BGH zur DNA-Verwertung zu Lasten Verwandter - nur eine kleine Gesetzeslücke?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Die gestrige BGH-Entscheidung (3 StR 117/12) zu dem Fall, in dem in einem Reihengentest entnommene DNA zum Nachweis der Täterschaft eines Verwandten führten, ist komplexer Natur (hier mein früherer Beitrag im Beck-Blog).
Zwar ist dieses Identifizierungsmuster rechtswidrig erlangt worden; denn der ermittlungsrichterliche Beschluss, der die Entnahme von Körperzellen des Angeklagten zur Feststellung dieses Musters anordnete (§ 81a StPO), beruhte auf dem durch die unzulässige Verwendung der Daten aus der DNA-Reihenuntersuchung hergeleiteten Tatverdacht gegen den Angeklagten. Indes führt dies in dem konkret zu entscheidenden Fall bei der gebotenen Gesamtabwägung nicht zu einem Verwertungsverbot. Entscheidend hierfür ist der Umstand, dass die Rechtslage zum Umgang mit sog. Beinahetreffern bei DNA-Reihenuntersuchungen bisher völlig ungeklärt war und das Vorgehen der Ermittlungsbehörden daher noch nicht als willkürliche Missachtung des Gesetzes angesehen werden kann.(Quelle: Pressemitteilung des BGH)
Der BGH hat also einerseits entschieden, dass der Gesetzestext der Verwertung entgegensteht. Andererseits hat der 3. Senat allerdings - in bekannter Art und Weise abwägend - die Verwertung im konkreten Fall als noch rechtmäßig angesehen, da die Strafverfolgungsorgane nicht willkürlich gegen das Gesetz verstoßen hätten, sondern möglicherweise quasi "gutgläubig". Schließlich sei nun (also in dieser BGH-Entscheidung) erstmals diese "völlig ungeklärte" Rechtsfrage behandelt worden, die Behörden hätten also vorher nicht gewusst, ob das eine rechtswidrige Beweiserhebung bzw. -verwertung sei. Allerdings ist das Gesetz in dem Punkt recht eindeutig formuliert. Und das Gesetz ist nun mal die primär entscheidende Äußerung zu einer Rechtsfrage, nicht der BGH.
In Absatz 1 ist festgelegt, dass das Material nur bei schriftlicher Einwilligung und nur dazu dient
soweit dies zur Feststellung erforderlich ist, ob das Spurenmaterial von diesen Personen stammt.
Darüber sind die Einwilligenden lt. Absatz 4 sogar zu belehren:
(4) Die betroffenen Personen sind schriftlich darüber zu belehren, dass die Maßnahme nur mit ihrer Einwilligung durchgeführt werden darf. Hierbei sind sie auch darauf hinzuweisen, dass
1. die entnommenen Körperzellen ausschließlich für die Untersuchung nach Absatz 1 verwendet und unverzüglich vernichtet werden, sobald sie hierfür nicht mehr erforderlich sind, und
2. die festgestellten DNA-Identifizierungsmuster nicht zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren beim Bundeskriminalamt gespeichert werden.
Eindeutiger hätte es der Gesetzgeber kaum formulieren können. Die Polizei verstieß eindeutig gegen § 81 h Abs. 1 StPO und gegen den Inhalt der Belehrung nach Abs. 4, die sie selbst erteilt hatte. Ein Vorgehen jenseits gesetzlicher Grundlagen einfach mal auszuprobieren, denn, solange der BGH noch nichts dagegen gesagt hat, ist ein Gesetzesverstoß ja nicht so schlimm? Solche Überlegungen sollte eine Behörde nicht anstellen dürfen.
Nun wird in den Berichten und von Seiten einzelner Politiker die Problematik als Folge einer bloßen ("versehentlichen?") Gesetzeslücke angesehen, die man nun einfach schließen müsse - dann wäre wieder alles in Ordnung.
Ich würde (wie Frau Leutheusser-Schnarrenberger) vor einer Neuregelung erst einmal abwarten, was der 3. Senat in die Begründung schreibt, aber schon jetzt ein Kommentar:
Weder in der gestrigen Tagesthemen-Berichterstattung noch in der Berichterstattung von Christian Rath in der taz wird ein entscheidender Zusammenhang erwähnt:
§ 81 h StPO regelt die freiwillige Mitwirkung an der Verbrechensaufklärung. Freiwilligkeit setzt aber voraus, dass man darüber informiert ist, was mit dem Material passiert. Vor allem deshalb ist es eben problematisch, dass die freiwillig erhobene DNA-Probe zur Verfolgung eines Verwandten verwertet werden kann, denn dies geschah ohne die Belehrung, dass das Material auch zu Lasten der gesamten Verwandtschaft des Freiwilligen verwertet werden kann.
Wenn nun das Gesetz geändert werden soll, müsste entweder die Freiwilligkeit aus § 81 h StPO ganz gestrichen werden, d.h. künftig könnte dann jeder, der bestimmte abstrakte tatbezogene Merkmale aufweist, zur Speichelprobe gezwungen werden, oder aber, jeder freiwillige Proband müsste darüber belehrt werden, dass auch alle Verwandten, denen gegenüber er ein Zeugnisverweigerungsrecht hat, mittels seiner Speichelprobe in den Abgleich einbezogen werden.
Letzteres wird sicher die Mitwirkungsfreude nicht gerade erhöhen.