Erleichterung für alle Radfahrer: Kein "Abschleppen" des Fahrrads ohne Behinderung

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 11.07.2008

Da haben Münsteraner Radfahrer (und vielleicht auch Radfahrer woanders) Grund zum Jubeln: Laut einer heute veröffentlichten Presseerklärung des VG Münster durfte die schöne Stadt Münster ein in Bahnhofsnähe abgestelltes Fahrrad nicht entfernen, weil es keine Fußgänger behindert hat (Urteil des VG Münster v. 11. Juli 2008 - 1 K 1536/07).

Ein Münsteraner hatte am Morgen des 30. August 2007 sein Fahrrad unmittelbar an der südlichen Seitenwand des überdachten Treppenaufgangs vor dem Haupteingang des Hauptbahnhofs Münster abgestellt. Im Laufe des Tages versetzten Mitarbeiter des Ordnungsamtes der Stadt das Rad zu einer mehrere Straßen entfernten Sammelstelle, wo der Eigentümer es einige Tage später abholte. Der 22jährige hielt das Entfernen des Fahrrads für rechtswidrig, klagte deshalb vor dem Verwaltungsgericht und bekam Recht.

Die 1. Kammer entschied, die Stadt Münster habe nicht innerhalb ihrer Befugnisse gehandelt. Die Art und Weise, wie der Kläger sein Fahrrad vor dem Bahnhof abgestellt habe, habe nicht - wie von der Stadt geltend gemacht - gegen die Straßenverkehrsordnung oder brandschutzrechtliche Vorschriften verstoßen. Das Abstellen von Fahrrädern auf Gehwegen oder anderen dem Fußgängerverkehr vorbehaltenen öffentlichen Verkehrsflächen sei grundsätzlich zulässig. Es verstoße gegen die Straßenverkehrsordnung, wenn Andere geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt würden. Von dem Fahrrad des Klägers seien aber keine Behinderungen oder Belästigungen für Fußgänger ausgegangen, die den Hauptbahnhof Münster durch den Haupteingang betreten oder verlassen wollten. Das Rad habe sich nicht auf dem direkten Weg zwischen den Bushaltestellen bzw. den östlich der Radstation gelegenen Fußgängerwegen und dem Haupteingang des Bahnhofs befunden. Außerdem sei die 6,25 m breite, für den Fußgängerverkehr bestimmte Verkehrsfläche durch das Rad maximal um einen Meter verkürzt worden. Fußgänger, die üblicherweise zu einer Wand ohnehin etwas Abstand hielten, hätten an dem Fahrrad des Klägers vorbeigehen können, ohne ihre Bewegungsrichtung wesentlich ändern zu müssen. Ein Verstoß gegen brandschutzrechtliche Vorschriften sei ebenfalls nicht ersichtlich. Durch das Fahrrad seien Zufahrten und Aufstellflächen für Fahrzeuge der Feuerwehr nicht blockiert worden. Das werde bereits dadurch deutlich, dass der Beklagte den überdachten Treppenaufgang baurechtlich genehmigt und südlich dieses Aufgangs, etwa in der Mitte der für den Fußgängerverkehr bestimmten Verkehrsfläche, einen Laternenpfahl und zwei weitere Pfosten aufgestellt habe. Dieser Teil der Verkehrsfläche sei auch nicht als Rettungsweg zu qualifizieren.

Die Kammer hob abschließend hervor, dass durch diese Entscheidung selbstverständlich ein Vorgehen der Stadt gegen verkehrs- oder ordnungswidrig abgestellte Fahrräder nicht berührt wird.

 

Ergänzend hierzu auszugsweise folgende DPA-Meldung v. Freitag, 11. Juli 2008 13.14 Uhr:

Die inoffizielle Fahrrad-Hauptstadt Münster will trotz eines zunächst verlorenen Rechtsstreits beim Beseitigen des Räderchaos an neuralgischen Punkten der Stadt nicht klein beigeben. Fahrräder, die an Rettungswegen geparkt seien oder den Zugang etwa für Behinderte versperrten, würden entfernt und in einer zentralen Fahrrad-Fundstation aufbewahrt, sagte eine Sprecherin der Stadtverwaltung am Freitag. Allerdings werde die Linie zunächst defensiver verfolgt als bisher. «Wir kämpfen aber um unsere Rechtsauffassung», sagte Ordnungsamtsleiter Martin Schulze-Werner... «Sobald das erste Fahrrad an einer jungfräulichen Hauswand abgestellt wird, stehen in zehn Minuten 15 weitere dort», sagte die Sprecherin der Stadtverwaltung. Der aus zwei hauptamtlichen Mitarbeitern und mehreren Ein-Euro-Kräften bestehende «Fahrradkontrolldienst» der Stadtverwaltung räume täglich bis zu 50 Fahrräder weg und bringe sie in die Fundstation. Dort stehen derzeit etwa 600 bis 700 Räder allein aus diesem Grund.

 Impressionen von der Fahrradstadt Münster hier.


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9 Kommentare

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Sehr geehrter Herr Krumm,

viel Dank für diesen Hinweis. Das ist ein weiteres Urteil in einer inzwischen schon längeren Reihe von Urteilen aus Lüneburg (VG und OVG), Braunschweig und des BVerwG vom 29.01.2004 - 3 C 29.03 - http://www.bverwg.de/media/archive/1869.pdf )zum Thema.

Spannender wird danach jetzt die Frage nach dem Abschleppen von Fahrrädern vom Radweg.

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@ Herr Krumm, @DrFB,

würde mich auch wundern wo da ein Problem liegen sollte.
Radwege sind Fahrbahn, Fahrräder sind Fahrzeuge, Haltverbot (Zeichen 283 u 286) müsste angezeigt sein. Radwege sollten 150cm lichte Weite haben. Falls Fahrzeuge (Fahrräder) teilweise auf Radwegen parken und die 150cm einschränken, gibts ein Urteil aus Hamburg dass das "Abschleppen" eines (in dem Falle) PKW rechtfertigt.

HAMBURGISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT (3. Senat)|Az.: 3 Bf 215/98 | Urteil vom 28. März 2000 |Vorinstanz: VG Hamburg – Az.: 15 VG 1561/97|

Allerdings ging es da um "Gefährdung" dadurch das der Radweg teilweise blockiert war.

Soetwas würde doch in der Realität total "ausarten."
wenn man annnimmt, dass ein an einen Schilderpfosten am Rande eines Radweges angeketttetes Fahrrad, den Radweg auf einer Länge von 1,5m um ca. 40 cm schmälert.
Sollte dieses Rad "zwangsweise" entfernt werden?
Zumal kurzstreckige Abweichungen vom Lichtmaß 150cm, bei Radwegen zulässig sind, wenn sie praktisch unvermeidbar und relativ ungefährlich sind.

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Zum Abschleppen von auf Radwegen geparkten Fahrrädern gibt es – soweit mir bekannt - noch keine Urteile. Die Situationen, die zu solchen Urteilen führen könnten sind bundesweit betrachtet auch eher dünn gesät.

Allerdings findet man speziell in Hamburg in vielen Abschnitten benutzungspflichtiger Radwege die folgende Konstellation:

der baulich angelegte Radweg ist 80 bis 100 cm breit;
zur Fahrbahn besteht ein Schutzstreifen von rund 115 cm Breite;
in 50 cm Abstand zum Radweg sind zwischen Fahrbahn und Radweg in dichtem Abstand rund 50 cm hohe Bügel eingebaut;
der Gehweg neben dem Radweg ist kaum 150 cm breit.

Nun werden diese Bügel, die das Falschparken von Kfz auf dem Radweg verhindern sollen, dicht mit Fahrrädern beparkt - natürlich nur zur Radwegseite hin. Die Fahrräder sind dann fest am Bügel angeschlossen. In Einzelfällen werden zwei Fahrräder nebeneinander geparkt. Diese Fahrräder gammeln von Sommer zu Sommer nahezu ortsfest im Sprühsalzlösungsnebel der nahen Fahrbahn. Gehen die Ordnungsbehörden mit Aufklebern, die zum Entfernen der damit beklebten Fahrräder innerhalb einer bestimmten Frist auffordern, wenigstens gegen die völlig verrosteten und nicht mehr fahrbereiten Fahrräder vor, werden diese Aufkleber innerhalb sehr kurzer Zeit restlos entfernt. Die Nachbarschaftssolidarität funktioniert dabei hervorragend. Allerdings hängen die Fahrräder jedes Wochenende bis Montagmittag nach dem Durchzug alkoholisierter Nachtschwärmer halb im baulich angelegten Radweg. Die verengten Abschnitte sind auch nicht kurz (bis 100 Meter) und ein Ausweichen der durchfahrenden Radfahrer auf den Gehweg (schiebend) oder die Fahrbahn (fahrend) ist wegen der geringen Breite des Restradweges oft unausweichlich.

Der Vorteil der so angeschlossenen Fahrräder gegenüber falsch geparkten Kfz ist, daß keine Tür aufgestoßen werden kann, der Nachteil, daß man nicht jedes im Weg hängende Fahrradteil in der Nacht gut sehen kann. Ein in den Radweg hängendes Fahrrad ist noch gefährlicher als das Wahlplakat auf dem Radweg, das eine große deutsche Partei 10.000 EUR Entschädigung und Schmerzensgeld gekostet haben soll (Urteil des LG Frankfurt vom 27.04.2007 - 2/20 O 78/06, n.v.).

Ich verstehe die Pressemitteilung des VG Münster vom 11.07.2008 dahingehend, daß solche Fahrräder u.U. zu Recht abgeschleppt werden können. Das schon zitierte Urteil des OVG Hamburg Urteil vom 28. März 2000 - 3 Bf 215/98, NZV 2001, 52 weist m.E. ebenfalls in diese Richtung.

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Das VG-Braunschweig-Urteil findet sich auch in der juristischen Standardliteratur und dürfte damit hinlänglich bekannt sein.

Zum Abschleppen von Fahrrädern von Radwegen gibt es auch meines Wissens noch kein Urteil. Die Situationen sind allerdings außerordentlich zahlreich, das Problem groß. Außer den von DrFB beschriebenen Fällen gibt es bundesweit in vielen Gemeinden auch allerlei sonstiges "Straßenmobiliar", das die Tiefbauverwaltungen (wohl gedankenlos) direkt neben Radwegen hinstellen und das sich hervorragend zum Anschließen von Rädern eignet - und folglich so genutzt wird.

Unterscheiden sollte man aber die Fragen nach 1. der Zulässigkeit des Abschleppens, 2. der Legalität/Illegalität von Zeichen 237, 240, 241 an solchen zugeparkten Radwegen, die darüber ihr nach VwV notwendiges Mindestmaß verlieren, 3. den erlaubten Ausweichreaktionen und 4. etwaigen strafrechtlichen Konsequenzen.

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Ganz frisch ist ein Beschluss des VG Hamburg zum Abstellen von verkehrstüchtigen(!) Fahrrädern, die zugleich Werbeträger sind (das Thema "Sondernutzung" ist inzwischen bald eine eigene Wissenschaft). Abschleppen und Verbieten ist danach kaum noch möglich. Obwohl hier nur vorläufiger Rechtsschutz geboten wurde, legt sich Gericht deutlich fest.

Leitsatz:

Mietfahrräder mit Werbetafeln dürfen grundsätzlich ohne Sondernutzungserlaubnis auf Gehwegen abgestellt werden.
(Beschluss des VG Hamburg vom 30.07.2008 - 4 E 1996/08)

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Nun hat sich das OVG Lüneburg mal wieder zum Thema geäußert (Beschluß vom 12.03.2009 - 11 LA 172/08, "Zur Sicherstellung eines auf dem Bahnhofsvorplatz angeschlossenen Fahrrads im Wege der Ersatzvornahme" - Bestätigung eines Urteils des VG Göttingen). Wieder mal wurde das Abschleppverbot bestätigt, weil kein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorliegt. Das wird langsam langweilig.

Aber immerhin wieder mal: Abschleppen bei Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO grundsätzlich möglich. Und das dürfte man dann ja wieder auf Kfz übertragen.

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