Was ist ein Geständnis wert? - Gisela Friedrichsen analysiert den Fall Pascal

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 12.12.2008

Schon im Zusammenhang mit dem Holzklotz-Fall stellte sich die Frage: Was ist ein Geständnis wert? -  Dieser Frage geht nun die renommierte SPIEGEL-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen in ihrem vor wenigen Wochen erschienenen Buch "Im Zweifel gegen die Angeklagten. Der Fall Pascal - Geschichte eines Skandals" nach. Eine aufrüttelnde Lektüre für jeden strafrechtlich Interessierten!

Die Anklage

Angeklagt werden 13 Personen, denen zur Last gelegt wird, am 30.9.2001 in Saarbrücken in der "Tosa-Klause" Pascal sexuell missbraucht und getötet bzw. hierzu Beihilfe geleistet zu haben. Darüberhinaus wird sieben Angeklagten vorgeworfen, bereits zuvor die Kinder Pascal und Bernhard bei verschiedenen Gelegenheiten missbraucht zu haben.

Die Hauptverhandlung

Der Prozess beginnt am 20.9.2004 und endet nach 147 Verhandlungstagen, 294 Zeugen sind im Lauf der Hauptverhandlung vernommen worden, drei Jahre später am 7.9.2007. Während der Hauptverhandlung bezichtigen sich fünf Angeklagte selbst des brutalen Missbrauchs und schließlich auch des Mordes an Pascal oder der Beihilfe dazu - in immer neuen, widersprüchlichen Varianten, die sie früher oder später widerrufen, die Widerrufe bisweilen allerdings auch und die Widerrufe ebenfalls. Und: Es fanden sich weder Blut-, Sperma- noch DNA-Spuren

Das Urteil

Das LG Saarbrücken spricht am 7.9.2007 sämtliche noch lebenden Angeklagten frei (einer der Angeklagten ist während des Verfahrens verstorben), weil es sich nicht von einer Beteiligung der Angeklagten an den ihnen vorgeworfenen Taten überzeugen konnte. Heftig kritisiert Friedrichsen nicht die Freisprüche, sondern deren Begründung, die einem Schuldspruch gleichen und zum Titel ihres Buchs führten.

Was ist ein Geständnis wert?

Wieso gestehen fünf der im Pascal-Prozess Angeklagten einen Mord begangen oder beobachtet zu haben, obwohl dies nicht der Fall ist? Warum gestehen überhaupt Personen Taten, die sie nicht geübt haben? Diesen Fragen geht Gisela Friedrichsen nach, in dem sie die Lebensgeschichte der wichtigsten Angeklagten und Zeugen sowie den Gang des Verfahrens nachzeichnet - und wie dabei die zentralen Erfahrungen aus den Prozessen in Münster und Worms missachtet und die Stellungnahme des von der Staatsanwaltschaft befragten, renommiertesten Experten auf dem Gebiet der Aussagepsychologie Prof. Dr. Max Steller ignoriert werden. Seit "Münster" sind sich alle seriös arbeitenden forensischen Psychologen einig, dass zwischen einem "wahren Kern" und einem "fantasierten Gesamtgeschehen" nicht unterschieden werden kann, sobald suggestive Prozesse bei der Befragung eines Kindes zu sexuellen Missbrauch nicht auszuschließen sind.

Jedem, der sich für die Frage interessiert, wie es zu falschen Geständnissen kommen kann, empfehle ich das Nachwort des Kieler Psychologen und Gerichtsgutachters Prof. Dr. Günter Köhnken, der erklärt, warum es mehr falsche Geständnisse gibt, wie man landläufig meint, und wo die Ursachen für falsche Geständnisse liegen (vor allem subjektiv erlebter Befragungsdruck). Auch referiert er den Stand der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion über diese Frage.

Übrigens ...

Der BGH hat mit Beschluss vom 18.11.2008 - 4 StR 301/08 - (BeckRS 2008 25004) die Revision des Nebenklägervertreters gegen das freisprechende Urteil des LG Saarbrücken als unzulässig verworfen. Über die Revision der Staatsanwaltschaft ist meines Wissens noch nicht entschieden.

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5 Kommentare

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Beste Lösung wäre grundsätzlich die Aufnahme von Verhören auf Video. So kann man sehen ob dem Angeklagten irgendwas in den Mund gelegt wird. Ehrliche und kompetente Polizisten haben sowas gar nicht nötig. Und Videoaufnahmen würden auch eine Verteidigung verhindern, die behauptet dass der Mandant bedroht worden sei. Unsauber arbeitende Polizisten werden allerdings Videoaufnahmen nicht mögen:
http://www.lawblog.de/index.php/archives/2008/12/11/was-sonst-nicht-im-p...

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Ihre Reaktion hätte fast nicht noch schneller kommen können! Das freut mich natürlich.

Gerade auch für Mißbrauchsverfahren ist ja die Videovernehmung eingeführt worden. Bei "Pascal" wurden wohl häufig die Vernehmungen auf Ton aufgezeichnet, aber - wie man liest - brachte die Verschriftung Zusammenfassungen dort, wo es gerade auf jedes Wort angekommen wäre. Dieses Verfahren ist kein Ruhmesblatt für die Strafjustiz. Jetzt gilt es aus den Fehlern zu lernen, damit sie sich nicht nochmals wiederholen.

Im Holzklotz-Fall ist übrigens Prof. Dr. Steller eingeschaltet worden.

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Wer das Buch von Frau Friedrichsen mit Interesse gelesen hat und/oder sich kurz über die rechtliche Grundproblematik aus ihrer Feder informieren möchte, empfehle ich Gisela Friedrichsen "Der Mann im Hintergrund", Festschrift für Gunter Widmaier, 2008, S. 11 ff.

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In der soeben erschienenen Festschrift für Ulrich Eisenberg befasst sich der Berliner Psychologe Max Steller nochmals mit dem Thema „Falsche Geständnisse bei Kapitaldelikten. Praxis – Der Fall Pascal“ (S. 215 ff). Die Psychiaterin Renate Volbert behandelt die Grundlagen falscher Geständnisse bei Kapitaldelikten (S. 205 ff).

Leider kann ich keinen Link auf den Beitrag von Frau Gisela Friedrichsen "Lang genug weichgekocht" im aktuellen SPIEGEL Nr. 6 vom 8.2.2010 S. 39 setzen, der vom Freispruch eines Mannes in Kiel berichtet, der fälschlicherweise einen Mord gestanden hatte. In kuzem zeitlichen Abstand liest man also immer wieder von Flaschgeständnissen. Aber wie hoch mag erst die Dunkelziffer sein?

 

Die Tür zum Freispruch öffnete die Berliner Rechtspsychologin Prof. Dr. Renate Volbert mit ihrer Stellungnahme zu der Frage, ob in dem Kieler Prozess nicht Anhaltspunkte für ein falsches Geständnis vorliegen. Als weiterer Sachverständiger war wieder einmal bei der Problematik "Falschgeständnis" der Psychologe Prof. Dr. Günter Köhnken tätig.

 

Zutreffend merkt Frau Friedrichsen an, dass die Arbeiten von Volbert und Köhnken über Risikofaktoren, die in Kombination zu Falschgeständnissen führen können, Pflichtlektüre für jeden Ermittler, jeden Staatsanwalt, Richter und Verteidiger sein sollten.

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