Kammergericht löst BGH-Anrechnungsdilemma über § 91 ZPO!

von Dr. Hans-Jochem Mayer, veröffentlicht am 28.07.2008

Dass das KG nicht bereit ist, der zu Recht umstrittenen Rechtsprechung des BGH in der Frage der Anrechnung der Geschäftsgebühr ohne weiteres zu folgen, ist zumindest seit dem Beschluss des KG vom 31.3.2008 -1 W 111/08- bekannt ( vgl. hierzu auch Anm. Mayer FD-RVG 2008, 259167). Mit Senatsbeschluss vom 24.06.2008 - 1 W 111/08- hat das KG seine Auffassung nochmals unterstrichen und die volle Verfahrensgebühr trotz zuvor entstandener Geschäftsgebühr festgesetzt mit der interessanten Begründung, der anrechenbare Teil der Geschäftsgebühr sei wegen zweckentsprechender Maßnahme der Rechtsverfolgung als notwendige Prozesskosten festzusetzen.

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12 Kommentare

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Zu der Entscheidung findet sich folgendes Zitat in dem Rechtspflegerforum:
"In juris steht eine neue Entscheidung des KG (B. v. 24.06.2008 in 1 W 111/08). Es handelt sich um den langersehnten Beschluss des Senats nach der Rückübertragung durch den Einzelrichter vom 31.03.2008.
Kommentar:
Die können es nicht lassen. Ich frage mich nur, warum der 1. Zivilsenat in dem entschiedenen Fall von einer GG ausgeht. Die Fallschilderung spricht m.E. für einen unbedingten Klageauftrag und Nr. 3101 VV RVG. Bitte erst sauber subsumieren und dann schauen, ob man sich vom BGH abgrenzt. Überzeugend scheint mir das eh nicht zu sein, denn die GG (so sie denn tatsächlich entstanden ist) könnte ggf. miteingeklagt werden. So gesehen ein weiterer unnötiger Beschluss."

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Hallo Herr Schmeding!

Die Unnötigkeit des Beschlusses vermag ich nicht zu aktzeptieren. Die zumindest vertretbare Argumentation regt doch zum Nachdenken über die eigene Rechtsauffassung an.

Wie sieht denn Ihre Meinung aus?

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Hallo Herr Fölsch,
meine Meinung deckt sich mit dem Wortlaut des Gesetzes
(ist wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr entstanden, mindert sich die Verfahrensgebühr - so u.a. auch der BGH)und dem zentralen Grundsatz der Festsetzung (Festsetzbar sind nur die tatsächlich mit der Rechtsverfolgung verbundenen Kosten - geminderte Verfahrensgebühr, wenn die Voraussetzungen der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorliegen). Dieser Grundsatz ist übrigens älter als die Anrechnungspraxis zu BRAGO-Zeiten und geht noch auf Rechtsprechung des Reichsgericht zurück - später dann auf Rechtsprechung des BGH zu § 91 ZPO. Die Entscheidungen des KG in 1 W 111/08(31.03.2008 und 24.06.2008) stehen hierzu im Widerspruch. Der Beschluss vom 24.06.2008 wirft zudem die Frage auf, ob nicht in dem entschiedenen Fall tatsächlich ein unbedingter Klageauftrag vorlag (Übersendung des Klageentwurfs an den Gegner mit Hinweis auf die Möglichkeit, die beabsichtigte Klage noch abzuwenden). Dann aber wäre die Entscheidung bereits deshalb unzutreffend, weil tatsächlich keine Geschäftsgebühr, sondern zunächst eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG entstanden ist. Die Entscheidung überzeugt aber auch deshalb nicht, weil sie sich nicht darüber verhält, warum nicht ggf. die ungeminderte Geschäftsgebühr eingeklagt werden könnte. Für das Gericht macht es ohnehin keinen großen Unterschied, ob lediglich die "anrechnungsgeminderten" Geschäftsgebühr oder die entstandenen Geschäftsgebühr eingeklagt wird. Im Ergebnis komme ich zu dem Schluss, dass die KG-Entscheidung zwar von der Rechtsprechung des BGH abweicht, jedoch keine zwingenden Gründe für eine Änderung der BGH-Rechtsprechung beinhaltet.

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Hallo Herr Schmeding!

Mir ist übrigens erinnerlich, dass zu BRAGO-Zeiten die Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren zu BRAGO-Zeiten deshalb unterblieb bzw. "umgekehrt"
berücksichtigt wurde, weil unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzinteresse die Festsetzung im Kostenfestsetzungsverfahren anstatt einer Geltendmachung im Klageverfahren als leichter angesehen wurde. Eine Klage auf Geltendmachung der außergerichtlichen Geschäftsgebühr wurde als unzulässig angesehen. Dieses Argument hat durchaus Überzeugungskraft, sind doch Gesetze wertend auszulegen, ohne allein am Wortlaut des Gesetzes verhaften zu bleiben.

"umgekehrt" im Kostenfestsetzungsverfahren

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Hallo Herr Schmeding,

warum soll denn "zunächst" eine Gebühr nach 3101 VV RVG anfallen?

Ansonsten rätsele ich über die vom Kammergericht zitierte Entscheidung des I. BGH-Zivilsenats (I ZB 16/07).

Dort heißt es:

"Die dem Beklagten durch ein vorgerichtliches Abwehrschreiben entstandenen
Kosten stellen, soweit sie auf die Verfahrensgebühr nicht anrechenbar sind, keine
notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung i.S. des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO dar."

Bedeutet dies im Umkehrschluss, dass die vorgerichtlichen Kosten, wenn sie anrechenbar sind, Kosten im Sinne von § 91 ZPO darstellen? Dann aber steht die KG-Entscheidung jedenfalls nicht im Widerspruch zum I. Senat.

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Hallo Herr Fölsch,

„Eine Klage auf Geltendmachung der außergerichtlichen Geschäftsgebühr wurde als unzulässig angesehen.“ Wo kann ich das nachlesen und kann das denn richtig sein? Es scheint mir jedenfalls etwas gewagt, einen berechtigten materiell-rechtlichen Erstattungsanspruch nebst Verzinsungsbegehren als unzulässig zurückzuweisen. Der BGH jedenfalls hat dies meines Wissens nie ausdrücklich bestätigt. Eine wertende Auslegung verbietet sich bei einer eindeutigen Gesetzesfassung. Unabhängig davon kommen Sie hier mit einer wertenden Auslegung m.E. auch nicht weiter, weil einem Beklagten in der kein Anspruch auf Erstattung
der Geschäftsgebühr zusteht. Diesen sollte man ihm daher redlicherweise auch nicht teilweise über die Hintertür der Nichtanrechnung zubilligen. Mir leuchtet zudem nicht ein, weshalb nach dem RVG nur der nicht anzurechnende Teil der Geschäftsgebühr mit eingeklagt werden sollte.

Hallo Frau Schwinge,
verfügt der Anwalt über einen unbedingten Klageauftrag und schreibt er daraufhin vor der Klageerhebung, wie anscheinend in dem von dem KG entschiedenen Fall geschehen, den Gegner unter Beifügung des Entwurfs der Klageschrift an, so sieht das RVG hierfür eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG für den Fall vor, dass es dann tatsächlich nicht zu der Klageerhebung kommt.

Den von Ihnen in eine Frage gekleideten Umkehrschluss aus dem Beschluss des I.Senats des BGH in seinem Beschluss vom 06.12.2007 in I ZB 16/07 halte ich aus den nachstehenden Gründen für gewagt:
Der I. Senat hatte in dem genannten Beschluss lediglich über den nicht anzurechnenden Teil der Geschäftsgebühr für ein Abwehrschreiben zu entscheiden (Stichwort: Verböserungsverbot). Gleichwohl enthält der Beschluss in seinen Gründen (Rd.Nr. 8) darüber hinausgehende Aussagen. Danach sind aus Sicht des I. Senats generell weder die Kosten eines Abmahnschreibens noch die eines Abwehrschreibens Kosten die einen Rechtsstreit unmittelbar vorbereiten bzw. fördern. Diese Aussage trifft konsequenterweise auf die gesamte Geschäftsgebühr zu, weshalb der Leitsatz der Entscheidung m.E. missverständlich abgefasst ist.

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Hallo Herr Schmeding,

Sie schreiben selbst, dass die Gebühr nach 3101 VV RVG entsteht, wenn es nicht zur Klageerhebung kommt. Genau das war aber doch im vom KG entschiedenen Sachverhalt der Fall. Deshalb kann die 3101 auch nicht "zunächst" - wie von Ihnen vorgeschlagen - zur Anwendung kommen. Hierauf zielte letztlich auch meine Frage ab.

Dass im übrigen ein Abmah- oder Abwehrschreiben nicht zu den unmittelbar den Rechtsstreit vorbereitenden Kosten gehören und der I. ZS dies auch so entschieden hat, habe ich nicht in Zweifel gezogen. Es bleibt allerdings die Aussage zur "Schnittmenge" (Anrechnung), die sich übrigens nicht nur im Leitsatz sondern auch in den Gründen findet. Hierin lediglich eine missverständliche Formulierung, finde ich allerdings auch gewagt. Aber möglicherweise war dem I. ZS die Bedeutung tatsächlich nicht bewusst.

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Hallo Frau Schwinge,
die Anrechnungsfrage stellt sich in dem von dem KG entschiedenen Fall konkret, wenn die Voraussetzungen der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG vorliegen (ergo
Tätigkeit eines Anwalts vor einer Klageerhebung, die zu diesem Zeitpunkt nicht durch einen unbedingten Klageauftrag gedeckt ist). Ist dies nicht der Fall, wie es nach den ergänzenden Ausführungen in dem aktuellen KG-Beschluss scheint, erübrigt sich eine Entscheidung hierüber.

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Hallo Frau Schwinge zum Zweiten,
der I. Senat unterscheidet zwischen Abwehrschreiben und Schutzschrift. Die Anwaltskosten für das Abwehrschreiben hält es nicht für erstattungsfähig.
Zitat aus dem Beschluss:
"Kosten, die zur Abwendung eines drohenden Rechtsstreits aufgewendet werden, stellen keine Kosten der Prozessvorbereitung dar, die dann, wenn sie in Bezug auf einen bestimmten Rechtsstreit vorgenommen worden sind, im Kostenfestsetzungsverfahren erstattungsfähig sind (OLG Schleswig JurBüro 1981, 582; Zöller/Herget, ZPO, 26. Aufl., § 91 Rdn. 13 "Vorbereitungskosten"; a.A. OLG Hamburg OLG-Rep 2006, 691, 692). Wie der beschließende Senat in der Entscheidung "Geltendmachung der Abmahnkosten" ausgeführt hat, gehören die Kosten einer Abmahnung im Hinblick auf deren Funktionen - Streitbeilegung ohne Inanspruchnahme der Gerichte und Ausschluss der für den Gegner ohne vorherige Abmahnung grundsätzlich bestehenden Möglichkeit, den gerichtlich geltend gemachten Anspruch mit der Kostenfolge des § 93 ZPO anzuerkennen - nicht zu den einen Rechtsstreit unmittelbar vorbereitenden Kosten (BGH, Beschl. v. 20.10.2005 - I ZB 21/05, GRUR 2006, 439 Tz. 12 = WRP 2006, 237). Nichts anderes gilt für die Kosten eines Abwehrschreibens; denn ein solches Schreiben soll einen drohenden Rechtsstreit nach seiner Bestimmung nicht fördern, sondern gerade verhindern."

Vor diesem Hintergrund kann das Argument der "Schnittmengen" als Argument für eine gewünschte Gesetzesänderung dienlich sein - wobei die Verzahnung zwischen der Geschäfts- und der Verfahrensgebühr ja eigentlich das gesetzgeberische Argument für die Anrechnung ist.

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Die Position des BGH (die man auch als Replik auf die Entscheidung des KG sehen kann) ist ebenso eindeutig wie beachtlich - vgl. B. vom 25.07.2008 in IV ZB 16/08. Zitat aus Rdnr. 9 der Entscheidung "Dieser Umstand" (die Anrechnung)" ist im Kostenfestsetzungsverfahren zwingend" (das Wort zwingend ist unterstrichen) "zu berücksichtigen. Auf Weiteres kommt es - entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts - nicht an."

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...Im Ergebnis komme ich zu dem Schluss, dass die KG-Entscheidung zwar von der Rechtsprechung des BGH abweicht, jedoch keine zwingenden Gründe für eine Änderung der BGH-Rechtsprechung beinhaltet.

Gibt das Kammergericht jetzt die Grundlage für BGH-Entscheidungen ??

 

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Gast schrieb:

...Im Ergebnis komme ich zu dem Schluss, dass die KG-Entscheidung zwar von der Rechtsprechung des BGH abweicht, jedoch keine zwingenden Gründe für eine Änderung der BGH-Rechtsprechung beinhaltet.

Gibt das Kammergericht jetzt die Grundlage für BGH-Entscheidungen ??

 

 

Es bedarf natürlich guter Gründe von einer BGH-Entscheidung abzuweichen. Dies ist nicht undenkbar sondern eine Frage der Argumentation, die allerdings in den gesetzlichen Vorgaben ihre Stütze finden müsste. Ein Unterfangen, das dem 1. Zivilsenat des KG m.E. bisher nicht gelungen ist. Zur Wahrung der Einheitlichkeit des Rechts wäre daher aus meiner Sicht ein Einlenken angezeigt.

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