Glück gehabt: "Stinkefinger" gegen Radaranlage ist keine Beleidigung

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 29.06.2008

Das LG Kassel hat in einer Entscheidung vom 30.11.2007, jetzt veröffentlicht in NZV 2008, 310 (mit Anm. Jendrusch) entschieden, dass eine Beleidigung (§ 185 StGB) nicht immer dann gegeben ist, wenn ein Fahrzeugführer im Rahmen einer sog. Radarfalle dem Messgerät einen sog. "Stinkefinger" zeigt. In dem entschiedenen Fall hatte sich der Fahrzeugführer dahin eingelassen, er habe geglaubt,  ohne einen Geschwindigkeitsverstoß nicht aufgezeichnet zu werden. Tatsächlich handelte es sich aber um eine Radaranlage, bei der auch parallel ein Video der passierenden Fahrzeugführer angefertigt wird. Hierauf war dann natürlich der "Stinkefinger" für die auswertenden Beamten zu sehen. Das Landgericht hat das Vorliegen eines bedingten Vorsatzes verneint, da nicht allgemein bekannt sei, dass auch ohne Geschwindigkeitsüberschreitung die vorbeschriebene Videoaufzeichnung gefertigt wird. Nachsatz: Jendrusch geht in seiner Anmerkung noch einen Schritt weiter. Er bezweifelt gar den beleidigenden Charakter der Tathandlung - vielmehr will er ein Zeichen der Schadenfreude hiein erkennen ("diesmal erwischt Ihr mich nicht". Meines Erachtens ist dies aber zu weitgehend. Diskutieren lässt sich freilich hierüber gleichwohl.   

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

12 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Mit welchem Recht werden die Gesichter der einzelnen Autofahrer gefilmt und ausgewertet, wenn sie sich nichts haben zu Schulde kommen lassen? Das scheint mir doch wieder mal eine der Auswüchse vom Schäuble-Überwachungswahn zu sein.

0

Ich verstehe ehrlich gesagt überhaupt nicht, warum sich hier jemand (persönlich) beleidigt fühlen sollte, wenn es doch in solchen Fällen niemals um eine persönliche Beleidigungen geht, wer da genau kontrolliert dürfte ja doch dem Fahrer zu 99,99% unbekannt sein. Außerdem dürfte doch grundsätzlich jedesmal tatmildernd „Affekt“ in Frage kommen.

Im Gegenteil, ich halte Strafanzeigen wegen Beleidigung in diesen Fällen für „Kindergarten“ „Nachtreten“ oder wie auch immer, jedenfalls für übertrieben.

Als Erwachsener und besonders als Strafverfolger sollte man da drüber stehen.

Wer aus Zucker ist, sollte im Regen nicht spazieren.

Für eine ausführliche Begründung weshalb man so etwas trotzdem ahnden sollte wäre ich jedenfalls dankbar.

MfG

0

Es gab eine Entscheidung BayObLG NZV 2000, 337, die auf den ersten Blick ganz ähnlich erscheint:

- damaliger SV:
Als sich der Angekl. mit seinem Pkw der Messstelle näherte, setzte einer der Beamten eine Videokamera in Betrieb, um deren Einstellung bzw. Ausrichtung zu überprüfen. Die Kamera zeichnete daher auf. Der Angekl. erkannte die „Kontrollinstallation“ aus 300-400 m Entfernung, als er mit hoher Geschwindigkeit heranfuhr. Im sicheren Bewusstsein, freie Fahrt zu haben, hob der Angeklagte mit Blick zur seitlich angebrachten Videokamera hämisch den linken Arm und zeigte „dicht hinter der Frontscheibe den gestreckten Mittelfinger“.

- damalige Begründung des BayObLG, warum die Annahme einer Beleidigung nicht rechtsfehlerhaft war:

Der Tatbestand der Beleidigung setzt die Kundgabe der Miss- oder Nichtachtung als Äußerung gegenüber einem anderen voraus. Hierzu hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zum Revisionsvortrag zutreffend ausgeführt, dass eine solche Äußerung auch über ein Medium wie z.B. eine Videokamera übertragen werden kann.

Die Feststellungen des LG sind auch im Hinblick auf die subjektive Tatseite geeignet, die Verurteilung wegen Beleidigung zu tragen, auch in Ansehung der Einlassung des Angeklagten, „gemeint“ zu haben, die Videokamera sei nicht in Betrieb.

Angesichts der Tatsache, dass auch in Bezug auf die Wahrnehmung der Äußerung von Seiten des auf diese Weise missachteten anderen bedingter Vorsatz genügt, konnte das LG es als widerlegt ansehen, der Angekl. sei von der - sicheren - Vorstellung ausgegangen, die Kamera sei nicht in Betrieb. Auch insoweit teilt der Senat die Auffassung der Staatsanwaltschaft, dass es bei einem geistig gesunden Angeklagten lebensfremd wäre, ernsthaft zu erwägen, dass nach seiner Vorstellung die missachtende Geste einer toten Sache galt. …

0

Herr Krumm,

Der Tatbestand der Beleidigung setzt die Kundgabe der Miss- oder Nichtachtung als Äußerung gegenüber einem anderen voraus.

Ja aber wer ist das?
Wenn ich mir ein (das) Foto von Effenberger anschaue, beleidigt er dann mich konkret?

Wohl kaum, oder?

Ich kapier's nicht, ehrlich.

Wenn das so weiter geht, (auch mit LG HH) unterscheidet uns bald gar nix mehr von China, Kuba, Myanmar oder Zimbabwe.

In den USA darf man völlig straffrei die Stars & Stripes verbrennen, mal so als Hausnummer.

(Ein winziges "b" vergessen, schon "schreit" der Kommentar. Sorry)

0

Von der Beleidigungsdiskussion abgesehen - ich halte beide Urteile bei den jeweiligen Sachverhalten für richtig und auch nicht widersprüchlich - sollte man wirklich mehr über die Legitimität der Kameraaufzeichnung sprechen. Zumindest das hessische Datenschutzgesetz liefert für mich keine Ermächtigungsgrundlage. Auch über die polizeiliche Generalklausel sehe ich einen solchen Eingriff in das APR nicht gerechtfertigt.
Wenn im Übrigen das BVerfG schon die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen, an denen es in der Vergangenheit öfter zu Straftaten oder OWiGs gekommen ist, für einen nicht vom (bayrischen) Datenschutzgesetz oder der polizeilichen Generalklausel gedeckt hält, dann wohl erst recht nicht die allgemeine Überwachung des Verkehrs.
Bei Gelegenheit könnte man ja auch noch die Parallele zum KFZ-Scanning ziehen...

0

Aus welchem Grund werden eigentlich alle vorbeifahrenden Autofahrer aufgezeichnet und die Aufzeichnungen selbst ausgewertet ? Mit Datensparsamkeit hat dies ganz und gar nichts zu tun. Man sollte diesen fürsorgenden Obrigkeitsfanatikern mal geschwind den zuständigen Datenschutzbeauftragten auf den Hals hetzen.

0

dass es bei einem geistig gesunden Angeklagten lebensfremd wäre, ernsthaft zu erwägen, dass nach seiner Vorstellung die missachtende Geste einer toten Sache galt
Ich sehe das anders. Wer hat denn nicht schon mal Objekte beleidigt, wie z.B. "Sch____ Windows-PC, schon wieder abgestürzt" oder "Sch____ Karre, spring endlich an" oder "Sch____ Ampel, schon wieder rot".

0

Ich denke, man wird da unterscheiden müssen:
Kann man als Fahrer sicher sein, geblitzt zu werden und mit "Stinkefinger" abgelichtet zu werden, so dass dies zwangsläufig ein "Auswertungsbeamter" zu sehen bekommt, so wird wohl eine Beleidigung gegeben sein.
Im eingangs geschilderten Fall dagegen war hiervon ja nicht auszugehen.

Noch eine Frage:
Kennt denn einer das Messgerät bzw. das Messverfahren?

0

Ich lebe schon eine Weile im Ausland (Grossbritannien) und hier wird man staendig per "CCTV" gefilmt und "ueberwacht". Etwas ueberraschend finde ich schon, dass man mittlerweile auch in Deutschland damit rechnen darf von staatlicher Seite gefilmt zu werden, wenn man mit zugelassener Geschwindigkeit auf der Strasse umherfahert. Ich wuerde dabei niemals erwarten, dass jemand solche Bilder auswertet, die bei zugelassener Geschwindigkeit gemacht wurden und sehe schon keine Tathandlung i.S.v. § 185 StGB. Da stimme ich Jendrusch zu. Welchem Zweck dienen diese Bilder denn, wenn die zulaessige Geschwindigkeit eingehalten wurde? Werden da Dinge wie "sieht das Auto verkehrssicher aus?" ueberwacht? Erstaunlich.

0

Wie man sich in seiner Ehre gekränkt fühlen kann, weil man bei der Auswertung eines Films eine unflätige Geste bemerkt, die der Urheber keiner bestimmten Person zuordnen wollte (was er mangels Kenntnis des Auswerters ja gar nicht konnte), sondern die wahrscheinlich nur dazu diente, den Ärger gegenüber einem anonymen Gerät abzureagieren (mag der Urheber nun gewußt haben oder nicht, daß das irgandwann mal jemand zu Gesicht bekommt), das kann ich nicht nachvollziehen. Unabhängig von der Frage, ob § 185 StGB hier materiellrechtlich anwendbar sein könnte (was wohl in der Tat eine Frage des Vorsatzes im Einzelfall wäre), möchte ich im übrigen folgendes bemerken:

Wenn die Staatsanwaltschaft eine solche Albernheit nicht auf den Privatklageweg verweist und das Amtsgericht auf eine entsprechende Privatklage nicht sofort mit der Anwendung von § 383 Abs. 1 Satz 1 StPO reagiert, gibt sich die Justiz der Lächerlichkeit preis und stellt eindruchsvoll unter Beweis, daß es mit ihrer angeblichen Überlastung wohl doch nicht so weit her sein kann.

5

Also, da meine ich schon: Wenn das eine Beleidigung ist (worüber man wie man sieht ja streiten kann), dann sollte der Staat diese auch verfolgen. Die Verweisung auf den Privatklageweg ist da m.E. nicht der richtige Weg...

0

Kommentar hinzufügen