BGH: Entscheidungsgründe der Strafverschärfung nach tödlichem Rennen liegen vor - alles ist anders!

von Carsten Krumm, veröffentlicht am 07.01.2009

Im Blog war die Entscheidung des BGH, Urteil vom 20. 11. 2008 - 4 StR 328/08 bereits vertreten, nachdem die entsprechende Pressemitteilung 215 aus 2008 veröffentlicht worden war. Der BGH hatte hier die von dem erstinstanzlichen LG festgesetzten Strafen verschärft - man konnte das auch in anderen Medien lesen. Nun liegen die Entscheidungsgründe vor und finden sich auf der BGH-Seite (veröffentlicht am heutigen Tage). Das Erstaunliche: Der Schwerpunkt der Entscheidung ist ein ganz anderer und für Strafrechtler viel interessanter.

Es geht vielmehr um die sicher auch für Studenten klausurenträchtige Problematik der Abgrenzung zwischen Selbst- und einverständlicher Fremdgefährdung bei Fahrlässigkeitsdelikten, die sich wie auch sonst nach der Herrschaft über den Geschehensablauf richten soll. Ferner geht es um die rechtfertigenden Wirkung einer Einwilligung bei gefährlichem Handeln im Straßenverkehr.

Ich meine: Unbedingt lesenswert! Schauen Sie mal rein.

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8 Kommentare

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In der Tat eine sehr lesenswerte Entscheidung. Interessant auch der Hinweis des BGH, dass das LG bezüglich der Strafaussetzung zur Bewährung auch Gesichtspunkte der Generalprävention zu berücksichtigen haben wird. Sollte das LG daraufhin keine Strafaussetzung mehr geben, wird sich deer BGH wohl ein zweites Mal mit dem Fall zu beschäftigen haben.

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Sehr geehrter Herr von Heintschel-Heinegg, sehr geehrter Herr Krumm,

spannende Entscheidung! Mich enttäuscht ein wenig die apodiktische Behandlung der einverständlichen Fremdgefährdung (Rz. 25): wo liegt etwa der Unterschied zum Schulfall, dass ein Beifahrer eigenverantwortlich mit einem Betrunkenen mitfährt? Der BGH scheint mir die Möglichkeit einer einverständlichen Fremdgefährdung nicht ernsthaft in Betracht zu ziehen: er deutet an, dass es auf die "tatsächliche Situation" (scil. wer Fahrer war) beim Schadenseintritt ankomme. Damit wäre man aber wieder bei einer Abgrenzung nach Tatherrschaftskriterien: doch wer die Herrschaft innehat, gefährdet sich ohnehin selbst, welcher Raum soll also für die Rechtsfigur der einverständlichen Fremdgefährdung bleiben? Nach den von Roxin entwickelten Kriterien (gleiche Übersicht über das Risiko, nur dieses Risiko darf sich im Erfolg realisieren) halte ich es für denkbar, sie hier anzuwenden.
Weiter arbeitet der BGH - wie üblich - mit der Einwilligung und wendet (strafschärfend analog?) "Normzweck" oder "Rechtsgedanken" (Rz. 28) von §§ 228/216 auf Fahrlässigkeitsdelikte

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Sie haben Recht: Wenn man sich die genaue Begründung der Tatherrschaft anschaut, ist diese doch eher dünn. Für die Blogelser als Zitat:

"bb) Ausgehend hiervon ist vorliegend ein Fall der Fremd- und nicht der Selbstgefährdung gegeben. Die Herrschaft über das Geschehen unmittelbar vor sowie ab dem Beginn des Überholvorgangs lag allein bei den Fahrzeugführern. Sie haben die Entscheidung getroffen und umgesetzt, nebeneinander das vom Zeugen G. gesteuerte Fahrzeug zu überholen, obwohl nur zwei Fahrstreifen vorhanden waren. Allein sie haben die Geschwindigkeit der Fahrzeuge und die Lenkbewegungen bestimmt. Ihre Beifahrer waren in diesem Zeitraum dagegen – ohne die Möglichkeit, ihre Gefährdung durch eigene Handlungen abzuwenden – lediglich den Wirkungen des Fahrverhaltens der Angeklagten B. und H. ausgesetzt. Für das zum Tod von J. -P. Sim. führende Geschehen war dessen Verhalten, insbesondere das Geben der Startzeichen und das Filmen der Rennen, gegenüber dem der Angeklagten B. und H. von untergeordneter Bedeutung.
cc) Auch eine – vom Landgericht angenommene – der Selbstgefährdung gleichzustellende Fremdgefährdung bzw. -schädigung liegt nicht vor (hierzu Roxin in Gallas-FS 1973 S. 241, 252; ders. NStZ 1984, 411, 412; ders. Strafrecht AT-1, 1997, § 11 Rdn. 107). Diese kann nicht allein damit begründet werden, dass es weitgehend vom Zufall abhing, wer im konkreten Fall Fahrer und wer Beifahrer war. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Situation beim Schadenseintritt..."

Auch zu einer möglichen Einwilligung die entscheidende Stelle:
" Eine rechtfertigende Wirkung der Einwilligung in riskantes Verkehrsverhalten scheidet nur für diejenigen Tatbestände grundsätzlich aus, die zumindest auch dem Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs im Allgemeinen dienen (§§ 315 b, 315 c StGB). Bezweckt eine Vorschrift dagegen ausschließlich den Schutz von Individualrechtsgütern (wie §§ 222, 229 StGB), so verliert die Einwilligung ihre (insoweit) rechtfertigende Wirkung nur dort, wo die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten ist, also bei konkreter Todesgefahr, unabhängig von der tatsächlich eingetretenen Rechtsgutverletzung.
Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu."

Ich vermute glatt, dass die Beurteilung der Tatherrschaft gar nicht so allgemeingültig ist, wie man es für eine Entscheidung des BGH erwartet. Vielleicht wäre das Ergebnis bei einem einfachen Körperverletzungserfolg trotz gleicher äußerer Situation anders gewesen?!

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Sehr geehrter Herr Krumm, sehr geehrter Herr Roger,
die Entscheidung ist - angesichts der bisherigen sehr zurückhaltenden Bewertung der Rechtsprechung ggü. der von Roxin entwickelten Figur der straflosen "einverständlichen Fremdgefährdung" - kaum überraschend.
Ich halte die Argumentation zur Begründung der Tatherrschaft nicht für "dünn", denn sie beschreibt doch exakt, was in einem mit 240 km/h rasenden Fahrzeug der Fall ist: Der Fahrer beherrscht (wenn überhaupt) die Situation und enstcheidet über Bremse/Gas und Lenkung ganz allein, während der Beifahrer ihm völlig ausgesetzt ist - eine Selbstgefährdung liegt hier auch nicht ansatzweise (wie etwa beim Autosurfen) nicht mehr vor.
Es kann also nur noch darauf ankommen, ob es sich um eine straflose einverständliche Fremdgefährdung handelt oder um eine für den Gefährder strafbare.
Meines Erachtens wird durch die Argumentation des BGH die straflose einverständliche Fremdgefährdung zwar stark begrenzt, bleibt aber dennoch möglich. Ausschlaggebend ist für den BGH offensichtlich hier der Bezugspunkt der Gefährdung. Denn es wird nicht auf die Gefahr abgestellt, die bei Vereinbarung der Rennfahrt schon vorhergesehen wurde, sondern auf die spezifische Gefahr beim konkreten Überholvorgang. Ob der Beifahrer auch mit dieser halsbrecherischen Überholfahrt noch einverstanden war, ist aber fraglich. Hätte er hier denn noch aussteigen können?

Schaut man sich die von Roxin (in AT § 11 Rn. 121 ff.) genannten Fälle an, dann kann man im Vergleich zum hiesigen Fall Argumente für andere Formen der Differenzierung finden.
Vgl. den Roxin-Fall 1 (Memel-Fall): Der Fährgast drängt den Fährmann trotz Gefahr den Fluss zu überqueren, die Fähre kentert, der Fahrgast ertrinkt. Also: Der Fährmann fährt wegen des Anliegens des Fährgastes und auf dessen Wunsch.
Im hiesigen Fall: Der Beifahrer setzt sich zwar freiwillig der Gefahr aus, aber der Fahrer fährt (vor allem wohl) aus eigenem Antrieb.
Roxin-Fall 2: Auch hier drängt der Beifahrer den Fahrer, die Geschwindigkeit zu überschreiten.
Hier dagegen: Den Geschwindigkeitstest wollten wohl alle Beteiligten gleichermaßen.
Roxin-Fall 3: Der typische Alkohol-Beifahrer-Fall, wie wir ihn in Klausuren und mündl. Prüfungen immer wieder stellen: B bittet den betrunkenen F ihn mitzunehmen in voller Kenntnis der Alkoholisierung des F. Roxin meint, dieser Fall sei wie sein Fall 2 zu lösen, aber m.E. ist hier ein Unterschied gegeben, wenn B nicht etwa die ganze Fahrt veranlasst, sondern eben nur "mitfährt".
Ich glaube, man könnte aus der Beteiligungslehre, nämlich der Differenz zwischen der gesetzlichen Wertung der §§ 26 und 27 StGB eine Legitimation dafür finden, wann eine straflose einvertändliche Fremdgefährdung vorliegt. Es ist dieselbe Grenze, die das "Verlangen" in § 216 StGB ausmacht, also keineswegs weit hergeholt.

Es rechtfertigt also m.E. eine unterschiedliche Behandlung der Fälle, je nachdem, ob das Opfer zur Gefährdung seiner eigenen Person geradezu "angestiftet" hat bzw. seine Gefährdung durch den Täter ausdrücklich "verlangt" hat, oder ob das Opfer lediglich sich der Gefährdung ausgesetzt hat.

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Sehr geehrter Herr Müller,

nicht die Begründung der Tatherrschaft erscheint mir dünn, sondern die Ablehnung der einverständlichen Fremdgefährdung bei (hier wohl unbestreitbarer) Tatherrschaft des Fahrers. Ich denke, Sie haben darin Recht, dass der BGH auf die konkrete Gefährdung abstellt, also das halsbrecherische Überholen; gut möglich, dass dieses nicht mehr vom Einverständnis des Beifahrers gedeckt war. Genauso gut aber könnte es sein, dass sich dieses Manöver im Rahmen des "Regelwerks" solcher Rennen hält, vielleicht war der verunglückte Beifahrer ja früher selbst so gefahren - was ein Indiz für sein Einverständnis bilden könnte. Das ist der Ort, an dem ich eine eingehende Begründung vermisse. Offensichtlich zieht der BGH die Lösung über die Einwilligung vor.

Diese, ebenso wie die Übertragung der Beteiligungslehre auf Fahrlässigkeitsdelikte, scheinen mir nicht selbstverständlich: kann nicht das "Opfer" den Schutz seiner Rechtsgüter preisgeben, ohne den Tatentschluss beim Täter zu wecken?

Mfg,
-br

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Sehr geehrter Herr Roger,
zunächst habe ich ja nur auf Ihren Einwand reagiert, der BGH lasse keinen Raum für eine straflsoe einverständliche Fremdgefährdung. Ich denke, er lässt immer noch den Raum, der auch in den ersten beiden Beispielen von Roxin gegeben ist, nämlich wenn das Opfer den Tatenstchluss zur gefährlichen handlung geweckt hat.
Die Antwort auf die Frage, die Sie im letzten Satz stellen, müsste m.E. eingehender untersucht werden. Möglicherweise lässt sie sich auch nicht einheitlich für alle Rechtsgüter beantworten, siehe Herrn Krumms Bemerkung am Ende seines postings. Geht es um das Rechtsgut Leben, lässt auch das Gesetz eine relativ strenge Tendenz erkennen. Im Vorsatzfall ist selbst die Tötung auf ausdrückliches Verlangen und im Interesse des Opfers strafbar.
Diese Strenge erhält m.E. ihren Sinn nicht nur aus der Wichtigkeit des Rechtsgutes, sondern auch daraus, dass das Opfer sich in diesen Fällen nicht mehr äußern kann. Ich tendiere deshalb im Fahrlässigkeitsfall dazu, dem gefährlich Handelnden grundsätzlich auch dann eine Mit-Verantwortung für die Tötung zu belassen, wenn der Getötete sich freiwillig der Gefahr ausgesetzt hat (was natürlich in der Strafzumessung berücksichtigt werden sollte).
Selbstverständlich halte ich andere Auffassungen für vertretbar.

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Sehr geehrte kollegen, noch ein anderer Aspekt scheint mir erwähnenswert: die Teilnahme an einem Autorennen auf öffentlicher Straße ist nicht strafbar, sondern begründet nur eine Ordnungswidrigkeit (§§ 29 Abs.1, 49 Abs.1 Nr.5 StVO). Wird durch die dabei regelmäßig zugleich verwirklichte Geschwindigkeitsüberschreitung ein anderer gefährdet, genügt auch das nicht zur Strafbarkeit nach § 315 c StGB (aufgrund des "Raser-Privilegs" im Lande des ungebremsten Automobils). Im vorliegenden Fall war deshalb eine solche Verurteilung nur möglich, weil beim falschen Überholen (§ 315c Abs.1 Nr. 2 b)) ein Unbeteiligter gefährdet wurde. Die alleinige Gefährdung des später getöteten Beifahrers hätte auch beim falschen Überholen zu einer Verurteilung nach § 315c StGB nicht ausgereicht (weil Teilnehmer an der Tat keine "anderen" i. S. d. Gesetzes sind/sein sollen). Nach der Logik der Rechtsprechung wäre also allein die fahrlässige Tötung übrig geblieben, hätte es nicht den überholten (und dadurch gefährdeten) Opel Astra gegeben.
Man könnte allerdings in Betracht ziehen, ein Autorennen mit über 200 km/h auf einer Landstraße nach § 315 b StGB zu beurteilen. Ansonsten wäre de lege ferenda auf eine entsprechende Ergänzung des § 315 c StGB hinzuwirken, um solche Möchtegern-Schumis nicht auch noch zu privilegieren.

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