Verletzung der Menschenwürde durch RTL Nachrichtensendungen?

von Prof. Dr. Marc Liesching, veröffentlicht am 20.11.2008

Bereits durch Urteil vom 6.2.2007 (Az.: 7 A 5470/06) hatte das VG Hannover eine Beanstandungsverfügung der zuständigen Landesmedienanstalt gegen den Sender RTL wegen Verletzung der Menschenwürde bestätigt. Der Sender hatte im Rahmen der Nachrichten- bzw. Nachrichtenmagazinsendungen „Punkt 12", „RTL-aktuell" und „explosiv" am 30.11.2004 sowie „RTL Nachtjournal" am 01.12.2004 inhaltlich ähnliche Beiträge ausgestrahlt,  welche die Misshandlung eines pflegebedürftigen 91-jährigen Mannes durch die Tochter seiner verstorbenen Lebensgefährtin, der seine Pflege und Betreuung übertragen war, zeigen.

Nunmehr hat das OVG Lüneburg die Berufungzulassung hiergegen durch Beschluss vom Beschluss vom 20.10.2008 (Az.: 10 LA 101/07) zurückgewiesen. Dabei wird nicht nur auf die Berechtigung von  entsprechenden Ausstrahlungen aufgrund des Berichterstattungsinteresses eingegangen sondern auch auf Verfahrensfragen der Beschlussfindung durch das Organ der Kommissio für Jugendmedienschutz. Wie wesentlichen Entscheidungsinhalte können wie folgt zusammengefasst werden:

1. Der Bescheid einer Landesmedienanstalt ist formell nicht schon deshalb unrechtmäßig, weil der Prüfausschuss der KJM im Rahmen des Umlaufverfahrens entschieden hat und eine Präsenzprüfung nicht stattgefunden hat. Eine Präsenzprüfung ist im Sinne von § 90 Abs. 1 Satz 2 VwVfG immer dann nötig, wenn einer gemeinsamen Beratung nach dem Zwecke oder Zusammenhang einer Regelung besondere Bedeutung zukommt. Bei der vorliegenden von der KJM geprüften Fall ist eine solche besondere Bedeutung nicht anzunehmen.

2. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 JMStV sind unbeschadet strafrechtlicher Verantwortung Angebote unzulässig, die gegen die Menschenwürde verstoßen, insbesondere durch die Darstellung von Menschen, die sterben oder schweren körperlichen oder seelischen Leiden ausgesetzt sind oder waren, wobei ein tatsächliches Geschehen wiedergegeben wird, ohne dass ein berechtigtes Interesse gerade für diese Form der Darstellung oder Berichterstattung vorliegt.

3. Werden Bilder, in denen ein alter, hilfsloser Mann Misshandlungen und Beleidigungen durch seine Altenpflegerin ausgesetzt war, in ausgedehnter Länge im Rahmen von Nachrichten- und Magazinsendungen ausgestrahlt, sind sie auch dann unzulässig, wenn sie das Ziel vor Augen haben, bestehende Missstände im Altenpflegebereich aufzuzeigen und zu kritisieren.

Die ausführlichen Entscheidungsgründe zu

OVG Lüneburg, Beschluss vom 20.10.2008; Az.: 10 LA 101/07

VG Hannover, Urteil vom 6.2.2007 (Az.: 7 A 5470/06)

Die schwierige Frage, wann Berichterstattungsinteresse und Informationsbedürfnis auch menschenwürdeverletzende Darstellungen erlauben, stellt sich im Übrigen aufgrund § 5 Abs. 6 JMStV auch bei entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten im Hinblick auf deren Sendeplatzierungen. Ungeachtet der stets notwendigen Einzelfallbewertung bedarf es meines Erachtens für die Zukunft verstärkter Kriterienbildung, um dem Spannungsverhältnis zwischen Jugendschutz und Medienfreiheit rechtssicherer als bislang Rechnung tragen zu können.

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3 Kommentare

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Ich finde die Argumentation der Klägerin schlüssig und den Nichtzulassungsbeschluss eine Verletzung der Rundfunkfreiheit. Jugendliche begegnen in Killerspielen und anderen Medien tagtäglich wesentlich gravierenderen Verletzungen der Menschenwürde. Es ist reine Heuchelei, aufrüttelnde Bilder zum Pflegenotstand zu verbieten.

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Warum sollte es Heuchelei sein? Probleme in der Pflege gab es immer. Das zu publizieren ist nicht verboten. Es ist auch nicht verboten, dies anhand von Beispielen zu tun. Wenn aber dies zum einzigen Inhalt wird, dann ist es reine Effekthascherei. Haben denn die zuständigen Redakteure auch nur ein wenig über die tatsächlichen und rechtlichen Hintergründe des "Pflegenotstandes" recherchiert und verucht, diese zu kommunizieren?

Nein - und gerade dies nicht zu tun, aber dafür groß und breit erschreckende Bilder zu zeigen, ist Heuchelei. Es zeigt nämlich, dass es eben nicht um den Pflegenotstand geht, sondern einzig und allein um die mit solchen Bildern erreichbaren Einschaltquoten.

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Wie Sie im Deutschlandfunk richtig sagen, ist der Begriff "Menschenwürde" eigentlich angesichts von Leuten, die ihren Körper von Mülltonnen ernähren müssen bzw. keine Medikamente mehr erhalten, obsolet.

Darum: schafft endlich solche blödsinnigen Begriffe wie "Menschenwürde" etc. ab, und ersetzt diese KORREKT mit dem Begriff: "bestmögliche Aufrechterhaltung von Körpern".

Es gibt eben keine "Menschen" (ein Lieblingsbegriff von Hitler, übrigens...), sondern nur Körper.
Fragen Sie mal einen Mediziner!

Die Mediziner sind die perfektesten Leute, denn diese kennen keinen Hitlerschen Begriffe wie "Deutsche", "Menschen" etc. mehr, sondern nur noch Körper (bzw. individuelle Genome), die alle aufrechterhalten werden wollen (in der Regel).

Und: der grösste Luxus, den sich eine "Gesellschaft" (auch so ein Hitlerscher Begriff) leisten kann, ist, alle Körper bestmöglich aufrechterhalten zu können - medizinisch, wirtschaftlich, technisch, pragmatisch.

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