Der neue § 226 a StGB: Verstümmelung weiblicher Genitalien - verfassungswidrig?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Die jüngste Veränderung des StGB, seit letzter Woche in Kraft, betrifft mit § 226 a StGB die Verstümmelung weiblicher Genitalien.
Die Norm lautet:
§ 226a
Verstümmelung weiblicher Genitalien
(1) Wer die äußeren Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
Damit wird ein bisher schon als gefährliche Körperverletzung strafbares Vergehen zum Verbrechen qualifiziert. Der Gesetzgeber folgt hier der weltweit befürworteten Ächtung von teilweise grausamen Praktiken mit irreversiblen schweren Folgen für die Opfer. Vgl. zum Anliegen Wikipedia; Hahn, ZRP 2010, 37.
Die seit Jahren diskutierte und schließlich von allen Bundestagsfraktionen außer der Linken befürwortete Gesetzesänderung ist aber wegen der im letzten Jahr aufgekommenen Diskussion um die Beschneidung von männlichen Kindern nicht unproblematisch:
So kann nun einerseits die Beschneidung von männlichen Kindern als – unter bestimmten Voraussetzungen – rechtmäßiges und damit strafloses Verhalten angesehen werden, vgl. § 1631 d BGB, andererseits wird die Verstümmelung (ausschließlich) der weiblichen Genitalien nunmehr zum Verbrechen aufgewertet.
Da die Verstümmelungen meist mittels Schneidewerkzeugen durchgeführt werden, fragt sich deshalb, ob hier Täter je nach Geschlecht ihres Opfers (und damit indirekt auch ihre Opfer) diskriminiert bzw. privilegiert werden, ob also § 226 a StGB gegen das Verfassungsgebot der Gleichbehandlung aus Art. 3 GG verstößt. In einer Entwurfsversion des § 226a StGB hieß es z.B. noch
(1) Wer die äußeren Genitalien einer Frau durch Beschneidung oder in anderer Weise verstümmelt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft.
Nach dem gesetzlichen Wortlaut in diesem Entwurf sollte also jede „Beschneidung“ eine Form der Verstümmelung sein, so dass ein glatter Widerspruch zwischen erlaubter Beschneidung männlicher Kinder und verbrecherischer Beschneidung weiblicher Kinder die Konsequenz gewesen wäre.
Wenn das Gesetz nun die Qualifikation auf „Verstümmelung“ beschränkt, wird man in der Praxis zwischen weniger schweren Beschneidungsformen einerseits und der verbrecherischen Genitalverstümmelung andererseits differenzieren müssen. Eine bloße nicht-verstümmelnde Beschneidung (männlicher wie weiblicher Kinder) wäre dann nach wie vor grds. (nur) als gefährliche Körperverletzung strafbar – aber könnte auch als (seitens der Erziehungsberechtigten bei männlichen Kindern) einwilligungsfähige straflose Handlung (§ 1631 b BGB) subsumiert werden.
Aber selbst wenn man darauf vertraut, dass eine solche Unterscheidung möglich ist, bleibt die – m.E. fragwürdige – Begrenzung des Verbrechenstatbestands in § 226 a StGB auf weibliche Opfer bestehen. Sie mag zwar rechtstatsächlich damit begründet werden, dass Genitalverstümmelungen (im Unterschied zu nicht-verstümmelnden Beschneidungen) bei männlichen Kindern keiner häufigen Tradition entsprechen und deshalb empirisch kaum eine Rolle spielen (vgl. aber auch Tonio Walter auf Zeit-Online). Jedoch ist dieses Argument rechtsdogmatisch kaum zu legitimieren: Weder sind ja nicht-traditionelle Genitalverstümmelungen bei Mädchen vom Gesetz ausgenommen, noch lässt sich ein Grund dafür anführen, dass die Verstümmelung des männlichen Genitals, wenn es nun doch einmal vorkommt, an sich weniger belastend für das Opfer sei.
Der Bundestag hat hier (erneut) ein Gesetz erlassen, das verfassungsrechtlich angreifbar erscheint. Es spricht auch – jenseits rein symbolischer Gründe – nichts dagegen, das Wort „weiblich“ in Überschrift und im Wortlaut des § 226 a StGB zu streichen.
Vgl. auch den kritischen Artikel meines Kollegen Tonio Walter auf Zeit Online. Er schreibt darin:
In Verbindung mit Paragraf 1631d BGB, der die Beschneidung von Jungen legalisiert, verkündet der neue Tatbestand damit folgende Botschaft: Das, was eine Frau körperlich ausmacht, ist unantastbar. Aber das, was einen Mann körperlich ausmacht, darf zurechtgeschnitten werden. Das weibliche Geschlecht ist sakrosankt, das männliche disponibel. Juristisch ist Paragraf 226a nicht so schlimm; ihn wird das Bundesverfassungsgericht kassieren. Allerdings müssen wir überlegen, wie viele Botschaften dieser Art wir Männern und Jungen noch zumuten möchten.
Lesenswert auch die ausführliche Stellungnahme meines Kollegen Hardtung zu den Gesetzesinitiativen .
Weitere Entwurfsversionen sind hier (Das Parlament) verlinkt.
Eine neue Blog-Kommentierung von Thomas Fuchs.