Ich habe zwar eigentlich keine Ahnung mehr von Europarecht...

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 27.11.2008

...finde aber gleichwohl die in NJW 2008, 3549 veröffentlichte Entscheidung des EGMR v. 29.6.07 höchst interessant. Sie zeigt nämlich, dass die hier bekannten Mittel, einen Fahrer eines Fahrzeugs, das in eine Straftat/OWi verwickelt war zu ermitteln - bzw. die erfolglose Fahrerermittlung "zu ahnden" - noch sehr milde sind (Halterverantwortlichkeit nach § 25a StVG bei Verstößen im ruhenden Verkehr; Fahrtenbuchauflage). In Großbritannien wird allein schon die Verweigerung der Fahrerdaten bestraft! Was hatte nun der EGMR damit zu tun? Ganz einfach: Die Beschwerdeführer in dem Verfahren (sie waren wegen Geschwindigkeitsverstößen geblitzt worden) hatten geltend gemacht, die britischen Vorschriften würden gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK verstoßen. Der EGMR hierzu u.a.:

"...Having regard to all the circumstances of the case, including the special nature of the regulatory regime at issue and the limited nature of the information sought by a notice under section 172 of the Road Traffic Act 1988, the Court considers that the essence of the applicants' right to remain silent and their privilege against self-incrimination has not been destroyed. ... Accordingly, there has been no violation of Article 6 § 1 of the Convention. ... The applicants referred to Article 6 § 2 of the Convention and the presumption of innocence in the course of their submissions, but made no separate complaint in respect of the provision. The Court finds that no separate issue arises to be considered under Article 6 § 2 of the Convention...."
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10 Kommentare

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Sollte man als Amtsrichter vom "Europarecht" nicht wenigstens soviel wissen, dass man die EMRK nicht für "Europarecht" (in dem Sinne, in dem der Terminus unter Juristen üblich ist) hält?

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Muss man sich eigentlich noch ernsthaft mit der Gesetzgebung und -rechtsprechung in Grossbritannien auseinandersetzen? Die haben sich schon seit langem von jeder Rechtsstaatlichkeit entfernt.

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an Gerd Kraemer:
na, ja. Wenn man mal so in Google "Europarecht EMRK" eingibt, finden sich schon ein paar Ergebnisse, die z.B. beides in einer Jura-Vorlesung darstellen. Soviel zu meiner Verteidigung. Ich sehe mich da nicht in schlechter Gesellschaft :-)))

an "Thomas":
Wieso hat sich GB von jeder Rechtsstaatlichkeit entfernt?

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@Gerd K. / Carsten K.

"dass man die EMRK nicht für “Europarecht” (in dem Sinne, in dem der Terminus unter Juristen üblich ist"

Erstmal: In welchem Terminus ist denn "Europarecht" unter Juristen üblich? Mir sind zumindest zwei Termini bekannt: "im weiten Sinne" und "im engeren Sinne". Ich habe stark das Gefühl, dass hier auf die institutionelle differnzierung EU/EG angespielt wird - die aber damit gar nichts zu tun hat.

Da die Anerkennung der EMRK Vorraussetzung zur Mitgliedschaft im Europarat ist, ein Insitut des selbigen, vom EGMR geschützt wird und als "gemeineuropäisches Grundgesetz" bezeichnet wird (so etwa Hecker, §3, Rn. 20) habe ich keine Probleme, die EMRK zum Europarecht i.e.S. zu zählen. In der juristischen Ausbildung ist sie ohne Diskussion Teil des "europäischen Strafrechts", wie man u.a. bei Hecker und Satzger nachlesen kann. Ebenso bei Koenig (Europarecht, Rn.23, 84).
Problematisch bei dieser Sichtweise ist die Frage der zweigleisigkeit zwischen EGMR und EuGH und die Tatsache, dass die EU ja z.B. nicht der EMRK beigetreten ist (aus formellen Gründen, dazu Grabenwarter, EMRK, Rn.18).
Wenn man aber bei Grabenwarter den gesamten §4 liest, muss man die EMRK dennoch zumindest als Europarecht i.w.S. verstehen - ob es also nun i.e.S. oder i.w.S. ist, darüber mag man streiten, ist aber sinnfrei, da wertlos.

"Sollte man als Amtsrichter vom “Europarecht” nicht wenigstens soviel wissen"
Nette Polemik, aber nutzlos: Von einem Amtsrichter erwarte ich, dass er die geltenden Regeln anwendet. Ob die geltenden Regeln nun begrifflich dem Völkerrecht, Europarecht (ies/iws - Gemeinschaftsrecht?) oder Mitgliedsstaatlichem Recht unterfallen ist dabei erstmal wertlos, da nur worthülse. Oder deutlich: Von einem Richter erwarte ich, dass er Art. 6 EMRK anwendet und respektiert. Ob er es dabei als Völkerrecht oder Europarecht einstuft ist mir dabei gleich, solange er es beachtet.

"Wieso hat sich GB von jeder Rechtsstaatlichkeit entfernt?"
Das Amerikanische/UK-Recht (gerade im Bereich Gefahrenabwehr und Strafrecht) ist so grundverschieden vom deutschen, dass es bei vielen die sich damit nicht auseinandersetzen, solche Assoziationen hervorruft.

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Als nachtrag zu den USA/England:
Als kontinental-europäischer Jurist hat man zwei Grundsätze in sich, unsere heiligen Kühe: "nulla poena sine lege und nullum crimen sine lege". Eine Rechtsordnung die dies nicht so konsequent umsetzt, wird gleich als nicht rechtsstaatlich betrachtet - ich denke, hier ergeben sich automatisch grosse Bauchschmerzen, ob nun gerechtfertigt oder nicht (ich werte das hier nicht). Es soll als Erklärung dienen, warum so viele ein Problem beim Blick über den Teich haben.

Aber: Ich empfehle, Art. 7 II EMRK zu lesen. Man muss gar nicht so weit lauten und innerhalb von Europa wird zumindest der Schuldgrundsatz in den nächsten Jahren auf eine harte Probe gestellt werden. Die Diskussion in Deutschland ist ja nun auch sehr alt, wobei es hier um die begriffliche Ausgestaltung des Schuldgrundsatzes geht, nicht um den Bestand als solchen.

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Herr Kraemer stößt sicherlich bei den Studenten auf offene Ohren, die im Europarecht mit Fragen zur EMRK konfrontiert werden. Einige Professoren und Prüfer halten es da mit Herrn Krumm...

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An "RiAG Krumm" Beispielsweise: Weil dort kürzlich ein Berufungsgericht entschieden hat, dass man einen Verschlüsselungskey (einer verschlüsselten Festplatte in einem Laptop) selbst dann herauszugeben hat, wenn die Gefahr besteht, sich selbst zu belasten. Sich selbst, wohlgemerkt! Damit war eine Klage gegen ein entsprechendes Gesetz in GB erfolglos.
Das ist aber nur eines von vielen Beispielen, die für GB und auch Amerika beispielhaft sind. Daher verwundert auch nicht die von Ihnen erwähnten Fahndungsmittel.

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"Sich selbst, wohlgemerkt!"

Der Entwurf zum BKA-Gesetz sieht eine Einschränkung des §55 StPO vor. Auch dafür muss man heute nicht mehr in die USA reisen, das gibt es demnächst auch bei uns.

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Ich sprach nicht von USA, sondern von GB.

"...das gibt es demnächst auch bei uns."
Demnächst oder auch nicht.
Und das finden Sie gut, oder wie soll ich Ihre kleine Anmerkung verstehen?

Zunächst ist das BKA-Gesetz erst mal durch den Bundesrat gefallen. Ob die SPD wieder umfallen und das Gesetz dann anderweitig doch noch durchgepaukt wird, muss man abwarten. Ich hoffe das jedenfalls nicht.

Sie können natürlich weiterhin abstrakte vergleichende Diskussionen anstellen, aber das wird uns in unserem deutschem Rechtsalltag nicht weiterhelfen.

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