Unzuverlässige Methode: Keine f r e i e Schätzung der Geschwindigkeit

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 16.10.2008

NJW-Spezial 2008, 586 berichtet über eine Entscheidung des OLG Karlsruhe vom 19.6.2008 - 1 Ss 25/08. Hier hatte sich das Gericht daran gewagt, eine mehr oder wenige freie Geschwindigkeitsschätzung einer Verurteilung zugrunde zu legen. Zwar taucht in Lehrbüchern und Kommentaen immer wieder die Möglichkeit einer bloßen Schätzung auf - Gerichtsentscheidungen hierzu sind in jüngerer Zeit aber nicht mehr zu verzeichnen. Aus gutem Grunde wagen sich nämlich mit sonstigen Geschwindigkeitsmessungen erprobte Polizisten nicht mehr an derartige "Messmethoden".

aus dem Sachverhalt (verkürzt):

Das AG verurteilte den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 40 km/h. Nach den getroffenen Feststellungen hatte der Betroffene die Fußgängerzone in R vom Rathaus herkommend in Richtung Kirche nach Abzug einer Toleranz von 20 km/h mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h befahren, obwohl dort die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 10 km/h festgesetzt ist. Seine Überzeugung hiervon hat sich der Tatrichter aufgrund der Angaben zweier im Bereich der allgemeinen Verkehrsüberwachung tätiger Bediensteter der Stadt R gebildet, welche bekundet haben, sie hätten das Fahrzeug, welches vom Rathaus her kommend mit lauten Motorengeräusch angerast und mit einer Geschwindigkeit von ca. 70 km/h bis zu einem Halt in Höhe des Bistros „Cafe L“ durch die Fußgängerzone gefahren sei, während eines Streifgangs beobachtet und sodann zu Fuß verfolgt.

Die Gründe der Entscheidung (ebenfalls stark verkürzt):

Die Ermittlung einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch bloße Schätzung von Beobachtern ist grundsätzlich rechtlich zulässig, unterliegt jedoch aufgrund der einer solchen Bewertung anhaftenden erheblichen Ungenauigkeit strengen Anforderungen und ist grundsätzlich nur mit erheblicher Zurückhaltung als verlässlich anzusehen. Insbesondere gilt dies dann, wenn sich bei dem Schätzenden um eine im Straßenverkehr unerfahrene Person handelt.... Um dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der Grundlagen der Schätzung zu ermöglichen, muss das Urteil in formaler Hinsicht darüber hinaus erkennen lassen, dass sich der Tatrichter der grundsätzlichen Unzuverlässigkeit dieser Methode bewusst ist und aufgrund welcher Umstände er gleichwohl bestehende Bedenken für ausgeräumt hält. Weiter ist eine nähere Beschreibung der Bezugstatsachen erforderlich, insbesondere der konkreten Örtlichkeit, an welcher der Verkehrsverstoß begangen wurde, sowie des Blickwinkels, aus welchem der Zeuge diesen wahrgenommen hat. Auch bedarf es der Darlegung der gefahrenen Wegstrecke und der etwaigen Zeitdauer des Verstoßes, um ggf. mittels einer Weg-Zeit-Berechnung die Bekundungen des Zeugen auf ihre Schlüssigkeit nachzuprüfen. Auch eine Schilderung der Lichtverhältnisse kann im Einzelfall geboten sein. Solche detaillierten Feststellungen sind insbesondere dann veranlasst, wenn gegen den Betroffene neben einer Geldbuße auch ein Fahrverbot verhängt werden soll. Auch hätte es näherer Ausführungen im Urteil bedurft, ob und ggf. welche Schulungen der Zeuge absolviert hat sowie in welchem Umfang und in welchen Zeiträumen er mit Geschwindigkeitsmessungen beauftragt war.

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