EuGH: Deutsche Staatsanwaltschaften dürfen keinen EU-Haftbefehl ausstellen – Fällt das seit längerem in der Kritik stehende ministerielle Weisungsrecht gleichsam durch die Hintertür?
Gespeichert von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg am
Ein Europäischer Haftbefehl kann (nach dem Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl) nur von einer strikt unabhängigen „Justizbehörde“ ausgestellt werden. In den meisten Staaten der EU sind die Staatsanwaltschaften unabhängig organisiert – aber nicht in Deutschland, das das seit längerem in die Kritik geratene Weisungsrecht nach §§ 146, 147 GVG kennt. Dieses wird zwar nur in seltensten Fällen ausgeübt aber im Einzelfall doch, wie die (für mich ungerechtfertigte) Entlasssung des ehemaligen Generalbundesanwalts Harald Range im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den Internetblog „Netzpolitik.org“ durch den damaligen Justizminister Heiko Maas bestätigte.
Aber der Reihe nach:
EuGH: Deutsche Staatsanwaltschaften sind keine „ausstellende Justizbehörde“
Nach den Urteilen des EuGH vom 27.5.2019 (Az. C-508/18, C-82/19 und C-509/18) dürfen deutsche Staatsanwaltschaften keinen Europäischen Haftbefehl (auf der Grundlage eines deutschen richterlichen Haftbefehls) ausstellen, weil sie keine hinreichende Gewähr für ihre Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive böten; sie seien der Gefahr ausgesetzt, im Rahmen des Erlasses einer Entscheidung über die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls unmittelbar oder mittelbar Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive unterworfen zu sein. Hingegen biete der Generalstaatsanwalt von Litauen die Gewähr für die erforderliche Unabhängigkeit.
Der Fall
Zwei litauische und ein rumänischer Staatsangehöriger wenden sich vor irischen Gerichten gegen die Vollstreckung Europäischer Haftbefehle, die von deutschen Staatsanwaltschaften und vom Generalstaatsanwalt von Litauen zur Strafverfolgung ausgestellt wurden. Ihnen liegt u.a. vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung und Diebstahl mit Waffen zur Last. Die drei Beschuldigten machen geltend, die deutschen Staatsanwaltschaften und der Generalstaatsanwalt von Litauen seien zur Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls nicht befugt gewesen, weil sie keine „Justizbehörde“ im Sinn des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl seien. – Die irischen Gerichte haben den EuGH um die Auslegung des Rahmenbeschlusses ersucht.
Zum Hintergrund
Der Europäische Haftbefehl beruht auf der Idee, dass die EU-Mitgliedstaaten Entscheidungen ihrer Justizbehörden aufgrund gegenseitigen Vertrauens untereinander anerkennen und möglichst schnell und unkompliziert umsetzen.
In Deutschland stellt in der Regel die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage eines nationalen richterlichen Haftbefehls oder eines vollstreckbaren Strafurteils den Europäischen Haftbefehl aus.
Ist die gesuchte Person unbekannten Aufenthalts, wird der Europäische Haftbefehl in der Regel in das Schengener Informationssystem (SIS) eingestellt, damit europaweit gefahndet werden kann.
Wie geht es nun weiter?
Künftighin kann in laufenden Ermittlungsverfahren die Staatsanwaltschaft mit dem Erlass des nationalen Untersuchungshaftbefehls bereits einen Europäischer Haftbefehl mitbeantragen. Ist dies, wie bei den ca. 5.600 bestehenden Europäischen Haftbefehlen, nicht geschehen, bedarf es nunmehr, wenn das bestehende Weisungsrecht nicht reformiert oder gänzlich abgeschafft wird, einer gesetzlichen Regelung, welcher Richter den Europäischen Haftbefehl auszustellen hat: der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht, der den nationalen Haftbefehl ausgestellt hat, das erkennende Gericht oder die Strafvollstreckungskammer?
Reform des GVG
Auf der Grundlage der EuGH-Urteile hat der Deutsche Richterbund nunmehr erneut (wie nach der Entlassung des Generalbundesanwalts Range) gefordert, das ministerielle Weisungsrecht abzuschaffen.
Den Richtern garantiert Art. 97 GG die Unabhängigkeit. Dagegen sind Staatsanwälte in ihrer Amtsführung nicht frei. Sie sind Teil der Exekutive, haben Berichtspflichten zu ihren Vorgesetzten und müssen deren Weisungen folgen. Auch wenn die Politik von ihrem Weisungsrecht nur selten Gebrauch macht, schadet allein „der böse Schein einer Einflussnahme“ (wie es häufig formuliert wird) dem Ansehen der Justiz. Allerdings soll nicht unerwähnt bleiben, dass ein Missbrauch des Weisungsrechts eine gewagte Option ist; es droht eine Strafe wegen Strafvereitelung oder Verfolgung Unschuldiger. Wie die Gerichte im Rechtszug könnte auch die Arbeit der Staatsanwaltschaft etwa durch ein eigenständiges Klageerzwingungsverfahren beim zuständigen Oberlandesgericht kontrolliert werden.
Es lohnt sich also allemal und nicht nur mit Blick auf den Europäischen Haftbefehl, die Diskussion Reform des Weisungsrechts wieder aufzunehmen.