BVerfG: Holzklotz-Angeklagter muss anonymisiert werden

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 29.11.2008

Der Angeklagte im Oldenburger Prozess um das tödliche Holzklotz-Attentat von einer Autobahnbrücke darf bei Aufnahmen aus dem Gerichtssaal weiterhin nur anonymisiert auf Bildern und im Fernsehen gezeigt werden. Zu einer zunächst nur mündlichen Anordnung des Vorsitzenden erging am 14.11.2008 ergänzend eine schriftliche Anordnung, wonach Bildaufnahmen des Angeklagten nur im anonymisierten Zustand (etwa "verpixelt") veröffentlicht werden dürfen.

Mit Beschluss vom 27. November 2008 - 1 BvQ 48/08 - hat das BVerfG einen Eilantrag des Fernsehsenders N24 abgelehnt, mit dem sich der Sender gegen die Anordnung des Vorsitzenden wandte.

Das BVerfG stellt klar: Die Nachteile, die sich für die freie Berichterstattung aus der Anordnung des Vorsitzenden ergeben, sind hinzunehmen, weil die zu befürchtenden Nachteile für den Angeklagten bei nicht anonymisierter Berichterstattung schwerer wiegen.

Im Einzelnen wird die Entscheidung damit begründet, dass im Strafverfahren der Persönlichkeitsschutz zumal des Angeklagten über den allgemein in der Rechtsordnung anerkannten Schutzbedarf hinausgehende besondere Bedeutung gewinnt, da sie sich unfreiwillig der Verhandlung und damit der Öffentlichkeit stellen müssen. Während der rechtskräftig verurteilte Täter einer Straftat sich nicht nur den hierfür verhängten strafrechtlichen Sanktionen beugen, sondern auch dulden muss, dass das von ihm selbst durch seine Tat erregte Informationsinteresse der Öffentlichkeit in freier Kommunikation auf den dafür üblichen Wegen befriedigt wird, gilt dies für den noch nicht rechtskräftig verurteilten Angeklagten nicht in gleicher Weise. Auch eine um Sachlichkeit und Objektivität bemühte Fernsehberichterstattung stellt in der Regel einen weitaus stärkeren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar als eine Wort-oder Schriftberichterstattung in Hörfunk und Presse. Die besondere Schwere einer angeklagten Tat und ihre als besonders verwerflich empfundene Begehungsweise kann im Einzelfall nicht nur ein gesteigertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, sondern auch die Gefahr begründen, dass der Angeklagte eine Stigmatisierung erfährt, die ein Freispruch möglicherweise nicht mehr zu beseitigen vermag. Dieselben Gründe, die das Informationsinteresse begründen, lassen die Gefahr entstehen, dass der Angeklagte bei der Bildberichterstattung sich von dem Vorwurf der besonderen Verwerflichkeit des ihm vorgeworfenen Handelns nur schwer wird befreien können, selbst wenn er freigesprochen werden würde. Dahinter muss das hier im Hinblick darauf besonders gewichtige Informationsinteresse der Öffentlichkeit, dass die Tat den Tod eines Menschen zur Folge hatte, sie als besonders verwerflich angesehen wird, und dass in der Öffentlichkeit für die Hinterbliebenen des Opfers großes Mitleid empfunden wird, zurücktreten. Im Übrigen untersagt die Verfügung des Vorsitzenden die bebilderte Berichterstattung aus dem Sitzungssaal nicht generell, sondern beschränkt sich lediglich auf die Person des Angeklagten. Damit wird dem öffentlichen an Informationsinteresse und den Belangen der Pressefreiheit weitgehend Rechnung getragen Informationsinteresse

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4 Kommentare

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Wollen wir mal hoffen, daß diese Regelung auch für andere Verhandlungen bindend wird. Und daß die BLÖD-Zeitung bei Verstoß dagegen so richtig bluten muß....

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Es ging vor dem BVerfG "nur" um die verfahrensleitende Verfügung des Vorsitzenden zum Schutz des Angeklagten. Außerhalb der Hauptverhandlung muss der Angeklagte selbst entscheiden, wem er unter welchen Kautelen ein Interview gibt.

Also: Das dem Sender RTL gegebene Interview kann so ausgestrahlt werden wie bisher.

Aber: Sollte ein Angeklagter zahlreiche Fernsehinterviews außerhalb der Hauptverhandlung geben, wird - wie die Gründe des Beschlusses zeigen - sein Schutzinteresse gegenüber dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit immer schwächer.

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