Ohne Worte: EuGH und Piraten

von Prof. Dr. Thomas Hoeren, veröffentlicht am 07.05.2008

Aus den Schlussanträgen des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer vor dem Europäischen Gerichtshof 8. Aril 2008 in Sachen Beecham Group, Rechtssache C-132/07:

2. Die Vielzahl der Bedeutungen des Begriffs „Pirat“ (aus dem Griechischen πειρατήζ [peirates]: Bandit, Plünderer) ist überraschend. Jedes Kind ist in der Lage, diesen Archetypus als Substantiv zu beschreiben, indem es lediglich seine charakteristischsten Eigenschaften aufzählt: das Holzbein, den Haken anstelle der Hand, den ungepflegten Bart und die Augenklappe, zwingender Tribut an die Entscheidung für diesen so gefährlichen Lebensstil voller Abenteuer und Gefahren.

3. Diese Darstellung ist zumindest seit der Romantik des 19. Jahrhunderts überliefert(2) . Selbst ein Schriftsteller wie Balzac, der weit über jeden Verdacht erhaben ist, sich den Diktaten dieses so tief in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verwurzelten Literaturstils zu unterwerfen, fügte einem seiner Romane eine Piratenepisode hinzu, zweifellos als Kniff, um die Dramatik des sorgenvollen Lebens von Madame D’Aiglemont zu erhöhen(3) .

4. In einem weiteren Sinn wird das Wort verwendet, wenn es mit dem Begriff des Produkts verknüpft wird, um auf dessen fehlende Echtheit oder seine Markteinführung auf wenig orthodoxen Wegen anzuspielen. Eine so bezeichnete Ware unterscheidet sich jedoch stark von der tatsächlichen Beute dieser Figuren, denn nie wurden die von ihnen geraubten Reichtümer selbst als illegal betrachtet, sondern man sah in ihrem Raub die gewaltsame Entwendung bei ihren rechtmäßigen Eigentümern. Ein Dichter beschrieb in einem für die damalige Zeit charakteristischen Gedicht auf das Rebellentum das Boot als das wertvollste Gut des Piraten, noch vor den sagenhaften erbeuteten Schätzen(4) .

5. In der juristischen Auseinandersetzung, der ich diese Schlussanträge widmen muss, könnte man mit ein wenig Phantasie die Unternehmen, die Parallelhandel betreiben, mit Piraten vergleichen und diejenigen, die ihre Rechte des geistigen Eigentums verteidigen, mit den Freibeutern, also denjenigen, die den „Kaperbrief“ ihrer Regierung erhalten hatten, um die Schiffe der feindlichen Mächte zu jagen. Im europäischen Recht werden jedoch die Begriffe umgedreht, denn wenn der vorstehende Vergleich auch auf den Handel mit Drittländern anwendbar ist, handelt im innergemeinschaftlichen Handel der Importeur rechtmäßig, und er ist es, der über den Kaperbrief verfügt, um die Unternehmen zu verfolgen, die danach trachten, diese Freizügigkeit zu beeinträchtigen. Alles hängt vom Standpunkt ab, denn für diese großen Unternehmen stellen die „free riders“ oder Parallelhändler wahre Filibuster dar(5) .

http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62007C0132:D...

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