Zur Reform der Sicherungsverwahrung
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Der Bundestag hat in Reaktion auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vorgestern eine Reform der Sicherungsverwahrung beschlossen. Einige Länder haben bereits Bedenken bzw. Widerstand angekündigt, da sie "Schutzlücken" befürchten (welt): Da keine nachträgliche Verwahrung / Unterbringung mehr vorgesehen ist, könnten gefährliche Straftäter nach Verbüßung der Strafe entlassen werden. Jedoch ist gerade die nachträgliche Verwahrung die menschenrechtlich und verfasungsrechtlich problematischste Variante. Interessant, dass gerade ein Praktiker wie Skirl, der Leiter der JVA Werl, den Gesetzentwurf unterstützt:
Wenig hält der Gefängnisleiter auch vom SPD-Vorschlag einer nachträglichen Therapieunterbringung. Dies zwinge die Vollzugsanstalten, wie bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung gegen ihre Gefangenen, die sie eigentlich resozialisieren sollten, Informationen zu sammeln. Michael Skirl verweist gern darauf, dass vor der Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung das Land nicht im Chaos versunken sei. "Ein gewisses Risiko muss ein freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat aushalten." (Quelle: Welt)
Gefährliche Straftäter auch nach ihrer Strafhaft in Unterbringung zu behalten und die Bevölkerung so vor ihnen zu schützen, ist das Kernanliegen einer Gesetzgebung, die im bisherigen Zustand als menschenrechtswidrig und verfassungswidrig erkannt wurde. Daher jetzt diese Neuregelung, die das "Abstandsgebot" (zwischen Strafe und Therapieunterbringung) und die Resozialisierung auch für solche Straftäter realisieren soll, die als (potentiell) gefährlich gelten. Das Bundesjustizministerium hat sich hier Mühe gegeben, die Vorgaben des BVerfG zu erfüllen und trotzdem dem politisch formulierten Bedürfnis nach Schutz der Bevölkerung nachzukommen.
Die Achillesferse dieser Regelung aber bleibt die Prognostik. Wäre es möglich, tatsächlich "gefährliche Straftäter" eindeutig zu identifizieren, wäre auch die Differenz zwischen Strafe und anschließender Verwahrung weniger problematisch.
Johannes Feest bringt es auf den Punkt:
"Der Wunsch, möglichst alle schweren Straftaten zu verhindern, ist verständlich. Der Gesetzgeber erkauft sich die Erfüllung dieses Wunsches durch Prognosen über Straftaten, die noch gar nicht begangen wurden. Nach allen vorliegenden Untersuchungen müssten wir aber um eine einzige schwere Straftat zu verhindern etwa zwanzig Gefangene mit schlechten Prognosen nach dem Ende ihrer regulären Haftzeit hinter Schloss und Riegel halten. Das ist eine nur schwer zu rechtfertigende Quote." (Quelle: LTO)
In den Augen der Mehrheit ergibt sich diese Rechtfertigung wohl aus der zuvor begangenen schweren Straftat: Wer eine solche Straftat begeht, trage praktisch zugleich das Risiko, die eigene Ungefährlichkeit nicht nachweisen zu können und auch nach Verbüßung seiner Strafe als „gefährlich“ prognostiziert zu werden, selbst wenn er gar nicht (mehr) gefährlich ist.
Eine zweite Problematik ist das "Abstandsgebot", mit dem der Argumentation des EGMR begegnet werden soll, die Verwahrung / Unterbringung sei in Wahrheit nur Fortsetzung einer Strafe, deren Form und Dauer aber im Strafurteil keine Grundlage habe. Bestimmungen, die nun diesen Abstand herstellen sollen, sind allerdings solche, die Forderungen entsprechen, die schon seit 1977 für den resozialisierenden Strafvollzug allgemein gelten sollten, aber bislang dort - aus Kostengründen - kaum umgesetzt wurden, nämlich spezielle Behandlungsangebote an alle Strafgefangene. Für den "Abstand" müsste also praktisch geradezu verhindert werden, dass der gesamte Strafvollzug entsprechend praktisch reformiert wird. Noch einmal Feest dazu:
"Die Beispiele, die das BVerfG für die spezifische Behandlung von Sicherungsverwahrten aufgezählt hat, schreibt das Strafvollzugsgesetz fast durchwegs für Strafgefangene vor. In der Praxis sind sie allerdings häufig nicht verwirklicht. Mögliche darüber hinausgehende Angebote wie der Zugang zum Internet, eine bessere Bezahlung der Gefangenenarbeit oder garantierte Behandlungsangebote werden sich über kurz oder lang auch im Strafvollzug durchsetzen. Und dort, wo ein Abstand ohne einleuchtende Begründung hergestellt und aufrechterhalten wird, besteht die Gefahr, dass es zu Massenprotesten der Strafgefangenen gegen ihre Benachteiligung kommt (Quelle: LTO)
Hinzu kommt natürlich das allgemeine Problem einer Therapie für die Freiheit in Unfreiheit. Zugleich jemanden einzusperren (und zwar aus Sicherheitsgründen weitgehend ohne Vollzugslockerungen) und für ein Leben in Freiheit zu therapieren, ist milde ausgedrückt "schwierig".
Wahrscheinlich ist das nun verabschiedete Gesetz der beste und zugleich mehrheitsfähige Versuch, den Vorgaben des BVerfG zu entsprechen, aber ideal ist er nicht.