Nein zur "Bestrafung der Armut" - keine Erzwingungshaft bei Insolvenz

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 17.06.2008

Das AG Pinneberg hat in einem Beschluss vom 1.6.2007 (= NJW-Spezial 2008, 346) eine Erzwingungshaftanordnung abgelehnt, weil über das Vermögen des Betroffenen bereits das Insolvenzverfahren eröffnet war. Dabei meint das Amtsgericht, es komme nicht auf den in § 96 OWiG benannten Begriff er Zahlungsunfähigkeit an, sondern vielmehr auf

  • die Nachrangigkeit der Bußgeldforderung im InsO-Verfahren
  • das Verbot derEinzelzwangsvollsteckung im InsO-Verfahren
  • den unzulässigen Zwang eine Straftat (§ 283 c StGB) zu begehen.
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12 Kommentare

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Bravo ! Das ist de facto ein Freibrief für alle Privatinsolvenzler -und vielleicht gleich auch noch für alle HartzIV Empfänger?- Ordnungswidrigkeiten aller Art zu begehen. Die Geldbußen können ja nach dieser Entscheidung weder vollstreckt noch via Erzwingungshaft durchgesetzt werden.
Warum soll man sich dann als "Armer" noch an irgendwelche Verkehrsregeln halten?
Passiert einem doch eh nichts!

Nur gut, dass die allermeisten Amts- und Landgerichte das anders sehen.

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na ja - bei der Privatinsolvenz haben Sie vielleicht recht. Mittlerweile mehren sich aber wohl die Stimmen, die das ähnlich wie das AG Pinneberg sehen.
Bei (wie Sie es nennen) "Armen" kommt es laut Gesetz (§ 96 OWiG) auf die die "Zahlungsunfähigkeit" an. Zahlungsunfähigkeit im Sinne des OWiG liegt bekanntlich nach der Rspr. vor, wenn der Betroffene den Mangel an Zahlungsmitteln auch nicht unter zumutbaren Bedingungen (z.B. Veräußerung und Verpfändung von Gegenständen, Kreditaufnahme, Einschränkung der Lebenshaltung, Einsatz der Arbeitskraft) beseitigen kann (vgl. LG Berlin NZV 2007, 374). Die von Ihnen befürwortete Rspr. ist hier m.E. oft übermäßig streng: Nicht einmal ein sich in Haft befindender Betroffener, der die eidesstattliche Versicherung abgegeben hat, soll wegen des ihm zustehenden strafvollzugsrechtlichen Arbeitsentgelts zahlungsunfähig sein (LG Arnsberg NZV 2006, 446 = VRR 2006, 151). Für mich ist das schwer nachzuvollziehen. Ich halte es da eher mit Eisenberg NZV 2007, 102, der sich mit der Entscheidung des LG Arnsberg sehr kritisch auseinandergesetzt hat. Manche Gerichte verneinen gar das gesetzliche Merkmal der Zahlungsunfähigkeit: Das LG Münster hat hierzu etwa entschieden, es komme nicht auf die Zahlungsunfähigkeit an, da selbst einkommens-, vermögenslose und auf ALG II angewiesene Personen gerade kleinere Bußgeldbeträge zu zahlen haben (LG Münster DAR 2006, 343 = VRR 2005, 283 für 50,00 €).

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O.K., mal ohne Polemik, sondern etwas sachlicher: Ich war selbst längere Zeit in einer Strafbeschwerdekammer (genauer Kammer für Bußgeldsachen) tätig und habe die Einwände der "Armen" (der Ausdruck ist unglücklich, aber ich habe keinen Besseren, der die verschiedenen Fallgruppen zusammenfasst) gegen die Erzwingungshaftanordnungen noch gut im Kopf. Der Regelfall war: ich bin HartzIV Empfänger und habe daher kein Geld, um meine 20 Euro Parkknolle zu bezahlen. Da gab es eine einfache Regel: wer sich ein Auto leisten kann, kann auch seine Owis bezahlen. Diese Regel halte ich nahc wie vor für richtig und deckt sich auch mit der von ihnen zitierten Entscheidung des LG Münster.

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Hallo Kollege "Mittendrin"
Ich sehe das völlig unverkrampft und weiß natürlich, dass die meisten Gerichte genauso entscheiden, wie Sie das darstellen. Solange man als Richter feststellen kann, dass zur Zeit der Vollstreckung der Geldbuße noch ein Fahrzeug von dem Betroffenen gehalten wird will ich mich dagegen auch gar nicht wehren. Aber: Kann man ansonsten den Begriff der Zahlungsunfähigkeit so einfach aus dem Weg räumen? Wie hätten Sie es denn im Falle des LG Arnsberg gemacht (Heranwachsender im Jugendvollzug; bereits abgegebene e.V.; Geld nur soweit zur Verfügung, wie es im Vollzug verdient wurde)? Ist die Zahlungsunfähigkeit im Sinne des OWiG denn nach Ihrer Ansicht überhaupt irgendwo erreicht oder muss man kleine Geldbußen immer zahlen können? Das interessiert mich ernsthaft!

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Ob man bei dieser Thematik mit Pauschalierungen weiterkommt wage ich stark zu bezweifeln.

Die Auffassung von "Mittendrin" mag für die dort aufgezeigten Sachverhalte grds. zutreffend sein.

Man sollte allerdings nicht aus dem Auge verlieren, dass es auch Sacherhalte gibt, in denen es um mehr als 20 € geht und die Entscheidungsträger sich nicht mit Ratenzahlungen anfreunden können.

In solchen Fällen den "Armen" mit dem Mittel der Zwangshaft zu drohen, steht dem dt. Rechtsstaat nicht immer gut zu Gesicht.

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Mit Blick auf die Entscheidung des IX. Zivilsenats (IX ZR 17/07) erscheint mir die Erzwingungshaft in solchen Fällen erst recht unsinnig. Wenn die Staatskasse möglicherweise Anfechtungsansprüchen nach § 133 InsO ausgesetzt ist, was soll die Erzwingungshaft dann bewirken? Die stichwortartig aufgezählten Argumente des AG Pinneberg sind deshalb einleuchtend.

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Hier muss ich leider zugeben, dass ich keinerlei Ahnung von Insolvenzrecht habe. Villeicht kann ja einer der in diesem Bereich beschlageneren Leser hierzu nähere Auskunft geben?

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Hallo Herr Schwiete - zunächst wäre natürlich interessant, wie "InsO-Rechtler" den Beschluss des AG Pinneberg bewerten.

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@Mittendrin (Richter)
Trotz aller Achtung Ihrer Person und Ihres Berufsstandes muss ich Sie fragen, ob Sie sich für etwas "Besseres" halten. Sie befanden sich (mal abgesehen von Ihrer Studienzeit) wahrscheinlich noch nie in Zahlungsschwierigkeiten. Und ich bezweifle ernsthaft, dass Ihnen als Richter der Strafbeschwerdekammer jemals ein Bußgeldbescheid zugesandt worden ist :-)
Also wie können Sie über Menschen urteilen, die zu Ihnen unterschiedlicher nicht sein könnten. Ein Reporter kann auch nicht aus dem warmen Büro heraus detailgetreu über ein Hochwasser in Bangkok berichten. Versuchen Sie sich doch nur einmal in die Lage eines Betroffenen zu versetzen. Das Prinzip des Rechtsstaates setzt auch (ich betone)ein wenig Verständnis vorraus.

@all
Ich habe da eine Anekdote, die durchaus zum Thema passt. Sie handelt von mir persönlich, was zu erwarten war.
Der Verlust meines Arbeitsplatzes aufgrund von "Änderungen in der Unternehmensstruktur" meiner Firma verursachte bei mir 2005 eine Überschuldung, da ich meine laufenden Verbindlichkeiten nicht mehr einhalten konnte. Sie endete dann im Juli in einer Verbraucherinsolvenz (@Mittendrin (Richter)- ja, ich bin auch einer Ihrer "Armen").
Im Februar 2006 wurde mir mein Fahrzeug von der Bank verwertet, da ich die Ratenzahlung aus der Insolvenz aussen vor ließ. Zwei Monate später erhielt ich eine Ordnungswiedrigkeitenanzeige für "Parken auf Behindertenparkplatz", obwohl mein Fahrzeug längst nicht mehr von mir geführt werden konnte. Der zuständige Verwerter übernahm Schlüssel, Papiere und Fahrzeug samt Inhalt und Kennzeichen. Aufgrund der Steuerrückerstattung und Vers.bestätigung weiß ich, das mein Fahrzeug erst Mitte März abgemeldet wurde.
Ich bin natürlich in Einspruch gegangen und habe das Übergabeprotokoll mit Datum/ Uhrzeit vorgelegt. Aber Überraschung: Der Einspruch wurde abgelehnt, weil noch angemeldet!
Die Forderung hält sich bis heute wacker. Im Oktober letzten Jahres erhielt ich vom Amtsgericht den Schlussbericht meiner Insolvenz und ich befinde mich jetzt in der Wohlverhaltensperiode, glaube ich zumindest.
Kürzlich erreichte mich ein hochinteressantes Schreiben dieses lästigen Provinz-Landratsamtes mit der Androhung von Erzwingungshaft. Ich habe mich beim Lesen köstlich amüsiert, weil ich es nicht verstanden habe, wie man nur so inkompetent sein kann.
Während der gesamten Laufzeit habe ich die Übergabe belegt, auf Pfändungsbeschlüsse mit Schreiben des Amtsgerichts reagiert, Kopien meiner EV eingereicht und über meine Verbraucherinso informiert.
Alles umsonst.
Nun sieht es so aus, dass ich im Falle einer Inhaftierung meinen neuen Arbeitsplatz verlieren würde und das ohne rechtlichen Hintergrund.
"Ein Bisschen Spass muss sein..."

Und die Moral von der Geschicht': Mir persönlich kommt das Urteil des AGPinneberg recht gelegen. Ich werde es in mein nächstes Schreiben mit einfließen lassen.
Aber auch Einwände dagegen sind berechtigt. Wenn man wirklich davon ausgeht, dass alle "Armen" Verbrecher sind ;-)

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit...

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Nachtrag:
Ich muss mich doch nochmal berichtigen - Da die Eröffnung der Insolvenz vor der Zustellung des Bußgeldbescheides lag, wäre doch noch die Erzwingungshaft möglich (mal abgesehen von der abgegebenen EV und der Rechtmäßigkeit des Bescheides). Nützt mir das Urteil also doch nichts. Tja, zum Glück hat ein schlauer Beamter die Prozesskostenbeihilfe erfunden. Mein Anwalt wirds schon richten :-)

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