Anrechnung der Geschäftsgebühr und § 15 Abs. 3 RVG

von Dr. Hans-Jochem Mayer, veröffentlicht am 28.01.2009

Zu den kuriosen Anwendungsfragen, zu denen die Rechtsprechung des BGH über die Anrechnung der Gebühr auf die Verfahrensgebühr führt, gehört auch, ob die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr vor oder nach der Anwendung von § 15 Abs. 3 RVG vorzunehmen ist. Das OLG Stuttgart hat diese Frage im Beschluss vom 9.1.2009 - 8 W 527/08 -entschieden; zurecht war das Gericht der Auffassung, dass die Anrechnung gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die wegen desselben Gegenstandes später anfallende Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG zu erfolgen hat vor der Ermittlung der Gebühr nach § 15 Abs. 3 RVG. Die Auffassung des OLG Stuttgart mildert -wenn auch in bescheidenem Maße- die häufig nicht einsehbaren Konsequenzen der Rechtsprechung des BGH im Kostenfestsetzungsverfahren .

Diesen Beitrag per E-Mail weiterempfehlenDruckversion

Hinweise zur bestehenden Moderationspraxis
Kommentar schreiben

22 Kommentare

Kommentare als Feed abonnieren

Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,
da kann man getrost anderer Auffassung sein als das OLG Stuttgart, dessen Betragsangaben bei einer ersten Würdigung der Höhe nach nicht nachvollziehbar sind [netto 508,20 € = Differenz zwischen 1.970,95 € (0,85 Gebühr aus 120.000 € + 1,1 Gebühr aus 23.452 €) und 1.462,75 € (1,6 Gebühr aus 143.425 € - 0,75 Gebühr aus 120.000 €)gegenüber 544,29 € lt. Angaben des OLG].
Ohne die Anrechnung hätte der Anwalt in dem vorliegenden Fall unter Berücksichtigung von § 15 Abs. 3 RVG bezogen auf die Verfahrensgebühr durch die Einbeziehung der nicht rechtshängigen Ansprüche lediglich 246,40 € netto mehr verdient (1,6 Gebühr aus 143.452 € - 1,6 Gebühr aus 120.000 €). Weshalb ein Anwalt für denselben Aufwand aufgrund einer vorgerichtlichen Tätigkeit ein höheres Differenzentgelt beanspruchen können sollte und das Gericht zurecht dieser Auffassung sei erschließt sich mir nicht.

0

@Stefan Schmeding:

Nach den Urteilsgründen war der Anwalt wegen der EUR 120.000,- außergerichtlich tätig, nicht jedoch wegen des jetzigen Vergleichsmehrwertes von EUR 23.452,-. Aus letzterem Betrag kann daher eine Geschäftsgebühr, die in irgendeiner Art und Weise anzurechnen wäre, nicht entstanden sein.

Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG ist da eindeutig: angerechnet wird die Geschäftsgebühr nach dem Wert des Gegenstandes, der AUCH Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist. An dieser Voraussetzung ("AUCH")fehlt es hier: die Geschäftsgebühr aus EUR 120.000,- ist gerade nicht identisch i. S. v. "gleicher Wert des Gegenstandes" mit der Verfahrensgebühr aus EUR 23.452,-. Insofern kann eine Berücksichtigung bei der Anrechnung nicht erfolgen.

0

Sehr geehrter Herr Schmeding,
Ihre Argumetation ist doch wohl sehr inkonsequent. Wenn man - wie Sie- ein Anfechter der Rechtsprechung des BGH in der Anrechnungsfrage ist, dann kommt man aber nicht daran vorbei, dass nach dem BGH die Verfahrensgebühr nur in schon verminderter Höhe " entsteht".Das muss aber dann auch gelten, wenn eine solche,um den anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr verminderte Verfahrensgebühr, in den Anwendungsbereich des
§ 15 Abs. 3 RVG fällt. Wieso sollte dann, wenn noch eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG hinzutritt, die nur in verminderter Höhe entstandene Verfahrensgebühr Nr.3100 VV RVG plötzlich zum Zwecke der Deckelung durch § 15 Abs. 3 VV RVG fiktiv in ungeminderter Höhe
" wiederauferstehen"? Der Hinweis auf den anwaltlichen Aufwand in Ihren Beitrag ist einseitig - diese Argumentation ist vielfach sehr beliebt,um eine Herunterrechnung anwaltlicher Gebühren zu stützen, selten wird aber der anwaltliche Aufwand als Gesichtspunkt herangezogen, eine gebührenfreundliche Gesetzesauslegung zu rechtferigen. Das OLG Stuttgart hat auch richtig gerechntet: Eine Gebühr mit dem Satz von 1,6 bei einem Streitwert von 143452 Euro beträgt 2536 Euro; rechnet man erst nach der Anwendung von § 15 Abs. 3 RVG an, verbleiben 1462,25 Euro, rechnet man vorher an, greift § 15 Abs. 3 RVG nicht, es verbleiben 1970,45 Euro- Differenz also 508,20 Euro. Alles weitere erklärt sich - bis auf 1 Cent- mit Umsatzsteuer und der Kostenquote von 9/10.

0

Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,
jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen und ich danke Ihnen für die rechne-rische Hilfe. 508,20 € zzgl. 19 % Umsatzsteuer x 9/10 ergeben in der Tat den von dem OLG Stuttgart ausgewiesenen Betrag.
§ 15 Abs. 3 RVG bezieht sich nach meinem Verständnis auf die entstandenen Gebühren. Entstanden ist eine (anrechnungsbehaftete) 1,6 Verfahrensgebühr sowie für einen nicht-rechtshängigen Gegenstand eine 1,1 Verfahrensgebühr.
Nach § 15 Abs. 3 RVG jedoch nicht mehr als eine 1,6 Verfahrensgebühr aus dem Gesamt-gegenstandswert aufwandsgemindert um den anzurechnenden Geschäftsgebührenanteil.
Bei der Beurteilung des Sachverhaltes geht es weder um eine Herunter- noch um eine Heraufrechnung anwaltlicher Gebühren; mir jedenfalls ist solches Ansinnen fremd.
Ob das Gericht jedoch zurecht der von ihm vertretenen Auffassung war scheint mir auch weiterhin diskussionswürdig. In dem konkreten Fall wird dem Beklagtenvertreter nicht nur ein höheres Differenzentgelt zugesprochen als sie ein erst in dem gerichtlichen Verfahren beauftragter Anwalt erhielte, sondern auch mehr als er erhalten hätte, wenn von vorn herein beide Gegenstände rechtshängig geworden wären. Die Rechtshängigkeit eines Gegenstandes begründet jedoch in aller Regel für den Anwalt höhere Verfahrens-gebühren.
Aus den Folgeentscheidungen des BGH wird zudem deutlich, dass die Verfahrensgebühr nicht in verminderter Höhe entsteht, sondern dass die entstandene Verfahrensgebühr mit einer Anrechnung behaftet ist.

@ A. Bräuer
Ich stimme Ihnen zu und habe dies auch so in meiner Berechnung berücksichtigt.
Wie jedoch bewerten Sie als RVG-Kommentatorin die OLG-Lösung des Sachverhaltes?

0

Konkurrenz Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG zu § 15 Abs. 3 RVG

Von dem OLG Stuttgart beurteilter Fall:

1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 1008, 3100 VV RVG, Wert: 120.000 €
./. 0,75 Geschäftsgebühr gemäß Vorbemerkung3 Abs. 4 VV RVG= 1.216,35 €

1,1 Verfahrensgebühr nach Nr. 1008, 3101 Nr. 2 VV RVG,
Wert: 23.452 €= 754,60 €
1.970,95 €

1. Lösung (Rechtspflegerin des LG Ravensburg):
Nach § 15 Abs. 3 RVG jedoch nicht mehr als
1,6 Verfahrensgebühr aus dem Gesamtgegenstandswert 143.452 €
./. 0,75 Geschäftsgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG
aus dem Wert 120.000 €= 1.462,75 €

2. Lösung (OLG Stuttgart): 1.970,95 €

3. Lösung (Erst Anrechnung und dann § 15 Abs. 3 VV RVG):
0,85 (1,6 – 0,75) Verfahrensgebühr, Wert: 120.000 €= 1.216,35 €

1,1 Verfahrensgebühr , Wert: 23.452 €= 754,60 € 1.970,95 €
Nach § 15 Abs. 3 VV RVG jedoch nichtmehr als 1,1 Verfahrens-
gebühr aus dem Gesamtgegenstandswert: 143.452 €= 1.743,50 €

Für die dritte Lösung könnte die Betrachtung einer leichten Fallabwandlung sprechen:

1,6 Verfahrensgebühr nach Nr. 1008, 3100 VV RVG, Wert: 120.000 €
./. 0,75 Geschäftsgebühr gemäß Vorbemerkung3 Abs. 4 VV RVG= 1.216,35 €

1,1 Verfahrensgebühr nach Nr. 1008, 3101 Nr. 2 VV RVG,
Wert: 23.452 €
./. 0,75 Geschäftsgebühr gemäß Vorbemerkung3 Abs. 4 VV RVG= 226,10 €
1.442,45 €

Berechnung nach dem 1. Lösungsweg:
Nach § 15 Abs. 3 RVG jedoch nicht mehr als
1,6 Verfahrensgebühr aus dem Gesamtgegenstandswert 143.452 €= 2.536,00 €
./. 0,75 Geschäftsgebühr aus 120.000 €= 1.073,25 €
./. 0,75 Geschäftsgebühr aus 23.452 €= 514,50 €
948,25 €

Berechnung nach dem 3. Lösungsweg:
0,85 (1,6 – 0,75) Verfahrensgebühr, Wert: 120.000 €= 1.216,35 €
0,35 (1,1 – 0,75) Verfahrensgebühr, Wert: 23.452 €= 226,10 €
1.442,45 €
Nach § 15 Abs. 3 VV RVG jedoch nichtmehr als 0,85 Verfahrens-
gebühr aus dem Gesamtgegenstandswert: 143.452 €= 1.347,25 €

Kritikwürdig an dem 3. Lösungsweg wäre, dass es für das Endergebnis ohne Belang ist, ob der Anrechnungssatz bei der Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG nun 0,75 Gebühren oder auch nur 0,3 Gebühren beträgt.

Kritik am 1. Lösungsweg, der über § 15 Abs. 3 RVG die Verfahrensgebühren fiktiv so begrenzt, als seien sie in derselben Angelegenheit (§ 15 Abs. 2 RVG) entstanden, ist, dass er diesen Gedanken bei der Anrechnung der Geschäfts-gebühren außer Betracht lässt. Da es sich hierbei um eine Vergleichsberechnung handelt, könnte sich die Anwendung des Rechtsgedankens aus § 15 Abs. 2 RVG auf die Anrechnung der Verfahrensgebühren übertragen lassen (1,6 – 0,75=) 0,85 Verfahrensgebühraus 143.452 €. Im Ergebnis liefern dann der 1. und der 3. Lösungsweg dasselbe Ergebnis.

Bevorzugen würde ich nach wie vor den 1. Lösungsweg (im abgewandelten Fall unter Berücksichtigung des Rechtsgedankensaus § 15 Abs. 2 RVG) , weil dieser dem Gedanken des § 15 Abs. 3 RVG Rechnung trägt, dass der Anwalt bei in unterschiedlicher Höhe entstandenen Gebühren keine höheren Gebühren erhalten soll, als wenn diese insgesamt mit dem höchsten Gebührensatz entstanden wären.

Sollte die Lesbarkeit des aus einer Worddatei kopierten Textes beeinträchtigt sein, so bitte ich den Verlag, dies "grade zu ziehen".

0

1. Zu Ihrem dritten Lösungsweg:

Wie Sie selbst schreiben, hat sich der BGH dahingehend „korrigiert“, daß die Verfahrensgebühr nicht in verminderter Höhe entsteht, sondern sich erst nach erfolgter Anrechnung verringert. Diesen Umstand lassen Sie bei der Lösung 3 außer Betracht, indem Sie die Prüfung gem. § 15 Abs. 3 RVG aus einem Höchstwert von 1,1 vornehmen (und insoweit die Verfahrensgebühr Nr. 3100 nur in Höhe von 0,85 berücksichtigen – obwohl sie in Höhe von 1,3 entstanden ist). Daß sich § 15 Nr. 3 auf Gebührensätze, die nach einer Anrechnung verbleiben, bezieht, kann ich nicht erkennen.

2. Zu Ihrem ersten Lösungsweg:

Sie wollen den Anrechnungsbetrag mit Hilfe der Verfahrensgebühr aus dem Wert 143.452,- € berechnen. Eine Verfahrensgebühr in dieser Höhe ist jedoch nie entstanden, sie wird lediglich fiktiv ermittelt, um den Höchstbetrag der Gebühren berechnen zu können. Auch hier ist Vorb. 3 Abs. 4 eindeutig: Angerechnet wird auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens. Hiermit kann nur die tatsächlich entstandene Verfahrensgebühr gemeint sein und nicht eine Verfahrensgebühr in fiktiver Höhe, die ausschließlich zu Vergleichszwecken berechnet wurde. Eine Verfahrensgebühr im gerichtlichen Verfahren aus einem Wert von 143.452,- € ist nie entstanden.

Ihr Einwand, daß die Anrechnung aus dem Betrag erfolgen soll, der dem Rechtsgedanken des § 15 Abs. 3 folgt, überzeugt mich nicht.

Zum einen vermengen Sie fiktive Gebührentatbestände mit einem konkreten Anrechnungsvorgang. Der Anwalt ist eben nicht wegen beider verglichener Streitgegenstände außergerichtlich tätig geworden. Dies wäre aber Voraussetzung dafür, daß der Anrechnungsbetrag (für die Geschäftsgebühr) aus der nach § 15 Abs. 3 gebildeten Summe der Verfahrensgebühren berechnet werden kann. Der Anwalt soll für den Umstand, daß er einen weiteren Rechtsstreit vermeidet und im anhängigen Verfahren weitere noch mögliche Streitgegenstände vergleicht, belohnt werden. Diese zusätzliche Honorierung ist allerdings durch § 15 Abs. 3 gedeckelt. Ihr Unbehagen darüber, daß der Anwalt im vorliegenden Fall mehr an Gebühren erhält, als wenn er von vornherein beide Streitgegenstände rechtshängig gemacht hätte, ist also gewollt.

Zum anderen bezieht sich die Anrechnungsvorschrift ausdrücklich nur auf den Streitgegenstand, der auch tatsächlich, nach vorheriger außergerichtlicher Tätigkeit, in das gerichtliche Verfahren übergeht und auf die Verfahrensgebühr, die in diesem Verfahren entstanden ist. Würden Sie den Anrechnungsbetrag von der fiktiven, lediglich zu Vergleichszwecken gebildeten, Verfahrensgebühr subtrahieren (um anzurechnen), so würde das Ergebnis mengenmäßig einen Betrag enthalten aus einem Wert, dessentwegen der Anwalt gerichtlich zwar tätig war, aus dem jedoch die Verfahrensgebühr Nr. 3100 gar nicht zu berechnen ist (sondern Nr. 3101). Sinn der Anrechnungsvorschrift ist es zu berücksichtigen, daß der Anwalt, sofern er bereits außergerichtlich tätig war, im folgenden gerichtlichen Verfahren nicht mehr den Aufwand betreiben muß, den er ohne vorhergehende außergerichtliche Tätigkeit hätte. Wegen des mitverglichenen Betrages war der Anwalt außergerichtlich nicht tätig. Die auf diesen Wert erfallene Verfahrensgebühr muß daher ungekürzt stehen bleiben, da es diesbezüglich keinen Anrechnungsbetrag mangels entstandener Geschäftsgebühr geben kann.

Insofern kann die richtige Lösung nur Nr. 2 sein.

3. Zum Urteil des OLG Stuttgart:

Das Urteil enthält drei Gründe für die korrigierte Anrechnung:
a) "Die Anrechnung ist nur bezüglich des rechtshängigen Anspruches vorzunehmen, da nur insoweit die vorgerichtliche Geschäftsgebühr und die gerichtliche Verfahrensgebühr entstanden sind." Dies entspricht – wenn auch ohne weitere Begründung und systematische Auseinandersetzung mit der Anrechnungsvorschrift - auch meiner Auffassung unter 2.

b) "Da sich die Verfahrensgebühr durch die Anrechnung kürzt, konnte auch nur die verminderte Gebühr bei der Überprüfung gem. § 15 Abs. 3 berücksichtigt werden." Dies sehe ich ebenso, allerdings begründet das Gericht seine Ansicht leider nicht explizit.

c) "Zeitlicher Aspekt." In der Tat ist es doch so, daß Gebührentatbestände im Zeitpunkt ihrer ersten Verwirklichung entstehen. Dies gilt m. E. nicht nur für die jeweilige Gebühr sondern für sämtliche gebührenrechtliche Vorschriften, folglich auch für Vorb. 3 Abs. 4. Insoweit muß die Geschäftsgebühr im Zeitpunkt des Entstehens der Verfahrensgebühr angerechnet werden. In dem korrigierten Beschluß wurde der Zeitpunkt der Anrechnung jedoch willkürlich nach hinten verschoben. Nachdem die Anrechnung einmal – korrekt – erfolgt ist, ist für eine weitere Anrechnung mit einer später entstandenen Verfahrensgebühr (auch nicht durch Addition) kein Raum.

0

Sehr geehrte Frau Bräuer,

die von Ihnen als richtig erachtete Lösung des OLG Stuttgart halte ich nach wie vor für kritikwürdig und begründe meine hiervon abweichende Auffassung ergänzend wie folgt:

Das RVG enthält keine Bestimmung, nach der eine Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG der Anwendung des § 15 Abs. 3 RVG vorgeht oder aber § 15 Abs. 3 RVG der Anrechnungsbestimmung. Aus diesem Grund bedarf die Lösung des Ausgangsfalles einer Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen.

Nach meiner Auffassung kann den gesetzlichen Bestimmung und den hierzu vorliegenden Gesetzesmaterialien eine deutliche Präverenz im Sinne von Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG erst nach Anwendung des § 15 Abs. 3 RVG entnommen werden.

§ 15 Abs. 3 RVG bezieht sich seinem Wortlaut nach auf für Teile des Gegenstandes mit verschiedenen Gebührensätzen entstandene Gebühren und legt fest, dass die Addition der mit verschiedenen Gebühren-sätzen entstandenen Gebühren den Gesamtbetrag der aus dem höchsten Gebührensatz berechneten Gebühr nicht übersteigen darf.

Daraus kann geschlossen werden, dass die Summe der in dem Ausgangs-fall entstandenen Verfahrensgebühren den Betrag einer 1,6 Ver-fahrensgebühr aus dem Gesamtstreitwert 143.452,00 € nicht übersteigen darf.
Hier also 2.289,60 € + 754,60 €= 3.044,20 € - jedoch nicht mehr als 2.536,00 €.

Dies spricht gegen die folgende nicht begründete Ansicht des Gerichts: “Da sich die Verfahrensgebühr durch die Anrechnung kürzt, konnte auch nur die verminderte Gebühr bei der Überprüfung gem. § 15 Abs. 3 berücksichtigt werden.”

Dass ein Anwalt gegenüber seinem Mandanten nicht in jedem Fall die entstandenen Gebühren abrechnen kann, kann u.a. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG entnommen werden.

Dort ist die Anrechnung einer entstandenen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens nach dem Wert des in das gerichtliche Verfahren übergegangenen Gegenstandes geregelt.

Dies alles spricht m.E. gegen den zur Stützung der o.g. Annahme des OLG Stuttgart von Ihnen angesprochenen „Zeitlichen Aspekt“ der Anrechnung, für den ich im RVG keine Stütze sehe.

Zweck der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG soll nach dem in den Gesetzesmaterialien bekundeten Willen des Gesetzgebers u.a. sein, dass der Mandant unter Berücksichtigung des Anrechnungsbetrags an seinen Anwalt keine höhere Vergütung für die gerichtliche Ver-tretung zahlen soll, als er dies ohne die Anrechnung müsste. Dieser „gewollte Anrechnungsvorteil“ wird durch die Entscheidung des OLG Stuttgart geschmälert und je nach Ausgangslage sogar auf Null zurückgeführt. Dies konterkariert aus meiner Sicht den Willen des Gesetzgebers über die Anrechnung die Vergütung des vorbefassten Anwaltes von der des erst im gerichtlichen Verfahren mit der Ver-tretung beauftragten Anwaltes zu unterscheiden.

Gegen den „zeitlichen Aspekt“ ließe sich ferner das Argument der Fälligkeit der Gebühren vorbringen (§ 8 Abs. 1 RVG), das ebenfalls für eine Anwendungsreihenfolge § 15 Abs. 3 RVG vor Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG spricht.

0

Sehr geehrter Herr Schmeding,
das oben diskutierte Problem läßt sich auch ganz einfach anders lösen, indem man nur der- richtigen - Auffassung folgt,dass das Führen erfolgreicher Verhandlungen vor Gericht zur vollen Verfahrensgebühr und nicht zu Nr. 3101 VV führt ( vgl. Mayer/Kroiß VV Nr 3101 Rn. 45 m. . N.). § 15 Abs. 3 RVG ist dann kein Thema mehr.

0

Sehr geehrter Herr Schmeding,

leider ist eine vernünftige Formatierung bzw. Kenntlichmachung von Zitaten hier nicht möglich. Ich habe daher Ihre Aussagen, die ich kommentierte, in „...“ gesetzt.

Ich kann auch nach mehrmaligem Lesen Ihres Beitrages nicht erkennen, womit Sie Ihre Kritik an der Entscheidung des OLG Stuttgart begründen.

„Das RVG enthält keine Bestimmung, nach der eine Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG der Anwendung des § 15 Abs. 3 RVG vorgeht oder aber § 15 Abs. 3 RVG der Anrechnungsbestimmung. Aus diesem Grund bedarf die Lösung des Ausgangsfalles einer Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen.“

Richtig. Kein Widerspruch.

„Nach meiner Auffassung kann den gesetzlichen Bestimmung und den hierzu vorliegenden Gesetzesmaterialien eine deutliche Präverenz im Sinne von Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG erst nach Anwendung des § 15 Abs. 3 RVG entnommen werden.“

Ich nehme an, Sie beziehen sich auf die Gesetzesbegründung. Ich kann, auch nach aktuellem Lesen, eine Präferenz,so wie von Ihnen angedeutet, nicht erkennen. Es finden sich weder in der Vorb. 3 Abs. 4 noch in der Bemerkung zu § 15 Abs. 3 entsprechende Hinweise.

„§ 15 Abs. 3 RVG bezieht sich seinem Wortlaut nach auf für Teile des Gegenstandes mit verschiedenen Gebührensätzen entstandene Gebühren und legt fest, dass die Addition der mit verschiedenen Gebühren-sätzen entstandenen Gebühren den Gesamtbetrag der aus dem höchsten Gebührensatz berechneten Gebühr nicht übersteigen darf.“

Richtig. Kein Widerspruch.

„Daraus kann geschlossen werden, dass die Summe der in dem Ausgangs-fall entstandenen Verfahrensgebühren den Betrag einer 1,6 Ver-fahrensgebühr aus dem Gesamtstreitwert 143.452,00 € nicht übersteigen darf. Hier also 2.289,60 € + 754,60 €= 3.044,20 € - jedoch nicht mehr als 2.536,00 €. „

Ihre Berechnung ist richtig und entspricht der Regelung in § 15 Abs. 3 RVG. Aber was kann daraus geschlossen werden im Hinblick auf Ihre Kritik am Urteil?

„Dies spricht gegen die folgende nicht begründete Ansicht des Gerichts: “Da sich die Verfahrensgebühr durch die Anrechnung kürzt, konnte auch nur die verminderte Gebühr bei der Überprüfung gem. § 15 Abs. 3 berücksichtigt werden.”

Dies kann ich nicht nachvollziehen. Sie haben in Ihrer Argumentation diesbezüglich doch lediglich eine Berechnung des Höchstbetrages nach § 15 Abs. 3 vorgenommen.

„Dass ein Anwalt gegenüber seinem Mandanten nicht in jedem Fall die entstandenen Gebühren abrechnen kann, kann u.a. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG entnommen werden. Dort ist die Anrechnung einer entstandenen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens nach dem Wert des in das gerichtliche Verfahren übergegangenen Gegenstandes geregelt.“

Richtig. Kein Widerspruch.

„Dies alles spricht m.E. gegen den zur Stützung der o.g. Annahme des OLG Stuttgart von Ihnen angesprochenen „Zeitlichen Aspekt“ der Anrechnung, für den ich im RVG keine Stütze sehe.“

Was „alles“? Bislang haben Sie lediglich den Gesetzestext zitiert.

„Zweck der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG soll nach dem in den Gesetzesmaterialien bekundeten Willen des Gesetzgebers u.a. sein, dass der Mandant unter Berücksichtigung des Anrechnungsbetrags an seinen Anwalt keine höhere Vergütung für die gerichtliche Ver-tretung zahlen soll, als er dies ohne die Anrechnung müsste.“

Daß die Anrechnungsvorschrift etwas für den Mandanten bezwecken soll, kann ich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Vielmehr wird die Anrechnungsregelung damit begründet, daß eine Gleichbehandlung des Anwaltes, der umittelbar einen Prozeßauftrag erhält, mit dem Anwalt, der zunächst außergerichtlich tätig war, nicht zu rechtfertigen ist. Der Anwalt, der zunächst außergerichtlich tätig war, erhält mehr an Gebühren als der Anwalt, der nur gerichtlich tätig ist. Insoweit kann man m. E. nicht von „gewollter Anrechnungsvorteil“ sprechen.

„Dieser „gewollte Anrechnungsvorteil“ wird durch die Entscheidung des OLG Stuttgart geschmälert und je nach Ausgangslage sogar auf Null zurückgeführt. Dies konterkariert aus meiner Sicht den Willen des Gesetzgebers über die Anrechnung die Vergütung des vorbefassten Anwaltes von der des erst im gerichtlichen Verfahren mit der Ver-tretung beauftragten Anwaltes zu unterscheiden.“

Inwiefern? Das OLG nimmt doch eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr vor. Fraglich ist doch lediglich, wann diese Anrechnung zu erfolgen hat. Für Ihre Auffassung haben Sie aus meiner Sicht noch kein überzeugendes Argument geliefert.

„Gegen den „zeitlichen Aspekt“ ließe sich ferner das Argument der Fälligkeit der Gebühren vorbringen (§ 8 Abs. 1 RVG), das ebenfalls für eine Anwendungsreihenfolge § 15 Abs. 3 RVG vor Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG spricht.“

Inwiefern? Die Fälligkeit der Gebühren hat nichts mit dem Entstehen der Gebühren (besser: dem Zeitpunkt des ersten Entstehens) bzw. dem Verwirklichen eines Gebührentatbestandes (hier: Anrechnungvorschrift) zu tun. Ich bleibe hier bei meiner Auffassung, daß ausschlaggebend der Zeitpunkt ist, zu welchem der Gebührentatbestand das erste Mal verwirklicht wird. Der Zeitpunkt der Anrechnung der Geschäfts- auf die Verfahrensgebühr liegt weit vor der vorzunehmenden Prüfung nach § 15 Abs. 3. Insoweit kann nur die um den Anrechnungsbetrag verminderte Verfahrensgebühr zur Überprüfung herangezogen werden.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin gerne zu einer Diskussion bereit. Nur kann ich momentan nicht erkennen, was denn, im Hinblick auf Ihren letzten Beitrag, aus Ihrer Sicht die Gründe dafür sind, daß die Entscheidung des OLG Stuttgart falsch ist. Einzig Ihr Argument bezüglich des zeitlichen Aspektes ist neu. Auf Ihre Anmerkungen vom 29.01.09, 10:48 Uhr hatte ich bereits erwidert.

0

Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,
Ihre Auffassung zu der vollen Verfahrensgebühr ist mir bekannt, ich habe sie allerdings noch nicht nachvollzogen. Dies will ich gerne nachholen. Interessant wäre es in diesem Zusammeng, zu welcher Lösung des Eingangsfalles Sie - ihre Annahme als richtig unterstellt - kommen.
Zu den Ausführungen von Frau Bräuer fällt mir auf, dass der erstmals mit der Vertretung in dem gerichtlichen Verfahren beauftragte Anwalt im Ergebnis dasselbe verdienen soll, wie der zum Teil außergerichtlich befasste Anwalt. Dieses Ergebnis überrascht mich. Ich gehe davon aus, dass der außergerichtlich befasste Anwalt für die selbe Mehrleistung nicht mehr an Differenzvergütung erhalten soll, als der nur gerichtlich tätige Anwalt. Mit anderen Worten fehlt mir gegenwärtig noch das Verständnis dafür, weshalb der nur gerichtlich tätige Anwalt für den mitverglichenen Gegenstand rund 500,00 € Netto mehr verdienen soll als der Anwalt, der für einen wesentlichen Teil des Streitgegenstandes (mehr als 80 %) eine ihrem Charakter nach im gerichtlichen Verfahren vergütungsmindernde Geschäftsgebühr verdient.

0

Sehr geehrter Herr Schmeding,

Sie übersehen bei Ihrer Berechnung, daß der Anwalt, der auch außergerichtlich tätig war, diese Vergütung zusätzlich zur Vergütung im gerichtlichen Verfahren erhält. Das Weniger an Gebühren, das er durch die verminderte Verfahrensgebühr erhält, "füllt" er nicht nur "auf" mit der Geschäftsgebühr, er erhält - wie gewollt - letztendlich mehr an Vergütung, als der nur gerichtlich tätige Anwalt. Insoweit kann ich - vom Ergebnis her betrachtet - eine Ungerechtigkeit hier nicht erkennen.

Vielmehr zeigt sich hier einmal mehr die Kuriosität der vom BGH eingeführten Anrechnungspraxis. Würde nämlich - wie jahrzehntelang üblich und bewährt - die Geschäftsgebühr um den Anrechnungsbetrag vermindert, so würde die Verfahrensgebühr des auch außergerichtlich tätig gewesenen Anwaltes in unverminderter Höhe im Abgleich nach § 15 Abs. 3 RVG berücksichtigt, so daß beide Anwälte im gerichtlichen Verfahren die selbe Vergütung erhalten würden.

0

Sehr geehrte Frau Bräuer,
in meinen Vorbeitrag hat sich ein Fehler eingeschlichen.
"Ich gehe davon aus, dass der außergerichtlich befasste Anwalt für die selbe Mehrleistung nicht mehr an Differenzvergütung erhalten soll, als der nur gerichtlich tätige Anwalt. Mit anderen Worten fehlt mir gegenwärtig noch das Verständnis dafür, weshalb der nur gerichtlich tätige Anwalt für den mitverglichenen Gegenstand rund 500,00 € Netto (an Stelle von mehr muss es heißen:) weniger verdienen soll als der Anwalt, der für einen wesentlichen Teil des Streitgegenstandes (mehr als 80 %) eine ihrem Charakter nach im gerichtlichen Verfahren vergütungsmindernde Geschäftsgebühr verdient."
Derselbe Bearbeitungsaufwand rechtfertigt in der Regel dasselbe Entgelt.
Hinsichtlich des nicht rechtshängigen Anspruchs hat der Anwalt einen gesonderten Aufwand, der nicht davon abhängig ist, ob er für den rechtshängigen Anspruch vorgerichtlich tätig war.
War er nicht vorgerichtlich tätig (erbringt also den sonst anrechnungsmindernden Aufwand tatsächlich im gerichtlichen Verfahren), dann deckelt § 15 Abs. 3 RVG den Entgeltzuwachs für den Mehrvergleich des nicht rechtshängigen Anspruchs auf 246,60 € netto.
War er hingegen vorgerichtlich tätig (und hat dort bereits einen mit 0,75 Gebühren anzurechnenden Aufwand erbracht), dann fällt die Deckelung des § 15 Abs. 3 RVG nach der Entscheidung des OLG Stuttgart geringer aus bzw. entfällt in dem entschiedenen Fall völlig. Ihm werden für dieselbe hinzugetretene Tätigkeit 754,60 € - also 508,00 € netto mehr zugebiligt.
Wandelt man nun den Fall ein wenig ab, in dem man die Geschäftsgebühr für den rechtshängigen Teil erst nach Abschluss des Verfahrens entstehen lässt, dann kommt man zu einem erstaunlichen Ergebnis.
Die Anrechnungsbestimmung erscheint danach als ein bloßer Rechenposten, der das Entgelt des Anwaltes für die Vertretung im gerichtlichen Verfahren reguliert.
Fazit:
§ 15 Abs. 3 RVG deckelt die entstandenen Gebühren. Indem das OLG Stuttgart die anzurechnende Gebühr herausrechnet, verändert es den Umfang der Deckelung. Für eine zusätzliche deckungsgleiche Tätigkeit erhält der Anwalt je nach dem ob er vorgericht-lich tätig war oder erst im gerichtlichen Verfahren bzw. nachgerichtlich geschäfts-gebührenauslösend tätig wird (754,60 € - 246,60 €=)508,00 € netto mehr oder weniger.
Anders ausgedrückt, bleiben von dem ursprünglichen Anrechnungsbetrag (0,75 Gebühren=)
1073,25 € lediglich (- 508,00 €=) 565,25 €. Es sind Fallkonstellationen denkbar, in denen die Anrechnung nach der OLG-Methode völlig entfiele.
Eine derartige Auslegung des Gesetzes scheint mir nicht überzeugend, weil Gleiches nicht gleich behandelt wird. Die Anrechnung für sich genommen benachteiligt den Anwalt nach dem RVG genausowenig wie seinerzeit nach der BRAGO. Eine begünstigende Wirkung für den Anwalt wäre allerdings wohl ein Novum.
Daher richtete sich die zum Teil vorgebrachte Kritik an der Anrechnung auf die Verfahrensgebühr bisher gegen die teilweise fehlende Anspruchsgrundlage für eine Einforderung der Geschäftsgebühr von dem in dem gerichtlichen Verfahren unterlegenen Gegner.

0

Nachtrag:
Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG ist zu entnehmen, dass dem vorgerichtlich tätigen Anwalt gegenüber dem nur gerichtlich tätigen Anwalt als Mehrvergütung grds. nur der nicht-anzurechnende Geschäftsgebührenanteil zusteht.

0

Sehr geehrter Herr Schmeding,

momentan fehlt mir die Zeit, Ihre Berechnung nachzuvollziehen. Bereits jetzt gebe ich aber folgendes zu bedenken:

Sie versuchen, mir anhand von RECHENbeispielen darzulegen, zu welchem Zeitpunkt die Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist. Damit zäumen Sie das Pferd von hinten auf. Die KostenBERECHNUNG kann letztlich nur Ergebnis einer richtigen Gesetzesanwendung sein. Keinesfalls kann der Anwalt aufgrund eines Rechenergebnisses entscheiden, wie er das Gesetz anzuwenden oder auszulegen hat. Der Zeitpunkt der Anrechnung muß sich allein aus den entsprechenden Vorschriften ergeben. Ich bin nach wie vor nicht Ihrer Auffassung. Ein Rechenwerk wird mich insoweit auch nicht überzeugen. Sollten sich in dem hier diskutierten Fall tatsächlich rechnerischen Ungereimtheiten ergeben , so muß der Anwalt dies hinnehmen.

Ich darf noch einmal darauf hinweisen, daß der Gesetzgeber keinesfalls gewollt hat, daß der BGH die bestehende Formulierung der Anrechnungsvorschrift so auslegt, wie er es nunmehr tut. Die von Ihnen dargelegten rechnerischen Ungereimtheiten ergeben sich demnach allein wegen der nunmehr aktuellen Rechtsprechung hinsichtlich der Anrechnungspraxis und nicht etwa daraus, dass nicht klar wäre, zu welchem Zeitpunkt die Anrechnung zu erfolgen hat.

0

Sehr geehrte Frau Bräuer,
der BGH hat einen vergleichbaren Sachverhalt bisher nicht entschieden. Die rechnerischen Ungereimheiten ergeben sich daher m.E. nicht aus der Anrechnungsrechtsprechung des BGH sondern aus einer unzutreffenden Rechtsauslegung in dem von mir kritisierten Bechluss. Der zeitliche Aspekt der Anrechnung wurde von Ihnen in die Diskussion eingeführt. Ich teile ihn nicht und argumentiere Ihre Annahme einmal als zutreffend unterstellend dagegen.
Nach meiner näher dargelegten Auffassung wird der aus Vorbemerkung 3 Abs. 4 RVG herrührende Anrechnungsvorteil von der Deckelung des § 15 Abs. 3 RVG nicht berührt. Nach der Entscheidung des OLG Stuttgart hingegen ist dieser Anrechnungsvorteil über § 15 Abs. 3 RVG veränderlich und kann damit im Einzelfall sogar vollständig entfallen. Die Begründung für diese Annahme halte ich für wenig überzeugend.

0

Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,
Ihre Kritik an meiner Auffassung in Ehren, wenn ich Ihren Kommentar vom 30.01.2009 richtig deute (1,6 Verfahrensgebühr auch für den in den Mehrvergleich einbezogenen Gegenstand), dann unterscheidet sich unser Auffassung im Ergebnis nicht.

Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG stellt ein Minder zu Nr. 3100 VV RVG dar.

Wären die 23.452,00 € im Wege der Klageerweiterung geltend gemacht worden, so könnte der Anwalt für das Mehr nach § 15 Abs. 2 RVG insgesamt nur eine 1,6 Verfahrensgebühr aus dem Gesamtstreitwert 143.452,00 € fordern und müsste sich hierauf nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG eine 0,75 Geschäftsgebühr aus 120.000,00 € anrechnen lassen. Er hätte folglich Anspruch auf eine Verfahrensgebühr i.H.v. 1.462,75 €.

Für das Minder billigt das OLG Stuttgart nun eine 0,85 Verfahrensgebühr aus 120.000,00 € zzgl. einer 1,1 Verfahrensgebühr aus 23.452,00 € - also 1.970,95 € (nach § 15 Abs. 3 RVG jedoch maximal eine 1,6 Verfahrensgebühr aus 143.452,00 € = 2536,00 €) zu.

Letzteres Ergebnis halte ich daher nicht für plausibel. Es beruht zudem auf einer Gesetzesauslegung, die m.E. in einem deutlichen Widerspruch zu dem Sinn und Zweck der Anrechnungsbestimmung steht.

Der Kritik von Frau Bräuer an einer angeblichen Anrechnung eines konkreten Geschäftsgebührenanteils auf eine "fikitive" nach § 15 Abs. 3 RVG ermittelte Verfahrensgebühr lässt sich m.E. entgegenhalten, dass die über § 15 Abs. 3 RVG gedeckelten Verfahrensgebühren in dem gedeckelten Betrag im Verhältnis der gedeckelten Ausgangsgebühren zueinander konkret enthalten sind.

0

Sehr geehrter Herr Schmeding,
natürlich unterscheiden wir uns hier nicht im Ergebnis,sondern in der Begründung.Auf dem Boden der Auffassung, dass das Führen von erfolgreichen Verhandlungen vor Gericht zur vollen Verfahrensgebühr führt, kommt man zu niedrigeren Gebühren als das OLG Stuttgart. Allerdings macht diese Auffassung auch die Diskussion überflüssig, ob vor der Prüfung nach § 15 Abs. 3 RVG anzurechnen ist oder danach. Im übrigen kann man bei der Auslegung des RVG nicht " Mehr" oder " Minder" vergleichen, sondern man muss sich bewußt sein, dass unterschiedliche Sachverhalte auch unterschiedlich vergütet werden können.

0

Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,
nach meinem Verständnis ist der Vergleich des „Mehr“ mit dem „Minder“ grade Gegenstand des § 15 Abs. 3 RVG.
Entstehen gleichartige Gebühren mit unterschiedlichen Gebührensätzen, so dürfen diese nach § 15 Abs. 3 RVG in Ihrer Summe das „Mehr“ einer aus der Summe der Gegenstände berechneten Gebühr mit dem höchsten Gebührensatz nicht über- jedoch unterschreiten.
Verglichen werden nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 3 RVG die entstandenen Gebühren und nicht etwa die anrechnungsgeminderten.
Die Summe der entstandenen Verfahrensgebühren darf die Summe einer aus dem Gesamtbetrag der Wertteile nach dem höchsten Gebührensatz berechneten Verfahrensgebühr nicht übersteigen.
Die Deckelung des § 15 Abs. 3 RVG tritt danach neben die Anrechnung nach Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG.
Nachdem wir uns wie Sie einräumen hier nicht mehr im Ergebnis, sondern lediglich in der Begründung unterscheiden, scheinen Sie in Konsequenz die Auffassung des OLG Stuttgart inzwischen ebenfalls nicht mehr zu teilen.

0

Sehr geehrter Herr Schmeding,
Ihre Schlussfolgerung ist unzutreffend.Wenn man meiner Auffassung zur Höhe der Verfahrensgebühr bei erfolgreichen Verhandlungen vor Gericht folgt, stellt sich das Problem nicht. Wenn man meiner Auffassung in diesem Punkt nicht folgt,- m.E. derzeit noch die überwiegende Meinung-, dann hat das OLG Stuttgart vollkommen richtig und in konsequenter Umsetzung der BGH-Rechtsprechung entschieden, mit dem aus meiner Sicht nicht unerfreulichen Ergebnis der Erhöhung des anwaltlichen Vergütungsanspruchs!

0

Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,
so begrüßen Sie ein Ergebnis, zu dem Sie nach Ihrer Auffassung von der Höhe der Verfahrensgebühr in konsequenter Anwendung der BGH-Rechtsprechung persönlich nicht kommen können.
Im Übrigen trifft § 15 Abs. 3 RVG ausschließlich eine Regelung für entstandene Gebühren. Diese unterscheiden sich auch nach der BGH-Rechtsprechung nach wie vor von anrechnungsgeminderten Gebühren, die daher hier m.E. grade nicht in denselben Topf geworfen werden dürfen.
Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG regelt die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens. Diese kann daher auch eine aus § 15 Abs. 3 RVG gebildete Verfahrensgebühr sein.

0

Zum Thema hat sich im rechtspflegerforum eine Diskussion entwickelt, die für die Beurteilung der von mir kritisierten Entscheidung des OLG Stuttgart von Interesse sein mag – vgl.
http://www.rechtspflegerforum.de/showthread.php?t=34044&page=4

Hieraus zwei Zitate aus Beiträgen vom Vortag:

Aus Beitrag #71:

„Ich denke, das OLG Stuttgart läuft in seiner Argumentation entgegen der gesetzgeberischen Intention und auch derjenigen des BGH. Mich erinnert der hiesige Fall ein wenig an die Diskussion bei der "Doppelanrechnung" bei vorgerichtlicher Tätigkeit mit anschließenden Mahn- und streitigen Verfahren. Da gibt es vereinzelt die Auffassung, daß i. d. R. lediglich eine bereits reduzierte Mahngebühr auf die Verfahrensgebühr des streitigen Verfahrens angerechnet wird. Damit wird der Sinn einer Anrechnungsbestimmung in ihr Gegenteil verkehrt, indem nicht die entstandene Gebühr als Grundlage der Anrechnung herangezogen wird, sondern (in dem Fall) die (bereits um die Geschäftsgebühr) reduzierte. Im hiesigen Fall scheint es nicht anders zu sein, wenn man die bereits reduzierte Gebühr in die Überlegungen gem. § 15 III RVG einfließen läßt.“

Beitrag #77:

„Ich stelle dann auch folgenden Fall mal rein: (verkürzt)

1,0 Mahnverfahren aus 10000.- 486,00 (sind tituliert)
1,3 VG aus 10000.- 631,80
0,8 VG aus 10000.- 388,80 (nicht anhängig)
§ 15 III 839,80

Dann müsste ich ja erst § 15 III "ziehen" und dann die titulierten Gebühren abziehen. Der RA würde somit 839,80 EUR bekommen abzgl. 486,00 = 353,80 Erstattung!

Rechne ich allerdings die Mahngebühr gleich an, bekommt der RA 534,60 EUR + 486,00 = 1020,60 und somit 180,80 EUR mehr als der erste RA.“

0

Sehr geehrter Herr Dr. Mayer,

sind Sie der Meinung, dass sich die Entscheidung auch auf die Anrechnung nach Vorb. 3 V umlegen lässt, also die Anrechnung der im selbstständigen Beweisverfahren enstandenen 1,3 Verfahrensgebühr im Hauptsacheverfahren mit überschießendem Vergleichswert vor der Prüfung nach § 15 III RVG zu erfolgen hat? Vielen Dank!

0

Kommentar hinzufügen