untätige Schulverwaltung? Ein Protokoll.
Gespeichert von Sibylle Schwarz am
2016
Eine Schülerin* hatte gekränkelt, dadurch Unterricht versäumt und Klassenarbeiten nicht mitschreiben können. Die von ihr besuchte Schule sprach daraufhin die Nichtversetzung aus.16. August 2016
Inmitten der Sommerferien hat unsere Kanzlei für diese minderjährige Schülerin den Widerspruch gegen die Nichtversetzung bei der besuchten Schule bzw. auch bei der (zuständigen) Schulbehörde erhoben.18. August 2016
Sehr geehrte Frau Schwarz,
ich bestätigte den Eingang Ihres Schreibens vom 16.08.2016.
Die Schule wurde von mir zur Stellungnahme und Vorlage der Unterlagen aufgefordert.
Nach Prüfung der Angelegenheit werde ich unaufgefordert hierauf zurückkommen.
Mit freundlichen Grüßen
Schulbehörde30. August 2016
Im Bundesland sind die Sommerferien vorbei und der erste volle Schultag hat stattgefunden.7. September 2016
Der Unterricht läuft in der zweiten Woche und ich frage bei der Schulbehörde nach:Sehr geehrte Schulbehörde,
Ich hatte Ihre Mail dahin verstanden, dass auch das Schulamt sich bei uns melden werde. Dies ist noch nicht geschehen.
Mit freundlichen Grüssen
Schwarz, Rechtsanwältin12. September 2016
Sehr geehrte Frau Rechtsanwältin Schwarz,
die Angelegenheit befindet sich noch in der Prüfung.
Ich werde unaufgefordert hierauf zurückkommen.
Mit freundlichen Grüßen
Schulbehörde23. September 2016
Sehr geehrte Schulbehörde,
die 4. Unterrichtswoche nach den Sommerferien geht zu Ende.
Leider haben wir in der Sache Widerspruchsverfahren noch nichts vom Schulamt gehört. Wann denken Sie, werden die Prüfungen abgeschlossen sein und uns kann ein (ggf vorläufiges) Ergebnis mitgeteilt werden?
Mit freundlichen Grüssen
Schwarz, Rechtsanwältin26. September 2016
Sehr geehrte Frau Rechtsanwältin Schwarz,
in der Schülerangelegenheit habe ich die x-Schule aufgefordert, noch einen Bericht über die Leistungen der Schülerin in der Zeit ihrer Beschulung an der Schule für Kranke einzuholen und diesen bei der Entscheidung über die Versetzung entsprechend zu berücksichtigen. Sobald mir die Entscheidung der Schule vorliegt, werde ich unaufgefordert auf die Angelegenheit zurückkommen.
Mit freundlichen Grüßen
Schulbehörde1. November 2016
Die Herbstferien in dem Bundesland sind vorbei und ich frage erneut bei der Schulbehörde nach:Sehr geehrte Schulbehörde,
es ist der zweite Schultag nach den Herbstferien. In der Widerspruchssache haben wir nichts von Ihnen gehört, trotz Ihrer Ankündigung am 26. September - vor über einem Monat.
Mit freundlichen Grüssen
Schwarz, Rechtsanwältin
4. November 2016
Sehr geehrte Frau Schwarz,
in meinem Schreiben hatte ich Ihnen mitgeteilt, dass die Schule noch einen Bericht der Leistungen der Schülerin über die Zeit der Beschulung in der Schule für Kranke einholen wird. Wie Sie wissen, wurde Ihre Mandantin in der Zeit der Erkrankung in x beschult. Ein Bericht aus x liegt noch nicht vor. Sobald dieser eingegangen ist, werde ich auf die Angelegenheit zurückkommen.
Mit freundlichen Grüßen
Schulbehörde22. Dezember 2016
Der erste Tag der Weihnachtsferien in dem Bundesland. Die Schulbehörde ist auf die Angelegenheit nicht zurückgekommen.29. Dezember 2016
Veröffentlichung dieses Beitrags. Die Schulbehörde ist auf die Angelegenheit nicht zurückgekommen.Ende Januar 2017
Das erste Schulhalbjahr ist vorbei und die Halbjahreszeugnisse werden ausgegeben.
„unaufgefordert auf die Angelegenheit zurückkommen“
schrieb die Schulbehörde in jeder Mail. In dem Jahr 2016, spekulativ möglicherweise sogar im ersten Schulhalbjahr, ist die Schulbehörde aber nicht auf die Angelegenheit zurückgekommen. Könnte es sich hierbei lediglich um das „berühmt berüchtigte Montagsauto“ handeln? Um einen Einzelfall also? Wann ist eigentlich die Dauer eines Verfahrens als unangemessen und damit als überlang anzusehen?
Im Widerspruchsverfahren der Schülerin gibt das Gesetz mehr oder weniger bereits die Antwort. § 75 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO):
Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.
Über den Widerspruch der Schülerin gegen die von der Schule ausgesprochene Nichtversetzung ist von der Schule bzw. Schulbehörde sachlich nicht entschieden worden. Eine sog. Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO kann zumeist aber erst nach Ablauf von drei Monaten seit Widerspruchserhebung eingelegt werden. Eine „böse Zunge“ könnte nun anführen, dass sich eine Behörde drei Monate lang der Untätigkeit hingeben könnte, bevor ihr merklich Konsequenzen drohen.
Ohne auf die Details der Sachurteilsvoraussetzungen einer Untätigkeitsklage eingehen zu wollen, (dies hier ist ein Blog und keine wissenschaftliche Arbeit) so prüft das Gericht auch, ob ein zureichender Grund für die Verzögerung der Entscheidung vorliegt.
- Ein zureichender Grund soll die Notwendigkeit der Einholung von Stellungnahmen anderer Behörden sein. Dies überzeugt nicht.
Seit jeher ist eine Behörde in der Lage, eine Frist für eine Stellungnahme zu bestimmen. Jedenfalls gegenüber Rechtsanwälten können sie es, wie das folgende Beispiel zeigt: „Die Frist zur Vorlage der Widerspruchsbegründung wird bis zum 11.11.2016 verlängert. Bitte beachten Sie, dass eine Entscheidung nach Aktenlage ergehen kann, sollte eine Begründung bis zu diesem Zeitpunkt hier nicht vorliegen.“ Es ist nicht einzusehen, warum die eine Behörde der anderen Behörde keine Frist zur Vorlage deren Stellungnahme setzen kann. Die notwendige Einholung von Stellungnahmen anderer Behörden kann nicht als zureichender Grund für eine Verzögerung angesehen werden.
Eine Schule, auch eine Schule für Kranke, muss sehr wohl in der Lage sein, der anfragenden Schulbehörde einen Bericht über die schulischen Leistungen zu geben und zwar rasch. Zumal alle Bundesländer-Schulgesetze – unterschiedlich formuliert - das Recht auf Auskunft über den schulischen Leistungsstand gewähren.
- Kein zureichender Grund für die Verzögerung der Entscheidung sei „Urlaub, Krankheit oder Arbeitsüberlastung einzelner Sachbearbeiter, da die Verwaltung in derartigen Fällen für ausreichend Vertretung sorgen muß“ (Kopp/Schenke VwGO Kommentar, 19. Auflage, § 75, 13). An dieser Stelle zeigt sich deutlich, wie geduldig doch Papier ist. Egal, ob man Nachrichtensendungen oder in die Zeitung schaut, das Wort „Personalmangel“ oder gar die Einschätzung „Verwaltung zu Tode gespart“ schlägt einem entgegen. Es ist zu vernehmen, dass der Stellenabbau zwischen 2002 und 2008 sich nun bemerkbar mache. Es sollen 110.000 Vollzeitstellen oder sogar 160.000 Mitarbeiter im öffentlichen Dienst von Bund, Ländern und Gemeinden fehlen. Dass für ausreichend Personal in der (Schul-) Verwaltung gesorgt wird, bezweifele ich angesichts solcher Zahlen.
Nach alledem ist Verzögerung der Entscheidung zu bejahen, aber kein zureichender Grund ersichtlich. Leichtes Spiel also in der Untätigkeitsklage? Hier greifen allerdings die Besonderheiten schulischer und Prüfungssituationen. Ein angerufenes Verwaltungsgericht prüft, ob gegen wesentliche Verfahrensregeln oder gegen Rechtsvorschriften oder gegen Grundrechte verstoßen wurde, oder ob gegen allgemein anerkannte pädagogische Grundsätze oder allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe oder gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Schüler verstoßen wurde, oder ob von unrichtigen Voraussetzungen oder sachfremden Erwägungen ausgegangen wurde. Beurteilungsspielraum eines Lehrers bei schulischen Leistungsbewertungen bedeutet, dass die Lehrer bei der Notenvergabe von Einschätzungen und Erfahrungen ausgehen, die sie im Laufe ihrer schulischen Prüfungspraxis bei vergleichbaren Schülern entwickelt haben und allgemein anwenden. Für vergleichbare Schüler müssen so weit wie möglich vergleichbare Prüfungsbedingungen und Bewertungskriterien gelten. Diese höchstpersönlichen und vergleichenden Bewertungen von schulischen Prüfungsleistungen durch die Lehrkräfte dürfen nicht durch Bewertungen des Gerichts ersetzt werden. (Übrigens, ein Antrag auf einstweilige Anordnung bringt die Schülerin daher auch nicht wirklich ans Ziel, es käme nur zu einem Bescheidungsbeschluss.)
Die Erhebung der Untätigkeitsklage kann wegen den Besonderheiten der Bewertung schulischer Leistungen nicht zu einer Sachentscheidung des angerufenen Verwaltungsgerichts führen. Es bleibt nur, dass das Verwaltungsgericht der Behörde die Dringlichkeit verdeutlicht und den Erlass einer Entscheidung anmahnt. Trotz Justizgewährleistungspflicht, dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes und Art. 6 Abs. 1 EMRK ( „… innerhalb angemessener Frist verhandelt wird …“ ) hat die Schülerin aus obigem Beispiel eine schwache Rechtsposition inne.
Wünschen wir uns, dass alle Bundesländer ihre Vorsätze, mehr Personal einstellen zu wollen, in Schule und Schulverwaltung tatsächlich wahrmachen werden. Nicht bedrucktes Papier, sondern eine rasch und in der gebotenen Gründlichkeit arbeitende Verwaltung gewährleistet Grundrechte.
*In diesem Blogbeitrag wird pauschal in der weiblichen Form formuliert, damit auf eine gleichzeitig weibliche und männliche Form für eine bessere Lesbarkeit verzichtet.