Verteidiger des mutmaßlichen Erpressers von Susanne Klatten kritisiert scharf Münchner Justiz

von Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg, veröffentlicht am 02.02.2009

Schon bevor am 9. März das zunächst auf vier Tage angesetzte Strafverfahren gegen Helg S. wegen gewerbsmäßigen Betrugs u.a. beginnt, kritisiert sein Verteidiger Rechtsanwalt Egon Geis laut dem heutigen SPIEGEL (dort S. 18) heftig die zuständige Justizpressestelle, weil diese den zwölfseitigen Anklagesatz an alle interessierten Journalisten verteilt habe. Dies sei ein "einzigartiger Vorgang" und in seinen Augen "sogar strafbar." Damit sei sein Mandant vor dem Prozess durch die Medien "massiv vorverurteilt worden, noch dazu mit Hilfe einer Gerichtspressestelle."

Die Justizpressestelle wies die Attacke zurück: Die Presse habe ein Recht darauf, informiert zu werden. Das Gericht sei verpflichtet, vor einem Prozess, der ein solches Interesse hervorrufen, rechtzeitig und umfassend zu informieren. Die Journalisten seien darauf hingewiesen worden, dass sie nicht wörtlich aus dem Anklagesatz zitieren dürfen. Es sei dann Aufgabe der Medien, verantwortungsvoll mit diesen Informationen umzugehen.

Angesprochen ist § 353d Nr. 3 StGB, wonach sich u.a. strafbar macht, wer die Anklageschrift eines Strafverfahrens ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden ist.

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16 Kommentare

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Ja, und?

Juristische Pseudo-Blogs, die bloß Pressemeldungen zitieren, gibt es schon diverse (die diesbezügliche SPON-Meldung stand schon am Samstag in der "Handakte").

Ich dachte, das beck-blog hätte da einen etwas höheren Anspruch.

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So wie mein Vorredner muss man das sicherlich nicht ausdrücken, aber abgesehen von der Form ist am Inhalt durchaus etwas dran. Die Meldung selber liest man schon seit Tagen auf allen Nachrichtenseiten. Hier würde ich mir dann doch wünschen, dass Sie auch Ihre Meinung dazu kundtun. Warum denken Sie ist dies kein Verstoß gegen § 353d oder haben sich die Kollegen aus München Ihrer Ansicht nach strafbar gemacht. Die reine Meldung haben wir alle schon überall gelesen, dafür ist das Beck-blog IMHO nicht da.

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Aus dem Handubch für schlechte Strafverteidiger: Wenn die Rechtslage ungünstig ist, sprich über die unterstützenden Zeugenaussagen, wenn die Zeugen den Mandanten belasten, sprich über die Rechtslage. Wenn beides gegen den Mandanten steht, fang an zu schimpfen.

Zur Sache: Die Weitergabe der Unterlagen an die Presse ist mangels Breitenwirkung noch keine Veröffentlichung, diese geschieht erst durch die Medien. Und alle Journalisten, denen die Unterlagen zur Verfügung gestellt werden, kennen den 353d und würden nie wörtlich zitieren. Sinngemäße Wiedergabe ist vom Verbot aber nicht erfasst.

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Offensichtlich ist meine Intention bei diesem Blogeintrag in den beiden Absätzen zu versteckt untergebracht, aber ich wollte die Diskussion nicht vornherein auf eine bestimmte Fragestellung verengen. Aber immerhin gab es rasch eine ganz andere Diskussion:

(1) Hinter der Meldung steht - zunächst einmal losgelöst von der Rechtsfrage - nicht nur das wichtige Spannungsverhältnis zwischen den Interessen des Beschuldigten einerseits und den Forderung der Medien andererseits, möglichst frühzeitig umfassend informiert zu sein, sondern auch die praktisch wichtige Frage, ob ein Verteidiger so agieren sollte, wenn es ihm gerade darum geht, dass in den Medien im Vorfeld eines spektakulären Prozesses Ruhe herrscht. Geht es in der Sache um die aufgeworfene Rechtsfrage oder tatsächlich um eine ganz andere Intention? Oder ist es nur das übliche Vorgeplänkel? Mich würde schon interessieren, was Strafverteidiger meinen, die in der "Strafprozessführung über Medien" Erfahrung haben; ich selbst bin da nicht kompetent. Aber wer plaudert schon gern aus dem Nähkästchen? Na, vielleicht findet sich die eine oder der andere, die/der dazu eine Meinung hat.

(2) Was die Rechtsfrage betrifft, so ist diese nicht völlig unstreitig (darüber zu diskutieren wäre es auch wert). Das Vorgehen der Münchner Justizpressestelle entspricht jedenfalls weitgehender Praxis und der Standardkommentarliteratur (Fischer, StGB, 55. Aufl., § 353d Rn. 6b; LK/Träger, StGB, 11. Aufl., § 353d Rn. 56 Schönke/Schröder/Lenckner/Perron, StGB, 26. Aufl., § 353d Rn. 46; vorsichtig enger formulierend MüKo-StGB/Graf § 353d Rn. 68). Wem dem so ist, dann frage ich mich, wie sich der Vorstoß des Verteidgers erklärt. Geht es um die öffentliche Vorbereitung von Ablehnungsanträgen am ersten Prozesstag, die aber wohl in der Sache nicht durchgehen werden - oder um was geht es wirklich?

(3) Die Strafnorm selbst lässt sich gut auf den Prüfstand stellen. Ist der mit ihr erreichbare Schutz in der Praxis wirksam? Weitergehend: Wie lässt sich öffentlichen Vorverurteilungen entgegentreten?

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Besten Dank Herr Behrends für Ihren Beitrag, den ich erst jetzt lesen kann, nachdem ich meinen abgeschickt habe. Er nimmt die Diskussion auf, die ich anstoßen wollte! Nur zur Klarstellung: In München sind die Journalisten ausdrücklich auf die Strafbestimmung hingewiesen worden.

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Sehr geehrter Herr Behrends, lieber Herr Kollege v. Heintschel-Heinegg,
ich möchte ein bisschen wider den Stachel löcken bzw. - amerikanisiert  "Einspruch, Euer Ehren" rufen. Man müsste - wie immer - zunächst den Sachverhalt klären. Wenn das stimmt, was der Verteidiger behauptet, nämlich, dass die Justizpressestelle "den zwölfseitigen Anklagesatz an alle interessierten Journalisten verteilt" hat, dann kann dies durchaus den Tatbestand des § 353d I Nr.3 StGB obj. erfüllen bzw. eine Teilnahmehandlung darstellen, wenn es zu einer wörtlichen Wiedergabe in der Presse kommt. Die Unterscheidung, ob schon die Tat selbst obj. vorliegt, hängt von der Anzahl der Personen ab, denen die Unterlagen zugesendet wurden; insb. ob dieser Kreis quasi unkontrollierbar wird. Herr Behrends sagt: "Die Weitergabe der Unterlagen an die Presse ist mangels Breitenwirkung noch keine Veröffentlichung, diese geschieht erst durch die Medien."
Hingegen: Zitat aus LG Stuttgart NJW 2004, 622: "Angesichts der auf die Verbreitung durch die Presse zielenden Willensrichtung des Angekl. und auch im Hinblick auf den festgestellten Vorsatz betreffend die wörtliche Wiedergabe der Aktenteile ist dem Angekl. der erfolgte Abdruck in der Presse - wenn auch durch den eigenständigen Entschluss des jeweiligen ebenfalls deliktisch handelnden Redakteurs - zuzurechnen (§ 25 II StGB)." Dass die Weitergabe des Anklagesatzes an Pressevertreter nie "öffentliche Mitteilung" sein soll, erscheint deshalb zumindest erläuterungsbedürftig. In der Gerichtspraxis wurde hier nach meinem Empfinden mit zweierlei Maß gemessen - und die Kommentare sind hier - mit Ausnahme des Münchener Kommentars (MüKo/Graf § 353d Rn.68) leider unkritisch. Vergleicht man etwa LG Mannheim NStZ-RR 1996, 361 mit LG Stuttgart NJW 2004, 622 ergibt sich, dass es in der Praxis einen Unterschied machte, ob die "Pressekonferenz" von einer Bürgerinitiative oder von einer gerichtlichen Pressestelle organisiert wird. Die Kommentatoren haben im Gefolge einiger Gerichtsentscheidungen die "vertrauliche" Weitergabe in einer "geschlossenen" Pressekonferenz, bzw. an einen "persönlich verbundenen namentlich bekannten Kreis" von zwölf Personen (LG Mannheim) für unbedenklich erachtet. Nun gut. Aber das hier vorliegende Verhalten (wenn es denn stimmt), nämlich, dass jedem interessierten Journalisten eine Abschrift der Anklageschrift zugestellt wurde, ist dann doch etwas anderes. Es ist möglicherweise nur Bequemlichkeit der Pressestellen, statt selbst eine Zusammenfassung zu erstellen, einfach den Anklagesatz weiterzureichen. Wenn sie aber selbst zu bequem ist, darf sie sich dann auf die Professionalität der Journalisten verlassen? Schließlich handelt sie im Auftrag der Behörde, die dazu berufen ist, die Einhaltung des StGB (einschl. § 353d StGB!) zu überwachen und durchzusetzen. Dass, wie Herr Behrends meint, alle Journalisten den § 353 d StGB kennen und beachten, würde ich in Zweifel ziehen. Dass sie auf die Norm ausdrücklich hingewiesen wurden, mag zumindest den subjektiven Tatbestand ausschließen (wenn auch nicht sicher). Menschen, deren Beruf die Veröffentlichung ist, zugleich auf den Verbotstatbestand hinzuweisen, ist m.E. perfide - etwa so, wie jemandem den Kuchen einzupacken, aber darauf hinzuweisen, das Essen desselben sei nicht gestattet. Wenn die Pressestellen zu bequem zum Umformulieren sind, dann können es auch Journalisten sein - nichts ist so einfach wie copy und paste. Alle Studenten wissen, dass dies verboten ist, dennoch wird es immer wieder getan. Die Bezeichnung "Journalist" ist zudem ungeschützt und es ist relativ leicht, einen entsprechenden Ausweis zu bekommen. Eine Auswahl von Journalisten, die als vertrauenswürdig erachtet werden, während man anderen dieselbe Information vorenthält, dürfte aber aus anderen Gründen problematisch sein. Bleibt die Frage, ob denn der Anklagesatz ausreicht - auch dies wird in den Kommentaren nicht einheitlich beurteilt. Geht es, wie hier, um 12 Seiten, ist auch hier nicht von vornherein der obj. Tatbestand mangels Erheblichkeit zu verneinen. Dies nur meine zwei Cent zur Debatte - ich freue mich auf eine Diskussion! Eine andere Frage ist, ob § 353d Nr.3 StGB nicht revisionsbedürftig ist oder gar abgeschafft werden sollte.

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Lieber Herr Kollege Müller,

wenn es noch einer Begründung bedurfte, dass das Thema in vielfältiger Hinsicht diskussionswürdig ist, dann belegt dies Ihre Stellungnahme eindrucksvoll!

Ich gehe mal davon aus, dass die mehrseitige Anklage an die interessierten Journalisten, also nicht flächendeckend an die Presse, entsprechend der Praxis vieler Justizpressestellen versandt wurde. Den Staatsanwälten lernt man, dass der Anklagesatz möglichst kurz sein soll; er soll alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale mit Fakten ausfüllen - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dies erfordert Arbeit am Text; alles Überflüssige muss raus. Seriöserweise ist dann aber beim "idealen" Anklagesatz mit Blick auf den Informationsanspruch der Presse eine weitere Verkürzung (= Zusammenfassung) nicht mehr möglich. Auf die Seitenzahl des Anklagesatzes kann es nicht ankommen (zumal wenn - was ich nicht weiß - mehrere Fälle zur Anklage kommen).

Wie Sie bin ich der Meinung, dass die Strafbestimmung auf den rechtspolitischen Prüfstand gestellt werden sollte. Wenn die Diskussion hierfür im Beck Blog eröffnet werden würde, würde ich mich sehr freuen!

Mit freundlichen Grüssen
Bernd von Heintschel-Heinegg

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Lieber Herr Kollege v. Heintschel-Heinegg,

der Schutzzweck des § 353d Nr.3 StGB wird nach zwei Richtungen hin benannt, nämlich

1. den Angeklagten vor einer öffentlichen Vorverurteilung zu schützen.
Effektiv wäre dies nur möglich, wenn man jegliche Berichterstattung vor einem Strafprozess verböte, was natürlich eine kaum durchzusetzende und auch aus anderen Gründen kaum sinnvolle Unterdrückung der Pressetätigkeit bedeutete. Daher wird mit § 353d Nr.3 auch nur die wörtliche Veröffentlichung aus der Anklageschrift verboten: Es soll gerade eine Vorverurteilung durch den Wortlaut der Anklageschrift, also eine quasi-amtliche Vorverurteilung verhindert werden. Grund dafür könnte sein, dass man hinsichtlich anderer journalistischer Veröffentlichungen immer noch darauf hinweisen kann, diese seien spekulativ. Bis zum Strafprozess, in dem der Vorwurf öffentlich geprüft wird, erfolgt dann zwar möglicherweise eine Vorverurteilung in der veröffentlichten Meinung, aber es ist eben "nur" die Medienöffentlichkeit, nicht die Justiz, die dies befördert.

2. um die anderen Prozessbeeteiligten, insb. die Laienrichter nicht zu beeinflussen. Dies ist - weil hier kein Individualrechtsgut, sondern mit der "Tatsachenfeststellung im gerichtlichen Beweisverfahren" ein allgemeines Rechtsgut betroffen ist - ein noch gewichtigerer Zweck. Nun werden die Laienrichter vor einem Prozess wie diesem natürlich ohnehin beeinflusst, sie lesen Zeitung, gucken fern, hören Radio und lesen im Internet. Aber auch diese Befassung mit der Materie ist noch etwas anderes als wenn die Laienrichter schon lange vor dem Prozess ausschnittweise mit der Anklageschrift vertraut gemacht werden und damit ein amtliches Dokument zur Kenntnis bekommen, dass sie erst Wochen später in einer Hauptverhandlung zu prüfen haben. Die Laienrichter erhalten auch keine Akteneinsicht, d.h. von der gesetzlichen Konstruktion her sollen sie ihr Urteil möglichst unbeeinflusst allein aus der mündlichen Hauptverhandlung treffen.

§ 353d Nr.3 versucht das Informationsinteresse auf der einen und den Schutzzweck auf der anderen Seite zu vereinbaren, indem nur die Veröffentlichung "im Wortlaut" (von wesentlichen Teilen) der Anklageschrift strafbar ist. Auf diese Weise wird der amtliche Charakter der Schrift vermieden, die tatsächliche Information kann aber trotzdem veröffentlicht werden. Dies ist ein nicht immer sinnvoller Kompromiss, aber er ist auch nicht schlicht unsinnig.

Nimmt man diese Zwecke ernst, müsste man die Tätigkeit der Justizpressestellen grundsätzlich überdenken. Meines Erachtens unterläuft die geschilderte Vorgehensweise der Pressestellen (Herausgabe der Anklageschrift unter Hinweis darauf, dass diese nicht wörtlich veröffentlicht werden dürfe) tendenziell diesen gesetzlichen Zweck, auch wenn nicht immer schon ein unmittelbarer Verstoß gegen § 353 d Nr.3 vorliegt (siehe mein obiges posting). Indem sie selbst den Text herausgibt, zeigt sie an, dass ihr der Gesetzeszweck "egal" ist und sie das momentane Informationsbedürfnis der Medien (und die Werbung für die staatsanwaltliche Sichtweise mit Amtsbonus) tendenziell über den Schutzzweck des Gesetzes - die neutrale Wahrheitsfinung - stellt. Aus meiner Sicht stärkt dies nicht gerade das Vertrauen in die Justiz. Ich bezweifle auch die Argumentation der Münchener Justiz im vorliegenden Fall, das Informationsinteresse der Presse verlange diese Vorgehensweise, denn das geschilderte Rechtsgut ist eben vorrangig zu beachten. Die Hauptverhandlung ist das Forum, das über die Anklage entscheidet, nicht die Presse, auch wenn es nur ausgewählte Qualitätsjournalisten sein sollten. Im Übrigen bezweifle ich, dass man das Blatt mit B..., das notorisch Geschmacks- und sonstige Grenzen verletzt, effektiv ausschließen kann.

Mein Fazit de lege lata: Dass die Justiz überhaupt Informationen vor einer Hauptverhandlung herausgeben darf, ist nach meiner Ansicht im Hinblick auf den Gesetzeszweck schon der gesetzlich geregelte Kompromiss. Die Herausgabe der Anklageschrift oder des Anklagesatzes im amtlichen Wortlaut unterläuft tendenziell diesen gesetzlichen Kompromiss und widerspricht dem Sinne des Gesetzes, wenn es auch nicht immer tatbestandsmäßig ist.

Beste Grüße
Henning Ernst Müller

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Liebe Mitstreiter,
§ 353d StGB korrespondiert auf staatsanwaltschaftlicher Seite u.a. mit Nr. 4 und Nr. 23 RiStBV. Und da erschließt sich eben der rechtsstaatlich unverzichtbare Kern der Regelung. Es geht um das Verhältnis zwischen den Persönlichkeitsrechten des Beschuldigten und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Das Verhältnis ist so zu gestalten, dass eine unnötige Bloßstellung des Beschuldigten vermieden und sein Anspruch auf ein faires Verfahren nicht beeinträchtigt wird. Es ist eben ein Unterschied, eine (amtliche) Anklageschrift wiederzugeben, als aus allgemein zugänglichen Quellen Bericht zu erstatten. Die Sicht des Beschuldigten, seine möglicherweise im Ermittlungsverfahren oder Zwischenverfahren abgegebenen Stellungnahmen oder die seines Verteidigers kommen im Anklagesatz nicht vor. Die Amtlichkeit des Dokuments begründen in den Augen der Öffentlichkeit enormes Gewicht und Bedeutung im Hinblick auf den Inhalt. Für den strafjuristischen Laien nimmt sich der Anklagesatz aber auch schon wegen seiner sprachlichen Fassung meist aus, wie das feststehende Ergebnis einer abgeschlossenen Untersuchung, während die Behauptungen ja in der Hauptverhandluing erst geklärt werden sollen. Aus diesen Gründen ist die Einhaltung der die Staatsanwaltschaft bindenden Verpflichtungen aus den RiStBV und die Beachtung des § 353d StGB in dem Sinne, dass nicht einfach der Anklagesatz an alle interessierten Journalisten verteilt wird, kein lästiger oder verzichtbarer Anachronismus. Die Art und Weise, wie man als Verteidiger auf Verstöße gegen diese Regelungen seitens der Justiz reagiert, mag Stilfrage sein, die Beanstandung als solche aber ist Verteidigerpflicht.
Beste Grüße
Anke Müller-Jacobsen

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Sehr geehrte Frau Rechtsanwältin Müller-Jacobsen, lieber Herr Kollege Müller,

zunächst besten Dank für Ihre fundierten Stellungnahmen, die weit über das hinausgehen, was bei den großen StGB-Kommentaren zu der Problematik zu lesen ist - eindrucksvoll werden damit Aufgabe und Bedeutung des Blogs unterstrichen.

Im Grundsätzlichen haben Sie mich auf Ihrer Seite. Allerdings frage ich mich, wie der - angesprochene - presserechtliche Informationsanspruch gegenüber der Staatsanwaltschaft schon im Ermittlungsverfahren sich da einfügt; denn diese Auskunft im frühen Stadium des Anfangsverdachts ist "amtlich" und kann jedenfalls wörtlich zitiert/übernommen werden. Liegt das Problem nicht noch "grundsätzlicher"? Hat die bisherige Rechtsprechung in diesen presserechtlichen Fragen die Sicht des Beschuldigten/der Laienrichter möglicherweise nicht ausreichend gewichtet und sollte im von Ihnen angesprochenen Sinn überdacht werden? Für mich interessante Fragen, die womöglich noch nicht ausreichend untersucht wurden.

Nochmals zur aktuell bestehenden Praxis: Ein Prominenter begeht einen Ladendiebstahl (Einstellung/Strafbefehl scheiden aus) und es kommt zu der üblichen Anklage mit dreizeiligem Anklagesatz. Die Justizpressestelle könnte die Auskunft auf "Ladendiebstahl" verkürzen, müsste aber auf Nachfrage Tattag,Tatort und das Diebesgut angeben. Das ist aber dann der fast komplette Anklagesatz -die Absicht rechtswidriger Zueignung ausgenommen. Kann es das sein?

Beste Grüsse
Bernd von Heintschel-Heinegg

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Sehr geehrte, liebe Mitdiskutierende,

das Spannungsverhältnis zwischen der staatsanwaltschaftlichen Pflicht zur Öffentlichkeitsarbeit einerseits und andererseits den Schranken, die im Interesse der Beschuldigten und der Objektivität des Strafverfahrens geboten sind, macht Ihre Diskussion auch für mich als Verfassungsrechtler hoch interessant. Dabei frage ich mich, was überhaupt dafür spricht, den Anklagesatz im Wortlaut an die Presse zu geben, wenn doch klar ist, dass die Presse ihn nicht im Wortlaut zitieren darf. Mir scheint, dass es hier ausschließlich um eine Arbeitserleichterung für die Pressestelle der Staatsanwaltschaft geht. Das hat aber mit guter Pressearbeit nichts zu tun. Wenn ich mir die Entwicklung der Pressearbeit des Bundesverfassungsgerichts seit den 1990er Jahren anschaue, hat man dort gelernt, dass es nicht ausreicht, amtliche juristische Dokumente unbearbeitet an die Presse zu geben, weil sie im Zweifel nicht richtig verstanden werden. Das heißt aus meiner Sicht nicht, dass die Pressestelle einen Anklagesatz zusammenfassen sollte, wie dies bei Herrn Kollegen v. Heintschel-Heinegg anklingt. Vielleicht muss sie zusätzliche Informationen geben, anderes umformulieren und wieder anderes streichen, damit Presse und Öffentlichkeit eine vernünftige Informationsgrundlage bekommen, die weder den Eindruck einer Vorverurteilung erweckt noch Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten verletzt. Vor diesem Hintergrund erscheint es mir sehr sinnvoll, wenn man eine wörtliche Veröffentlichung der Anklageschrift verbietet, der Staatsanwaltschaft aber andere Formen der Pressearbeit gestattet.

Beste Grüße
Robert Uerpmann-Wittzack

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Eine ganz ausgezeichnete Diskussion,wie ich finde. Allerdings kommt der Aspekt der Schoeffenbeeinflussung zu kurz.
Die Schoeffen sind nicht berechtigt,Einblick in die Ermittlungs/Strafakte zu nehmen.Tun sie es dennoch, dann koennen sie wegen Besorgnis der Befangenheit (erfolgreich) abgelehnt werden. Sie sollen einzig und allein aufgrund des Ergebnisses der Hauptverhandlung zu einem Urteil kommen. Dieser Aspekt allein verbietet m.E. schon die Herausgabe der Anklageschrift an die Presse, die daraus nicht nur woertlich zitieren, sondern durch Umformulieren praktisch eine "zweite Auflage" der Anklageschrift herauszubringen in der Lage ist.
Gerade in Prozessen wie diesem sollte Zurueckhaltung das oberste Gebot sein.Insofern hat der Verteidiger Egon Geis durchaus recht.
Darueberhinaus ist es nachgerade bedenklich,und das wurde hier mehrfach erwaehnt, wenn einerseits die Veroeffentlichung der Anklageschrift vor Verlesung in der Hauptverhandlung verboten ist, andererseits die Weitergabe an die Presse zulaessig sein soll mit dem Hinweis: Nicht woertlich veroeffentlichen, da strafbar. Frei nach dem Motto: Bade mich, aber mach mich nicht nass.

Oeffentlichkeitsarbeit in diesem Fall sollte allein darin bestehen, die Tatsache der Zulassung der Anklage und knapp die Anklagepunkte zu bennen. Fuer den Rest kann ja wohl bis zur Hauptverhandlung gewartet werden.

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Nachdem die erste Meldung erhebliche Skepsis hinsichtlich ihrer "Blogtauglichkeit" auslöste, entwickelte sich gerade zu diesem Thema wohl die bislang tiefgehendste Diskussion im Strafrecht, die - wie letzte Beitrag von Herrn Dr. von Paleske belegt - noch nicht zu Ende ist, wenngleich sich eine Überstimmung in der grundlegenden Frage nun deutlich abzeichnet. Vielleicht trägt unsere Dikussion dazu bei, dass so manche Justizpressestelle ihre bisherige Praxis überdenkt.

Einen Aspekt vermag ich allerdings in dem Problemfeld noch nicht rso recht zu verorten: Spielt es eine Rolle und falls ja, an welchem Punkt, dass die Schöffen in den sehr öffentlichkeitswirksamen Fällen, wie dem vorliegenden, schon in einem sehr Ermittlungsstadium eingehend - manchmal gleichsam umfassend - informiert werden; viel intensiver als durch den späteren "kurzen" Anklagesatz. Anders formuliert: Müsste nicht auch darüber nachgedacht werden, ob im Zuge des Ermittlungsverfahrens aus den genannten Gründen eine sehr zurückhaltende Pressearbeit angezeigt ist oder verlangt die Informationspflicht eine möglichst umfassendes Offenlegen der Erkenntnisse, soweit dadurch nicht die weiteren Ermittlungen beeinträchtigt werden?

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Mir leuchtet ein, dass Schöffen nicht vor der Hauptverhandlung informiert werden sollten. Verzichten die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden weitgehend auf Öffentlichkeitsarbeit, scheint mir aber gerade in spektakulären Fällen die Gefahr zu bestehen, dass in den Medien Gerüchte wild wuchern, die mit den tatsächlichen Ermittlungsergebnissen nichts zu tun haben - s. z.B. den Fall Mannichl. Unter diesen Umständen scheint es mir u.a. im Interesse der Objektivität der Schöffen, aber auch des Schutzes von Verdächtigen und Opfer wichtig, dass die Strafverfolgungsbehörden klarstellen, welche Erkenntnisse tatsächlich vorliegen.

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Es gehört thematisch hierher, wenn auch die Staatsanwaltschaft in diesem Fall bestreitet, die Öffentlichlkeit selbst informiert zu haben. Aber was auf Telepolis "Die mediale Hinrichtung eines Politikers" genannt wird, ist schon beunruhigend. Schon bevor der Beschuldigte über die Vorwürfe informiert wird, wird auf Spiegel Online im Detail berichtet. Die Durchsuchungsergebnisse kann man praktisch live verfolgen. Und das bei einem Deliktsvorwurf, der eine spätere Einstellung oder einen Freispruch fast unbeachtlich macht. Wird jemand mit dem Vorwurf "Kinderpornografie" auch nur in Beziehung gebracht, ist die Karriere ohnehin zerstört.
Auch deshalb muss man überlegen, ob eine besonders vorsichtige Informationspolitik der Staatsanwealtschaften generell angezeigt wäre. Früher hieß das: "Im laufenden Ermittlungsverfahren keine Informationen".

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Auch dieses Beispiel zeigt, dass wir es bei § 353d Nr. 3 StGB mit einem Straftatbestand aus einer anderen (Medien-)Wirklichkeit zu tun haben. Der angestrebte Schutzzweck - Unbefangenheit von Zeugen und Schöffen zum einen,Persönlichkeitsrechte der Beteiligten zum anderen - kann damit wohl gar nicht mehr erreicht werden. Schon früher wurde vereinzelt die Streichung empfohlen. Effektiver könnte schon die strikte Einhaltung der einschlägigen Regelungen in den RiStBV sein und ein vernünftiger und sensiblerer Umgang der staatsanwaltschaftlichen Pressestellen mit diesem Thema. Als Verteidiger stellt man sich - vielleicht naiv ? - auch vor, dass ein gewisser Ausgleich jedenfalls in bezug auf die Schöffen durch entsprechende Hinweise der Berufsrichter im Beratungszimmer erfolgt.

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