Massengentest-DNA wird zur Überführung von Verwandten ausgewertet - BGH muss über Verwertungsverbot entscheiden
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Die Süddeutsche Zeitung berichtete dieser Tage vorab über einen Termin des dritten Senats des BGH (3 StR 117/12), der gestern stattfand. Dank an einen regelmäßigen Leser und Kommentator für den Hinweis.
Anlass der Revision ist die Verurteilung eines 16jährigen wegen Vergewaltigung.
„Nachdem sich im Ermittlungsverfahren zunächst zwar keine Hinweise auf den Täter, indessen aber auf einen Bezug der Tat zu einer bestimmten Ortschaft ergeben hatten, erwirkte die Staatsanwaltschaft nach § 81h StPO die gerichtliche Anordnung einer molekulargenetischen Reihenuntersuchung sämtlicher zwischen dem 1. Januar 1970 und dem 31. Dezember 1992 geborener und in dieser Ortschaft gemeldeter Männer. Bei der Auswertung des so erlangten Materials ergab sich bei zwei Proben eine hohe Übereinstimmung mit den Tatspuren, die auf eine Verwandtschaft mit dem Täter schließen ließen. Nach der Entanonymisierung der Proben und einem Melderegisterabgleich erwirkte die Staatsanwaltschaft einen Beschluss zur Entnahme von Körperzellen bei dem Angeklagten und deren Untersuchung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters, die zu seiner Ermittlung als mutmaßlichem Täter führten.“ (Quelle: Pressemitteilung des BGH )
Der erst 1993 geborene Angeklagte wurde zu einer Jugendstrafe von 5 Jahren verurteilt und rügt nun in der Revision, die Ermittlung seiner DNA sei verfahrensfehlerhaft erfolgt. Dieses Beweismittel hätte nicht verwertet werden dürfen.
„Unter anderem macht er geltend, die bei der molekulargenetischen Reihenuntersuchung nach § 81h StPO festgestellten DNA-Identifizierungsmuster hätten nicht auf verwandtschaftliche Ähnlichkeiten abgeglichen werden dürfen.“
Der dritte Senat hat wegen schwieriger Rechtsfragen seine Entscheidung erst für den 20.12. angekündigt. Dies lässt eine Grundsatzentscheidung zu § 81 h StPO erwarten.
Was sind die Hintergründe? Nach dem Wortlaut des § 81 h StPO kann die DNA-Reihenuntersuchung mit „schriftlicher Einwilligung“ der Personen durchgeführt werden, „soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob das Spurenmaterial von DIESEN PERSONEN stammt“.
Ein Abgleich dahingehend, ob das Spurenmaterial von Personen stammt, die mit diesen Freiwilligen verwandt sind, ist danach nicht erlaubt. Dies ist auch keine zufällige Rechtsgestaltung und auch keine planwidrige Lücke. Der weitere Wortlaut des § 81 h StPO macht deutlich, dass der Gesetzgeber die Ermittlungsmöglichkeiten ganz bewusst beschränkt hat, wahrscheinlich, um die Akzeptanz der freiwilligen Reihenuntersuchung hoch zu halten. Zudem: Soweit es um die Belastung Verwandter gehen kann, steht Nichtbeschuldigten nach § 81 c Abs. 3 StPO generell ein Untersuchungsverweigerungsrecht im Umfang wie § 52 StPO zu. Die freiwillige Beteiligung an der Reihenuntersuchung geschah ohne Belehrung darüber, dass ggf. auch die Täterschaft bzw. der dringende Tatverdacht bezüglich eines Verwandten (der nicht freiwillig teilnimmt) Ergebnis der Reihenuntersuchung sein könne. Die beiden freiwilligen Teilnehmer haben im sicheren Wissen teilgenommen, dass sie als Nichttäter nichts zu befürchten hätten. Dass sie mit ihrer Teilnahme möglicherweise einen jüngeren Verwandten „reinreißen“, war nicht Gegenstand ihrer Überlegungen bei der schriftlichen Einwilligung zur Teilnahme.
Meines Erachtens ist daher eine Erforschung über die bloße Identität mit den Täterspuren bzw. den Ausschluss hinaus eindeutig rechtswidrig. Dieses Beweismittel ist nicht verwertbar.
Hier beginnt aber erst die Problematik im konkreten Fall (der ohne Aktenkenntnis jedoch nicht abschließend zu beurteilen ist). Der entscheidende Beweis in der Hauptverahndlung wurde wohl durch eine DNA-Probe beim Beschuldigten (§§ 81 a, 81 e StPO) und/oder durch weitere Beweismittel geführt, die man ermittelte, nachdem der Angeklagte erst einmal in Tatverdacht geraten war. Die Präsentation des Ergebnisses der Reihenuntersuchung war zum Nachweis nicht mehr erforderlich, weshalb auch dessen Verwertbarkeit allein kaum von Bedeutung ist. Deshalb geht es hier um die Frage der mittelbaren Beweisführung. Ohne die erste Spur zum Angeklagten wäre ein Nachweis (möglicherweise) ganz unterblieben.
Der BGH war allerdings hinsichtlich der so genannten Fernwirkungen von Beweisverboten bislang eher zurückhaltend. Man befürchtet v.a. Beweisverlust bei schwerwiegender Kriminalität.
Hier jedoch spricht zunächst die Schutzrichtung der Normen (des § 81 h StPO und des § 52 StPO) für eine solche Fernwirkung. Würde man die Verwendung des Ergebnisses einer DNA-Probe hinsichtlich Verwandter und darauf beruhende mittelbare Nachweise der Täterschaft im Verfahren zulassen, wäre sowohl die Freiwilligkeit als auch das Untersuchungsverweigerungsrecht in seinem Kern ausgehöhlt. Ob sich dann noch Freiwillige fänden, wenn die DNA-Probe potentiell zu Lasten ihrer gesamten Verwandtschaft ausgewertet werden dürfte (bzw. ein Verstoß keine relevanten Konsequenzen hätte)?
Ich bin gespannt, wie der dritte Senat entscheidet.