Ein rabenschwarzer Tag - zwei weitere BGH-Senate schließen sich an

von Dr. Hans-Jochem Mayer, veröffentlicht am 24.10.2008

Der 25.09.2008 war ein rabenschwarzer Tag für all diejenigen, die nicht die von mehreren Senaten des BGH vertretene Auffassung zur Auslegung der Anrechnungsbestimmung in Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG teilen. Denn der vom VIII. Senat begründeten (vgl. z.B. Beschluss vom 22.01.2008 - VIII ZB 57/07) Rechtsprechung, der sich in der Folgezeit der III. (Beschluss vom 30.04.2008 - III ZB 8/08), der VI. (Beschluss vom 03.06.2006 - VI ZB 55/07) und der IV. (Beschluss vom 16.07.2008 - IV ZB 24/07) Senat angeschlossen haben, trat nunmehr durch zwei Beschlüsse vom 25.09.2008 (VII ZB 93/07 und VII ZB 23/08) auch der VII. Senat bei. Doch damit nicht genug - der IX. Senat des BGH hat im Urteil vom 25.09.2008, IX ZR 133/07, die in der Literatur teilweise scharf kritisierte Rechtsprechung des BGH in der Frage der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr als „mittlerweile gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs" bezeichnet und überdies noch ausführlich begründet, dass die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr auch auf die verminderte Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG anteilig anzurechnen ist. Ein Eingreifen des Gesetzgebers wird daher dringender denn je.

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14 Kommentare

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Der BGH tut m.E. das, was man von der Rechtsprechung erwarten darf und sollte. Er wendet eine eindeutige und daher nicht auslegungsfähige gesetzliche Regelöng (durch die Anrechnung mindert sich die Verfahrensgebühr)wortgetreu an. So gesehen ein schneeweißer Tag für die Justiz, denn Rechtsprechung und Gesetzgebung sind gemeinhin zwei Paar Schuh. Dem Prinzip der Gewaltenteilung wird damit erneut Rechnung getragen. Der Weg dahin war allerdings ein steiniger.

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Ich kann Herrn Schmeding nur beipflichten. "Rabenschwarz" kann der 25.09.08 nur für diejenigen gewesen sein, die die gesetzliche Regelung zu ihrem Vorteil contra legem anwenden. Wen wundert es denn da überhaupt, dass der BGH sehr deutliche Worte findet, die das Gesetz i. Ü. auch sehr deutlich vorgegeben hat?!?

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Rabenschwarz oder "schneeweiß"- klar ist,dass sich an dieser juristischen Streitfrage die Geister scheiden.Nur-es müsste einem doch zu denken geben, wenn eine bestimmte Gesetzesauslegung, die vom Gesetzgeber weder gewollt, geschweige denn vorhergesehen wurde und der er sogar durch eine Gesetzesänderung wieder den Boden entziehen möchte, von der gebührenrechtlichen Literatur nahezu einhellig abgelehnt wird, und der bis zur Verfestigung der BGH-Rechtsprechung auch von verschiedenen OLGs die Gefolgschaft verweigert wurde.Der Wortlaut eines Gesetzes ist die eine Sache - Sinn und Zweck sowie eine Ergebniskontrolle dürfen gleichwohl nicht aus dem Blick verloren werden.

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Grade ihrem Sinn und Zweck nach ist die Anrechnungsregelung in Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG in der Ursprungsfassung nahezu unschlagbar. Der vorgerichtlich bereits eingearbeitete Anwalt muss den "Einarbeitungsvorteil" bei der Vergütung für das gerichtliche Verfahren verfahrensgebührmindernd berücksichtigen.
Begründung des Gesetzgebers hierfür: Eine Gleichbehandlung des Rechtsanwalts, der unmittelbar einen Prozessauftrag erhält, mit dem Rechtsanwalt, der zunächst außergerichtlich tätig wird, ist danach nicht zu rechtfertigen (vgl. S. 219 Drucksache 15/1971 des Deutschen Bundestags).

Mit dem Entwurf des § 15 a RVG – der in wesentlichen Teilen auf einem fehlerhaften und unzutreffenden Problempapier fußt - ersetzt der Gesetzgeber seine nachvollziehbare Ausgangsüberlegung zur Anrechnung durch eine Rabattlösung.

Dieser Lösungsvorschlag beseitigte das mit der Anrechnung verbun-dene Ungerechtigkeitsempfinden nur zum Teil und um den Preis neuer Unbilligkeiten.
So ist dem Beklagten der nicht anzurechnende Geschäftsgebühren-anteil in zivilgerichtlichen Verfahren regelmäßig auch weiterhin wegen einer fehlenden Anspruchsgrundlage nicht zu erstatten. Kommt es nicht zu einem gerichtlichen Verfahren, trägt der zu Unrecht in Anspruch Genommene die Geschäftsgebühr auch weiterhin vollständig. Gleiches gilt in fachgerichtlichen Verfahren für einen anwaltlich vertretenen Antragsteller, dessen Anliegen bereits im behördlichen Ausgangsverfahren entsprochen wird.

Erforderlich wäre daher m.E., die materiellrechtlichen Anspruchs-grundlagen für die Erstattung der Geschäftsgebühr mit Blick auf Art. 3 GG zu überprüfen.

Soll ausschließlich das Festsetzungsverfahren vereinfacht werden, bietet sich m.E. als Alternative zum Angedachten eine Änderung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG an. Mit einem festen Anrechnungssatz von beispielsweise 0,3 Gebühren ließen sich Auseinandersetzungen über die Höhe der anzurechnenden Gebühren beseitigen. Der vorge-schlagene Gebührensatz entspricht dem Aufwand eines einfachen Schreibens nach Nr. 2302 VV RVG und kommt dem tatsächlichen Einarbeitungsanteil des Anwalts vermutlich näher als der gegen-wärtige Regelanrechnungssatz von 0,65.

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Man sollte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen- es geht bei der Anrechnungsregelung nicht darum, ob ein Anwalt mehr oder weniger an Gebühren erhält- die Anrechnungsregelung ändert am Gesamtgebührenanspruch des Anwalts nichts-sondern darum, ob dem kostenerstattungspflichtigen Gegner Vorteile durch die Anrechnung erwachsen sollen. Und wieso das Problempapier im Vorfeld des Entwurfs von § 15a RVG fehlerhaft und unzutreffend sein soll, erschließt sich mir nicht einmal ansatzweise.

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Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,
wo hier Äpfel mit Birnen verglichen werden, vermag ich gegenwärtig nicht zu erkennen. Gut vorstellen kann ich mir allerdings, dass der § 15 a RVG Spielräume in der Abrechnung der anwaltlichen Vergütung eröffnet und will das bei Bedarf auch gerne näher erläutern.
Die Ihnen nicht einmal ansatzweise nachvollziehbare Äußerung zum Problempapiers begründe ich zum besseren Verständnis wie folgt:

Meine grundlegenden Bedenken gegen die vorgeschlagene Lösung beruhen auf den nachstehenden Erwägungen.

Das Problempapier beschreibt in Abschnitt IV. überwiegend wie sich die jüngsten Rechtsprechung des BGH zur Anrechnung der Geschäftsgebühr auf Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit auswirkt. Näher betrachtet, relativieren sich die teilweise unzutreffenden Ausführungen in diesem Abschnitt.

Die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit haben sich – mit wenigen Ausnahmen – der Rechtsprechung des BGH angeschlossen, und die in Abschnitt IV. B. beschrie-benen Auswirkungen auf das Mahnverfahren wurden von den zentralen Mahn- gerichten bereits im unmittelbaren Anschluss an das Urteil des BGH vom 07.03.2007 in VIII ZR 86/06 gelöst.

Entgegen der Ausführungen in Abschnitt IV C. erstreckt sich die Sperrwirkung des § 122 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO - spätestens seit der Rechtsprechung des BGH zur Anrechnung - auf die dem gerichtlichen Verfahren zuzurechnende Anwaltsvergütung, nicht jedoch auf die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr. Zudem kann ein Rechtsuchender mit geringem Einkommen vorgerichtlich vielfach Beratungshilfe beanspruchen.

Die in Abschnitt IV E. angesprochenen Umgehungsmöglichkeiten lassen sich lösen, indem man klärt, ob die damit verbundenen Mehrkosten notwendig sind.

Mit den fachgerichtlichen Verfahren befasst sich das Problempapier nur am Rande. Die Besonderheiten dieser Verfahren werden in dem Papier nicht gewürdigt. Dies ist ein Grund für die von mir nicht geteilten Ausführungen in Abschnitt IV. D..
Die Kostenfestsetzungsbeamten der Verwaltungsgerichte sind darin geübt festzu-stellen, ob Rahmengebühren ihrer Höhe nach billigem Ermessen entsprechen. Wie sich eine Gebühr ggf. auf verschiedene Verfahrensabschnitte verteilt, ist ihnen ebenfalls bekannt. Dies beruht zum einen auf § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO und zum anderen auf §§ 118 Abs.1 und 119 Abs. 1 BRAGO (nunmehr Nr. 2300 ff und Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG).
Nach § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO können vorgerichtliche Anwaltskosten nur dann festgesetzt werden, wenn es sich hierbei um Kosten des Widerspruchsverfahrens handelt und das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt hat.

Die angedachte Lösung sollte meiner Ansicht nach auch deshalb noch einmal überdacht werden, weil mit ihr die ursprünglichen Gesetzesmotive für die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG in den fachgerichtlichen Verfahren vollständig in den Hintergrund treten. Eine Gleichbehandlung des Rechtsanwalts, der unmittelbar einen Prozessauftrag erhält, mit dem Rechtsanwalt, der zunächst außergerichtlich tätig wird, ist danach nicht zu rechtfertigen (vgl. S. 219 Drucksache 15/1971 des Deutschen Bundestags).

Der Lösungsvorschlag beseitigt das mit der Anrechnung verbundene Ungerechtig-keitsempfinden nur zum Teil und um den Preis neuer Unbilligkeiten.
Als unbillig wird in Verfahren der ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht die Anrechnung an sich, sondern vielmehr die in der Regel fehlende materiellrechtliche Anspruchs-grundlage für den Ersatz der Geschäftsgebühr des Beklagten empfunden.
Beanstandet wird ferner, dass eine im Wege der Widerklage geltend gemachte Geschäftsgebühr - anders als die als Nebenforderung eingeklagte Geschäftsgebühr -den Streitwert des gerichtlichen Verfahrens erhöht.
Hierin kann ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 GG gesehen werden.

Dem Beklagten wäre der nicht anzurechnende Geschäftsgebührenanteil in zivilgerichtlichen Verfahren regelmäßig auch weiterhin wegen einer fehlenden Anspruchsgrundlage nicht zu erstatten. Käme es nicht zu einem gerichtlichen Verfahren, trüge der zu Unrecht in Anspruch Genommene die Geschäftsgebühr weiterhin vollständig. Gleiches gälte für ein anwaltlich vertretenen Antragsteller, dessen Anliegen bereits im behördlichen Ausgangsverfahren entsprochen würde oder der gegen die ablehnende Entscheidung nicht klagte. Klagte er mit demselben Anwalt und obsiegte bzw. erhielte hierfür Prozesskostenhilfe, trüge ein Anderer einen Teil der Geschäftsgebühr. Klagte er hingegen selbst, trüge er auch weiterhin die volle Gebühr.
Darin kann ebenfalls ein Verstoß gegen Art. 3 GG gesehen werden.

Die Vergünstigungen des § 15 a RVG-E bieten unter Umständen einen Anreiz, den Klageweg zu beschreiten und beseitigen nicht die Streitigkeiten über den nicht anzurechnenden Gebührenanteil und die mit einem Anwaltswechsel verbundenen Mehrkosten.
Sie verstoßen unter Umständen gegen Art. 3 GG.

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Vgl. auch BGH, B. v. 24.09.2008 in IV ZB 26/07 sowie B. v. 02.10.2008 in I ZB 30/08 (Besonderheit: Anrechnung von 0,75 Gebühren im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung).

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Nunmehr auch KG Berlin, B. v. 07.10.2008 in 27 W 123/08 (Besonderheit: Anrechnung im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung). Damit dürfte die Einheitlichkeit der Rechtsprechung in der Anrechnungsfrage in der ordentlichen Gerichtsbarkeit nunmehr weitestgehend hergestellt sein.

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Erneut der BGH, B. v. 27.10.2008 in VI ZB 40/08 mit einem Hinweis auf die frühere Praxis. Rückblickend mag man sich fragen, warum das früher anders gemacht worden ist.

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Der in der Literatur verbreiteten Kritik an der Rechtsprechung des BGH zur Anrechnung kann das Urteil des BGH vom 01.10.1968 in VI ZR 159/67 entgegengehalten werden.
Dort wurde dem Kläger die mit eingeklagte Geschäftsgebühr im Wissen um die Anrechnung zugesprochen. Der BGH bleibt seiner Linie von damals auch heute noch treu.

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Die Entscheidung des BGH vom 01.10.1968- zu finden in NJW 1968,2334-beschäftigt sich mit der Abgrenzung des Prozessauftrags vom Auftrag zur reinen Geschäftstätigkeit und nimmt dabei durchaus anwaltsfreundliche und zutreffende Würdigungen vor. Die -berechtigte- Kritik an der aktuellen Rechtsprechung verschiedener Senate des BGH in Frage der Anrechnung nach Vorbem.3IV VV-RVG wird jedoch von dieser Entscheidung nicht berührt- zumindest sehe ich keinen Zusammenhang!

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Sehr geehrter Herr Dr. Meyer,
in dem der BGH-Entscheidung VI ZR 159/67 vom 01.10.1968 zugrunde liegenden Rechtstreit wurden - wenn ich mich nicht täusche -vorgerichtliche Anwaltskosten mit eingeklagt.
Zu den vorgerichtlichen Gebühren führt der BGH in seiner Entscheidung u.a. aus:
„Dann scheidet die Anwendung der §§ 31 ff. BRAGebO zweifelsfrei aus: der Anwalt kann und muß nach § 118 BRAGebO liquidieren. Das gilt aber auch dann, wenn die Bedingung später eintritt, indem die Vergleichsverhandlungen scheitern und nunmehr doch Klage erhoben werden muß. Daß auch dieser Fall unter die Regelung des § 118 BRAGebO fallen kann, zeigt Abs. 2 dieser Vorschrift. Danach schuldet der Auftraggeber seinem Rechtsanwalt sowohl die Gebühren des § 118 wie die der §§ 31 ff. BRAGebO, indes findet eine Anrechnung statt.“

Der BGH verstand „anrechnen“ seinerzeit offensichtlich nicht als „aufgehen in“, denn die Geschäftsgebühr wurde zugebilligt.
Er vertrat damit bereits zu diesem Zeitpunkt in der Anrechnungsfrage eine andere Position als später beispielsweise das KG.
Die nachstehenden Ausführungen des KG in seinem Beschluss vom 20.07.2005 in 1 W 285/05, juris; erscheinen danach m.E. in einem anderen Licht(nämlich entgegen BGH):
„Die außergerichtlich entstandene Geschäftsgebühr ging, soweit es sich um denselben Gegenstand handelte, nach altem Recht also in den nachfolgend entstandenen Verfahrensgebühren auf, die Geschäftsgebühr konnte daher nicht mehr gesondert geltend gemacht werden.“

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Sehr geehrter Herr Dr. Meyer,
ich räume nach nochmaligem lesen der von mir zitierte BGH-Entscheidung aus dem Jahr 1968 ein, dass meine daraus gezogenen Schlußfolgerungen nicht zwingend sind.

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Nunmehr auch KG, 2. Zivilsenat, B. v. 20.10.2008 in 2 W 182/08.
Weiterhin dagegen KG, 1. Zivilsenat, B. v. 23.10.2008 in 1 W 375/07.

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