Hans Bredow Institut weist Kritik an Jugendschutz-Evaluation zurück

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 16.02.2008

In einer Replik hat der Geschäftsführer des Hans Bredow Instituts (HBI) in MMR 2/2008, S. XI die von Wissenschaftlern im Jugendschutzrecht geäußerte Kritik an der Methodik und dem rechtswissenschaftlichen Niveau der Evaluation teilweise zurückgewiesen. Dabei wurde die bemängelte vielfache Nichtberücksichtigung des Forschungsstandes in der Rechtswissenschaft von Seiten des HBI derart interpretiert, dass lediglich "einige thematisch einschlägige" Texte "nicht explizit erwähnt" worden seien. Insoweit sei "nicht bei jeder ausgewerteten Publikation eine Zitierung" geboten. Zudem sei eine umfassende Auswertung der vorhandenen Rechtsliteratur nicht Aufgabe der Evaluation.

Gegenüber der Kritik fehlender bzw. fehlerhafter rechtsmethodischer Auslegung wandte der HBI-Geschäftsführer ein: "Zu ermitteln, wie eine Norm nach Regeln der Auslegung verstanden werden muss, ist nur ein Teil der dafür erforderlichen Prüfung; die richtige Auslegung von Normen garantiert nicht, dass die Regulierung das angestrebte Ziel erreicht" (siehe auch die weitere Replik). Zudem spielten bei der Betrachtung von Optionen des Gesetzgebers bei der Änderung von rechtlichen Vorgaben neben rechtlichen Argumenten auch rechtspolitische Erwägungen eine Rolle.

Im Hinblick auf die von Jugendschutz-Rechtswissenschaftlern vorgebrachte Kritik an der empirischen Untersuchung ist der Replik zu entnehmen, dass die "Fokussierung auf Experten, die zu großen Teilen Interessenvertreter" sind, "methodisch gewollt" sei. Insoweit könne schon "eine einzelne Einschätzung, die Auswirkungen auf das Handeln der betreffenden Organisation im System hat, für die Evaluation relevant sein". Die empirischen Erkenntnisse zu Nutzung und Akzeptanz, die als schmal kritisiert werden, basierten nach Angaben des HBI-Geschäftsführers auf einer umfangreichen Metaanalyse vorhandener Studien, hingegen nicht nur auf der Befragung weniger Jugendlicher und Eltern.

Nach Kritik und Replik bleiben Fragen: Was bedeutet "Evaluation" im Jugendschutzrecht? Kann auf eine umfassende Auswertung des Forschungsstandes der Rechtswissenschaft verzichtet werden, gerade wenn es um Evaluationsfragen wie die Auslegung von Rechtsbegriffen geht? Welche Bedeutung hat die richtige Anwendung rechtsmethodischer Auslegungsgrundsätze? Ist vorstellbar, dass Interessenvertreter als befragte "Experten" nicht nur das Ziel eines funktionierenden Jugendschutzes im Blick haben? Ist dann nicht ein deutlicher Beleg sinnvoll, welche konkreten Berichtsergebnisse auf einzelne Aussagen von Interessenvertretern zurückgehen?

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3 Kommentare

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Ausgehend von der Protokollerklärung der Länder zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, wonach alle Erfahrungen auszuwerten sind, erscheint mir die „Fokussierung auf Experten, die zu großen Teilen Interessenvertreter sind“ als Einschränkung des Evaluationsauftrags. Die Frage von Herrn Liesching zeigt gut die Probleme auf, die diese Beschränkung mit sich bringt. Unabhängig davon, ob die Interessenvertreter als befragte “Experten” nicht nur das Ziel eines funktionierenden Jugendschutzes im Blick gehabt haben oder nicht, entwertet alleine diese berechtigte Frage den Wert des Berichts.

Die Kritik der mangelnden Auswertung der in der Literatur vertretenen Ansichten wird durch die Replik nicht wirklich ausgeräumt. Natürlich können tatsächliche Praxis und herrschende Auslegung einer Bestimmung in der Literatur auseinander laufen. Dies aufzuzeigen - wofür eine umfassende Analyse der durchaus noch überschaubaren Zahl von Publikation im Jugendmedienschutz erforderlich ist - wäre aber auch eine Notwendigkeit bei einem umfassend verstandenen Evaluationsauftrag, um den Gesetzgeber hier in die Lage zu versetzen, korrigierend bzw. klarstellend einzugreifen. Davon geht ja anscheinend auch das HBI aus, wenn es in der Replik erwähnt, dass es ein Ziel sei, Unklarheiten zu identifizieren, die das Funktionieren des Systems beeinträchtigen können.
Was, wenn nicht eine unterschiedliche Auslegung einer Norm soll denn als Unklarheit durchgehen? Und wie anders als durch eine umfassende Praxis- und Literaturanalyse soll sie festgestellt werden können? Insoweit sehe ich keinen Unterschied zwischen einer „Kommentierung“ und einer „Evaluation“. Letztere ist eher eine „Kommentierung Plus“, muss sie nach einer Darstellung der Auslegungsmöglichkeiten darüber hinaus z.B. darstellen, inwieweit die Handhabung in der Praxis effizient ist und ob diese durch andere Interpretationen in der Literatur zu Recht in Frage gestellt werden könnte und gesetzgeberischer Klarstellungsbedarf besteht.

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Die Antikritik des HBI halte ich für überwiegend verfehlt.
Es ging Dr. Liesching et al. ja nicht darum, dass hier einzelne Literaturmeinungen zu extravaganten Auslegungen nicht im Bericht berücksichtigt waren, sondern um die Grundlagen. Z.B. darum, dass der dezidierte Wille der Gesetzgeber an manch entscheidender Stelle keine Berücksichtigung fand, wie Kollege Dr. Ott zutreffend anführt; und nicht zuletzt darum, dass der Bericht insgesamt und auch deshalb rechtswissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen kann, obwohl er diesen Anspruch an sich selbst stellte. Und nun, in der Antikritik wird sogar noch damit kokettiert, dass "rechtspolitische Erwägungen" für die Studie von besonderem Interesse gewesen seien.
Sich nun darauf zurückzuziehen, die Rechtswissenschaft sei nicht so wichtig und schon gar nicht entscheidend für etwas so Besonderes, wie eine "Evaluation" ist ein ein eher zweifelhaftes Argument mit dem der HBI versucht, sein Gesicht zu wahren.

Zugeben muss ich allerdings, dass die empirischen Teile des Berichts wohl am hilfreichsten sind, für diejenigen, die tatsächlich um eine Evaluation bemüht sind. Und das liegt möglicherweise nicht ausschließlich daran, dass die juristischen Ausführungen eher weniger hilfreich zu sein scheinen. Dass die empirischen Fakten teilweise auch auf einer sehr qualitativen Basis gewonnen werden müssen, kann ich durchaus nachvollziehen. Denn es ist in der Tat eine Spezialrechtsmaterie und nicht beliebig viele Menschen sind mit der Handhabung des Jugendschutzrechts in der Praxis befasst.
Zur Frage, inwiefern die interessanten Ergebnisse im Teil "Jugendschutz aus sozialwissenschaftlicher Perspektive" tatsächlich fundiert und den Grundsätzen sozialwissenschaftlicher empirischer Methoden entsprechen (an dieser Stelle sollte wohl in der Tat auch repräsantativ geforscht werden), kann ich als Juristin leider nichts sagen. Ich hoffe jedenfalls für das HBI, dass die dort mit der Studie befassten Soziologen etc. ihre Hausaufgaben gewissenhafter erledigt haben, als die Juristen, sonst dürfte die Kritik gewiss nicht die letzte gewesen sein, die das HBI "irritiert" in einer Fachzeitschrift zur Kenntnis nehmen wird.

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Ich teile die Ansichten von Frau Dr. Mynarik und Herrn Dr. Ott. Da es methodisch bislang in der Tat wenig Erfahrungen mit dem Begriff "Evaluation" gibt, kann man darüber natürlich trefflich streiten. Dies gilt selbstverständlich auch für die Frage, welche Bedeutung der Forschungsstand in der rechtswissenschaftlichen Literatur für eine Evaluierung jugendschutzrechtlicher Themen hat. Zumindest aber dann, wenn das HBI die Publikationen ihrer eigenen Angehörigen vollumfänglich auswertet und minuziös im Literaturverzeichnis wiedergibt, wäre es doch sicher sinnvoll gewesen, diese Sorgfalt bei anderen rechtswissenschaftlichen Beiträgen ebenfalls - zumindest annähernd - walten zu lassen.

Es geht insoweit nicht um Eitelkeiten juristischer Fachliteraten, wie die Replik offenbar zu suggerieren versucht, sondern vielmehr um die Frage der Notwendigkeit, neben den eigenen - sicher bedeutvollen - Literaturbeiträgen von HBI-Vertretern zumindest auch auf die Standardliteratur im Jugendschutzrecht möglichst umfassend einen Blick zu werfen. Vielleicht wäre mancher Befund im HBI-Bericht im Sinne vermeintlich bestehender "Unklarheit" (vgl. z.B. S. 142 HBI-Bericht) anders ausgefallen. Wenn im Rahmen des HBI-Berichts insoweit vielfach die "Auswertung von Literatur" zuvörderst als methodischer Untersuchungsansatz vorgegeben wird, erscheint die These der Replik des HBI-Geschäftsführers, der rechtswissenschaftliche Forschungsstand sei gar nicht so wichtig, natürlich diskutabel.

In diesem Zusammenhang noch eine Klarstellung: Bislang haben sich in diesem Blog nur Kolleg(inn)en geäußert, die (einschließlich mir selbst) an der Formulierung der Kritik am HBI-Bericht in MMR 1/2008 mitgewirkt hatten. Darüber hinaus möchte ich alle interessierten Blog-Leser und ganz herzlich auch Vertreterinnen und Vertreter des Hans Bredow Instituts zur weiteren Diskussion zu den eingangs aufgeworfenen Fragen einladen. Die Offenheit für weitere Diskussionen wurde vom Geschäftsführer der HBI, Herrn Dr. Schulz, dankenswerter Weise bereits in der Replik signalisiert, wonach die Kritik auf Institutsseite nicht nur als "irritierend" sondern gleichfalls als "hilfreich" und begrüßenswert empfunden worden ist.

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