Zur Diskussion gestellt: Reformvorschläge zum Jugendstrafrecht

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 09.02.2008

Zum am 2.1.2008 eröffneten Thema "Politiker fordern `Erziehungscamps´ und `Warnschussarrest´ für jugendliche Straftäter" hat sich am 23.1.2008 Herr Heinz Woelki, ein langjähriger Jugendrichter, mit sehr konkreten Reformvorschlägen zu Wort gemeldet, die ich nochmals in diesem gesonderten Diskussionsforum in der Hoffnung aufgreife, dass Sie sich zu diesen wichtigen Fragen mit Ihren Erfahrungen pro und contra melden:

(1) Schließen der Sanktionslücke zwischen dem schärfsten Zuchtmittel (vier Wochen Dauerarrest ohne Bewährungsmöglichkeit) und der Mindestjugendstrafe von sechs Monaten (mit obligater Bewährungsmöglichkeit).

(2) Untersuchungshaft für Jugendliche bei "erheblicher Gewaltanwendung" mit Wiederholungsgefahr.

(3) Einschränkungen im Rahmen der Möglichkeit, die verhängte Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen, bei Gewalttätern.

(4) Kein Sonderrecht für Heranwachsende.

(5) Einführung eines speziellen beschleunigten Verfahrens in Jugendsachen.

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8 Kommentare

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Der Bundesrat hat am 15.02.2008 den Entschließungsantrag Hessens und anderer Bundesländer zur Bekämpfung der Jugendkriminalität beschlossen. Darin fordert der Bundesrat den Deutschen Bundestag auf, die im Bundestag bereits anhängigen Gesetzesentwürfe rasch zu verabschieden. Ein Kernpunkt des Entschließungsantrags ist die regelmäßige Anwendung des allgemeinen Strafrechts auf Heranwachsende - wie eingangs unter Ziffer 4 zur Diskussion gestellt. Entgegen dem Leitbild des Gesetzes sei in der gerichtlichen Praxis in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend die Tendenz zu verzeichnen, dass auch schwere Straftaten Heranwachsender nach Jugendstrafrecht geahndet würden. Besteht hierüber schon weitgehend Konsens?

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Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Prof. Dr. v. Heintschel-Heinegg,

um mal den Anfang zu machen:

Eine grundlegende Reform des Jugendstrafrechts ist nicht erforderlich. Das JGG "wirkt" bei der breiten Masse der normalen Täter durchaus gut. Probleme ebreiten letztlich dei Intensiv- udn Merhfachttäter. Aber auch hier kann man mit jugendstrafrechtlichen Mitteln durchaus eingreifen. Es ist allerdings bei der ersten oder zweiten Verurteilung schwer abschätzbar, ob wir es dann schon mit einem derartigen "schlimmen Finger" zu tun haben. Eine "präventive" Haftstrafe wäre aber gefährlich, wenn er es noch nicht ist - danach wird aber wahrscheinlich einer sein.

Zu den Diskussionsvorschlägen:

1. Schließung der Sanktionslücke zwischen Dauerarrest und Jugendstrafe: Es wäre sicher nicht schlecht, wenn diese Lücke geschlossen werden könnte. Allerdings halte ich den Warnschussarrest nicht für ein probates Mittel. Es widerspricht der Einspurigkeit freiheitsentziehender Maßnahmen und passt auch nicht zu einer Bewährungsstrafe. Bei einem Verstoß gegen Bewährungsauflagen/-weisungen könnte man ohnehin einen Ungehorsamsarrest verhängen. Sinnvoller wäre es m. E. die Mindestdauer der Jugendstrafe abzusenken.

2. Untersuchungshaft: Hier sehe ich keinen Reformbedarf. § 112a I Nr. 2 StPO erfasst mit Ausnahme der einfachen Körperverletzung alle Delikte aus diesem Bereich. Auch andere unter Gewaltanwednung begehbare Taten sind erfasst.
Eine Erweiterung nur bei Jugendlichen würde den Erziehungsansatz des Jugendstrafrechts konterkarieren, da § 112a StPO den Schutz der Allgemeinheit im Blick hat. Zudem würde dies die Unschuldsvermutung weiter einschränken, da es mit dem vorranigen Zielen der Untersuchungshaft (Sicherung des Verfahrens) noch weniger zu tun hat.
Hier wäre eine schnelle Verfahrensdurchführung und Aburteilung mit der anschließenden Sanktion der bessere Weg.

3. Einschränkung der Bewährungsmöglichkeit bei Gewalttätern: Auch hier sehe ich keinen Reformbedarf. Weiter drohende Gewalttätigkeit kann bei der Frage über das Ob der Bewährung ausreichend berücksichtigt werden.

4. Sonderrecht für Heranwachsende: Auch wenn ich mich an anderer Stelle für eine einschränkendere Auslegung des § 105 JGG ausgesprochen habe, muss ich aus eigener Anschauung sagen, sie hat ihre Berechtigung. Heranwachsende Straftäter verhalten sich sehr oft eben nicht erwachsen, sondern wie orientierungslose Jugendliche.
An sich bricht unsere Rechtsordnung an dieser Stelle. Zivilrechtlich vollverantwortliche und geschäftsfähige Menschen werden strafrechtlich wie "Kinder" behandelt. Dieser Widerspruch würde noch größer werden, wenn das Jugendstrafrecht wie zum Teil gefordert auf die unter 25-Jährigen ausgedehnt werden würde.
Die Ursache für die Anwendung des Jugendstrafrechts dürfte vielleicht auch seinen Grund darin haben, dass die jugendstrafrechtlichen Sanktionen mehr Möglichkeiten bieten, spezialpräventiv auf den Täter einzuwirken. Die Alternative Geldstrafe oder Freiheitsstrafe nach Erwachsenenstrafrecht bietet dies nicht.

Vielleicht sollte man an dieser Stelle den Blick weg vom Jugendstrafrecht wenden und sich über Veränderungen im allgemeinen Strafrecht Gedanken machen. Es gibt zwischenzeitlich zwar viele Einstellungsmöglichkeiten. Aber warum kann man nicht bspw. die Arbeitsauflage als echte Sanktion ausgestalten?

5. Ein spezielles jugendstrafrechtliches beschleunigtes Verfahren sollte nach der Zielsetzung des JGG an sich nicht erforderlich sein, wenn die Verfahren schnell erledigt werden können. Dies scheitert aber wie in einem anderen Blog bereits ausführlich erörtert (auch) an der personellen Besetzung der Gerichte/Polizei.

Beste Grüße,

Dr. Andreas Paul

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Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Dr. Paul,

nach Ihrer ausführlichen Einschätzung hatte ich erwartet, dass wir die Fragen im Blog diskutieren. Das ist bislang nicht der Fall; wir bleiben gleichsam "unter uns". Vielleicht ändert sich das jetzt.

Aufgreifen will ich den Beitrag Pro & Contra mit dem Thema "Verschärfung des Jugendstrafrechts?" zwischen der Bayerischen Staatsministerin der Justiz Dr. Beate Merk (CSU) und dem Vorsitzenden des Deutschen Richterbundes Christoph Frank in ZRP 2008, 71.

Die Ministerin vertritt folgende Forderungen:

(1) Regelmäßige Anwendung des allgemeinen Strafrechts auf Heranwachsende: "Jugendstrafrecht ist nur dann sinnvoll, wenn der Täter noch mit den Mitteln des Jugendstrafrechts zu erreichen ist."

(2) Anhebung des Höchstmaßes der Jugendstrafe bei Heranwachsenden von 10 auf 15 Jahre: "Damit soll sichergestellt werden, dass auch schwerste Taten, wie brutale Morde an wehrlosen Kindern, dem Schuldprinzip entsprechend bestraft werden können."

(3) Einführung des sog Warnschussarrests: "Der Jugendrichter soll die Möglichkeit haben, neben einer Bewährungsstrafe einen unmittelbar spürbaren Arrests zu verhängen."

(4) Ausbau des Fahrverbots zu einer vollwertigen Hauptstrafe des Jugendstrafrechts für alle Arten von Straftaten. "Eine für viele Jugendliche beeindruckende Sanktion."

(5) Ausdehnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung auf nach Jugendstrafrecht Verurteilte: "Bei gefährlichen Gewalttätern darf es für die Frage der Sicherungsverwahrung keine Rolle spielen, ob sie Jugendliche oder Erwachsene sind. Entscheidend ist ... allein die Gefährlichkeit."

Diskussionswürdig erscheint mir insbesondere die Ausdehnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung auf nach Jugendstrafrecht Verurteilte.

Mit freundlichen Grüßen
Bernd von Heintschel-Heinegg

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Zu den Vorschlägen vertritt Prof. Dr. Heribert Ostendorf, Generalstaatsanwalt a.D., Forschungsstelle für Jugendstrafrecht und Kriminalpräventionsuniversität Kiel, in seinem mit "Jugendstrafrecht - Reform statt Abkehr" überschriebenen Beitrag in StV 2008, 148 verkürzt folgendes:

(1) Die Heranwachsenden aus dem Jugendstrafrecht herauszunehmen wäre eine Ohrfeige für die Justizpraxis. Zumal die bei Kapitaldelikten eingesetzten Gutachter diagnostizieren nicht ohne Grund Reifeverzögerungen; die Richter wenden nicht ohne Grund in 62 % der Fälle das Jugendstrafrecht an; der BGH hat nicht ohne Grund wiederholt entschieden, dass im Zweifelsfall das Jugendstrafrecht als der angemesseneren Reaktion vorzuziehen ist.

(2) Der Anhebung der Höchststrafe von 10 auf 15 Jahre Jugendstrafe steht entgegen, dass bislang nur in wenigen Fällen die Strafe verhängt wird und zudem die meisten Verurteilten dann noch vorzeitig aus dem Jugendstrafvollzug entlassen wurden.

(3) Warnschussarrest: Der Strafvollzug verliert mit der Verbüßung des Jugendarrest seinen Schrecken.

(4) Nachträgliche Sicherungsverwahrung ist für junge Menschen nicht rechtspraktikabel, ja sie kann sich kontraproduktiv für den Opferschutz auswirken.

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Sehr geehrter Herr Prof. Dr. v. Heintschel-Heinegg,

nachdem mein Laptop wieder funktioniert, kann ich mich auch wieder melden.

Die derzeitigen Verschärfungsvorschläge sind nicht zielführend bzw. bringen keine echte Verbesserung im Hinblick auf das angstrebte Resozialisierungsziel oder die Vermeidung künftiger Straftaten.

Das Problem unseres Jugendstrafrechts liegt m. E. darin, dass es bei Intensivtätern nicht früh genug erkennen kann, wann ein solcher vorliegt, um entsprechend reagieren zu können. Jeder Verteidiger/Staatsanwalt/Strafrichter kennt die Entwicklung aus eigener Erfahrung: Bei der ersten (in der Regel geringen) Auffälligkeit, wird mehr oder minder folgenlos eingestellt, beim nächsten Mal wird ein bisschen schärfer reagiert und das entwickelt sich langsam weiter, bis irgendwann mal was wirklich schlimmes passiert. Und dann kann man "nur noch" auf die Folgen reagieren.
Das wird man mit schärferen Sanktionen nicht durchbrechen können.

Die häufige Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende zeigt doch deutlich, dass es hier vom Verhalten und der Entwicklung her, noch um unfertige, erzieherisch beeinflussbare Menschen geht; eine pauschale Anwendung des Erwachsenenstrafrechts also gerade nicht angezeigt ist.

Ich kann Forderungen von Betroffenen nach härteren Strafen nachvollziehen. Es ist schwer vermittelbar, wenn ein Jugendlicher/Heranwachsender "nur" max. 10 bzw. 15 Jahre bekommt. Allerdings muss man sich auch mal vor Augen halten, was in der Zeit mit dem Verurteilten passiert und wie schlecht seine zukünftigen Chancen auf Teilhabe an der Gesellschaft nach dieser Zeit sind. Wir haben uns in Deutschland für die "Erziehung" im Jugendstrafrecht entschieden und dieser Weg ist gegenüber einer rein generalpräventiven Sanktionierung m. E. der definitiv bessere. Allerdings muss man dem Strafvollzug auch die finanziellen und personellen Mittel zur Verfügung stellen (weswegen viele sinnvolle Maßnahmen letztlich nicht umgesetzt werden können). Alternative Vollzugsformen wie das Projekt Chance in Baden-Württemberg können v. a. deshalb so gut funktionieren, da sie (u. a.) entsprechende Möglichkeiten mit einer sehr günstigen Betreuungsrelation haben. Strafttäter, die nicht an diesem Programm teilnehmen können/dürfen, werden aber demgegenüber beanchteiligt.

Die Ausdehnung des Fahrverbots halte ich für den einzigen erwägenswerten Vorschlag. Hiermit würde man (auch im allgemeinen Strafrecht) mehr Wirkung erzielen, als mit einer zur Bewährung ausgesetzten (Jugend-)Freiheitsstrafe.

Der Warnschussarrest wäre nur sinnvoll, wenn man ihn auch tatsächlich erzieherisch ausgestalten würde und es nicht bloß ein Verwahrvollzug wäre. Daran zweifle ich aber.

Die Sicherungsverwahrung könnte im seltenen Einzelfall bei einem Jugendlichen mal angezeigt sein. Aber daraus das Erfordernis einer generellen Sanktion zu machen, halte ich für bedenklich. Die erforderliche Gefährlichkeit & die entsprechende negative Prognose werden sich bei einem jugendlichen Täter nicht zeigen können bzw. kaum verlässlich zu begründen sein.

Soweit für heute.

Mit freundlichen Grüßen,

Dr. Andreas Paul

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Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt Dr. Paul,

besten Dank dafür, dass Sie die Diskussion in einer Zeit wieder aufnehmen, die nicht durch konkrete Vorkommnisse mit Schnellschüssen so aufgeladen ist.

Ihre Einschätzung teile ich, zumal das Fahrverbot wäre für die meisten Täter eine "gefürchtete" Sanktion. Schade, dass dieser bereits vor vielen Jahren im Erachsenenstrafrecht gemachte Vorschlag wieder in der Schublade verschwunden ist.

Wichtig ist mir die Forderung an die Justizverwaltung: Jugendstaatsanwälte und Jugendrichter brauchen noch mehr fachliche Kompetenz (ebenso wichtig sind einschlägige Fortbildungsmöglichkeiten für die Strafverteidiger). Vorallem bedarf es in den Verhandlungen keinen zeitlichen Erledigungsdruck, damit die Verfahrensbeteiligten sich in Ruhe mit dem jugendlichen Straftäter und seiner Tat auseinandersetzen können.

Mit freundlichen Grüssen
Bernd von Heintschel-Heinegg

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also ich finde es nicht so gut das ihr sowas schreib und das ihr das ihn die öffendlich keit bringt was ist den wenn es manche leute nicht wollen aba naja ihr denkt nur an euch weil ihr geld verdinen wollt aba was wollen die andren die wollen es nämlich nicht also denkt auch mal an die andren und nicht nur an euch

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Leider weiß ich noch aus meiner zwar schon etwas zurückliegenden Praxis als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, dass hier praktisch keinerlei Abwägung vorgenommen wird, ob der Täter oder die Täterin entsprechend geistig entwickelt ist. Es wird in praktisch jeder Jugendstrafsache ein "vorformuliertes Sprüchlein" beim Plädoyer aufgesagt und regelmäßig Jugendstrafrecht bei Heranwachsenden angewendet. Das ist zumindest im OLG-Bezirk Saarbrücken meist so gewesen. In der Tat kann ich nur zustimmen, dass dringend nötig ist, dass die am Verfahren Beteiligten besser "geschult" sein müssten. Dann müssten aber auch die Staatsanwälte, die die entsprechenden Kenntnisse haben, wieder öfter selbst an den Sitzungen teilnehmen. Von einem jungen Referendar kann man vertiefte Kenntnisse sicher nicht erwarten. Zudem gibt es bei der "Beurteilung" sehr große regionale Unterschiede. In anderen Bundesländern soll die Abwägung, so denn eine erfolgt, oft in Richtung Erwachsenenstrafrecht gehen.

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