BGH-Präsident Tolksdorf gegen "Deals" im Strafverfahren

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 31.01.2009

Der Präsident des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Klaus Tolksdorf kritisierte beim Jahrespresseempfang des Bundesgerichtshofs am 29.1.2009 harsch die weit verbreitete Praxis der Absprachen im Strafprozess:

Nach vielen dieser "Deals" würden Strafen verhängt, die man schwerlich als schuldangemessen bezeichnen könne: "Für welche Taten zwei Jahre mit Bewährung verhängt werden, da reibe auch ich mir verwundert die Augen." Dass in etwa 2/3 aller Strafprozesse die Urteile zwischen den Beteiligten und dem Gericht abgesprochen würden, sei eine Entwicklung, die er für gefährlich halte. Das Strafensystem sei in eine gefährliche Schieflage geraten, die "verheerend" für das Ansehen der Justiz sei.

Grundsätzlich begrüßte Tolksdorf die Initiative zur gesetzlichen Regelung. Allerdings unterscheidet sich der Gesetzentwurf kaum von den Vorgaben,die der Große Senat des BGH bereits in seinem Grundsatzbeschluss vom 3.3.2005 (BGHSt 50, 40 = NJW 2005, 1440) formuliert habe - Vorgaben, "die in der Praxis nicht immer eingehalten werden. " Der BGH-Präsident zeigte sich wenig zuversichtlich, dass die geplante gesetzliche Neuregelung Abhilfe schaffen werde.

 

Leitsätze des Beschlusses vom 3.3.2005 - GSSt 1/04

1. Das Gericht darf im Rahmen einer Urteilsabsprache an der Erörterung eines Rechtsmittelverzichts nicht mitwirken und auf einen solchen Verzicht auch nicht hinwirken.

2. Nach jedem Urteil, dem eine Urteilsabsprache zu Grunde liegt, ist der Rechtsmittelberechtigte, der nach § 35a S. 1 StPO über ein Rechtsmittel zu belehren ist, stets auch darüber zu belehren, dass er ungeachtet der Absprache in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen (qualifizierte Belehrung). Das gilt auch dann, wenn die Absprache einen Rechtsmittelverzicht nicht zum Gegenstand hatte.

3. Der nach einer Urteilsabsprache erklärte Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels ist unwirksam, wenn der ihn erklärende Rechtsmittelberechtigte nicht qualifiziert belehrt worden ist.

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5 Kommentare

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OK, wie kann man den "Deal" aus den Gerichtssälen verbannen? Ganz praktisch?

Verdopplung der Personalschlüssel bei Wirtschaftsstaatsanwaltschafen (nict nur für VOlljuristen, sondern auch für Fachleute aller nur denkbaren Wirtschaftsberufe), Verdopplung ebenfalls bei den entsprechenden Strafkammern.

Schaffung von Positionen für Mitarbeiter mit Doppelabschluss in Jura und Wirtschaft. Diese müssten, um mit Stellen für derartig qualifizierte Personen konkurrenzfähig zu sein, etwa vier- bis zehnfach über dem heutigen Niveau bezahlt werden.

Herstellung der Möglichkeit eines solchen Doppelabschlusses an deutschen Universitäten. Mit den heutigen Studienbedingungen ist ein solches Studium nahezu unmöglich - anders als zB in den Vereinigten Staaten, wo Doppelabschlüsse organisatorisch für gute Studenten nicht nur in vertretbarer Zeit machbar sind, sondern durch Stipendienmodelle auch angemessen gefördert werden.

Es gibt in den den USA eine größere Zahl an hochrangigen Stellen des öffentlichen Dienstes, zu deren Einstellungsvoraussetzung derartie Doppelabschlüsse gehören.

Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt werden, ist der "Deal" unvermeidlich. Wer das nicht berücksichtigt, ist unseriös.

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Ob mit gesetzlicher Regelung oder nicht, den Deal wird es weiterhin geben; den kann man nicht abschaffen. Aber: Viel mehr als bisher sollten die Beteiligten sich der hinter einem solchem Procedere stehenden Verantwortung bewusst sein! Da liegt m.E. das Problem.

Ím Fall Zumwinkel wird - und das fällt schwer zu glauben - in Abrede gestellt, dass es eine Absprache gegeben hat. Macht nicht eine solche Fortentwicklung nicht bange, wenn es gar kein Absprechen mehr bedarf, weil alle sowieso wissen, wie der Hase läuft? Wahrlich, dann brauchen wir keine mündliche öffentliche Verhandlung mit Amtsaufklärung mehr - und die Justiz kann sich einige Stellen sparen. Was bleibt aber von unserem bewährten Strafprozess übrig, wenn das Gericht bei einem Deal mit einer Bewährungsstrafe lockt, aber andernfalls mit einer hohen Freiheitsstrafe droht, falls der Angeklagte nicht "mitspielt". Was bleibt von unserem bewährten Strafprozess übrig, wenn Verteidiger nicht mit ihrem Können, sondern - wie das bereits der Fall sein soll - mit ihren Mauschel-Fähigkeiten werben? Diese Entwicklung macht mich bange.

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Ich verstehe die ganze Aufregung nicht so ganz. Diese "Verständigungen" wie sie Herr Gehb im Streit um die Begrifflichkeit letztens im BT so schön nannte, setzt doch nur die vorhandene Praxis um und macht auch das Prozedere weitaus fassbarer als dieses ständige in den Seilen hängen anhand jederzeit änderbare höchstrichterlicher Rechtsprechung.

Wenn man wirklich "Deals" im Sinne von "Freikaufen" anprangern will, sollte man bei den Verfahrenseinstellungen nach § 153a StPO mal genauer die Rechtspraxis der Gerichte sich anschauen.

Das ist ein weitaus gefährlicheres Einfallstor für die Scheckbuch-Strafjustiz wie zB auch der Fall Lichtinghagen gezeigt hat. Die Formulierung "geringe Schuld" ist so dehnbar wie nur irgendetwas und kann offenbar nicht dazu führen, dass man zielgenau abgrenzen kann, was der Staat in allen Konsenquenzen bis zum Urteil verfolgen muss und was nicht.

Im Gegensatz zum nun geregelten "Deal" zwingt § 153a nicht zur Anerkennung des geschehenen Unrechts. Kein Geständnis, keine Folgen beim Führungszeugnis, ggf. keine dienstrechtlichen Konsequenzen.

Der Fall Helmut Kohl endete ja am Ende auch mit einer enormen Geldsumme auf diese Weise und hinterließ sehr starke Bedenken hinsichtlich der Funktionsfähigkeit und -willigkeit der Gerichte.

Gerade wenn man sieht, welche Summen über die "bezahlte Verfahrenseinstellung" zusammenkommen (siehe nur den Lichtinghagen-Fall), werden Begehrlichkeiten schnell geweckt, ganz abgesehen davon, dass der Staat es in der Regel auch gerecht weiterverteilen muss und das ist ja alleine schon ein großes Problem. Es ist doch wohl kaum zu leugnen, dass Staatsanwälte dann auch wirtschaftlich denken müssen, wenn sie über das Höhe der Geldzahlung nach § 153a StPO nachdenken. Was ist hier gerechtfertigt? Alles Pi mal Daumen?

Heutzutage kann man in Hinblick auf die Vielzahl der Verfahrenseinstellungen fast schon auf den Gedanken kommen, dass die Staatsanwaltschaft lieber "per default" anklagt ohne die Ermittlungen im Vorfeld abgeschlossen zu haben, um sich dann im Zweifel vor dem Gericht über eine bezahlte Einstellung zu einigen. Sehr praktisch: Weniger Arbeit für die Staatsanwaltschaft, den Schuldigen auch irgendwie erwischt ("wird schon etwas dran gewesen sein, sonst hätte er nicht gezahlt"), der Anwalt kann das seinem Klienten als riesigen Erfolg verkaufen und der Mandat muss zwar zusätzlich zu den Verteidigerkosten noch die geforderte Geldsumme berappen, ist aber den lästigen und nervenaufreibenden Prozess los. Alle haben gewonnen. Schöne neue Welt.

Ich würde mir einfach wünschen, dass es mehr klare Urteile gibt. Schuldig oder unschuldig. Und wenn Zweifel bestehen, aber man nicht so sicher ist, die Beweislage mal wieder nicht zu ermitteln ist, nicht zur Verfahrenseinstellung greifen, sondern einfach freisprechen.

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Leidtragende des neuen § 257c StPO werden Angeklagte und Schöffen sein. Sinnvoller wäre es, über die Feststellung der Schuld via (informelles) Schuldinterlokut zu beschließen, um dann offen über die Strafzumessung zu sprechen. Im bisherigen und geplanten Verständigungsverfahren degenerieren Strafkammern zu Handelskammern, unzureichen informierte Schöffen zu Komparsen.

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