Darf gegen den Regensburger Oberbürgermeister ein zweiter Prozess geführt werden?
Gespeichert von Prof. Dr. Henning Ernst Müller am
Derzeit findet in Regensburg eine zweite Hauptverhandlung gegen den (suspendierten) Oberbürgermeister Wolbergs (im weiteren OB) der Stadt statt. Vorgeworfen wird ihm und anderen Mitangeklagten wiederum die Gewährung bzw. Annahme von Spenden (vgl. Regensburg Digital ). Er soll als Amtsträger diese Spenden jeweils auf seine Dienstausübung bezogen angenommen haben (Vorteilsannahme/Vorteilsgewährung) oder diese seien sogar mit dienstpflichtwidrigen Handlungen verknüpft gewesen (Bestechlichkeit/Bestechung).
Da die Vorwürfe ähnlich denjenigen sind, die im ersten Prozess behandelt wurden und denselben Zeitraum betreffen, war schon im Zwischenverfahren der Einwand der verfahrenshindernden Rechtshängigkeit derselben Tat erhoben worden. Die jetzt verhandelnde 5. Strafkammer hatte sogar die Eröffnung abgelehnt, so dass erst das OLG Nürnberg auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft das Hauptverfahren eröffnet hatte (vgl. hierzu meinen Beitrag vom März 2019).
Selbstverständlich wurde nun am 1.10.2019 (erster Verhandlungstag) von der Verteidigung des OB dieses Verfahrenshindernis geltend gemacht und eine Einstellung des Verfahrens (§ 260 III StPO) beantragt. Kommentare, wie sie vereinzelt zu lesen waren, die diesen Vorstoß der Verteidigung kritisierten, sind nicht berechtigt: Selbstverständlich MUSS die Verteidigung im Interesse ihres Mandanten diesen Antrag stellen, alles andere wäre ein (sogar grober) Verteidigungsfehler.
Eine Einstellung beträfe nur das Verfahren gegen den OB, nicht aber die Mitangeklagten. Gegen diese ist ja bislang noch kein Verfahren geführt worden, so dass „ne bis in idem“ (Art. 103 III GG) bei ihnen keine Rolle spielt. Deshalb sollte man auch nicht davon sprechen oder schreiben, der zweite Prozess werde „platzen“, sollte das Gericht dem Antrag der Verteidigung folgen. Der Prozess gegen die Mitangeklagten wird dann weitergeführt.
Der Einwand der Verteidigung beruht darauf, dass die jetzt angeklagte Tat schon im vorherigen Prozess behandelt worden sei, so dass dieser zweite Prozess einen Verstoß gegen „ne bis in idem“ darstelle.
Im Kern geht es um die – sehr umstrittene Frage – wann „dieselbe prozessuale Tat“ vorliegt (Art. 103 III GG, § 264 StPO). Dies ist bekannterweise nicht dieselbe Frage wie die nach den „Konkurrenzen“ (Tateinheit oder Tatmehrheit nach §§ 52, 53 StGB). „Eine“ prozessuale Tat kann auch vorliegen, wenn materiellrechtlich mehrere Taten anzunehmen sind, nämlich wenn es sich nach Tatort, Tatzeit, Tatobjekt und Angriffsrichtung um einen „einheitlichen Lebensvorgang“ handelt, dessen „getrennte Aburteilung in verschiedenen erstinstanzlichen Verfahren als unnatürliche Aufspaltung empfunden würde“ (BGHSt 41, 385, 388 u.a.). Allerdings stimmen die meisten zu, dass es zumindest ein starkes Indiz für „eine" prozessuale Tat ist, wenn materiell-strafrechtlich Tateinheit (§ 52 StGB) vorliegt. Mit dieser Argumentation beruft sich wohl die Strafverteidigung vor allem darauf, dass durch die mehreren Anklagen ein tateinheitliches Geschehen auseinandergerissen werde. So wird von der Verteidigung argumentiert, die vorgeworfenen Vorteilsgewährungen aus dem ersten Prozess seien jeweils als tateinheitlich mit Verstößen gegen das PartG aufzufassen gewesen. Mit seinen ihm im ersten Prozess vorgeworfenen Handlungen solle der (noch nicht rechtskräftig) verurteilte Unternehmer T. jeweils tateinheitlich auch unrichtige Rechenschaftsberichte an den Bundestagspräsidenten „bewirkt“ haben. In denselben Rechenschaftsberichten (jährlich einer) seien jedoch auch die nun im neuen Prozess verhandelten Spenden genannt worden. Daraus ergebe sich, dass es sich bei den angeklagten Vorwürfen der Spendenannahme mit evtl. Verstößen gegen das PartG für seinen Mandanten um jeweils einheitliche Lebensvorgänge handele, die bereits rechtshängig seien. Deshalb dürften diese Vorwürfe nicht erneut gegen seinen Mandanten verhandelt werden, auch wenn es in den jetzigen Vorwürfen um andere Spender, andere Spenden und inhaltlich andere Unrechtsvereinbarungen gehe. Ausdrücklich verneint die Verteidigung eine Parallelität zu anderen Fällen, in denen der BGH bislang die prozessuale Tateinheit verneint hat (etwa bei Dauerdelikten oder bei Organisationsdelikten).
Allerdings hat das OLG Nürnberg am 16. April 2019 dieser Sichtweise widersprochen und ausgeführt (lt Pressemitteilung):
„dass die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft in der ursprünglichen Anklageschrift mit denjenigen in der weiteren Anklageschrift nicht durch - so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft - unrichtige Deklarierung der Spenden in Rechenschaftsberichten so miteinander verknüpft seien, dass eine getrennte Aburteilung zu einer Aufspaltung eines zusammengehörigen Geschehens führen würde. Im Gegenteil: Es würden unterschiedliche Lebenssachverhalte mit anderen Tatzeiten, Tatorten und Tatgegenständen unnatürlich vereinigt, wenn man der Ansicht der Kammer folgen würde. Nach den Anklagevorwürfen handele es sich um verschiedene Vorteilsgeber, von denen der Angeklagte jeweils Zuwendungen gefordert habe bzw. sich habe versprechen lassen.“
Der Einwand der Verteidigung dürfte das Gericht gehörig zum Nachdenken bringen. Man muss allerdings - wie schon oben bemerkt - im Auge behalten, dass materiellrechtlicher Handlungs- und prozessualer Tatbegriff nicht übereinstimmend beurteilt werden müssen. Das Reichsgericht meinte sogar, beide hätten „nichts gemein“ (RGSt 61, 314 (317)). Gerade bei solchen Fragestellungen gibt es eine Fülle von umstrittenen Entscheidungen (auch der verschiedenen Senate des BGH) und es lässt sich daher auch kaum eine „herrschende Meinung“ feststellen. Für den vorliegenden Fall dürfte wohl auch zu berücksichtigen sein, ob aus der Handlungseinheit zwischen Vorteilsgewährung und dem „Bewirken unrichtiger Angaben“ i.S.d. § 31d Abs.1 Nr.1 Alt.1 PartG auf der Spenderseite notwendig auch eine Handlungseinheit auf der Seite des Vorteilsannehmenden folgt. Eine Vorhersage, wie nun entschieden wird, wage ich jedoch nicht.
Einen sehr spannenden Überblick über die Grundlagen der Streitfrage gibt Beulke in der Festgabe für den BGH IV, (2000), S. 781 ff. Dort heißt es im Fazit:
„Es gibt in dieser Streitfrage keinen „Königsweg“. weder der BGH noch die umfangreiche Literatur haben die Quadratur des Kreises finden können – sowohl die „prozessuale“, als auch die „materiell-rechtliche“ Lösung weisen erkennbar Schwächen auf. (…) Die Zukunft der Entwicklung des Tatbegriffs bleibt weiterhin spannend und der BGH wird auch in den nächsten Jahrzehnten seines Bestehens auf diesem Feld ausreichend zu tun haben“.
„Zu tun haben“ wird der BGH möglicherweise auch mit der jetzt zu treffenden Entscheidung der Strafkammer des LG Regensburg, wenn entweder die Staatsanwaltschaft oder die Verteidigung die Revisionsinstanz anruft.
Update (16.10.2019)
Heute hat die Strafkammer den Antrag, das Verfahren einzustellen, abgelehnt.
Auf Regensburg Digital heißt es zur Begründung des Gerichts:
"Die Kammer sei zwar nicht an die Entscheidung des Oberlandesgerichts gebunden, so Georg Kimmerl. Auch seien die Argumente der Verteidigung rechtlich durchaus vertretbar. Allerdings habe die Kammer das Recht anzuwenden. „Und die Rechtsanwendung wird durch Gerichtsentscheidungen präzisiert.“ Eben durch jene des Oberlandesgerichts Nürnberg, der übergeordneten Instanz, deren „ausführlich begründeter“ Auffassung man sich anschließe – zumindest „zum jetzigen Zeitpunkt“. Eine Einstellung könnte insofern nach wie vor, auch noch im Urteilsspruch, erfolgen."
In der Verhandlung folgte seitens der Verteidgung des OB prompt die Ablehnung der drei Berufsrichter der Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit. Zur Begründung wurde geäußert, es sei „völlig unklar“, warum die 5. Strafkammer die vorherige Rechtsauffassung aufgegeben habe, denn dies sei weder ausreichend begründet noch habe die Kammer sich hinreichend mit den Argumenten der Verteidigung auseinandergesetzt (Quelle: Regensburg Digital).