LG München I verurteilt U-Bahn-Schubser wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren neun Monaten

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 21.01.2009

Das Schwurgericht des LG München I hat heute den wegen versuchten Mordes angeklagten "U-Bahn-Schubser" wegen gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren neun Monaten verurteilt und Haftfortdauer angeordnet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Einen bedingten Tötungsvorsatz des 70-jährigen Angeklagten hat das Gericht verneint. Der Angeklagte habe dem Mädchen einen spontanen kräftigen Stoß von seitlich hinten auf die einfahrende U-Bahn versetzt. Das hiervon völlig überraschte Mädchen, das zu diesem Zeitpunkt auf dem Sicherheitsstreifen vor dem Angeklagten vorbeiging, habe hierfür keinerlei Veranlassung gegeben. Dass das Mädchen im wesentlichen lediglich Prellungen und Hautabschürfungen erlitten hat, sei als reiner Glücksfall anzusehen. Der Angeklagte habe auch nicht abwehrend aus Angst und Schrecken sondern aus Verärgerung gehandelt. Gleichwohl sei der Stoß nicht derart gewesen, dass der Angeklagte billigend in Kauf genommen hätte, dass das Mädchen zwischen die Waggons der einfahrenden U-Bahn stürzen und tödliche Verletzungen erleiden könnte.

Strafmildernd hat das Gericht den durchgeführten Täter-Opfer-Ausgleich gewertet.

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4 Kommentare

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Wahrlich - und stellen wir uns mal die Frage, was für ein Urteil herausgekommen wäre, wenn das Mädchen getötet worden wäre? Wir haben das schon im Blog schon mal diskutiert und können diese wichtige Diskussion, wie es zur Verneinung oder Zuschreibung des Vorsatzes kommt, hier fortsetzen:

http://www.blog.beck.de/2008/07/09/lg-munchen-i-hohe-strafen-gegen-u-bah...

Wichtig ist der Diskussionsbeitrag von Herrn Edlbauer, der sich mit dieser Frage in JA 2008, 725 wissenschaftlich befasst hat.

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Sehr geehrter Herr Kollege v. Heintschel-Heinegg,

Ihre Frage impliziert, es sei bloßer Zufall gewesen, ob das Mädchen nur verletzt oder getötet worden wäre. In diesem Fall wäre das Urteil wohl fehlerhaft. Aber zu der Frage, ob ein Angriff das Indiz für einen Tötungsvorsatz beinhaltet, kann und muss man sicherlich - wie es das LG München wohl getan hat - die konkreten Umstände sehr genau betrachten: Nicht jedes U-Bahn-Schubsen ist gleich zu beurteilen, genauso wenig wie es jeder Messeranschlag ist. Z.B. spricht es eher für einen Tötungsvorsatz, wenn ein Mensch VOR die Bahn geschubst wird als wenn dies seitlich gegen die fahrende Bahn geschieht. Im letzteres Fall ist wesentlich , wie groß aufgrund der Stärke des Stoßes, des Abstands zur Bahnsteigkante und der Geschwindigkeit des Zuges etc. die Gefahr war, zwischen die Waggons zu geraten und ob sich die tödliche Gefahr dem Täter so aufdrängen musste, dass er sich vom Tötungsvorsatz nicht mehr plausibel distanzieren kann.
Stellt sich das konkrete Schubsen als zwar sehr gefährlich, aber das Überleben nicht mehr als nur zufällig heraus, lässt sich auch nicht von der Tathandlung auf Tötungsvorsatz schließen. Und fehlt es an weiteren Indizien für einen Tötungsvorsatz, bleibt wohl nur die Beurteilung nach § 224. Für § 224 Abs.1 Nr.5 StGB verbleibt damit ein Anwendungsbereich - die vorsätzliche das Leben gefährdende Behandlung ohne Tötungsvorsatz. In der Realität wie auch Strafrechtsklausuren (sowohl für den Ersteller der Klausur als auch für die Bearbeiter) ist das eine äußerst heikle Grenzziehung.

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Sehr geehrter Herr Kollege Müller,

vielen Dank für Ihre Zuschrift, die mir zeigt, dass ich den Hintergrund meiner Fragestellung zu wenig offen gelegt habe. Hintergrund war die schon etliche Jahre zurückliegende repräsentative Aktenanalyse von Sessar, Rechtliche Prozesse einer Definition der Tötungskriminalität, 1981. Zum Schluss dieser empirischen Arbeit werden zwei Variablen (nämlich Tatausgang und Vorbelastung des Beschuldigten) zu zwei Extremgruppen kombiniert: In den Fällen, in denen das Opfer getötet wurde und der Beschuldigte mit einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr ohne Bewährung vorbelastet ist, wurde zu 76% der Tötungsvorsatz bejaht, zu 24% verneint. Dagegen ist in den Fällen, in denen das Opfer nur leicht oder gar nicht verletzt wurde, und der Beschuldigte strafrechtlichen nicht oder nur gering vorbelastet ist, der Tötungsvorsatz nur zu 10% bejaht, aber zu 90% verneint. Dieses Ergebnis bestätigt auch der vorliegende Fall, der zudem belegt, dass der Vorsatz "zugeschrieben" wird. Vor dem Hintergrund der starken wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die Definition des bedingten Vorsatzes stimmen diese Erkenntnisse nachdenklich.

Mit besten Grüßen
Bernd von Heintschel-Heinegg

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