Das muss jeder Verteidiger wissen: "Bedeutender Wert" bei 750 Euro - Zweischrittprüfung bei Gefährdung

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 10.07.2008

Der BGH hat mit  Beschl. vom 29.4.2008 zur immer wieder problematischen Frage der Behandlung von Gefährdungen von Sachen von bedeutendem Wert  Stellung bezogen. Dieses Tatbestandsmerkmal findet sich bekanntlich in § 315 b und § 315 c StGB. Der BGH stellt hierzu (für die Verteidigungspraxis in Verkehrsstrafsachen äußerst wichtig!) fest:

  • zur Prüfung des bedeutenden Schadens: Über den Gesetzeswortlaut hinaus muss der fremden Sache von bedeutendem Wert auch ein bedeutender Schaden gedroht haben. Es sind daher stets zwei Prüfschritte erforderlich, zu denen im Strafurteil entsprechende Feststellungen zu treffen sind: Zu-nächst ist zu fragen, ob es sich bei der gefährdeten Sache um eine solche von bedeutendem Wert handelt, was etwa bei älteren oder bereits vorgeschädigten Fahrzeugen fraglich sein kann. Handelt es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der maßgebliche Gefährdungsschaden.
  • zur Schadensberechnung: Der Wert der Sache ist nach dem Verkehrswert (BGH NStZ 1999, 350, 351), die Höhe des (drohenden) Schadens nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung (BGH aaO) zu berechnen.
  • zur Frage, wann die Sache von "bedeutendem" Wert ist: Der Grenzwert für Sachwert und Schadenshöhe ist einheitlich zu bestimmen und lag hier zu den Gefährdungszeitpunkten bei mindestens 750 € (BGHSt 48, 14, 23).
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11 Kommentare

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Wo leben die Richter des 4. Strafsenats eigentlich? Haben die in letzter Zeit einmal einen Unfallschaden auch nur bei einem Lackschaden regulieren lassen? Dann wüßten sie nämlich, daß heute fast jeder Kratzer im Lack kaum unter € 750 zu reparieren ist. Mit diesem Maßstab wäre inzwischen nahezu jeder Unfallschaden von "bedeutendem Wert". Dieses Tatbestandsmerkmal würde dann praktisch leerlaufen. Der 4. Senat hätte besser daran getan, sich den heutigen Preisen mit seiner Entscheidung anzupassen und sich mit der Kommentierung von Fischer (StGB, 55. Aufl., §315 Rdnr. 16a) auseinanderzusetzen, anstatt einfach eine alte Rechtsprechung zu übernehmen. Offensichtlich wurde nämlich nur der frühere Grenzwert von DM 1500 auf Euro umgerechnet, allerdings auch nicht ganz korrekt. Fischer dagegen hält mit guten Gründen und in Anlehnung an die zu § 69 StGB vorliegende Rechtsprechung eine Wertgrenze von nicht unter € 1300 für angemessen.

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Nun ja, aber an dem BGH kommt man halt nicht vorbei. Als Verteidiger kann man jetzt allenfalls mit der fortschreitenden Geldentwertung weiterkommen, wenn der (drohende) Schaden geringfügig höher ist, oder?

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Ich gebe Ihnen recht, dass die Wertgrenze deutlich zu niedrig angesetzt ist, hinsichtlich der heutigen Reparaturkosten.
Aber: letztlich geht es doch maßgeblich um den Gefährdungsschaden! d.h. nicht um den entstanden Schaden.
Diese Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert liegt vor, wenn es lediglich vom Zufall abhängt ob es zum Schaden kommt oder nicht.
Wenn ein Schaden entsteht, ist die Gefährdung bereits realisiert. Dieses TBM kann doch nur dann nicht greifen, wenn die gefährdete Sache den o.g. Wert nicht übersteigt.
Letztlich wäre es das gleiche, wenn man von einer Gefährung einer Person nicht ausgehen würde, weil diese z.B. nur an der Kleidung gestreift worden wäre und der Parson tatsächlich nichts passiert ist, Oder die Person im letzten Augenblick zur Seite springt.
Viele Grüße

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...Sie haben grds. Recht. Aber: Auch für den Gefährdungsschaden gilt laut BGH die o.g. "Zweischrittprüfung", die meist ja sehr schwer fallen wird.
Bsp.: Fährt ein Fahrzeugführer i.S.e. Beinaheunfalls "fast" gegen ein anderes Fahrzeug von bedeutendem Wert, so wird der Tatrichter feststellen müssen, was für ein Schaden denn wohl durch den gerade noch vermiedenen Unfall hätte entstehen können. Bei einem Frontalzusammenstoß im Gegenverkehr mag dies leicht möglich sein, bei einem Betrunkenen, der mit seinem Fahrzeug aber nur beinahe die "Ecke" eines anderen Fahrzeugs "touchiert" wird es schon schwieriger. Was ist diese "Ecke" eines Fahrzeugs wert?

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OK, das verstehe ich nun. Bei der Polizei, hinsichtlich Anzeigenerstattung wird zunächst nur geprüft, ob die Sache, welcher der Schaden drohte, von bedeutendem Wert ist. Dies dann ungeachtet dessen, welcher Schaden (wert) hätte entstehen können, weil es ja nur vom Zufall abhängig ist, dass der Schaden nicht noch größer geworden ist.
Auch wenn bei einem Beinaheunfall viell. die Ecke hätte touchiert werden können, ist es nur als Zufall anzusehen, dass nicht doch das Fzg. volle Breitseite erwischt wurde!!! Ungeachtet dessen nimmt die Polizei bei dieser Frage grds. den Wert von 1300-1500 € an.
Letztlich denke ich, dass die Frage bezüglich des niedrig angesetzten bedeutenden Wert von 750 € bei seinen Grund hat.
Bei einer Unfallflucht wird dieser bedeutende Wert auch erst bei mind. 1300 € anerkannt (-> hinsichtlich FE-Entzug)
Der vorwerfbare kriminelle Unrechtgehalt, den ein 315b in sich birgt ist meines Erachtens als Hoch einzustufen, und von daher sind die Anforderungen für die tatbestandsmäßige Begehung eher niedrig.
Beim z.B. verkehrsfeindlichen Einsatz eines Fzg. ist es meiner Meinung nach nicht gerechtfertigt, dies aufgrund eines "nicht erreichten bedeutenden Werts" scheitern zu lassen, in anbetracht der Gefahr die ein solches Vorgehen birgt. Letztlich hängt es doch vom Zufall ab was passiert, das heißt das Täter den Verlauf des Geschehens nicht mehr kontrollieren kann.
Wenn z.B. jemand einen kleinen Stein auf ein Auto wirft. Was muss ich dann prüfen??
Der Stein hätte können auf die Motorhaube fallen -> Schaden = 500, oder er hätte können die Windschutzscheibe treffen -> Schaden 350 ??? also kein 315b??? Jetzt trifft der Stein die Windschutzscheibe und diese reißt und nimmt dem Fahrer die Sicht, das Fzg. kann jedoch ohne weitere Schäden nach einer Vollbremsung gestoppt werden. Ist der drohende Schaden jetzt der real eingetretene Schaden, oder viel mehr die Steigerung der abstrakten Gefahr im Straßenverkehrs zu einer konkreten Gefahr??? Denn der Wagen hätte können nach Kontrollverlust mit einem anderen PKW kollidieren.
Viell. sehe ich das aus Sicht eines Polizisten anders.....:-)

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Wie schon gesagt: viell. sehe ich das als Polizist anders!
Meines Erachtens stellt sich das Problem nur für einen Rechtsanwalt der für seinen Mandanten unter diesen Wert gelangen will.
Sofern die Tatbestände des 315b(1) 1-3 respektive 315c als erwiesen festgestellt sind, sollte es meines Erachtens nicht am 2. Schritt der o.g. Prüfung scheitern.
Der Wert ist zwar niedrig, aber dies ist wahrscheinlich auch so gewollt.
Meinerseits genug zu diesem Thema.....:-)
Bei der Polizei kommt es schließlich lediglich darauf an, einen solchen Sachverhalt nach allen Regeln der Kunst und beweisfest zu ermitteln.
(anders als es bei dem o.g. BGH Urteil vom 29.04.2008 der Fall zu sein schien!)

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Der BGH hat eine Grenze von _mindestens_ 750 EUR erwähnt. Da nicht festgestellt worden ist, dass ein höherer Wert erreicht ist, konnte im Urteil die tatsächliche Grenze dahinstehen. Über den Grenzwert sagt das Urteil daher nicht mehr aus, als dass er nicht unter 750 EUR liegt. Der BGH nahm den Wert als Anhaltspunkt, weil es der niedrigste ist, der in der Rechtswissenschaft vertreten wird.

Diejenigen, die meinen, dass der BGH jetzt einen Grenzwert von 750 EUR vertritt, haben den Beschluss nicht gelesen oder falsch verstanden.

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Damit wir nicht weiter im Trüben fischen, habe ich hier einmal die entscheidende Passage von der BGH-Seite einkopiert:

"Handelt es sich um eine Sache von bedeutendem Wert, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob ihr auch ein bedeutender Schaden gedroht hat, wobei ein tatsächlich entstandener Schaden geringer sein kann als der maßgebliche Gefährdungsschaden. Der Wert der Sache ist hierbei nach dem Verkehrswert (BGH NStZ 1999, 350, 351), die Höhe des (drohenden) Schadens nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung
(BGH aaO) zu berechnen. Der Grenzwert für Sachwert und Schadenshöhe ist einheitlich zu bestimmen und lag hier zu den Gefährdungszeitpunkten bei mindestens 750 € (BGHSt 48, 14, 23).
bb) Ob in den genannten Fällen nach Maßgabe dieser Grundsätze den geschädigten Unfallopfern ein Schaden in Höhe von mindestens 750 € drohte, kann der Senat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht nachprüfen."

Ich bin angesichts des letzten zitierten Satzes nicht sicher, ob der BGH nicht doch sagen wollte: "750 Euro reichen als bedeutender Schaden aus".

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