Teilweise verfassungswidrig: Auskunftspflichten über Zugangsdaten/dyn. IP-Adressen; verfassungsgemäß: Bestandsdatenpeicherung auf Vorrat
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
In einem heute ergangenen Beschluss über Verfassungsbeschwerden hat das BVerfG § 113 TKG für teilweise verfassungswidrig erklärt (1 BvR 1299/05 Volltext; dazu Pressemitteilung)
Die Entscheidung gibt auch wichtige Hinweise darauf, wie das BVerfG sich zur Vorratsdatenspeicherung stellt.
Ein erster Eindruck:
§ 113 Abs. 1 S. 2 TKG ist nach dieser Entscheidung verfassungswidrig. Darin geht es um die Pflicht der Telekommunikationsdienstbetreiber, Auskunft zu geben über Daten, die den Zugriff auf Endgeräte oder Speichereinrichtungen ermöglichen. In der für verfassungswidrig erklärten Norm sind die Betreiber im manuellen Auskunftsverfahren bisher verpflichtet, diese Zugriffsdaten herauszugeben (insb. PIN und PUK), wenn Strafverfolgungsbehörden, Verfassungsschutz oder Geheimdienste (BND, MAD) dies verlangen.
Diese Regelung ist verfassungswidrig, denn es sei „kein Grund ersichtlich, warum die Behörden die in § 113 Abs. 1 S. 2 TKG geregelten Zugangscodes unabhängig von den Anforderungen an deren Nutzung und damit ggf. unter leichteren Voraussetzungen abfragen können sollen“. Die Norm soll bis Mitte 2013 übergangsweise eingeschränkt weitergelten, ab dann ist eine speziellere Regelung notwendig.
§ 113 Abs. 1 S.1 TKG wird verfassungskonform reduziert, so dass diese Norm nicht (mehr) als Rechtsgrundlage für die Auskunft für dynamische IP-Adressvergabe herangezogen werden dürfe. Da die dynamische IP-Zuweisung eine "besondere Nähe zu konkreten Telekommunikationsvorgängen" aufweise, liege hier ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG vor, der einer besonderen Rechtsgrundlage bedürfe. Bis zu entsprechenden Neuregelungen wird auch hier eine Übergangsfrist bis Mitte 2013 eingeräumt.
Keinen Erfolg hatten die Verfassungsbeschwerden gegen §§ 111, 112 TKG.
In der Begründung wird zunächst dargelegt, dass die angegriffenen Normen (bis auf die Frage der dynamischen IP-Adressen) nicht am Maßstab des Art. 10 GG (Fernmeldegeheimnis) zu messen seien, sondern am "Recht auf informationelle Selbstbestimmung".
Der Eingriff sei im Falle des § 111 TKG (Speicherung der Kundenbestandsdaten als Datenbasis für Auskunftsersuchen) verfassungsgemäß; zwar liege eine Streubreite der Datensammlung vor, jedoch seien diese Daten von "nicht sehr weit reichendem Informationsgehalt", so dass diese Datenspeicherung auf Vorrat noch verhältnismäßig sei; dies gilt insb. auch für Prepaid-Handykarten. Ein anonymer Erwerb wird weiterhin in Deutschland nicht möglich sein.
Auch § 112 TKG (automatisiertes Auskunftsverfahren) sei verfassungsgemäß. Diese Norm sei "nicht als Vollregelung zu verstehen", vielmehr bedürften die Behörden, die Auskunftsersuchen stellen, über eigene Rechtsgrundlagen für die Auskunft. Als zentral für die Annahme, dass § 112 TKG verhältnismäßig sei, wird die "begrenzte Aussagekraft der Daten" angesehen. Dies werde aber möglicherweise anders zu beurteilen sein, wenn künftig statische IP-Adressen vergeben würden und diese dann ebenfalls in die Speicherung bzw. in die Auskunftsverpflichtung fallen: Die IP ermögliche wesentlich weitreichendere Informationen; daher sei deren Identifizierung verfassungsrechtlich nur unter engeren Grenzen zulässig.
Herauszuheben ist die kritische Haltung des BVerfG zum Auskunftsersuchen hinsichtlich der IP-Adressen. Die IP-Adresse sei nicht als bloße "Telefonnummer im Internet" zu behandeln, sondern als Datum, das unter das Fernmeldegeheimnis fällt, weil dadurch eine "weitreichende Möglichkeit zur Deanonymisierung der Kommunikation im Internet" gegeben sei.
Update:
Der Beschluss wird im Netz unterschiedlich kommentiert, teilweise als enttäuschend, teilweise als willkommener Schritt des BVerfG gegen staatliche Überwachungstendenzen, vgl.