Zur notwendigen Reform des § 63 StGB - Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Im Zuge der Affäre um Gustl Mollath richtet sich der Blick auf verschiedene Bereiche des Straf- und Strafprozessrechts, die mit der Entstehung des Skandals und der Verzögerung bei dessen justizieller Aufklärung bzw. Korrektur zusammenhängen.
Heraus sticht die jetzt auch politisch neu belebte Diskussion über die §§ 63 ff. StGB, also den Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und deren Beendigung.
Der strafrechtssystematische Hintergrund dieser Vorschriften ist allerdings schon für sich für Viele problematisch, denn die Unterbringung schließt faktisch die Lücke, die aus dem Schuldprinzip des Strafrechts entsteht, wenn ein Mensch mangels (nachweisbarer) Schuldfähigkeit wegen seiner Tat freizusprechen ist, aber man wegen der Gefährdung der Allgemeinheit dennoch ein Bedürfnis sieht, diesen Menschen einzusperren. (vgl. Breivik-Diskussion hier im Blog).
§ 63 StGB lautet:
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Das BMJ hat – ausdrücklich unter Hinweis auf die Mollath-Affäre - einige Vorschläge gemacht, wie § 63 und § 67 d StGB verändert werden könnten, einerseits, um die Anordnungsschwelle zu erhöhen, andererseits, um die Überprüfungen der Fortdauer der Unterbringung engmaschiger zu gestalten. Konkret wird Folgendes vorgeschlagen:
I. In § 63 StGB soll durch den Zusatz
„erhebliche rechtswidrige Taten, namentlich solche, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird,“
eine Beschränkung auf schwerwiegende Prognosen erreicht werden.
II. In § 67 d Abs.6 StGB soll durch die Einfügung eines abgestuften Erledigungssystems eine Begrenzung der Unterbringungsdauer erreicht werden:
„Das Gericht erklärt die Unterbringung nach Ablauf von vier Jahren für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte aufgrund seines Zustands außerhalb des Maßregelvollzugs erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Sind acht Jahre der Unterbringung vollzogen worden, so erklärt das Gericht die Maßregel für erledigt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte aufgrund seines Zustands außerhalb des Maßregelvollzugs erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.“
Im Ansatz halte ich das für richtig, allerdings entspricht die erste Stufe (nach vier Jahren) im Wortlaut der (neuen) Anordnungsvoraussetzung in § 63 StGB. Eigentlich müsste daher eine Erledigung ohnehin schon erfolgen, wenn diese Prognose nicht mehr zutrifft, nicht erst nach vier Jahren. Zudem verbirgt sich hier noch ein Problem: Die prognostizierten möglichen Taten orientieren sich faktisch fast immer an den begangenen Straftaten. Diese stehen jedoch von Anfang an fest und ändern sich nicht mit Zeitablauf. Man sollte erwägen, die Unterbringungszeit von vornherein anhand der verwirklichten Straftaten in der Höchstdauer zu beschränken.
III. In § 67 e Abs. 2 StGB soll nunmehr das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen erheblich engmaschiger überprüft werden:
„Die Fristen betragen bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus bei der erstmaligen Überprüfung vier Monate, bei der folgenden Überprüfung acht Monate, sodann jeweils ein Jahr.“
Ziel ist es, eine Fehleinweisung frühzeitig zu erkennen.
IV. Nach § 463 Abs.4 StPO n. F. soll nun die Einholung externer Sachverständigengutachten schon nach zwei Jahren Unterbringung obligatorisch sein, nach sechs Jahren müssten dann zwei externe Gutachter gehört werden.
Die Erhöhung der Frequenz (externer) Begutachtung soll v. a. die bloße Fortschreibung der vorherigen Einschätzung der behandelnden Ärzte ver- bzw. behindern. Ein Grundproblem wird damit allerdings weniger berücksichtigt. Derzeit gibt es nur eine überschaubare Anzahl an psychiatrischen Gutachtern, die regelmäßig für Gerichte tätig werden. Das vom BMJ vorgeschlagene System würde v.a. die Gutachtenhäufigkeit erhöhen. Das eigentliche Problem ist aber nicht die mangelnde Quantität, sondern Mängel der Qualität der Gutachten. Durch eine Erhöhung der Gutachtenfrequenz wird aber die Qualität der einzelnen Gutachten eher noch sinken, wenn man nicht gleichzeitig dafür sorgt, dass es mehr geeignete Gutachter gibt. Dringend erforderlich wäre also eine Stärkung der Qualität der Begutachtung, nicht deren bloße Frequenzerhöhung.
Ein damit zusammenhängendes Problem habe ich im taz-Interview angesprochen und es ist durch die Angaben der Psychiaterin Hanna Ziegert in der Beckmann-Talkshow einem allgemeinen Publikum bekannt gemacht worden: Schon seit Jahrzehnten weisen kritische Beobachter darauf hin, dass die Beziehungen von Gutachtern zu bestimmten Gerichten nicht die erforderliche Unabhängigkeit aufweisen: Es gibt einerseits eine wirtschaftliche Abhängigkeit von regelmäßigen Gutachtenaufträgen – andererseits den Wunsch der Gerichte, möglichst schnell und unaufwändig zu klaren Entscheidungen zu gelangen. Die daraus entstehende Symbiose unterläuft den Gesetzeszweck, nämlich die gegenseitige kritische Überprüfung: Gutachter und Gerichte bestätigen sich häufig nur gegenseitig. Nur gelegentlich „störte“ die höchstrichterliche Rechtsprechung (z.B. BGH 2 StR 367/04 - Beschluss vom 12. November 2004 ) diese Zusammenarbeit und hat immerhin veranlasst, dass Juristen und Psychiater Mindestanforderungen der Gutachtenerstattung formuliert haben (Schuldfähigkeitsgutachten bzw. Prognosegutachten). Allerdings sind die Mindestanforderungen nur „Empfehlungen“ geblieben. Näheres zu dieser Thematik findet sich auf der Seite von Dr. Sponsel. Es wäre aus meiner Sicht eine zentrale Aufgabe des Gesetzgebers bei einer Reform der §§ 63 ff. StGB dafür zu sorgen, dass symbiotische Beziehungen zwischen Gerichten und Psychiatern nicht entstehen können. Auswahl und Überwachung des psychiatrischen Gutachters müssen objektiviert werden, d. h. von der bloßen Kontrolle des entscheidenden Gerichts gelöst werden. Würde ewa eine Zufallsauswahl über die Begutachtung im Einzelfall entscheiden, dann könnte dies auf beiden Seiten einen disziplinierenden Effekt auslösen: Ein Gutachter müsste sich viel mehr an allgemeine und überprüfbare Standards halten, ein Gericht müsste die Begutachtungen anhand dieser Standards prüfen, bevor darauf gestützt eine Unterbringung angeordnet wird. Insbesondere wäre der Gutachter davon befreit, so arbeiten zu müssen, dass er künftig vom selben Gericht wieder beauftragt wird. Eine von der Justiz unabhängige Stelle müsste die Psychiater, die Gutachtenaufträge übernehmen wollen, auswählen und ggf. weiterbilden.
Nach einem Vorschlag aus der SPD soll v.a. die zwingende Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ersetzt bzw. ergänzt werden durch Optionen, die Maßregel in anderen, weniger eingreifenden Institutionen zu vollstrecken.
Ich bin sicher, nicht alle Aspekte dieser wichtigen und notwendigen Diskussion angerührt zu haben und bitte wie immer um sachliche Diskussion.