Ungleichbehandlung der Medien im Jugendschutz - gerechtfertigt?

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 29.01.2008

Der fortschreitenden Medienkonvergenz steht im Jugendschutz immer noch eine Regelungsdivergenz gegenüber. Das bedeutet, dass die jugendschutzrechtlichen Vorschriften nach unterschiedlichen Mediensparten wie "Trägermedien" (z.B. DVDs, CD-ROM), "Telemedien" (v.a. Internetinhalte) und "Rundfunk" (Hörfunk und Fernsehen) unterscheiden. Dies alleine wäre wohl vor dem Hintergund der vermeintlich notwendigen Aufteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern nicht so schlimm. Allerdings gehen die Jugendschutzverbote für manche "Mediensparten" weiter als für andere:

Zum Beispiel sind Darstellungen Minderjähriger in unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung im Internet und im Rundfunk absolut verboten , derselbe Inhalt darf aber auf einem Trägermedium (z.B. auf einer DVD) an Erwachsene ausgegeben werden. Ebenso sind menschenwürdeverletzende Telemedien und Rundfunkangebote generell absolut verboten, während bei Trägermedien desselben Inhalts (mit Ausnahme des Sonderfalls des § 15 Abs. 2 Nr. 3 JuSchG) überhaupt keine Verbreitungsbeschränkung (bis zu einer etwaigen Indizierung) gilt. Pornographische und offensichtlich schwer jugendgefährdende Inhalte dürfen als Telemedien in geschlossenen Benutzergruppen verbreitet werden, sind als Rundfunk aber auch bei vergleichbar sicherem Ausschluss minderjähriger Zuschauer generell untersagt.

Das Hans Bredow Institut, das von Bund und Ländern mit der Evaluierung des Jugendschutzes beauftragt worden war, hatte sich ausweislich des im Oktober 2007 veröffentlichten Berichts mit der Frage befasst, ob bei fortschreitender Medienkonvergenz derartige Regelungsunterschiede noch gerechtfertigt sind. Das Institut billigt dabei die differenzierenden Konzepte des JuSchG und des JMStV als „durchaus angemessen" bzw. „bis auf wenige Punkte" als einen „sachgerechten Versuch", „für die unterschiedlichen Zugangsweisen zu Inhalten einen angemessenen Schutz zu Verfügung zu stellen". Welche "wenigen Punkte" gemeint sind, wird nicht weiter ausgeführt. Die Regelungsunterschiede werden statt dessen mit einem allgemeinen Hinweis auf Aspekte wie die „Größe der Präsentationsfläche", die „soziale Einbettung" und die „unterschiedlich sichere gesetzliche Steuerung" der Zugangsmöglichkeiten Minderjähriger begründet (vgl. HBI-Bericht, S. 216). Dabei bleibt im HBI-Bericht aber offen, aufgrund welcher Kriterien die Größe einer „Projektionsfläche" etwa bei Rundfunk auf der einen Seite und Telemedien (z.B. bei VoD-Angeboten) auf der anderen Seite unterschiedlich sein soll oder welche Differenzen es hier hinsichtlich der „sozialen Einbettung" gibt.

Sind die oben angedeuteten unterschiedlichen Verbotsreichweiten je nach Mediensparte gerade vor dem Hintergrund der fortschreitenden Medienkonvergenz wirklich noch zu rechtfertigen? Welche Möglichkeiten gibt es hinsichtlich einer Harmonisierung?

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10 Kommentare

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Ich denke, dass die Regulierung im Bereich Jugendmedienschutz nicht gerade diejenige ist, die die Konvergenzentwicklung verschlafen hat. Im Jugendmedienschutzstaatsvertrag wurden bereits 2003 erstmals die früheren Tele- und Mediendienste zu Telemedien zusammengefasst. Im JMStV wurde auch - im Gegensatz zu anderen Bereichen - eine einheitliche Aufsichtsbehörde für Rundfunk und Telemedien installiert. Nachholbedarf besteht doch vor allem in den übrigen Feldern der Rundfunk- und Medienregulierung.

Vgl. hierzu auch Holznagel/Ricke, Die Aufsicht im Internet – Wer hat noch nicht, wer will noch mal?, MMR 2008, 18-22.

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Ich teile die Einschätzung von Herrn Ricke, dass sicher auch in anderen, hier nicht thematisierten Regulierungsfeldern Nachholbedarf aufgrund von Konvergenzentwicklungen besteht. Auch ist zutreffend, dass Tele- und Mediendienste gerade im gesetzlichen Jugendschutz bereits seit dem 1. April 2003 zu Telemedien zusammengefasst sind. Danke auch für den Hinweis auf den Beitrag in MMR 2008, 18-22, der sich mit der Aufsicht im Internet, u.a. durch die KJM beschäftigt. Die hier zur Diskussion gestellte Frage thematisiert nicht die Medienregulierung und -aufsicht im Jugendschutz, sondern sollte eher darauf zielen, ob die genannten unterschiedlichen materiell-rechtlichen Verbote für die Bereiche "Telemedien", "Rundfunk" und "Trägermedien" vor dem Hintergrund der Medienkonvergenz gerechtfertigt sind.

Die von Herrn Ricke angeschnittene Frage, ob im Jugendschutz tatsächlich eine "einheitliche Aufsichtsbehörde" für Rundfunk und Telemedien besteht, ist aber ebenfalls interessant. Zuständige Aufsichtsbehörden sind ja nach aktuellem Recht immer noch die 14 Landesmedienanstalten (vgl. §§ 20 Abs. 1 und 6, 24 Abs. 4 JMStV). Die KJM ist nach h.M. jeweils nur internes "Beurteilungsorgan" für die zuständige Landesmedienanstalt. "Medienaufsicht im Jugendschutz" ist sicher ein spannendes Diskussionsfeld für einen eigenständigen Blog. Insoweit herzlichen Dank für die Anregung!

Sehr geehrter Herr Ricke, sehen Sie bei den unterschiedlichen Verboten etwa zu Posendarstellungen Minderjähriger bei Telemedien und Trägermedien oder z.B. zu Pornographie im Rundfunk oder in Telemedien Änderungsbedarf? Könnte hier nicht auch - ebenso wie bei der von Ihnen angesprochenen (vermeintlichen) Harmonisierung der Medienaufsicht in der Institution der KJM - zukünftig eine Vereinheitlichung erfolgen?

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Sehr geehrter Herr Dr. Liesching, die materiell-rechtlichen Unterschiede für die Bereiche "Telemedien" und "Rundfunk" lassen sich m.E. aufgrund der einfachgesetzlichen Abgrenzung von "Telemedien" zu "Rundfunk" rechtfertigen. Diese erfolgt nicht (mehr) auf technischer Ebene, so dass die Konvergenzentwicklung schon heute berücksichtigt wird. Sie wird vielmehr auf inhaltlicher Ebene und weiterhin aufgrund der Kriterien Suggestivkraft, Aktualität und Breitenwirkung vorgenommen. Je größer die Suggestivkraft, Aktualität und Breitenwirkung ist, desto eher handelt es sich um "Rundfunk" und desto "gefährlicher" ist das Angebot auch (siehe auch Strukturpapier der DLM). Von daher lassen sich die strengeren Regeln gegenüber den Telemedien auch legitimieren. Dies gilt für alle Regelungen - auch die zum Jugendmedienschutz.

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Nehmen wir einen hypothetischen Beispielsfall an: im digitalen Pay-TV oder in einem Near-Video-on-Demand-Angebot (vgl. EuGH MMR 2005, 517 ff.) - beides Rundfunk - wird ein pornographischer, indizierter oder schwer jugendgefährdender Film ausgestrahlt, der aber nur vom erwachsenen Pay-TV-Abonnenten mit einer Adult-PIN nach Altersverifikation gesehen werden kann. Ist hier die "Suggestivkraft, Aktualität und Breitenwirkung" des Filmes eine andere als wenn der Zuschauer auf demselben Bildschirm über das User Interface denselben pornographischen Film als Video-on-Demand-Angebot (= Telemedium) über die Fernbedienung abruft (z.B. bei "T Home", "Arcor Digital TV"? Wie unterscheidet sich die Suggestivkraft und Aktualität der inhaltsgleichen Filme in beiden Fällen? Ist nicht auch die "Breitenwirkung" vergleichbar? Falls nicht: Sind dann die Unterschiede so signifikat, dass ersteres (Pay-TV oder NVoD mit AVS) generell verboten, letzteres (VoD mit AVS) stets erlaubt ist?

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Sehr geehrter Herr Dr. Liesching, das Problem ist doch - wie bereits von mir angedeutet - kein spezielles Problem des Jugendmedienschutzes, sondern vielmehr der generellen Abgrenzung von Rundfunk zu Telemedien.
Ihr Beispielsfall hakt auch an einer Stelle: ein Video-on-Demand-Angebot ist nicht zwingend ein Telemedium. Es kann auch Rundfunk sein! Die (Negativ-)Definition im Telemediengesetz ermöglicht auch ein Video-on-Demand-Angebot als Rundfunk einzurordnen. Allenfalls die Gesetzesbegründung zum TMG lässt darauf schließen, dass es sich bei Video-on-demand in der Regel um Telemedien handelt. Allerdings heißt es dort auch: "Bei Telemedien handelt es sich beispielsweise um [...] Video auf Abruf, soweit es sich nicht nach Form und Inhalt um einen Fernsehdienst im Sinne der Richtlinie 89/552/EWG (Richtlinie Fernsehen ohne Grenzen) handelt [...]." Im Endeffekt ist also hier wieder eine Abgrenzung nach Suggestivkraft, Aktualität und Breitenwirkung vorzunehmen!! Die Suggestkraft, Aktualität und Breitenwirkung entscheidet, ob es sich bei Video-on-Demand-Angeboten um Telemedien oder Rundfunk handelt.

Ihr Beispielsfall mag unabhängig von dieser Abgrenzung zudem an der Grenze liegen und daher "krass" oder "unfair" wirken. Aber ist dies nicht immer im Grenzbereich einer Norm der Fall? Ich gebe Ihnen ein Gegenbeispiel: Ich kaufe von zwei Jungen jeweils ihr Fahrrad für 100 Euro (Marktwert jeweils 500 Euro). Der eine Junge ist 17 Jahre und 364 Tage alt, der andere Junge (in der gleichen Schulklasse) ist gerade 18 Jahre und 1 Tag alt. Die Eltern des erstgenannten Jungen können den Verkauf "rückgängig machen", die Eltern des zweitgenannten Jungen nicht - obwohl dieser nur 2 Tage älter ist. Ist das nicht "krass" oder "unfair"?

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Aus meiner Sicht ist es schon ein Problem des Jugendschutzes, wenn gerade jugendschutzrechtliche Verbote für einzelne Mediensparten unterschiedlich weit gehen. Zu Ihrem Beispiel: Die gesetzliche Unterscheidung zwischen Personen unter 18 Jahren und ab 18 Jahren ist - wie übigens allgemein im Jugendschutz - legitim, da der Schutz von Kindern und Jugendlichen Verfassungsrang genießt und Ungleichbehandlungen aufgrund der vom Gesetzgeber gesetzten Altersgrenze somit gerechtfertigt sind.

Wie Art. 3 GG gebietet, müssen indes Ungleichbehandlungen durch gesetzliche Restriktionen (mögen sie auf manche Normadressaten "krass" und "unfair" erscheinen oder nicht) stets verfassungsrechtlich legitimiert sein. Dies gilt doch auch dann, wenn ein jugendschutzrechtliches Verbot für einzelne Mediensparten unterschiedlich weit geht. Worin besteht hier diese verfassungsrechtliche Legitimation?

Meine These wäre hier vielmehr: "Suggestivkraft", "Aktualität" und "Breitenwirkung" taugen vor dem Hintergrund der Medienkonvergenz gar nicht (mehr) zur Unterscheidung zwischen "Rundfunk" und "Telemedien" und erst recht nicht zur Legitimation unterschiedlich weiter Jugendschutz-Verbote. Folgerichtig ist ja auch der EuGH diesem Abgrenzungsansatz aus dem DLM-Strukturpapier nicht gefolgt (vgl. EuGH MMR 2005, 517 ff.).

Sie haben recht, wenn Sie darauf hinweisen, das Video auf Abruf nach der Gesetzesbegründung zum TMG auch Rundfunk sein kann. Ich darf insofern aber Ihr Zitat vervollständigen, als dies nach dem Willen des Gesetzgebers nur dann der Fall sein soll, wenn Video auf Abruf "zum Empfang durch die Allgemeinheit bestimmt ist und nicht auf individuellen Abruf eines Dienstleistungsempfängers erbracht wird" (BT-Drs. 16/3078, S. 13). Gehen wir in meinem Beispielsfall also von dem bislang allein praktisch relevanten VoD auf individuellen Abruf, also einem Telemedium aus.

Vor diesem Hintergund bleibt meine Frage: Ist ein pornographischer Film im Pay-TV, Web-Casting etc. mit AVS (=Rundfunk) "gefährlicher" als ein individuell per Fernbedienung abrufbares VoD- Angebot des inhaltsgleichen pornographischen Filmes? Sind beide identischen Filmangebote nicht gleich "suggestivkräftig" und gleich "aktuell"? Wenn ja, wie ist die Ungleichbehandlung beider Fälle durch die divergent restriktiven Jugendschutzverbote zu legitimieren?

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Die Unterscheidung ist durch Art. 5 GG legitimiert (vgl. BVerfG).

Aber unabhängig von dieser Frage: Natürlich ist die Abgrenzung in Deutschland nicht glücklich. Das zeigen Ihre Beispiele ja. Aber wo sehen Sie die Lösung? Wie würden Sie abgrenzen? Oder wollen Sie gar nicht abgrenzen und alle Medien gleich behandeln? Die Frage ist dann aber (an Sie), wie diese Gleichbehandlung aussehen soll: Verbot für alle Medien oder Erlaubnis für alle Medien?

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Ich denke ja! Egal ob absolutes Verbot, relatives Verbot oder bloße Verbreitungsbeschränkung: die Verbote müssen für einen bestimmten Angebotsinhalt immer gleich sein. D.h.: Sind Posendarstellungen im Rundfunk und Internet absolut verboten, so müsste auch für Trägermedien ein Absolutverbot gelten. Sind pornographische Filme im Internet bei Vorschaltung eines AVS zulässig, dann muss dies auch im (digitalen) Rundfunk möglich sein. Das ist aus meiner Sicht die Konsequenz der Medienkonvergenz.

Ob man dann an unterscheidenden Begrifflichkeiten wie "Trägermedien", "Telemedien", "Rundfunk" im Jugendschutz noch festhalten braucht (die Frage der Gesetzgebungskompetenz einmal ausgeklammert), oder vielmehr allgemein z.B. von "Inhalten" spricht, wäre diskutabel. Abgesehen von Verbotsreichweiten macht eine Unterscheidung für andere Bereiche (z.B. Indizierung) ja möglicherweise nach wie vor Sinn. Was meinen Sie zu diesem Lösungsansatz?

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O.k., ich verstehe. Ihr Lösungsansatz hat einen gewissen Charme - und wahrscheinlich stellt er wirklich die Zukunft dar. Die konsequente Umsetzung würde natürlich einen Dammbruch bedeuten! Denn wenn Sie die Dienstekategorisierung im Bereich Jugendmedienschutz aufgeben, lässt diese sich auch nicht mehr in anderen Feldern rechtfertigen (Lizenzpflicht des Rundfunks etc.).

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Herr Ricke, vielen Dank für die spannende Diskussion des Themas. Sie zeigt auch die Dimension der Medienkonvergenz in anderen Bereichen wie etwa der Lizenzpflicht des Rundfunks auf. In der Tat glaube ich: Der "Damm" wird in einem Rechtsthemenfeld brechen, an dem das mediendifferenzierende Regelungssystem besonders "rissig" erscheint. Ich tippe hier auf den Jugendschutz, wage aber keine Prognose, wann die Konvergenzentwicklungen tatsächlich in der Rechtspolitik wirklich realisiert werden und wir die ersten Umwälzungen auch im gesetzlichen Bereich erleben werden.

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