BGH: Verfahren gegen Bundeswehrangehörige im Fall "Coesfeld" müssen neu verhandelt werden

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 16.01.2009

Für viel Empörung sorgten die Vorkommnisse im Fall "Coesfeld" im Jahr 2004: Bundeswehrausbilder hatten eine "Geiselnahme" nachgestellt und dabei die Soldaten, die die Geiseln darstellten, misshandelt und entwürdigt. Drei Jahre später verurteilte das LG Münster drei der fünf Angeklagten wegen Misshandlung (§ 30 Abs. 1 WStG)  und/oder Entwürdigung (§ 31 Abs. 1 WStG), zwei Angeklagte sprach es frei. Die beiden Urteile hat der 1. Strafsenat des BGH am 14.1.2009 aufgehoben. Das LG habe Mittäterschaft übersehen und zu Unrecht einen Tatbestandsirrtum angenommen. Zudem kippte der BGH die Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite wegen Lücken (Urteile vom 14.1. 2009 - 1 StR 158/08, 1 SR 554/08; bislang liegen die Urteilsgründe noch nicht gedruckt vor, sondern erst die Pressemitteilung).

Sachverhalt

Bei der ersten Übung im zweiten Quartal 2004, von der die Rekruten vorher nicht informiert wurden, waren die Angeklagten für das «Überfallkommando» eingeteilt. Gemeinsam überfielen sie die in Gruppen aufgeteilten Rekruten, entwaffneten sie, verbanden ihnen die Augen und fesselten ihnen die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken. Dabei erlitten die Rekruten teilweise Schmerzen und trugen Druckstellen davon. Der Angeklagte F. stellte nach einem solchen Überfall einem gefesselten und mit verbundenen Augen auf dem Bauch liegenden Soldaten seinen rechten Fuß auf den Rücken. Dabei hielt er in der rechten Hand sein Gewehr, streckte die linke Faust in die Höhe und ließ sich so fotografieren.

Nach den einzelnen Überfällen wurden die Rekruten bei dieser Übung jeweils zu einer Sandgrube gebracht. Dort führte der Angeklagte H. mit ihm zugeteilten Hilfsausbildern ein «Verhör» durch. Bei diesem  mussten die Rekruten unter anderem mit verbundenen Augen Liegestützen oder Kniebeugen machen, es wurden Scheinerschießungen durchgeführt und teilweise wurde den Soldaten mit einer Kübelspritze Wasser in den gewaltsam geöffneten Mund oder in die Nase gepumpt, so dass sie zum Teil keine Luft mehr bekamen. Vereinzelt wurde Rekruten auch Wasser in die zuvor geöffnete Hose gepumpt, teilweise danach auch Sand in die Hose zwischen die Beine geworfen. Ein Soldat wurde vom Angeklagten H. anschließend als «Bettnässer» verhöhnt. Auch der Angeklagte E. beteiligte sich an der Befragung eines Rekruten in der Sandgrube. Dabei fasste er ihn an den Haaren, zog seinen Kopf nach hinten und drohte mit seiner Erschießung.

Die weitere Übung im dritten Quartal 2004, an der der Angeklagte E. ebenfalls teilnahm, lief ähnlich ab. Der Angeklagte E. begleitete hierbei seine Gruppe auf dem nächtlichen Orientierungsmarsch zu dem Ort des Überfalls. Anschließend wurden die Rekruten mit einem Transporter zu einem Kasernenblock gebracht, in dessen Keller dieses Mal das «Verhör» stattfand. Der Angeklagte E. beteiligte sich am «Abladen» der Rekruten von einem Transporter, indem er die Soldaten, deren Augen nach wie vor verbunden waren, aufforderte, von der Ladekante zu springen. Dadurch sollte bei den Rekruten Angst und Unsicherheit erzeugt werden. Während der Befragung wurde einer der Rekruten fest auf Arme, Beine und Rücken geschlagen. Teilweise wurden die Rekruten mit Wasser nass gemacht beziehungsweise übergossen und mussten Zwangshaltungen einnehmen. Einem Rekruten wurde ein Eimer über den Kopf gestülpt.

Zur Mittäterschaft und dem zu Unrecht bejahten Tatbestandsirrtum

Das LG hat den Angeklagten die Vorfälle bei den beiden Geiselnahmeübungen nur insofern zugerechnet, als sie daran selbst aktiv beteiligt waren. Dies widerspricht jedoch rechtsfehlerhaft den Grundsätzen der mittäterschaftlichen Zurechnung. Ein dem Vorsatz ausschließender Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB, weil die Angeklagten von der Rechtmäßigkeit der Übung ausgegangen seien, hielt ebenfalls rechtlicher Überprüfung nicht stand. Ein solcher Irrtum eines Untergebenen unterfalle dem besonderen Schuldausschließungsgrund des § 5 Abs. 1 WStG.

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Der BGH hat auch darauf hingewiesen, dass zwar der Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1 WStG eröffnet sei, aber wohl nicht durchgreifen werde, da davon auszugehen sei, dass für die Ausbilder die Rechtswidrigkeit ihres Handelns offensichtlich gewesen sei.
M.E. musste in der Tat für die Ausbilder offensichtlich gewesen sein, dass der Übungsbefehl strafrechtswidrig war. Dem Sachverhalt nach handelte es sich um Soldaten mit einer Dienstzeit von jeweils wenigstens 2 Jahren, die - so meine persönliche Erfahrung - über die Vorgehensweise und Inhalte bei derartigen Übungen hinreichend unterrichtet und belehrt werden.

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