Das System Siemens - Rechtskräftige Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 28.07.2008

Die 5. Strafkammer des LG München I hat heute den Angeklagten Reinhard S. wegen  mittäterschaftlich begangener Untreue in 49 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde, sowie zu einer Gesamtgeldstrafe in Höhe von 540 Tagessätzen zu je 200 € (insgesamt 108.000 €) verurteilt. Der Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 30.10.2006 wurde aufgehoben. Das Urteil ist rechtskräftig.

Die Kammer sieht im wesentlichen folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Der Angeklagte war von 1966 bis zum 30.11.2004 angestellter Mitarbeiter der Siemens AG. Seit Oktober 1995 war er kaufmännischer Leiter des Geschäftsgebietes Transport Networks. In diesem Bereich war er seit April 1997 als Prokurist und seit Dezember 2000 als Direktor tätig.

Nachdem im Jahr 1998 auch Korruptionshandlungen im Ausland unter Strafe gestellt wurden, entwickelte der Angeklagte auf der Basis des existierenden Schmiergeldsystems die Idee, über Scheinberaterverträge Gelder von Siemens abzuziehen und diese in einem Pool auf verschiedenen "schwarzen" Konten vorrätig zu halten, um die Gelder dann im Bedarfsfall vor Ort zur Auftragsaquierung einsetzen zu können.

Beim Aufbau dieses Systems wurde der Angeklagte vom damaligen kaufmännischen Bereichsvorstand und weiteren Mitarbeitern des Bereichs unterstützt. Spätestens seit März 2002 war der Angeklagte berechtigt, interne und externe Zahlungsaufträge zu erteilen sowie entsprechende Zahlungen freizugeben, ohne dass hierfür eine Wertgrenze bestanden hätte.

 In der Zeit von Juni 2002 bis September 2004 schloss der Angeklagte mit eingeweihten Inhabern verschiedener Firmen Scheinberaterverträge ab, für die bereits abgeschlossene Projekte verwendet wurden. Die vertraglich festgelegten Beträge wurden nach Vorlage der entsprechenden Scheinrechnungen vom Angeklagten in 49 Fällen zur Zahlung angewiesen und so dem Pool, bestehend aus einem Geflecht von Scheinfirmen, zugeführt, um sie bei Bedarf wieder abziehen zu können.

 Auf diese Weise wurden ca 49 Millionen € über das System der schwarzen Kassen der Verfügungsgewalt und der Kontrolle der Firma endgültig entzogen. Außer dem Angeklagten und seinen eingeweihten Mitarbeitern gab es niemanden, der hätte kontrollieren können,  wie viel sich in den schwarzen Kassen befindet, wo die Gelder sich befinden, wie viel entnommen und an wen es in welcher Höhe weitergegeben wurde. Dem Angeklagten war bewusst, dass die von ihm geschaffene systemimmanente Verschleierung der Geldflüsse zu einer Gefährdung der im Pool befindlichen Gelder führte, die auch ohne sein weiteres Zutun jederzeit in einen tatsächlichen Schaden der Firma umschlagen konnte. Indem er die von ihm eigenverantwortlich verwalteten Gelder endgültig der Kontrolle und den Zugriff seitens der Firma entzogen hat, wurde er der Untreue schuldig gesprochen.

Im Rahmen der Strafzumessung wurde dem Angeklagten zugute gehalten, dass er sich von Anfang an in überobligatorischer Weise kooperativ zeigte und durch seine Angaben die Ermittlungsbehörden in die Lage versetzte, die Einzelheiten des Systems aufzuklären und nachzuvollziehen.

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