Sitzungstage!), nicht im Grundsatz kritisiert werden. Gerade weil dem Vorwurf so gründlich nachgegangen wurde, hat der Freispruch ein hohes Konsenspotential auch bei denen, die nicht von vornherein auf Kachelmanns Seite standen. Der Grundsatz, dass einem Angeklagten die Tat nachzuweisen ist, wegen der er bestraft werden soll, ist im allgemeinen Rechtsgefühl stark verankert, und er wird durch das Urteil bestätigt.
Ein paar kritische Anmerkungen seien dennoch gestattet:
- Die Untersuchungshaft hätte schon früher beendet werden können, denn selbst wenn (überhaupt) der Tatverdacht zunächst "dringend" erschien, hatte er sich beim längeren Ausbleiben eindeutiger Spuren und bei einer des teilweisen Lügens überführten Anzeigeerstatterin schon weit vor Anklageerhebung zu einem einfachen Tatverdacht gemindert.
- Die exzessive Erörterung des persönlichen Hintergrunds und Lebensstils des Angeklagten durch Ladung und Vernehmung etlicher früherer Freundinnen war für die Aufklärung des Geschehens wenig bedeutsam und die prominente Platzierung zu Beginn der Hauptverhandlung erscheint wenig angemessen.
- Der regelmäßige Ausschluss der Öffentlichkeit hat zwar bewirkt, dass die Aussagen zu Intimitäten nicht auch noch täglich im Boulevard verhandelt wurden, hat jedoch auch zu einem vermeidbaren Misstrauen der Öffentlichkeit geführt. Meines Erachtens hätte man stärker differenzieren können und nicht jeweils für die gesamte Zeugenaussage die Öffentlichkeit ausschließen sollen. Aber ich räume ein, dass dies weitgehend eine Ermessensfrage ist, die man in der Hauptverhandlung besser beantworten kann.
- Dass der Ausschluss der Öffentlichkeit als Nebeneffekt den Marktwert der z.T. an die Presse verkauften Aussagen erhöht hat, bringt einen besonders schlechten Geschmack mit sich. Die Kritik des Gerichts an diesen Exklusivinterviews ist berechtigt. Der Presserat sollte hier seinen Verhaltenskodex anpassen.
- Die Informationspolitik von Staatsanwaltschaften im Ermittlungsverfahren ist ein Dauerbrenner meiner Kritik (siehe hier). Selbst wer sich einem völligen Verbot nicht anschließen mag, der wird vielleicht zustimmen, dass eine öffentliche "Verteidigung" der eigenen Ermittlungen und Anklageerhebungen durch die Staatsanwaltschaft - etwa, wem man warum glaubt -, nicht zur Öffentlichkeitsarbeit einer Justizbehörde gehören sollte.
- Dass die Staatsanwaltschaft darüber hinaus einen wenig angemessenen Verfolgungseifer an den Tag legte, wird durch das Plädoyer belegt, in dem dann noch entlastende Umstände verschwiegen wurden ("Genau")
- Die konfrontative Art der Verteidigung wurde ebenfalls von verschiedener Seite und auch in der mündlichen Urteilsbegründung kritisiert. Man könnte einerseits sagen: Das Ergebnis gibt der Verteidigung Recht. Viele meiner juristischen Gesprächspartner meinen allerdings, dasselbe Ergebnis sei wohl auch ohne die gelegentlichen Respektlosigkeiten und wohl auch mit dem früheren Verteidiger erreicht worden. Dies ist eine Frage, die sich auch Bundesligavereine anhören müssen, die in den letzten Saisonwochen den Trainer auswechseln. Man kann sie kaum seriös beantworten.
- In der Urteilsbegründung werden die Medien, insbesondere wird auch die Internetöffentlichkeit stark kritisiert:
Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Aber auch sie kennt Grenzen. Diese Grenzen existieren offensichtlich im Internet nicht.
Vorwiegend hinter der Fassade der Anonymität wurden im Verlauf des Verfahrens in den Meinungsforen, Blogs und Kommentaren im Internet die Persönlichkeitsrechte des Angeklagten, der Nebenklägerin, aber auch des Gerichts und der Verfahrensbeteiligten immer wieder mit Füßen getreten, ohne dass die Möglichkeit bestanden hätte, sich dagegen in irgendeiner Weise effektiv zur Wehr zu setzen.Auch angeblich Sachkundige konnten nicht der Versuchung wiederstehen, ohne Aktenkenntnis und ohne an der Hauptverhandlung teilgenommen zu haben, häufig aber auf der Grundlage unvollständiger und fehlerhafter Medienberichte per Ferndiagnose ihre persönliche Meinung zum Besten zu geben, die in der Regel nichts mit sachlicher Kritik zu tun hatte, sondern häufig nur Klischees bediente.(Quelle)
Ich hoffe, dass die hier eingestellten Beiträge (hier, hier., hier und hier, zuletzt hier) diese Kritik nicht verdienen, obwohl auch meine Bemerkungen, zugegeben, nicht auf eigener unmittelbarer Wahrnehmung beruhten. Aber die eigene persönliche Meinung zum Besten zu geben, davon lebt auch ein Law-Blog.
Eine härtere Kritik erfährt die Prozessführung und v.a. die Staatsanwaltschaft von Udo Vetter (hier); aber am nachdenklichsten macht vielleicht die dortige Überschrift: "Der Zweifelsgrundsatz ist käuflich"
Update: Weitere Kritikpunkte habe ich unten bei #8 angeführt.