Endlich Schluss mit dem Begriff „Legal Highs“: OLG Nürnberg bejaht Anwendung des Arzneimittelgesetzes
Gespeichert von Dr. Jörn Patzak am
„Legal Highs“ oder „Neue Psychoaktive Substanzen (NPS)“: So werden vermeintliche Räuchermischungen, Badesalze oder Lufterfrischer genannt, die tatsächlich als Rauschmittel missbraucht werden. Die Rauschwirkungen, die solchen klassischer Betäubungsmittel ähneln, beruhen auf synthetischen Zusätzen, wie z.B. JWH-Alkylindolen, Cathinon-Derivaten oder Piperazinen.
Mit dem Beimischen der synthetischen Zusätze versuchen die Hersteller gezielt das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) auszuhebeln, da dieses nur anwendbar ist, wenn die Substanzen dort ausdrücklich genannt sind. Sie preisen die Produkte bewusst als „Legal Highs“ an, um vorzutäuschen, dass Händler und Konsumenten ansonsten keine strafrechtliche Verfolgung zu befürchten haben. Mit dem OLG Nürnberg hat nun erstmals ein Obergericht mit überzeugenden Gründen festgestellt, dass die „Neuen Psychoaktiven Substanzen“ dem Arzneimittelgesetz (AMG) unterfallen.
In dem Urteil des OLG Nürnberg vom 10.12.2012 (1 St OLG Ss 246/12) heißt es dazu wie folgt:
„[…]
1. Zutreffend geht das Landgericht Nürnberg-Fürth von der Arzneimitteleigenschaft der vom Angeklagten vertriebenen sog. „Kräutermischungen“ (auch „Legal Highs“ genannt) im Sinne des AMG aus. „Kräutermischungen“, die mit Zusätzen synthetisch hergestellter Cannabinoide - hier die Wirkstoffe JWH-210 bzw. JWH-081 - versehen sind, fallen in den Anwendungsbereich des AMG, wenn sie von einer Vielzahl an Konsumenten erworben werden, um eine halluzinogene Wirkung zu erzielen. Unter § 2 Abs. 1 Nr. 2a AMG fallen - anders als bei § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG - u.a. Stoffe, die im oder am menschlichen Körper angewendet werden können, um die physiologischen Funktionen durch pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung zu beeinflussen.
a) Ob sog. „Kräutermischungen“, die mit Zusätzen synthetisch hergestellter Cannabinoide, wie hier die Wirkstoffe JWH-210 bzw. JWH-081, versehen sind und die mangels Aufnahme der betreffenden Stoffe in die Anlagen zum BtMG nicht dem Betäubungsmittelrecht unterliegen, statt dessen unter das AMG fallen, ist umstritten.
Nach einer Meinung (vgl. Nobis NStZ 2012, 422 ff.) darf die Einordnung eines Erzeugnisses als Arzneimittel im Sinne des AMG nicht ausschließlich am bloßen Wortlaut orientiert sein. Vielmehr müssen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH und des Bundesverfassungsgerichts dieser Wortlaut einschränkend ausgelegt werden und dabei insbesondere der Verwendungszweck, die Modalitäten des Gebrauches des Erzeugnisses, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, berücksichtigt werden (vgl. Nobis NStZ 2012, 422 <424>). Danach seien solche Produkte nicht vom AMG erfasst, mit denen primär andere Zwecke verfolgt werden, wie beispielsweise Ernährungs-, Genuss- oder Rauschzwecke (vgl. auch zur Einordnung der „E-Zigarette“ OVG Nordrhein-Westfalen DVBl. 2012, 781 ff. - zitiert nach juris).
Nach der gegenteiligen Ansicht (vgl. Patzak/Volkmer NStZ 2011, 498 ff.) unterfallen sog. „Kräutermischungen“ dem AMG. Zwar handle es sich danach nicht um sog. Präsentationsarzneimittel, da sie weder nach Anschauung der einschlägigen Verbraucherkreise, noch aus Sicht der Hersteller und Händler zu den im AMG genannten therapeutischen Zwecken (Heilung, Linderung, Verhütung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden) bestimmt seien. Jedoch lägen hierbei sog. Funktionsarzneimittel vor, bei welchen es nicht auf Verfolgung therapeutischer Zwecke ankomme, sondern lediglich die Funktion im oder am menschlichen Körper ausschlaggebend sei.
b) Der Bundesgerichtshof hat in der vergleichbaren Fallkonstellation der Strafbarkeit des Vertriebs von „Gamma-Butyrolacton“ (GBL) als Rauschmittel im Urteil vom 8.12.2009 (BGHSt 54, 243 ff.) die Anwendbarkeit des AMG bejaht. GBL wird üblicherweise als Industriechemikalie oder Reinigungsmittel vertrieben und eingesetzt, wirkt bei Einnahme jedoch berauschend, einer Droge vergleichbar. Nach BGHSt 54, 243 ff. ist das AMG auf Stoffe anwendbar, deren Zweckbestimmung sich auf Beeinflussung der Beschaffenheit, des Zustandes oder der Funktionen des Körpers oder seelischer Zustände bei Einnahme oder Anwendung am Körper richtet. Dabei ist diese Zweckbestimmung grundsätzlich an objektiven Kriterien, nämlich der Verkehrsanschauung auszurichten. Maßstab für die Qualifikation eines Stoffes im Sinne des AMG ist die Verwendung innerhalb eines einheitlichen Verkehrskreises, in dem das Mittel auf dieselbe Art und Weise gebraucht wird (BGHSt 54, 243, (252)). Nur in Ausnahmefällen, wenn die Zweckbestimmung bei neuartigen Substanzen (noch) nicht zu beurteilen ist, kann auf subjektive Kriterien zurückgegriffen werden. Steht bei tatsächlich dem Wortlaut des § 2 Abs. 1 AMG nach wirkenden Substanzen fest, dass zahlreichen Verbrauchern die Wirkungsweise bekannt ist und sich auch ein entsprechender Markt gebildet hat, d.h. die Substanz nach der allgemeinen Verkehrsanschauung aus der Sicht eines durchschnittlichen informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers im Falle der Einnahme dazu bestimmt ist, den seelischen Zustand eines Menschen zu beeinflussen, liegt bereits nach objektiven Kriterien ein Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG vor (vgl. BGHSt 54, 243 ff.).
c) Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat an.
Unter Anwendung der vom Bundesgerichtshof herausgearbeiteten Kriterien zur Bestimmung des Anwendungsbereichs des AMG lassen die vom Landgericht getroffenen Feststellungen eine Einordnung der verfahrensgegenständlichen „Kräutermischungen“, die die Wirkstoffe JWH-081 bzw. JWH-210 enthielten, unter § 2 Abs. 1 Nr. 2a AMG zu. Demnach sind die Kräutermischungen zum menschlichen Konsum bestimmt und werden von den Käufern regelmäßig als Joint konsumiert, die eine ähnliche Wirkung erwarten, wie sie THC hervorruft, allenfalls in abweichendem (höheren) Maße.
Es handelt sich nach den getroffenen Feststellungen auch um bedenkliche Arzneimittel im Sinne des § 5 AMG. Danach fallen hierunter solche Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis der begründete Verdacht besteht, dass sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinaus gehen (§ 5 Abs. 2 AMG). Das angegriffene Urteil stellt hierzu fest, dass die betreffenden Kräutermischungen unter anderem zu Orientierungslosigkeit, Panikattacken, Krampfanfällen oder Bewusstlosigkeit, in vielen Fällen aber auch nur zu einer dem Haschisch vergleichbaren Wirkung führen.
Dieses Ergebnis wird auch durch die Gesetzesmaterialien zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 16.3.2009 (BT-Drucks. 16/12256, S. 41 zur Umsetzung der Richtlinie 2001/83/EG - Gemein-schaftskodex für Humanarzneimittel und der Richtlinie 2001/82/EG -Gemeinschaftskodex für Tierarzneimittel) gestützt. Aus der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass auch der Gesetzgeber anlässlich der Anpassung des AMG an das Gemeinschaftsrecht Produkte mit Beimischung synthetischer Stoffe mit cannabinoider Wirkung der Anwendung des AMG unterstellen wollte (ebenso Müller in Krügel/Müller/Hofmann AMG § 2 Rn. 86 u. Fn. 273).
Der Einordnung der „Kräutermischungen“ als Arzneimittel steht auch nicht § 2 Abs. 3 Nr. 3 AMG i.V.m. § 3 Abs. 2 VTabakG entgegen. Zwar nimmt § 2 Abs. 3 Nr. 3 AMG Tabakerzeugnisse im Sinne des § 3 VTabakG vom Arzneimittelbegriff aus, d.h. neben Rohtabak, Tabakerzeugnissen ähnliche Waren, die zum Rauchen, Kauen oder anderweitigem oralen Gebrauch oder zum Schnupfen bestimmt sind. Die Grundsubstanz der „Kräutermischungen“, d.h. die getrockneten und zerkleinerten Pflanzenbestandteile (ohne Zusatz von psychoaktiven Wirkstoffen) mag je nach Fallgestaltung daher unter das VTabakG fallen, so dass das Zusetzen psychoaktiver Wirkstoffe nach § 30 VTabakG verboten wäre. Letztlich enthalten die Feststellungen des angegriffenen Urteils hierzu keine hinreichenden Feststellungen.
Dies kann jedoch dahinstehen, denn das AMG ist vorliegend nicht gem. § 2 Abs. 3 Nr. 3 AMG ausgeschlossen, weil die getrockneten und zerkleinerten Pflanzenteile lediglich Trägersubstanz für die psychoaktiven Stoffe, hier JWH-081 bzw. JWH-210 sind, die durch einen beliebigen anderen Träger ausgetauscht werden kann. Kennzeichnend für die im vorliegenden Fall vertriebenen „Kräutermischungen“ ist, dass alleiniger Zweck des Konsums der Mischungen der Konsum der psychoaktiven Stoffe ist. Steht bei einem derart geschaffenen zusammengesetzten, neuen Produkt fest, dass die oben genannten Kriterien erfüllt sind, liegt ein Arzneimittel vor und nicht - ausschließlich - ein Tabakerzeugnis.[…]“
Damit unterfällt das Handeltreiben und die Abgabe solcher Substanzen als Inverkehrbringen von bedenklichen Arzneimitteln dem Straftatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 1 AMG (Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren). Nur der Erwerb von „Neuen Psychoaktiven Substanzen“ zum Eigenkonsum bliebe nach dem AMG straflos, da der unerlaubte Besitz/Erwerb von Arzneimitteln nicht strafbewehrt ist. Da aber mittlerweile der Gesetzgeber eine Vielzahl der synthetischen Zusätze dem BtMG unterstellt hat und fortlaufend neue Substanzen aufnimmt (s. hier), muss auch der Erwerber zu Eigenkonsumzwecken jederzeit eine strafrechtliche Verfolgung befürchten.
Der irreführende Begriff „Legal Highs“, der auch die im Urteil genannten immensen Gesundheitsgefahren beim Konsum dieser Produkte verharmlost, gehört damit ab jetzt hoffentlich der Vergangenheit an…