Polizeibeamter schlägt gefesselte Frau in Polizeigewahrsam - aus Notwehr?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Die Presse berichtet über ein Vorkommnis im Münchener Polizeigewahrsam, das, wenn die Berichte zutreffen, geeignet ist, das Vertrauen in die Polizei auf eine harte Probe zu stellen:
Eine wehrlose Frau (gefesselt und von mehreren Beamten festgehalten) wurde mit einem so kräftigen Faustschlag ins Gesicht traktiert, dass zwei Frakturen die Folge gewesen sein sollen.
Nun heißt es zur Verteidigung, der Polizeibeamte habe in Notwehr gehandelt.
"Um die Frau zu beruhigen, so sagt Reinhold Bergmann, Leiter der Pressestelle der Polizei, habe man sie in die Zelle gebracht. Fünf bis sieben Beamte seien in der Zelle mit dabei gewesen. Laut Erlmeier (Rechtsanwalt der betr. Frau) lag die 23-Jährige seitlich auf einer Holzpritsche und wurde von vier Beamten niedergedrückt. Die sehr zierliche und kleine Frau wollte sich wehren, beleidigte die Beamten und spuckte einen von ihnen an. Daraufhin schlug der Polizist ihr mit der Faust ins Gesicht." (SZ)
„Die Frau, die nach ihren eigenen Aussagen unter dem Einfluss mehrerer Drogen stand, schlug um sich. Um die Gefährdung der Beamten zu minimieren, mussten ihr Handschellen angelegt werden. Sie wurde in eine Zelle gebracht. Dort spuckte sie einem Beamten ins Gesicht und setzte zu einem Kopfstoß an. Wegen dieser Bedrohungssituation kam es zu einem Schlag.“ (Focus)
Ehrlich gesagt genügt meine Phantasie kaum, mir in der geschilderten Situation eine Notwehrlage (des Polizisten!) nach § 32 StGB vorzustellen, geschweige denn, dass - einmal die "Bedrohungssituation" durch die Frau als wahr unterstellt - ein derart hochgradig aggressives Vorgehen "erforderlich" gewesen sein soll, um den drohenden Angriff zu stoppen. Und, mal abgesehen vom Strafrecht möchte ich - ehrlich gesagt - als Bürger nicht Beamten begegnen, die meinen, sie dürften aus Notwehr in so einer Situation einer jungen Frau das Gesicht demolieren.
Nun wird dieser Fall wohl zu einer Art Feuerprobe für das neuartige interne Ermittlungsverfahren, das der bayerische Innenminister - nach Vorwürfen gegen Polizeibeamte in anderen Polizeipräsidien Bayerns - eingerichtet hat.
Ich gebe zu, dass ich skeptisch bin.
Anlässlich des aktuellen Falles hat die SZ meinen Kollegen Tobias Singelnstein interviewt.
UPDATE 21. Mai 2013:
Die Staatsanwaltschaft hat jetzt, nach einigen Monaten intensiven Ermittlungen, Anklage wegen Körperverletzung im Amt erhoben. Diese Entscheidung deckt sich mit meiner Einschätzung, dass eine Notwehr nach den übereinstimmenden veröffentlichten Einlassungen seitens Polizei und seitens des Opfers wohl nicht gegeben war. Alles weitere wird sich in einer Hauptverhandlung ergeben. Quelle SZ.
UPDATE 06.08.2013:
Der Polizeibeamte wurde heute nach eintägiger Hauptverhandlung vom AG München zu zehn Monaten Freiheitsstrafe (mit Strafaussetzung zur Bewährung) verurteilt (SZ-Bericht). Nach Presseberichten deckt sich die Erkenntnis des Gerichts mit meiner Einschätzung: Eine Notwehrlage hat nicht bestanden. Ich schätze, ein Rechtsmittel des Verurteilten hätte wenig Sinn - aber das muss ihm sein Verteidiger sagen.
UPDATE 23.12.2013
Die Süddeutsche Zeitung berichtet heute über das anstehende Berufungsverfahren - im Februar wird erneut verhandelt.
Nachtrag (Feb. 2014)
Ergebnis der Berufungsverhandlung: Zehn Monate Freiheitsstrafe bestätigt, Degradierung des Polizeibeamten. (Münchner Merkur)