BVerfG: Auch über jugendliche Straftäter darf berichtet werden
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Das Thema, was die Presse über Vergewaltigungsprozesse berichten darf , habe ich erst vor kurzem hier im Blog aufgegriffen. Nunmehr liegt die Entscheidung des BVerfG vom 25. Januar 2012 (Az 1 BvR 2499/09, 1 BvR 2503/09) vor, mit der die bislang von den Fachgerichten angenommene „Regelvermutung“ des grundsätzlichen Vorrangs des Persönlichkeitsrechts von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen gegenüber der Meinungsfreiheit aus verfassungsrechtlicher Sicht als zu eng und undifferenziert bezeichnet wird. Erforderlich sei eine einzelfallbezogene Abwägung.
Es geht um die seinerzeit 16 und 18 Jahre alten Söhne des Schauspielers Uwe Ochsenknecht. Sie waren in der Nacht auf den 1. Mai 2008, der sog. Freinacht, in München dabei beobachtet worden, wie sie zusammen mit einer Gruppe von Freunden Fahrräder traktierten, Blumen aus einem Blumenbeet herausrissen sowie die Telefonhörer in einer Telefonzelle abrissen. Die Polizei nahm auf der Polizeiwache ihre Personalien auf; danach wurden die beiden entlassen. Ein Ermittlungsverfahren wurde gegen keinen der beiden eingeleitet. Eine Tageszeitung verbreitete auf ihrer Internetseite über diesen Vorfall einen Beitrag unter der Überschrift "Polizei schnappt Ochsenknecht-Söhne“, in dem darüber berichtet wird, dass "die beiden Nachwuchsschauspieler und -sänger nach wüster Randale in der Münchner Innenstadt von der Polizei verhört" worden seien.
Die Unterlassungsklagen hatten in beiden Instanzen zunächst Erfolg. Das BVerfG hat jedoch die angegriffenen Entscheidungen aufgehoben, weil die Berichterstattung vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gedeckt sei.
Zwar seien junge Menschen besonders schutzbedürftig, da sie sich "zu eigenverantwortlichen Personen erst entwickeln müssen". Das bedeute aber nicht, dass jedes Informationsinteresse zurückstehen müsse. Die Presse könne zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berichterstattung verwiesen werden. Zudem berühre der Bericht nur die Sozialsphäre der Kläger, die überdies ihre Person selbst in die Öffentlichkeit gestellt haben, wobei sie ein Image als „Junge Wilde“ pflegten und ihre Idolfunktion kommerziell ausnutzen.
Für die Berichterstattung über Strafverfahren ist anerkannt, dass im Hinblick auf die Unschuldsvermutung die Namensnennung oder sonstige Identifikation des Täters nicht immer zulässig sind. Insbesondere bei schwerwiegenden Straftaten kann die Gefahr einer Stigmatisierung des noch nicht rechtskräftig Verurteilten erhöht sein. Davon unterscheide sich jedoch die vorliegende Berichterstattung über das unstreitige Verhalten einer Gruppe junger Leute auf offener Straße, das allenfalls von geringfügiger strafrechtlicher Relevanz sei.