Gesetzgeberischer Murks - der geplante § 184c StGB (Jugendpornografie)
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
In dem gestern vorgestellten, bereits vom Kabinett bewilligten Gesetzentwurf zur Verschärfung des Sexualstrafrechts wird der Begriff der kinderpornografischen Schriften erheblich verändert, um nun auch solche Bilder einzubeziehen, bei denen sich im Verlauf der Edathy-Affäre herausstellte, dass sie strafrechtlich bisher nicht (jedenfalls nicht unstreitig) erfasst sind. Nach der jetzt geplanten gesetzl. Neu-Definition müssen solche Schriften nicht mehr wie bisher den allgemeinen Begriff der Pornografie erfüllen (vgl. schon hier). Es soll jetzt genügen, wenn die Schrift unabhängig von sexuellen Handlungen
die Wiedergabe einer ganz oder teilweise unbekleideten Person unter vierzehn Jahren in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung zum Gegenstand hat,
Dass man mit dieser Formulierung jegliche sexuell orientierten Abbildungen einbeziehen wollte, ist angesichts der vorangegangenen Debatte nachvollziehbar. Zum Streit um den Pornografie-Begriff bei Kinderpornografie lesen Sie auch den Beitrag von Herrn Kollegen Liesching und die dortige Debatte (z.Zt. der Edathy-Affäre im Februar 2014).
Dieselbe neue Formulierung soll gleichzeitig auf die Jugendpornografie übertragen werden. Zusätzlich soll die Strafbarkeit insoweit erweitert werden, als nun ausdrücklich schon allein die Herstellung strafbar ist, auch wenn keine Verbreitungsabsicht besteht. Hier der Entwurf des § 184 c StGB:
§ 184c
Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Schriften
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. eine jugendpornographische Schrift verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht; jugendpornographisch ist eine Schrift (§ 11Absatz 3), wenn sie
a) sexuelle Handlungen von, an oder vor einer vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person zum Gegenstand hat,
oder
b) die Wiedergabe einer ganz oder teilweise unbekleideten vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung zum Gegenstand hat,
2. es unternimmt, einer anderen Person den Besitz an einer jugendpornographischen Schrift, die ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, zu verschaffen,
3. eine jugendpornographische Schrift, die ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, herstellt
oder
4. eine jugendpornographische Schrift herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diese Schrift ein-oder auszuführen, um sie oder aus ihr gewonnene Stücke im Sinne der Nummer 1 oder2 oder des § 184d Absatz 1 Satz 1 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen, soweit die Tat nicht nach Nummer 3 mit Strafe bedroht ist.
(2) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, und gibt die Schrift in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1, 2 und 4 ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder, so ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
(3) Wer es unternimmt, sich den Besitz an einer jugendpornographischen Schrift, die ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, zu verschaffen, oder wer eine solche Schrift besitzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(4) Absatz 1 Nummer 3, auch in Verbindung mit Absatz 5, und Absatz 3 sind nicht anzuwenden auf Handlungen von Personen in Bezug auf solche jugendpornographischen Schriften, die sie im Alter von unter achtzehn Jahren mit Einwilligung der dargestellten Personen hergestellt haben.
(5) Der Versuch ist strafbar; dies gilt nicht für Taten nach Absatz 1 Nummer 2und 4 sowie Absatz 3.
(6) § 184b Absatz 5 und 6 gilt entsprechend.
Die schlichte Übertragung der Neuregelung der Kinder- auf die Jugendpornografie ignoriert die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse, die Anlass waren zwischen Kinder- und Jugendpornografie zu differenzieren.
Das Sexualstrafrecht wurde in den 1970er Jahren entrümpelt. Es ist eine wichtige Leistung dieser Reform, das Sexualstrafrecht auf den Schutz des Rechtsguts „sexuelle Selbstbestimmung“ reduziert zu haben. Ab 14 dürfen Jugendliche in den Sexualverkehr einwilligen, ab 16 Jahren wird die zugelassene Selbstbestimmung noch einmal erweitert. Voraussetzung ist (ganz knapp formuliert) der einvernehmliche Geschlechtsverkehr in Beziehungen außerhalb von Abhängigkeitsverhältnissen.
Der vorliegende Gesetzentwurf ändert daran zwar nichts, aber er verbietet jetzt u.a., dass Abbildungen nach der neuen, wesentlich erweiterten Definition hergestellt werden, und zwar auch dann, wenn die fotografierte/gefilmte Person darin einwilligt und auch dann, wenn an eine öffentliche Verbreitung der Bilder gar nicht gedacht ist.
Ausgenommen werden dann in Absatz 4 zwar wie bisher Schriften, die Personen im Alter von unter achtzehn Jahren hergestellt haben, doch u.a. diese Ausnahme offenbart nun fragwürdige Widersprüche der geplanten Regelung:
1. Zwar haben Personen ab 14 Jahren grds. eine selbstbestimmte Sexualität, aber nach dem Gesetzentwurf schließt das nun nicht mehr die Freiheit ein, sich z.B. halb- oder unbekleidet als „Akt“ fotografieren zu lassen. Bisher betraf dieses Verbot nur die Anfertigung „klassischer“ Pornografie. Durch die unreflektierte Übertragung der Definition aus § 184b StGB betrifft dies jetzt aber auch Fotografien und Filme, deren Anfertigung heute verbreitet Teil einer selbstbestimmten Sexualität sind.
2. Die „Herstellung“ solcher Bilder ist nach Abs.4 so lange erlaubt (jedenfalls straflos), bis z.B. in einer Beziehung der ältere Partner achtzehn wird. Ab dem achtzehnten Geburtstag macht sich der ältere Partner nun strafbar, wenn er dasselbe - bisher erlaubte Verhalten - weiterführt, und zwar bis zum achtzehnten Geburtstag des jüngeren Partners. Dies ist kein Ausnahmefall, sondern betrifft fast alle Beziehungen, denn nur sehr selten haben die Partner am selben Tag Geburtstag.
3. Auch die jüngere Person, die sich für eine volljährige Person in Pose setzt, macht sich nach dem Wortlaut als Teilnehmer (Anstifter oder Gehilfe) strafbar. Zwar nimmt die h.M. bislang mit Bezug auf frühere Bundestagsdiskussionen eine teleologische Reduktion vor, die die minderjährigen Darsteller vor Strafverfolgung wegen des eigenen Abbildes schützen soll (vgl. BT-Drs. 16/9649, S.18). Doch kann eine ausdrückliche Bestätigung des Wortlauts insofern zu einer Interpretationssperre führen.
4. Wer als Jugendlicher ein in sexuell aufreizender Pose gemachtes "selfie" versenden will, macht sich selbst nach dem Wortlaut des Abs.1 Nr.2 strafbar. Der Tatbestand ist als Unternehmensdelikt ausgeführt, d.h. es genügt zur Strafbarkeit schon der bloße Versuch, das "selfie" zu versenden. Zugleich kann gegen den Empfänger erfolgreich wegen Besitzes jugendpornografischer Schriften ermittelt werden, sobald das Bild (etwa per "Whatsapp" oder "Threema") auf dem Zielgerät eingetroffen ist. Bei dieser Handlungsvariante gilt ausdrücklich nicht die Ausnahme des Absatz 4. Zwar wurde der Wortlaut der Ausnahme insofern nicht geändert, doch bezieht sich eben „jugendpornografische Schriften“ jetzt nicht mehr auf den früheren engen Pornografie-Begriff, sondern auf eine potentiell sehr große Anzahl von Abbildern, die Jugendliche regelmäßig untereinander anfertigen und versenden. Man mag das für moralisch fragwürdig halten und man mag Jugendliche davon (wegen der leichten Weiterverbreitung) auch dringend abraten - aber eine Kriminalisierung im Kontext der Pornografie ist völlig unangemessen.
5. Nach Absatz 3 kann sich auch die dargestellte Person (z.B. eine 17jährige) strafbar machen, wenn sie es unternimmt, sich Besitz zu verschaffen am eigenen Bild (!), das z.B. der Freund oder die Freundin aufgenommen hat. „Schickst Du mir das Bild, das du gestern von mir gemacht hast“ – diese Aufforderung ist nach dem Gesetzentwurf schon eine strafbare täterschaftliche Handlung! Die Ausnahme des Absatz 4 bezieht sich ausdrücklich nur auf den Hersteller. Auch hier wurde bisher von der h. M. eine teleologische Erweiterung des Abs.4 S.2 dahingehend vorgenommen, dass nicht nur die Hersteller, sondern auch die Darsteller straffrei bleiben. Aber wenn der Gesetzgeber nun diesen (fehlerhaften) Wortlaut bestätigt, kann man nicht mehr ohne weiteres so argumentieren.
Fazit: Der geplante § 184c StGB ist verfassungsrechtlich bedenklich, weil er eine unverhältnismäßige Kriminalisierung von Normalverhalten Jugendlicher zur Folge hat und einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht vornimmt. Zudem ist er strafrechtsdogmatisch widersprüchlich und verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot.
Vorschlag: Schon die eins-zu-eins Übertragung der neuen Definition der Kinderpornografie auf Jugendpornografie ist nicht sachgerecht; Abs.1 Nr.1 b) ist zu streichen. Die Ausweitung der Strafbarkeit im gepl. Abs.1 Nr.3 ist sachlich nicht gerechtfertigt und sollte gestrichen werden. Abs.1 Nr.2 ist im Wortlaut zu weitgehend, hier ist auf eine "dritte" Person abzustellen, die Ausnahme des Abs.4 ist fehlkonstruiert. Im Wortlaut der Vorschrift muss die abgebildete Person von der Strafandrohung (als Täter und Teilnehmer) insgesamt ausgenommen werden.
Update: Hier ein ausführlicher Artikel zur Lage der (freiwilligen) Selbst-Nacktbildverbreitung durch Teenager in den USA (“Sexting is a form of sexual activity”) - nach dort wiedergegebenen Schätzungen wird dies von 30 bis 80 % der Jugendlichen praktiziert (link: Atlantic). Wegen der großen Verbreitung des Verhaltens sahen sich etliche Bundesstaaten in den USA veranlasst, das zuvor als Kinderpornografie verfolgte Delikt herunterzustufen: Die betr. Jugendlichen verstehen (auch in den USA) einfach nicht, was daran kriminell sein soll, das eigene Nackt-Selfie zu versenden, Zitat:
"Marsha Levick, a co-founder of the nonprofit Juvenile Law Center, sees many cases where the police investigation does much more harm than the incident itself. “The rush to prosecute always baffles me,” she says. “It’s the exponential humiliation of these boys, or more often girls, in an official setting, knowing their photos will be shown to police officers and judges and probation officers. And the reality is, a lot of these officials are going to be men. That process itself is what’s traumatizing.”
Update: Dieser Beitrag hat eine Fortsetzung, da der Gesetzentwurf zu § 184c StGB wesentlich entschärft wurde.