Verhältnis zwischen 32jährigem Lehrer und 14jähriger Schülerin - OLG Koblenz spricht den Lehrer frei
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Nicht nur in Rheinland-Pfalz hat ein freisprechendes Revisionsurteil des OLG Koblenz Aufsehen erregt. Ausführlich berichtet die Rheinzeitung - hier.
Zitat:
22-mal war es zu sexuellen Handlungen zwischen Lena W., der damals 14 Jahre alten Schülerin, und Dirk S., dem Klassenlehrer ihrer Parallelklasse, gekommen. Erst nach langem Leugnen hatte Dirk S., Lehrer für katholische Religion, Mathematik und Englisch, die Taten eingeräumt. Das Neuwieder Amtsgericht hatte ihn im Januar vergangenen Jahres zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt.
Was für die Rheinzeitung, die Eltern der Schülerin und die Schulleitung eindeutig Straftat ist, ist dies für das OLG nicht. Da in Deutschland eine (begrenzte) Sexualreife schon für Jugendliche ab 14 Jahre gilt, kommt es im Fall einvernehmlichen Sexualverkehrs allein auf das Merkmal "zur Erziehung, zur Ausbildung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut" des § 174 StGB (Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen) an.
Die Rechtsprechung des BGH hat hier seit den frühen 60er Jahren (BGH 2 StR 357/63, BGHSt 19, 163 = NJW 1964, 411) eine differenzierende Sicht eingenommen. Ob ein Schüler dem Lehrer anvertraut sei, also ein Obhutsverhältnis nach § 174 Nr.1 StGB bestehe, und welchen Umfang dieses habe, hänge von den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall ab. In dem damaligen Fall ging es um eine Berufsschülerin und einen Lehrer derselben Schule, der aber nicht mehr in ihrer Klasse unterrichtete. In nachfolgenden Entscheidungen (insbes. BGH NStZ 2003, 661 und BGH NStZ-RR 2008, 307) ging es hingegen um Tennis- bzw. Fußballtrainer. Ein Obhutsverhältnis wurde jeweils verneint.
Das OLG Koblenz hat nun ebenfalls ein Obhutsverhältnis verneint. Der Lehrer habe nur wenige Male in der Klasse vertreten, ihm sei daher die Schülerin nicht anvertraut gewesen, als er mit ihr sexuell verkehrte.
Anders könnte man es sehen, wenn man der Argumentation des Schulleiters folgt, nach dem in kleineren Schulen (die betr. Schule hat 500 Schüler) für jeden Lehrer eine Aufsichts- und Obhutspflicht gegenüber jedem Schüler besteht. Diese Argumentation findet auch durchaus eine Grundlage in der schon oben zitierten BGH-Entscheidung von 1963 (BGHSt 19, 163, 166):
"In einer kleinen Schule, wo sich alle Lehrer und Schüler gegenseitig kennen und im täglichen Umgang der Über- und Unterordnung bewusst werden, mögen schon angesichts dieser Gestaltung alle Schüler allen Lehrern zur Erziehung und Aufsicht anvertraut sein (...) In einer großstädtischen Berufsschule kann es anders sein (...) ist die Zahl der Schüler nicht selten so hoch (...) dass sich Lehrer und Schüler völlig fremd bleiben. Deshalb kann unter solchen Bedingungen ein Obhutsverhältnis zwischen Lehrern und Schülern durch die Tatsache ihrer bloßen Zugehörigkeit zu derselben Schule nicht begründet werden."
Zwar bleibt fraglich, ob eine Schule mit 500 Schülern noch "klein" genug ist für eine generelle Obhutsbeziehung zwischen Lehrern und Schülern, jedoch herrschten an der betreffenden Schule ersichtlich nicht die Verhältnisse, die nach der älteren BGH-Entscheidung zum Ausschluss eines Obhutsverhältnisses führen würden.
In der Diskussion klingt natürlich auch eine generelle Sorge insbesondere von Eltern an, ob nicht die Altersgrenze 14 Jahre zu niedrig angesetzt ist, und ob nicht generell eine sexuelle Beziehung zwischen Erwachsenen und Jugendlichen strafrechtlich erfasst werden sollte.
Was meinen die Blog-Leser dazu?
Update (1817.09.2014): Im heute veröffentlichten Gesetzentwurf ist § 174 Abs. 2 StGB nun so formuliert, dass jeder Lehrer an einer Einrichtung sich bei einem sexuellen Verhältnis zu einem minderjährigen Schüler dieser Einrichtung strafbar machen würde.