Soll die Beihilfe zum Suizid bestraft werden?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
In der Tat ein schwieriges Thema, das heute durch einen „Brandbrief“ von 180 Ärzten erneut in die Öffentlichkeit gerät (Spiegel Online - Bericht)
Es geht um Sterbehilfe, genauer: die Hilfe zum Suizid. Die Ärzteschaft debattiert, ob Ärzte (nach ärztlichem Berufsethos bzw. –recht) schwerst kranken Patienten den Weg zum Sterben erleichtern dürfen. Der Präsident der Bundesärztekammer Montgomery hat sich hier eindeutig positioniert: Er hält ärztliche Assistenz beim Suizid für unvereinbar mit dem ärztlichen Beruf.
Die Politik unternimmt seit einigen Jahren immer wieder Anläufe, die ("organisierte" oder "gewerbsmäßige") Beihilfe zum Suizid mittels Strafrecht unter bestimmten Voraussetzungen unter Strafe zu stellen, teilweise sollten nach den Entwürfen Ärzte ausdrücklich ausgenommen werden.
Über 140 Strafrechtsprofessor-inn-en haben vor wenigen Wochen eine Resolution unterzeichnet, die sich dagegen wendet, mit dem Strafrecht in die Freiheit zum Suizid und in die Vertrauensbeziehung zwischen Ärzten und Patienten einzugreifen (FAZ-Bericht). Ich möchte hier die von meinen bayerischen Kollegen Eric Hilgendorf (Würzburg) und Henning Rosenau (Augsburg) initiierte Resolution, die ich mitunterzeichnet habe, wiedergeben und sie zur Diskussion stellen:
Stellungnahme deutscher Strafrechtslehrerinnen und Strafrechtslehrer zur geplanten Ausweitung der Strafbarkeit der Sterbehilfe
I
Sterbehilfe ist ein moralisch wie rechtlich höchst sensibles Thema. Wir verstehen darunter jede Hilfe, die einer zumeist schwer erkrankten oder sterbenden Person im Hinblick auf ihren geäußerten oder mutmaßlichen Willen geleistet wird, um ihr einen ihren Vorstellungen entsprechenden menschenwürdigen Tod zu ermöglichen.
II
Mit Sorge beobachten wir politische Bestrebungen, im Zusammenhang mit der Sterbehilfe den Anwendungsbereich des Strafrechts auszuweiten. Mit der Strafbarkeit des assistierten Suizids würde die in den letzten Jahren durch den Bundesgesetzgeber und die Gerichte erreichte weitgehende Entkriminalisierung des sensiblen Themas Sterbehilfe konterkariert. Die Vorschläge, welche in diese Richtung zielen, setzen vor allem bei der Tätigkeit einzelner Personen oder einiger weniger sog. „Sterbehilfe-Vereinigungen“ an, deren Treiben als unseriös und gefährlich eingestuft wird. Das geltende Polizei- und Strafrecht stellen jedoch hinlänglich Mittel zur Verfügung, um gegen Aktivitäten vorzugehen, bei denen die Freiverantwortlichkeit des Suizids nicht hinreichend geprüft wird. Dagegen wäre es verfehlt, durch eine nicht hinlänglich reflektierte Ausweitung des Strafrechts auch solche Tätigkeitsfelder in einen Graubereich möglicher Strafbarkeit zu ziehen, die – wie das Arzt-Patienten-Verhältnis – auf Vertrauen gründen und ihrer Natur nach auf strafrechtliche Regulierungen sehr sensibel reagieren.
III
Folgende Punkte verdienen besondere Beachtung:
a. Im Zusammenhang mit der Diskussion um die sog. passive und die indirekte Sterbehilfe ist schon lange anerkannt, dass ein vom Patienten artikulierter Sterbehilfewunsch zu beachten ist und entsprechend Sterbehilfe auch dann rechtlich zulässig ist, wenn sie im Ergebnis zu einer Verkürzung von Lebenszeit führt.
b. In Hospizen und Palliativstationen wird tagtäglich organisiert Sterbehilfe geleistet. In vielen Fällen kommt es dabei zu einer Verkürzung der verbleibenden Lebenszeit. Trotzdem ist die Tätigkeit dieser Einrichtungen uneingeschränkt positiv zu bewerten. Statt sie unnötig mit Strafbarkeitsrisiken zu hemmen, sollte ihre Arbeit durch großzügige finanzielle Hilfen unterstützt werden.
c. Aus der Straflosigkeit des Suizids ergibt sich nach bewährten strafrechtsdogmatischen Regeln, dass auch die Beihilfe zum Suizid nicht strafbar ist. Dies zu ändern würde zu einem Systembruch führen, dessen Auswirkungen nicht absehbar sind.
d. Das Recht auf Selbstbestimmung jedes Menschen, verfassungsrechtlich durch Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG garantiert, umfasst auch das eigene Sterben. Mit dem Patientenverfügungsgesetz aus dem Jahre 2009 hat der Gesetzgeber dies ausdrücklich anerkannt. Eine Strafbarkeit der Suizidbeihilfe greift in das Selbstbestimmungsrecht unverhältnismäßig ein. Der Grundsatz, dass Strafrecht ultima ratio sein muss, wird nicht beachtet.
e. Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist seiner Natur nach nur eingeschränkt rechtlich regulierbar. Das gilt auch und gerade für das Strafrecht. Die Einführung einer Strafbarkeit von Ärzten wegen Beihilfe zum Suizid ist deshalb entschieden abzulehnen. Deren Grundrecht der Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 GG, umfasst auch das Verhältnis zwischen dem Arzt und dessen Patienten, so dass eine strafrechtliche Neuregelung schon aus verfassungsrechtlichen Gründen abzulehnen ist.
f. Das ärztliche Berufsrecht sollte nicht ärztliche Maßnahmen zu unterbinden suchen, die nach Maßgabe der Medizin- und Sozialethik sowie des Strafrechts zulässig und oft sogar positiv zu bewerten sind. Wir plädieren deshalb dafür, das Berufsrecht so zu vereinheitlichen, dass die Hilfe beim Suizid als ärztliche Gewissensentscheidung zulässig bleibt.
g. Menschen mit einem Sterbewunsch benötigen in besonderer Weise Fürsorge und Begleitung. Die Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid würde dagegen dazu führen, dass professionelle Hilfe, die gerade Ärzte und Ärztinnen leisten könnten, erschwert oder unmöglich wird, weil sich Beistehende aus Furcht vor einer Strafbarkeit von den Sterbewilligen abwenden. Diese werden in den Brutal-Suizid gedrängt. Ziel muss es dagegen sein, möglichst viele Menschen mit Sterbewunsch zu erreichen, um so die Zahl der Suizide in Deutschland zu senken. Das Strafrecht ist dafür ein gänzlich ungeeignetes Mittel.