BAG zur Kündigung wegen Umstellung auf selbständige Unternehmer

von Prof. Dr. Markus Stoffels, veröffentlicht am 25.03.2008

Nach einer Pressemitteilung (Nr. 22/08) hat der 2. Senat des BAG in einem Urteil vom 13. März 2008 (2 AZR 1037/06)  über eine Kündigung entschieden, die der Arbeitgeber mit der Begründung ausgesprochen hatte, er wolle die bis dahin vom klagenden Arbeitnehmer verrrichtete Tätigkeit (Plakate anbringen) künftig auf selbständiger Basis ausführen lassen. Bereits in dem bekannten Weight- Watchers-Urteil (BAG vom 9.5.1996, NZA 1996, 1145) hatte das BAG eine solche Maßnahme als freie Unternehmerentscheidung grundsätzlich hingegenommen. Daran knüpft die vorliegende Entscheidung offensichtlich an. Das BAG konstatiert, daß die Neuordnung des Unternehmens nicht willkürlich oder mißbräuchlich sei, sondern auf nachvollziehbaren Erwägungen beruhe. Die betriebsbedingte Kündigung wurde daher im Ergebnis bestätigt. Der Pressemitteilung ist zu entnehmen, dass dem klagenden Arbeitnehmer zuvor die Fortführung seiner bisherigen Tätigkeit als Selbständiger angeboten worden war. Noch nicht geklärt ist, ob der Arbeitgeber hierzu verpflichtet ist und wie ggf. eine solche Verpflichtung begründet werden kann (hierzu APS-Kiel, 3. Aufl., § 1 KSchG Rdnr. 526). Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidungsgründe auch auf diese Problematik eingehen.

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Professor Markus Stoffels gibt in seinem am 25.03.2008 veröffentlichten Kommentar zur Entscheidung des BAG vom 13.03.2008 über eine „Kündigung wegen Umstellung auf selbständige Unternehmer“ (2 AZR 1037/06) die Pressemitteilung 22/08 des Bundesarbeitsgerichts mit den Worten wieder, dass der beklagte Arbeitgeber „die bis dahin vom klagenden Arbeitnehmer verrichtete Tätigkeit (Plakate anbringen) künftig auf selbständiger Basis“ habe ausführen lassen wollen.

Professor Stoffels spielt mit der Formulierung „auf selbständiger Basis“ offensichtlich auf den Satz der BAG-Pressemitteilung an, wo es heißt, dass in einem mit dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleich festgelegt worden sei, „dass den als ‚Moskito-Anschlägern’ beschäftigten Arbeitnehmern gekündigt und eine Beschäftigung als selbständige Unternehmer angeboten werden solle.“ (BAG-Pressemitteilung Nr. 22/08, Absatz 2, Satz 4).

Ob der Terminus „auf selbständiger Basis“ schon den genauen Sinn des Terminus „als selbständige Unternehmer“ wiedergibt, muss offen bleiben, ebenso wie die Frage, ob das in der BAG-Mitteilung unterstellte Angebot zu einer „selbständigen Unternehmer“-Existenz an den ‚Moskito-Anschläger’ tatsächlich erfolgt ist (ein solches Angebot müsste sich doch eigentlich in den Akten finden lassen).

Zu Recht weist Professor Stoffels darauf hin, dass die vorliegende Entscheidung offensichtlich auf das bekannte Weight-Watchers-Urteil von 1996 anspielt, auf welches die beiden vorinstanzlichen Urteile (AG München 14 Ca 12496 und LAG München 11 Sa 979-05) auch explizit Bezug nehmen.

Das Weight-Watchers-Urteil unterscheidet sich freilich von der aktuellen Entscheidung dadurch, dass den gekündigten Weight-Watchers-Angestellten unternehmerisches Handeln in ihrer bisherigen Tätigkeit zwingend zur Auflage gemacht worden ist, während den gekündigten ‚Moskito-Anschlägern’ dagegen jedes unternehmerische Handeln in ihrer bisherigen Tätigkeit, sprich dem Plakataushang an den rund 8000 im Monopolbesitz der beklagten Firma befindlichen sog. ‚Moskitos’ (Wechselrahmen zum Plakataushang), verboten ist.

Der Unterzeichnende weiß dies und hat dies in vorliegendem Verfahren seit seinem ersten Schriftsatz wiederholt vorgebracht und dokumentiert, denn er war der Kläger in vorliegendem Fall und kennt den gesamten Akteninhalt.

Der Unterzeichnende wird in seiner im Herbst 2008 erscheinenden Dissertation zum Naumburger Stifterchor, der mit seinem berühmten Figurenzyklus tatsächlich einen Gerichts-Chor darstellt (genauer: einen Synodalchor, nicht aber - wie bisher angenommen worden ist - einen Memorialchor) auch auf Umstände des Verfahrens 2 AZR 1037/06 eingehen.

Dr. des. Gerhard Straehle

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ERGÄNZENDE BEMERKUNGEN zur BAG-Mitteilung 22/08 auf Basis einer Kenntnis der Akte 2 AZR 1037/06.

In ihrer BAG-Pressemitteilung 22/08 vom 13.03.2008 erklären die BAG-Richter des 2. Senats im letzten Absatz:

„Die den bisher als Arbeitnehmern beschäftigten „Moskito-Anschlägern“ angebotenen Verträge sind keine Arbeitsverträge.“

Dieser Satz suggeriert, dass dem Moskito-Anschläger überhaupt ein Vertrag angeboten worden ist. Es ist dem Kläger aber - und dies ist aktenkundig - überhaupt kein Vertrags-Angebot gemacht worden.

Der PFLICHT-SCHRIFTSATZ der Beklagten, welcher vom 25.10. 2004 datiert und welcher sich in den Akten des BAG befindet, enthält genau folgende Anlagen:

1) den in der BAG-Mitteilung erwähnten Interessenausgleich vom 29.06.2004,
2) die Anhörung des Betriebsrats zur beabsichtigten Kündigung am 15.07.2004, und
3) den vom 2. Senats des BAG in seiner Vorankündigung zum Prozess erwähnten WIDERSPRUCH des Betriebsrats vom 26.07.2004. http://www.bundesarbeitsgericht.de/termine/maerztermine.html

Wie aus den BAG-Akten hervorgeht, hat die Beklagte mehr als ein halbes Jahr nach der Entlassung des Klägers das Bedürfnis gefühlt, das Surrogat eines Vertragsangebots an diesen einzureichen. Die Moskito-Monopolistin (ihr gehören alle in München montierten 8000 Moskitos) reichte deswegen mit Datum vom 03.03.2005 dem Arbeitsgericht München per Fax einen Schriftsatz ein, der dem Gericht per Eingangsstempel am 10.MRZ 2005 zuging und welcher als einzige Anlage einen am 03.03.2005 von der Frankfurter Zentrale von der Niederlassung München angeforderten und dort anonymisierten Vertrag enthielt, der 2002 mit einem unbekannten Subunternehmer geschlossen worden war. (Der Vorgang ist durch Faxnummer und -datum oben links „03.03.2005“ in den BAG-Akten hervorragend dokumentiert).

Dieser anonymisierte Vertrag aus dem Jahre 2002 ist dem Kläger auch damals noch nicht vorgelegt worden, denn die Durchschrift des Schriftsatzes, die dem Kläger von der Beklagten per E-Mail zugeschickt wurde, enthielt diese Anlage nicht, was der Kläger per schriftlicher Eingabe am 13.03.2005 beim Gericht aktenkundig machte.

Das wissen auch die BAG-Richter des 2. Senats, die momentan noch an der Ausarbeitung ihrer schriftlichen Revisions-Zurückweisung arbeiten.
[Das Urteil der Vorinstanz LAG München 11 Sa 979/05 (zuvor 9 Sa 979/05) ist seit einigen Monaten auf der Website des LAG München veröffentlicht]

In ihrer Presssemitteilung vom 13.03.2008 begründen die BAG-Richter des 2. Senats die Zurückweisung der Revision abschließend mit folgenden Worten:

„Die den bisher als Arbeitnehmern beschäftigten ‘Moskito-Anschlägern’ angebotenen Verträge sind keine Arbeitsverträge. Die nach diesen Verträgen für die Beklagte Tätigen unterliegen nicht dem für Arbeitsverhältnisse kennzeichnenden Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf Zeit, Ort und Art und Weise der Arbeitsleistung. Außerdem müssen sie die Leistungen nicht in Person erbringen, sondern können sie auch durch Dritte (zB Arbeitnehmer) erbringen lassen. (Schluss-Sätze der BAG-Mitteilung 22/08 vom 13.03.2008)

Sieht man einmal davon ab, dass die nach der Entlassung des Klägers ohne die geringste Änderung der Arbeitsorganisation in dessen vorherige Tätigkeit eingetretenen „Unternehmer“ in Bezug auf Zeit, Ort und Art und Weise der Arbeitsleistung von den Listen und Plakaten der Moskito-Monopolistin abhängig sind und es den Moskito-Anschlägern ("selbständigen Unternehmern") verwehrt ist, auch nur eines der 8000 im Besitz der Monopol-Firma befindlichen Moskitos unternehmerisch zu bewirtschaften, so ist abschließend noch einmal auf den Kern des Urteils 2 AZR 1037/06 zu verweisen, welcher sich bereits jetzt aus der BAG-Mitteilung 22/08 herausschälen lässt:

Die BAG-Richter des 2. Senats erachten ein nachgereichtes ‘Subunternehmer-Angebot’ aus dem Jahr 2002 zur Entlassung des Klägers allein deswegen für hinreichend, weil dieses „Angebot“ nach ihrer Revisions-Prüfung jedenfalls KEINEN ARBEITSVERTRAG („keine Arbeitsverträge“) darstellt.

Man würde doch aber auch gern wissen - und die schriftliche Revisions-Zurückweisung müsste dies darlegen -, was der erst am 03.03.2005 von der Beklagten eingereichte Vertrag positiv darstellt.

Denn nach dem von den BAG-Richtern des 2. Senats im 1. Abschnitt ihrer Mitteilung zitierten Interessenausgleich müsste es positiv eigentlich ein Vertrag sein, welcher den entlassenen Arbeitnehmer zum „selbständigen Unternehmer“ (BAG-Mitteilung, Abschnitt 1, Satz 3) macht.

Tatsächlich aber lassen es die BAG-Richter des 2. Senats für hinreichend gelten, dass dem Kläger nach seiner Entlassung „kein Arbeitsvertrag“ mehr angeboten worden ist. Das ist unstreitig: Dem entlassenen Arbeitnehmer ist vor und nach seiner Entlassung „kein Arbeitsvertrag“ mehr angeboten worden. Unstreitig ist aber auch, dass ein Urteil, welches es zur betriebsbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers für hinreichend erachtet, dass dem Arbeitnehmer nach seiner Entlassung „kein Arbeitsvertrag“ mehr angeboten wird, die Beseitigung des Kündigungsschutzgesetzes selbst bedeutet.

Dr. des. Gerhard Straehle

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ANMERKUNGEN zum Kommentar von Dr. Krieger in BECK-AKTUELL.

Dr. Krieger von der Sozietät Gleiss Lutz hat in beck-aktuell einen Beitrag zum hier diskutierten Fall veröffentlicht (zuerst publiziert in beck-fachdienst Arbeitsrecht 11/2008 vom 27.03.2008), in welchem er auf zentrale Punkte des Verfahrens 2 AZR 1037/06 eingeht, wobei seine Überlegungen sich teilweise mit den zuvor schon bei Professor Stoffels angesprochenen Vorstellungen berühren (s.o.).

Die zentralen Überlegungen von Dr. Krieger betreffen folgende Punkte:

a) Verbindlichkeit der Unternehmerentscheidung für die arbeitsgerichtliche Rechtssprechung

b) Bezug des aktuellen Urteils 2 AZR 1037/06 zum konträren Urteil 2 AZR 438/95 von 1996 (Weight-Watchers-Urteil) und

c) Frage der Verpflichtung des Unternehmens - Ja oder Nein -, dem zur Entlassung vorgesehenen Arbeitnehmer bei Bedarf das Angebot einer „selbständigen Unternehmer“-Existenz überhaupt unterbreiten zu müssen.

Was das aktuelle BAG-Urteil 2 AZR 1037/06 zur betriebsbedingten Kündigung anlangt, so können an dieser Stelle die Punkte a) - Verbindlichkeit der Unternehmerentscheidung - und c) - eventuelle Angebots-Verpflichtung des entlassenden Unternehmens - zusammen abgehandelt werden, denn im vorliegenden Fall zitiert doch das BAG selbst (!) in seiner Pressemitteilung (wenn auch falsch, was hier zu erörtern nicht der Ort ist) den INTERESSENAUSGLEICH mit dem Betriebsrat, in welchem ein solches Angebot die Modalitäten der Umsetzung der Unternehmerentscheidung regeln soll:

„In einem mit dem Betriebsrat vereinbarten Interessenausgleich war festgelegt, dass den als ‘Moskito-Anschlägern’ beschäftigten Arbeitnehmern gekündigt und eine Beschäftigung als selbständige Unternehmer angeboten werden sollte.“ (BAG-Pressemitteilung Nr. 22/08, Absatz 2, Satz 4)
[Anmerkung: Im hier vom 2. Senat des BAG angesprochenen Interessenausgleich kommt das Wort ‘Moskito-Anschläger’ tatsächlich überhaupt nicht vor. Der für den örtlichen Bereich der Moskitos allein zuständige Betriebsrat in München hat der Kündigung des Moskitoanschlägers WIDERSPROCHEN; siehe Widerspruch Betriebsrat: http://www.netzwerk-weiterbildung.de/upload/m480e1f7701324_verweis1.pdf ).

Es muss nach Kenntnis des Wortlauts der BAG-Mitteilung Nr. 22/08 und des darin angeführten Interessenausgleichs befremdlich anmuten, wenn die Juristen Stoffels und Krieger in Bezug auf den vorliegenden Fall die Frage stellen, „ob der Arbeitgeber verpflichtet ist, bei einer solchen Umstellung den bisher abhängig beschäftigten Arbeitnehmern eine Fortsetzung ihrer Tätigkeit auf selbständiger Basis anzubieten“ (Krieger) bzw. „ob der Arbeitgeber hierzu [sc. zu einem solchen Angebot] verpflichtet ist und wie ggf. eine solche Verpflichtung begründet werden kann“ (Stoffels), denn der in der BAG-Mitteilung zitierte INTERESSENAUSGLEICH (von dessen richtiger Wiedergabe durch das BAG die genannten Herren in ihren Erörterungen ausgehen) sieht doch genau dies in der Version des BAG vor!

Wollen die Herren Krieger und Stoffels dem zur Umsetzung der Unternehmerentscheidung geschlossenen Interessenausgleich mit der Entlassung des Arbeitnehmers jede Verbindlichkeit absprechen (etwa im Sinne: Papier ist geduldig)?

Dr. Krieger geht hierbei radikal über die von Professor Stoffels noch vorsichtig an das Verfahren 2 AZR 1037/06 geknüpfte Frage der Verzichtbarkeit eines Vertragsangebots an den zur Entlassung vorgesehenen Arbeitnehmer hinaus, indem er in seinem Beitrag im beck-fachdienst Arbeitsrecht Nr. 11/2008 vom 27.03.2008 folgende durchgreifende Lösung vorschlägt:

„Das KSchG schützt ausschließlich Erwerbstätigkeiten im Rahmen eines unselbständigen Beschäftigungsverhältnisses. Selbständige Tätigkeitsverhältnisse sind nicht vom Schutzbereich des Gesetzes umfasst. Der Wirksamkeit einer Kündigung kann daher nicht entgegengehalten werden, es habe die Möglichkeit zur weiteren Berufsausübung in einem selbständigen Tätigkeitsverhältnis bestanden.“ (Dr. Krieger)

Mit diesen Worten wird der entlassene Arbeitnehmer nicht nur außerhalb des „Schutzbereiches des (Ksch)-Gesetzes“ (Krieger) gestellt, sondern rückwirkend als Vertragssubjekt gegenüber dem Arbeitgeber für rechtlos erklärt oder vielmehr für gar nicht existent: die Kündigung des Arbeitnehmers rechtfertigt seine Kündigung und hat den Verlust jeglicher Rechtsansprüche zur Folge.

Was Dr. Krieger zum Schluss über das Verhältnis des aktuellen Urteils 2 AZR 1037/06 zum sog. Weight-Watchers-Urteil (2 AZR 438/95) von 1996 anführt [unser Punkt b)], so vertritt er die Meinung, das Bundesarbeitsgericht habe „mit dem vorliegenden Urteil seine Rechtsprechung im Weight-Watchers-Fall (...) konsequent fort(geführt).“ (A.a.O.)

Tatsächlich hat der 2. Senat des BAG mit dem aktuellen Urteil 2 AZR 1037/06 die Rechtssprechung des Weight-Watchers-Urteil von 1996 nicht fortgeführt, sondern auf den Kopf gestellt. Denn der entscheidende Vergleichspunkt: die unternehmerischen Möglichkeiten der zur Entlassung anstehenden Arbeitnehmer in beiden Fällen NACH ihrer Entlassung verhalten sich völlig konträr, sozusagen wie Feuer und Wasser:

Dem Angebot und der Verpflichtung zur selbständigem unternehmerischen Tätigkeit bei den vormaligen Weightwatchers-Angestellten (Akquisition, Durchführung, Gestaltung, Rechnungsstellung, Gewinn und Verlust) steht bei den entlassenen Moskitoanschlägern das fortgesetzte VERBOT jeder unternehmerischen Tätigkeit in diesem Monopolbereich der Firma - die entlassenen Moskito-Anschläger können nicht ein einziges Moskito unternehmerisch vermarkten - gegenüber. Mit dem Urteil 2 AZR 1037/06, das von nun an - wie die Kommentare einschlägiger Anwaltskanzleien bereits jetzt zeigen - für jedes Entlassungskonzept herhalten wird, ist das Kündigungsschutzgesetz selbst beseitigt.

Dr. des. Gerhard Straehle

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