Staatsanwaltschaft zieht Strafbefehl gegen Notarzt nach Online-Protesten zurück
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Was zunächst wie eine Justizposse aussah, ist heute zu einem echten Novum geworden. In den BR-Nachrichten wurde gleich nach der Ukraine-Krise gemeldet: Ein bayerischer Notarzt, dem nach einem lebensrettenden Einsatz zunächst wegen Straßenverkehrsgefährdung ein Strafbefehl über 4500 Euro zugegangen war, wurde nun entlastet. Der Strafbefehl wurde zurückgezogen, das Verfahren offenbar nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. In der Zwischenzeit hatte eine Online-Petition in Rekordzeit 200.000 Unterschriften gegen den Strafbefehl erbracht, die dem Bayerischen Landtag vorgelegt werden sollten (Bericht: Mittelbayerische Zeitung; Bericht: Süddeutsche Zeitung)
Die Meldungen: Die Anzeigeerstatter hatten nach ihrer Darstellung wegen des auf ihrer Spur (mit Blaulicht) entgegenkommenden Fahrzeugs abbremsen und auf die Bankette ausweichen müssen. Wie knapp ein Unfallgeschehen vermieden wurde, ist nicht bekannt. Der Arzt hatte bei seiner Rettungsfahrt zu einem Mädchen, das Schnellkleber verschluckt hatte, nach seiner Darstellung keine besonderen Vorkommnisse bemerkt.
Nach den Pressemeldungen und den Bevölkerungsprotesten hatte sich der Münchener Generalstaatsanwalt die Akten schicken lassen und dies hat relativ schnell dazu geführt, dass die Staatsanwaltschaft die Reißleine zog: In der Tat kann man sich in der bayerischen Justiz nach den Skandalen der vergangenen Jahre wohl kaum weitere öffentlichkeitswirksame Fehlgriffe leisten, will man nicht noch mehr Vertrauen in der Öffentlichkeit verlieren. Offizielle Begründung: Erst jetzt sei die Darstellung des Notarztes eingetroffen und diese habe dazu geführt, dass man eine Verurteilungswahrscheinlichkeit nicht mehr bejahen könne (Blogbeitrag dazu). Es ist natürlich höchst angezeigt, den Eindruck zu vermeiden, die Justiz lasse sich durch Unterschriften beeinflussen, denn das kann in anderen Fällen schnell zum Bumerang werden (kritischer Blogbeitrag dazu).
Hinter diesem Konflikt verbirgt sich doch ein ernsterer Zusammenhang: Bei der Wahrnehmung von Sonderrechten im Straßenverkehr kommt es immer wieder zu Unfällen und gefährlichen Situationen. Die Einschätzung, wer sich richtig verhalten hat, ist dann regelmäßig schwierig. Die Fahrer der Rettungsfahrzeuge können schnell in ein Haftungs-Dilemma geraten, ebenso natürlich andere Verkehrsteilnehmer, wenn nicht - was weitaus schlimmer ist - auch noch körperliche Schäden zu beklagen sind. Die tatsächliche und rechtliche Problematik kann intrikat sein. Rettungssanitäter und Notärzte beklagen sich zudem, andere Verkehrstelnehmer beachteten die Notsignale nicht und gäben den Verkehr nicht schnell genug frei, andere beklagen, die Rettungsfahrzeuge seien teilweise rücksichtslos unterwegs. Zum Thema Rettungsfahrzeugeinsatz wird derzeit an unserer Fakultät eine Dissertation angefertigt.
Nach meiner Einschätzung vor einigen Tagen hatte ich in diesem konkreten Geschehen einen typischen Anwendungsfall des § 153 StPO vermutet: Auch wenn eine Straßenverkehrsgefährdung tatbestandlich vorgelegen hätte, wäre die Schuld des Arztes doch wohl kaum von krimineller Bedeutung, ein Strafbefehl schien überzogen.