NS-Fahndungsstelle Ludwigsburg gelingt Coup im Fall Demjanjuk

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 11.11.2008

Einige Stimmen gaben der weltweit größten Fahndungsstelle für NS-Verbrechen in Ludwigsburg zuletzt die Note "mangelhaft". Das könnte sich jetzt im Jahr des 50-jährigen Bestehens diese Behörde ändern: Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm, der Leiter der Behörde, trug mit seinen Mitarbeitern nach aufwändigen Recherchen in Archiven in Israel, den USA und in Deutschland ausreichend Material zusammen, um den in den USA lebenden mutmaßlichen Nazi-Kriegsverbrecher Iwan John Demjanjuk vor ein Gericht in Deutschland zu bringen. Ein Vorermittlungsverfahren gegen Demjanjuk ist am 10.11.2008 an die Staatsanwaltschaft München I abgegeben worden.

Der heute 88 jährige, in Ohio (USA) lebende Demjanjuk soll sich im Jahr 1943 als Angehöriger der Wachmannschaften des Vernichtungslagers Sobibor (Polen) der Beihilfe zur grausamen Ermordung von mindestens 29.000 europäischen Juden schuldig gemacht haben. Unter den Opfern waren rund 1900 deutsche Juden, weshalb die Fahndungsstelle zuversichtlich ist, dass gegen ihn ein Prozess in Deutschland geführt werden kann.

Ob ein Auslieferungsersuchen an die USA gerichtet wird, ist noch offen. Politisch ist dies nicht unumstritten: Demjanjuk ist in der Ukrainer geboren und hatte zunächst die US-Staatsbürgerschaft. Diese ist ihm Mai 2008 nach jahrzehntelangen Bemühungen aberkannt worden. "Die USA haben starkes Interesse daran, Demjanjuk loszuwerden. Die Ukraine und auch andere Staaten wollen ihn nicht aufnehmen. Dies ist eine große Chance, Demjanjuk zu überführen und ihn für seine Gräueltaten zur Verantwortung zu ziehen", sagte Schrimm.

Der letzte große Prozess gegen einen NS-Verbrecher in Deutschland liegt 16 Jahre zurück. Im Jahr 1992 verurteilte das Landgericht Stuttgart den SS-Obersturmbannführer Josef Schwammberger wegen Mordes und Beihilfe zum Mord an über 650 Menschen zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Schwammberger starb 2004 in Haft.

Die strafrechtliche Verfolgung von NS-Tätern war von den Siegermächten vor Kriegsende in einer gemeinsamen Erklärung im November 1943 beschlossen worden. Doch erst mit der Gründung der Zentralen Stelle 1958 kam die deutsche Strafverfolgung von NS-Verbrechern in Gang. Die Fahndungsstelle lieferte das Material für zahllose NS-Verfahren und ermöglichte erst die großen Auschwitz-Prozesse 1963 bis 1965 und 1964 bis 1966 in Frankfurt/Main sowie den Majdanek-Prozess von 1975 bis 1981 in Düsseldorf. Die Behörde leitete bisher Vorermittlungsverfahren gegen mehr als 110.000 Personen ein. Vor rund 20 Jahren arbeiteten in Ludwigsburg noch etwa 130 Mitarbeiter, heute sind es 19. Oberstaatsanwalt Schrimm leitet die Behörde seit Oktober 2000.

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